Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2016/17

Donnerstag, 27. Oktober 2016

Über Proudhon'schen Antisemitismus und deutschen Nationalsozialismus

Der Vortrag stellt die Frage nach einer Kontinuität zwischen dem so genannten ‚kleinbürgerlichen Sozialismus‘ eines Pierre Joseph Proudhon (1809-1865) und der nationalsozialistischen Ideologie, wobei insbesondere die Zins- sowie die Eigentumskritik als wesentliche Elemente der Proudhon'schen ‚Kapitalismuskritik‘ behandelt werden. Unter Berücksichtigung der im nationalsozialistischen Deutschland zu Proudhon erschienenen Literatur werden Kontinuitäten und Diskontinuitäten in Zusammenhang mit seinem Antisemitismus und dessen ideologischen Grundlagen betrachtet. Proudhons Haltung gegenüber den Juden entspricht weder ganz einem rassisch orientierten Antisemitismus, noch dem „herkömmlichen“ christlichen Antijudaismus, obwohl sie Elemente von beiden aufweist. Vielmehr steht Proudhons judenfeindliche Einstellung in engem Zusammenhang mit seinem Antitheismus.

Es spricht Frédéric Krier, nach Studium der Geschichte und Europastudien Promotion 2007 bei Heinz Dieter Kittsteiner. Seit 2008 ist er als Berater des geschäftsführenden Vorstands des Unabhängigen Gewerkschaftsbundes Luxemburg (OGBL) tätig, seit 2014 dort auch Zentralsekretär für die Bereiche Hochschule und Forschung.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

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Donnerstag, 10. November 2016

Nicht keine Kunst. Über Boris Lurie und NO!art

Boris Lurie, 1924 in Leningrad geboren, verlebt seine Kindheit in Riga, wird 1941 verhaftet und über die Lager Lenta und Stutthof in ein Außenlager des Konzentrationslagers Buchenwald bei Magdeburg deportiert. Die Mutter, seine Schwester und seine Jugendfreundin werden bei der großen Erschießungsaktion der Deutschen im Wald von Rumbula bei Riga ermordet. Lurie erzählt die Geschichte einer Jüdin, der es gelingt, auf dem Weg zur Erschießung unbemerkt einen Zettel mit der Aufschrift „Rächt uns“ auf der Straße fallen zulassen. Für Lurie Aktionskunst im engen Sinn, denn „wo ist die große künstlerische Tat? Nicht unbedingt, kaum, selten in der sogenannten Kunst. Die Kunst versteckt sich außerhalb.“ In seiner „Flatcar Assemblage“ (1961) findet diese Einschätzung ihre zynische Entsprechung. Zu sehen ist eine Fotografie übereinandergeschichteter Häftlingsleichen auf einem Anhänger. Die Bildunterschrift weist das Entstehungsjahr und den Autor aus: „1945 by Adolf Hitler“. Der verhinderte Künstler realisiert sein Werk außerhalb der Kunst. Lurie macht Hitler so zum Künstler der Moderne. Obszön ist nicht das Bild, sondern die Tat. Ende der 50er Jahre gründet Lurie mit seinen Kollegen Stanley Fisher und Sam Goodman in New York das Künstlerkollektiv NO!art als Gegenentwurf zur Konsensmalerei des Abstrakten Expressionismus und zur gerade aufkommenden Pop Art. Sie verlassen die Kunst nicht, stellen an ihrem angestammten Ort, der Galerie, aus, ihre Werke finden allerdings selten einen Käufer. Sie produzieren Antikunst, sind gleichzeitig dagegen und dabei.

Es spricht der Fotograf und Künstler Eiko Grimberg (Berlin).

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Freitag, 11. November 2016

Antifaschistische Stadtrundfahrt

Radtour zur Erinnerung an die Deportation von 403 jüdischen Mitbürgern in das Internierungslager Gurs am 22. Oktober 1940 und deren Vorgeschichte in Freiburg – geführt durch E. Imbery.

Treffpunkt um 15:00 Uhr am Haupteingang des KG I, Rempartstraße.

Der Stadtrundgang entfällt; ein neuer Termin wird bald bekannt gegeben.

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Donnerstag, 24. November 2016

Blut und Automobil

Als im letzten Jahr einmal mehr ein ‚Führungsstreit‘ um die Nachfolge der Obersten Heeresleitung beim größten Betrieb der Deutschen (VW) ausbrach, wirkte das nicht zufällig wie eine öffentlich ausgetragene Familienfehde. Die FAZ bezeichnete die Familie Porsche-Piëch unlängst als eine „uralte Beziehungskiste“. Seit Jahren wird das Ringen um die Führungsriege von der öffentlichen Meinung aufmerksam verfolgt und liefert seither Stoff für einen Groschenroman. Von narzisstischen Unsterblichkeitswünschen getrieben, weiß der in die Jahre gekommene Ingenieur und Vielvater, Ferdinand Piëch, zu berichten: „Ein einzelner ist nur ein Zwischenschritt, habe ich in Asien gelernt. So sehe ich mich auch. In der Hoffnung, daß in der Großfamilie einer der Nachkommen ähnlich denkt wie ich und das zusammenhält.“ Das das meint den stramm-familiär geführten Betrieb einer der größten Aktiengesellschaften in Deutschland.

Wie eng Familie, Staat und Ökonomie verwoben sind, lässt sich an der 1937 gegründeten Gesellschaft zur Vorbereitung des Volkswagens mbH exemplifizieren. Der Entwickler, Ferdinand Porsche, wurde durch die Gemeinschaft Kraft durch Freude beauftragt eine motorisierte Postkutsche für den Freizeitspaß des späteren Otto-Normal-Vergasers zu konstruieren. Das Ziel, von Adolf Hitler 1934 proklamiert, sollte ein sparsames, familienfreundliches Automobil für unter 1000 Reichsmark sein. Das Hitler'sche Glücksversprechen ließ sich für die Deutschen zwar nicht mehr zu Führers Lebzeiten einlösen, allerdings konnten nach der erfolgreichen deutschen Revolution, die in Auschwitz kulminierte, die Fließbänder volle Fahrt aufnehmen. Welche Rolle der am Reißbrett geplante und vom Architekten Peter Koller umgesetzte Schandfleck, die Stadt des KdF-Wagens bei Fallersleben (heute: Wolfsburg), als Produktionsstandort spielte, soll an diesem Abend erläutert werden. Darüber hinaus soll über ‚NS-Architektur‘, über Familie und Betrieb, Gewerkschaft und Sozialpartnerschaft, Souveränität und Krise, über Kriegsproduktion und postnazistische Demokratie gesprochen werden.

Es spricht David Hellbrück (Wien), der u. a. redaktionell für die Zeitschriften Pólemos und sans phrase tätig ist.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Donnerstag, 8. Dezember 2016

Im Spiegel der Unschuld: Sexualmoral im Postnazismus

Von „Kinderschändern“, „Unzucht“, „kindlicher Reinheit“ und anderen Symptomen

Der Vortrag beschäftigt sich ausgehend von dem Phänomen der gegenwärtigen Angst vor pädophilen Übergriffen mit Aspekten der Interferenz von deutscher ‚Vergangenheitsbewältigung‘ und der kulturellen Bedeutung von Sexualität im postnazistischen Deutschland. Der Vortrag richtet dabei den Fokus darauf, inwiefern gewisse psychoanalytische Annahmen über die konflikthafte Dimension des Sexuellen hilfreich sein können, über gesellschaftliche Formationen der Sexualität Aufschluss zu geben. Insbesondere im Jahr 2013 kursierte in der Politik und den Medien die Frage: Haben wir bisher genau genug auf die von Pädophilen ausgehende Gefahr für Kinder hingeschaut? Dieser ‚geschärfte Blick‘ ist zentrales Element einer derzeit allgegenwärtigen panischen Verdachtsstimmung, wie sich exemplarisc h anhand von journalistischen Publikationen zur Aufdeckung von Pädophilen zeigen lässt. Jeder Mann steht hier unter Verdacht – denn, so das hier entworfene Bild, Pädophile tarnen sich als Jedermann. Der empfohlene ‚geschulte Blick‘ verspricht den Lustgewinn, eben diese Tarnung aufzudecken und sich selbst auf diesem Wege vom ‚Pädo‘ zu unterscheiden. Genossen wird in diesem Akt auch ein Idealbild von der Unschuld des eigenen Begehrens. Von hier ausgehend skizziert der Vortrag Etappen der Transformation der Sexualmoral im postnazistischen Deutschland. Stets wenden sich die Bedeutungen der Verknüpfungen von Sexualität mit der deutschen ‚Vergangenheitsbewältigung‘ – Vorstellungen von der sexuellen Gefährdung von Kindern waren in diesem Zusammenhang stets zentral. Vor diesem Hintergrund erweist sich die aktuelle Sorge um den Schutz von Kindern und die Panik vor Pädophilen nicht nur als ein Symptom des derzeitigen verhandlungsmoralischen Ideals einer unschuldigen Sexualität, sondern auch, wie dieses mit der Geschichte deutscher ‚Vergangenheitsbewältigung‘ verwoben ist.

Es spricht Sonja Witte, Mitarbeiterin an der International Psychoanalytic University (IPU) Berlin. Sie arbeitet zu Fragen der gesellschaftlichen Bedeutung von Sexualität, der postnazistischen Kultur(-industrie) und des ideologischen Gehalts von gegenwärtigem Konsum. Sie ist aktiv bei den „les madeleines“, der krIPU und der Zeitschrift „Extrablatt – Aus Gründen gegen fast Alles“.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Nachholtermin

Freitag, 9. Dezember 2016

Antifaschistische Stadtrundfahrt

E. Imbery (Freiburg)

Treffpunkt um 15:00 Uhr am Haupteingang des KG I, Rempartstraße.

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Dienstag, 10. Januar 2017

Elemente und Ursprünge der Flüchtlingskrise

Seit dem Sommer 2015 wird die deutsche Perspektive auf den sogenannten Bürgerkrieg in Syrien dominiert vom bangen Blick auf diejenigen, die der syrischen Hölle entronnen und nach Europa gekommen sind. Ein Großteil der rund 14 Millionen syrischen Flüchtlinge befindet sich jedoch noch in Syrien oder den Nachbarländern. Zwar wird gerne von Bekämpfung der Fluchtursachen gesprochen, jedoch findet öffentlich kaum eine Analyse oder Diskussion der Ursachen der syrischen Katastrophe statt. In Deutschland herrscht vor allem die Auffassung, dass die USA und die Intervention 2003 im Irak verantwortlich seien.

Der bequeme und projektive Antiamerikanismus abstrahiert dabei weitgehend von den Zielen der regionalen Akteure, wie Iran, Hisbollah, dem Assad-Regime, Saudi-Arabien, der Türkei und Russland. Angesichts der ostentativen Brutalität des Islamischen Staates und des Terrors, den er auch in Europa verübt, erscheinen etwa Assad, der mit Giftgas und Bomben an der Vertreibung und Ermordung der sunnitischen Mehrheit Syriens arbeitet, oder das ihn dabei unterstützende klerikal-faschistische Regime im Iran dem Westen als kleineres Übel und zunehmend als Partner im War on terror.

Es spricht Thomas von der Osten-Sacken, Mitbegründer der deutsch-irakischen Hilfsorganisation Wadi e.V. und seit mehr als 25 Jahren im Nahen Osten tätig. Er ist Autor und Herausgeber diverser Bücher über den Nahen Osten und den arabischen Frühling, sowie als Journalist für verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, u.a. jungle world, Bahamas und sans phrase tätig. 2003 gab er im ça ira Verlag gemeinsam mit Thomas Uwer und Andrea Woeldike den Sammelband Amerika. Der "'War on Terror' und der Aufstand der alten Welt" heraus.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Donnerstag, 26. Januar 2017

Antifaschistischer Stadtrundgang

An exemplarischen Stationen wird gezeigt, was in Freiburg nach 1933 passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Arbeitsstätten verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – E. Imbery führt und kommentiert.

Treffpunkt um 15.30 Uhr am „Basler Hof“, Kaiser-Josephstr. (gegenüber Buchhandlung Herder).

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Donnerstag, 9. Februar 2017

Kritik der Internetkritik

Gottfried Wilhelm Leibniz schreibt 1697 an seinen Herzog, dass im „Ursprung der Zahlen [...] durch deren Ausdrückung blos und allein mit Eins und mit Nulle oder Nichts alle Zahlen entstehen“, was die Allmacht Gottes beweise, „Alles aus Nichts“, also die Eins aus der Null zu machen. Die theologischen Mucken des von Leibniz entdeckten Binärcodes verwirren auch noch 300 Jahre später die Geister. Während „Transhumanisten“ wie Ray Kurzweil in einer Neuauflage von Selbstabschaffungsfantasien der 60er Jahre Kybernetik von einer digitalen Beseelung der Materie träumen, die sich in Zukunft ohne den Menschen reproduziert, sehen andere Computer und Internet als Rettungsanker des Liberalismus: als unsichtbare Hand, die eine funktionierende und gerechte Güterverteilung organisiert und zitieren dabei das Moore'sche Gesetz exponentiellen Rechnerwachstums wie eine Antwort auf den tendenziellen Fall der Profitrate. Die Kritik am digitalen Kapitalismus verheißt auch nichts Gutes: Unter dem Titel Warum wir jetzt kämpfen müssen ruft Martin Schulz die Europäer zu den Waffen im Kampf gegen us-amerikanische Monopolisten, der Preisträger des deutschen Buchhandels, Jaron Lanier, hofft dagegen nach dem Motto „Das Kapital bin ich“ auf eine Hyperökonomisierung auch noch des letzten Informationspartikels.

Es spricht Torsten Liesegang (Freiburg), der 2002 den Band Liter@tur. Computer, Literatur, Internet herausgegeben hat.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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