Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2010/2011

Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2010/2011

Mittwoch, 20. Oktober 2010

Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister

Die Anthroposophie Rudolf Steiners und die Waldorfpädagogik

Hautcreme für den Babypopo von Weleda, biologisch-dynamische Karotten der Marke Demeter, Rudolf-Steiner-Brot im Naturkostladen, die Waldorfschule – das kennen viele, nicht aber die Weltanschauung, die dahinter steckt, die Anthroposophie. Rudolf Steiner, ihr Begründer, war überzeugt davon, daß nur die “weiße Rasse” am Geiste schafft, während Asiaten dekadent, Schwarze überhitzte Triebwesen und Juden einseitig intellektuell seien und zersetzend wirkten. Von der Theosophie übernahm Steiner die Lehre von den sog. Wurzelrassen. Demnach gehören die Deutschen der fünften, der wertvollsten Wurzelrasse der Arier an. Dazu spuken in Steiners Anthroposophie Engel und Dämonen, Volks- und Rassengeister. Der Meister glaubte an Seelenwanderung, Wiedergeburt und Karma. Marx sei ein reinkarnierter mittelalterlicher Feudalherr, erzählte Steiner seinen Anhängern, die ihn als “Menschheitsführer” und Wiedergeburt von Aristoteles verehrten. Die Anthroposophie steht in der Tradition der völkischen deutschen Romantik sowie der okkultistischen und lebensreformerischen Bewegung um 1900. Diese rassistischen, antisemitischen und sozial­­darwi­­nistischen Ideen wirken bis heute fort, was wiederum die Waldorfschulen prägt. Das Lehrpersonal wird nach den Ideen Steiners ausgebildet. Zur Unterrichtsvorbereitung wurde in einer Broschüre des Bundes der Waldorfschulen bis Ende der 1990er Jahre ein Buch empfohlen, in dem es heiß: “Der Keim zum Genie ist der arischen Rasse bereits in ihre atlantische Wiege gelegt worden.” – Es spricht Peter Bierl (München), Autor des Buches “Wurzelrassen, Erzengel und Volksgeister” (Konkret-Literatur-Verlag).
Mit Unterstützung des Rosa Luxemburg Clubs Freiburg.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Mittwoch, 3. November 2010

Die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung

Nachdem 1956 sowjetische Panzer den Aufstand gegen das staatskapitalistische Regime in Ungarn niedergeschlagen hatten, entsteht aus dem Protest dagegen im Westen eine “Neue Linke”, die sich explizit gegen Stalinismus und Sozialdemokratie wendet. Diese sich zuerst in den USA, Frankreich und Großbritannien entwickelnde Strömung entdeckt die dissidenten Traditionen der Arbeiterbewegung, vom Rätekommunismus bis zum westlichen Marxismus, wieder. Zur Besonderheit der bundesdeutschen Neuen Linken wird ihr Bezug auf die Kritische Theorie, die durch die antiautoritäre Bewegung zum ersten Mal praktisch zur Geltung kommt. An Adorno, Horkheimer und Marcuse orientierten studentischen Theoretikern wie Hans-Jürgen Krahl und Frank Böckelmann gelingt es Mitte der sechziger Jahre im “Sozialistischen Deutschen Studentenbund” (SDS) die Oberhand zu gewinnen und die Traditionalisten zurückzudrängen. Doch dieser erfreuliche Zustand ist nur von kurzer Dauer, denn schon auf dem Höhepunkt der studentischen Proteste entstehen neoleninistische Strömungen, die die Kritische Theorie als “kleinbürgerlich” zurückweisen. Die nun folgende “schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung” und die Konstitution der mao-stalinistischen K-Gruppen bedeutet die endgültige Abkehr eines großen Teils der Protestbewegung von der Kritischen Theorie. Aus der antiautoritären Bewegung entwickeln sich autoritäre Kaderorganisationen, die alle emanzipatorischen Errungenschaften der Revolte in ihr gerades Gegenteil verkehren. – Es spricht Jens Benicke (Freiburg), Autor des gerade bei ça ira erschienenen Buches Von Adorno zu Mao. Über die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Mittwoch, 17. November 2010

Ressentiment und Religionskritik

Als die katholische Kirche im Frühjahr 2010 verkündete, sie befände sich angesichts der Skandale um “Kindesmißbrauch” in der schwersten Krise seit Jahrzehnten, war dies dem Marktplatz öffentlicher Meinung, vertreten von FAZ bis zur Konkret, Anlaß zur Häme. Wenn die postnazistische Gesellschaft zum Kirchenkampf nach Vorbild ihrer Großväter und -mütter bläst, sich also gegen die “Sexualverbrecher im Priesterrock” (Goebbels) rüstet, dann hat Ideologiekritik ihre Aufmerksamkeit den Anklägern und nicht den Angeklagten zu widmen. Der Vortrag will, ausgehend von der Frage, was bei der nur scheinbaren Diskussion über “Kindesmißbrauch” tatsächlich verhandelt wurde, den Versuch wagen, den Unterschied von Religionskritik und Ressentiment zu bestimmen. Wenn Marx‘ Behauptung stimmt, die Religionskritik sei der Anfang aller Kritik, dann hängen die Bedingungen der Möglichkeit von Kritik nicht zuletzt von dieser Unterscheidung ab. – Es spricht Leo Elser (Redaktion Pólemos. Bullarium der AG Kritische Theorie Nürnberg, siehe: http://kritischetheorie.wordpress.com).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Mittwoch, 22. November 2010

“Mir Zeynen Do”

Der Ghettoaufstand und die Partisan(inn)en von Bialystok
Ein Film von Ingrid Strobl. Produktion: Kaos-Team, 90 Minuten, Köln 1992

Im August 1943 erheben sich die jüdischen Widerstandskämpferinnen und Wider­­standskämpfer der ostpolnischen Stadt Bialystok gegen die endgültige Liquidierung des Ghettos und damit der jüdischen Bevölkerung durch die deutschen Besatzer. Nur wenige überleben den Aufstand, unter ihnen sechs junge Frauen, die fortan den Widerstand der Stadt aufrecht erhalten, bis es ihnen gelingt, den Kontakt zu ihren Kampfgefährtinnen und -gefährten in den umliegenden Wäldern wieder aufzunehmen. Im Frühling 1944 dringt eine sowjetische Partisanenbrigade bis in die Umgebung von Bialystok vor und vereinigt sich mit den jüdischen Partisanen. Die sechs jungen Frauen, “die Mejdalach” (die Mädchen) genannt, organisieren nun als antifaschistisches Komitee die Verbindung zwischen dem Wald und der Stadt, die Waffen- und Informationsbeschaffung und die Vorbereitung der Anschläge gegen deutsche Einrichtungen in Bialystok. Drei dieser ehemaligen Kämpferinnen, Liza Czapnik, Chaika Grossmann und Anja Rud – sie leben inzwischen in Israel – , erzählen von ihrem Kampf gegen die deutsche Vernichtungspolitik. –

Um 20 Uhr im Kommunalen Kino (Urachstraße 40)

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Mittwoch, 1. Dezember 2010

Carl Schmitts Fundamentalontologie des Politischen

Max Horkheimers Diktum, nach dem die Ordnung, die 1789 ihren Weg antrat, von Beginn an die Tendenz zum Nationalsozialismus in sich trug, wird durch die deutliche Bezugnahme Carl Schmitts auf den Abbé de Sièyes bestätigt, der trotz der ursprünglich bürgerlich-fortschrittlichen Gehalte ein Gespür dafür hatte, daß die irrationale Einheit der Nation erst dann in aller Radikalität gedacht wird, wenn “die Nation als Subjekt der verfassungsgebenden Gewalt dem absoluten Fürsten entgegentritt… Die Absolutheit bleibt hier mit unveränderter, sogar gesteigerter Kraft bestehen. Die politische Kraft dieses Vorgangs führt zu einer Steigerung der Staatsgewalt, zu intensiver Einheit und Unteilbarkeit”. Analog zur Heideg­­gerschen Ontologie wird in der politischen Theologie der Übergang vom Absoluten zum Endlichen als unbegreiflich für das Denken erklärt; die Begriffe der Staatslehre gelten als “säkularisierte theologische Begriffe”. So wie der Schritt von Kant zu Heidegger einer immanenten Notwendigkeit folgte, die aus der unbegriffenen gesellschaftlichen Arbeit sich erklärt, so Schmitts Dezionismus, der seinem Antisemitismus sich anbandelte, aus dem Unbegriffenen des gesellschaftlichen Seins, dessen Umschlag in die Barbarei, für die solch Denken einen Schlüssel der Erkenntnis bietet. Die Ideologiekritik hat den Vermittlungs­­zu­­sammenhang, den die Ontologie differenztheoretisch eliminiert, zu explizieren, ohne die politische Souveränität zu verdrängen. – Es spricht Martin Blumentritt (Hamburg), der einen antideutschen Blog betreibt (http://www.martinblumentritt.de/), für die Zeitschrift “Vorschein” der Ernst-Bloch Assoziation schreibt und zuletzt das Buch “Begriff und Metaphorik des Lebendigen. Schellings Metaphysik des Lebens 1792-1809 (Würzburg 2007) veröffentlicht hat.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Mittwoch, 15. Dezember 2010

Die Wahrheit der Sozialfaschismus-These

Zum Antifaschismus der ‘K’PD und dem Anteil des Staatssozialismus an der Nazifizierung der Deutschen

Wie ist es zu erklären, daß Goebbels, nachdem er im September 1933 mit Hitler eine Großfabrik in Berlin besuchte, in seinem Tagebuch notierte: “Vor einem Jahr wären wir noch erschlagen worden”, keine zehn Monate nach dem 30. Januar 1933 aber der Besuch ein großer Propaganda-Erfolg der Nazis wurde? Wie konnte es dazu kommen, daß die Arbeiterklasse keinen ernsthaften Versuch unternahm die Nazis zu stürzen, sondern ein Teil der NS-Volks­­gemeinschaft wurde? Der Vortrag wird die Rolle der offiziellen Arbeiterbewegung, der Sozialdemokratie und des Parteilsquo;kommunismus’, bei der Nazifizierung der Deutschen untersuchen. Dabei wird er nachweisen, daß die Gründe, warum lsquo;K’PD und SPD weder alleine noch zusammen den Faschismus verhindern konnten, dieselben sind, aus denen die SPD im August 1914 nicht versuchte den 1. Weltkrieg zu sabotieren, sondern half, die Arbeiter für den Krieg zu mobilisieren. Er wird zeigen, daß die staatssozialistische Arbeiterbewegung, so sehr sie auch politischer Gegner der NSDAP war, doch als ein Protagonist der “allgemeinen Faschisierung” (Thälmann) wirkte. – Es spricht Seb Bronsky (Bochum), der sich im Arbeitskreis Rote Ruhr Uni (www.rote-ruhr-uni.com) und der Antifa3D (www.3D.antideutsch.com) engagiert.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Mittwoch, 12. Januar 2011

Fight for Freedom

Die Legende vom “anderen Deutschland”

“Nach der ersten deutschen Niederlage”, so erklärten Curt Geyer und Walter Loeb 1942, “wurde der Welt die Lüge von der deutschen Unschuld aufgetischt. Die Welt wurde eingeladen zu glauben, daß Deutschland angegriffen wurde und daß es das Schwert zu seiner eigenen Verteidigung gezogen hat. Eine zweite Lüge wird derzeit für den universellen Gebrauch vorbereitet, die Lüge, daß das deutsche Volk an diesem Krieg unschuldig ist.” Während die erste Lüge inzwischen weitgehend vergessen ist, hat die zweite nach wie vor Bestand. Die Legende vom “anderen Deutschland” war eine der ideologischen Gründungsvoraussetzungen der Bundesrepublik und der DDR. Sie gehört bis heute zum geschichtspolitischen Repertoire der Berliner Republik. Curt Geyer, Walter Loeb und die Mitglieder der “Fight-for-Freedom2-Gruppe zählen zu den Wenigen, die dieser Legende schon in den frühen 1940er Jahren, im britischen Exil, entgegentraten. Mit antideutschen Schriften unterstützten sie Sir Robert Vansittart, Mitglied des britischen Oberhauses und Publizist – und neben Henry Morgenthau bis heute einer der meistgehaßten Männer in Deutschland. Jan Gerber und Anja Worm (Halle), die die zentralen Fight-for-Freedom-Texte 2009 im ça ira-Verlag herausgegeben haben, stellen nicht nur die Aktivitäten und Schriften dieser Gruppe vor; sie hinterfragen zugleich die Rede vom “anderen Deutschland”. Warum konnte die Vorstellung, der Nationalsozialismus sei den Deutschen gegen ihren Willen von einer kleinen Clique Wahnsinniger aufgezwungen worden, wirkungsmächtig werden? Welche Bedürfnisse bedient die Rede vom “anderen Deutschland”? Warum wurde die “Fight-for-Freedom”-Gruppe trotz ihrer erfolgreichen publizistischen Aktivitäten in Großbritannien über Jahrzehnte hinweg ignoriert? –

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Samstag, 15. Januar 2011

Freiburg in der NS-Zeit

Antifaschistischer Stadtrundgang

An exemplarischen Stationen wird gezeigt, was in Freiburg nach 1933 passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Arbeitsstätten verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – E. Imbery führt und kommentiert.

Treffpunkt um 14 Uhr “Basler Hof”, Kaiser-Josephstraße (gegenüber Buchhandlung Herder)

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Mittwoch, 26. Januar 2011

Vom Proletariat zum Pöbel

Eine andere Geschichte der deutschen Arbeiterklasse

Begriff und Sache der Klassengesellschaft haben ihre eigene, negative Dialektik. Im Resultat der Transformation der bürgerlichen in die kapitalisierte Gesellschaft ist “Klasse” total und objektiv geworden – in dem Sinne genau der vermittlungslosen Anteilnahme an und der kollektiven Arbeitsteilung in der Verwertung des Kapitals. Eine “herrschende Klasse” kann es so wenig noch geben wie eine proletarische; Subjektivität im irgendwie emphatischen Verstande, gar: die revolutionäre der Lohnarbeiter, ist so hoffnungslos wie der Generalstreik von Arbeitsbienen. Mehrwert, Ausbeutung, Profit: diese Kategorien bestehen fort, aber nur als quasi-naturwissenschaftlich zu konstatierende. Es ist dies das Resultat der allgemeinen Tendenz der Kapitalvergesellschaftung, die Produzenten des Reichtums als nur “lebendige “Arbeit” und selbstbewußtes “variables Kapital” zu setzen, die Tendenz genau, in der das Kapital seinen Begriff als die Gesellschaft selbst zu setzen strebt; eine Strebung, die der Nazi-Faschismus zur Wirklichkeit hat werden lassen. Ganz wider Willen enthüllt so die marxsche “Kritik der politischen Ökonomie” die Verwandlung der Klassen in den allgemeinen Pöbel, ins willige Menschenmaterial – man muß nur, gegen alle linksdeutsche Ideologie, lesen können, man muß nur einmal die Perspektive umkehren, d.h. den marxschen Klassenbegriff als die Rekonstruktion der negativen Wahrheit verstehen, die Theodor W. Adorno dann 1942 in seinen “Reflektionen zur Klassentheorie” zu Protokoll nehmen mußte. – Es spricht Joachim Bruhn (ISF, Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Mittwoch, 9. Februar 2011

Die Verewigung des Vergänglichen in Jean Amérys Schriften

Jean Amérys Schriften sind Bewältigungsversuche eines Überwältigten. Mit den Nürnberger Reichsgesetzen 1935 beginnt sein “Katastrophen-Judesein”, das sich im Zuge der deutsch-österreichischen Vereinigung im März 1938 auch geopolitisch realisiert. Unwiderruflich wird sein Geburtsland Österreich zur “Feind-Heimat”. Die Erkenntnis, daß die Heimatgefühle trügerisch waren, steigert sich schonungslos zum “mit Selbsthaß gekoppelten Heimathaß”. Er flieht nach Belgien und schließt sich dem Widerstand an. Es folgen Verhaftung, Folter, Deportation und Auschwitz. Er überlebt und schreibt bis zu seinem Freitod 1978 gegen das alte, trügerische Ich voller Selbstverachtung an. Zugleich ist seinen Essays die Revolte gegen die Faktizität der Geschichte eingeschrieben. Vehement schreibt er gegen das Voranschreiten der Zeit an, indem er auf den utopischen Gehalt darin verweist. Das Verlangen nach Zeit­­umkehr charakterisiert Amérys historisches Zeitbewußtsein, das er dem “natürlichen” – am physiologischen Prozeß der Wundheilung orientierten – Zeitbewußtsein entgegenstellt. Dadurch gelingt es Améry, das Existenzrecht des Individuums gegen die überwältigende Macht der Geschichte zu verteidigen. Amérys Ressentiments gegen Deutsche & Österreicher entspringen diesem Zeitbewußtsein. Es soll weiterhin erläutert werden, welche Bedeutung der Essay als literarische Form für Améry hat, inwieweit die Folter zur Analyse des NS taugt und warum Améry im post-nazistischen Deutschland in den Wind spricht. – Es spricht Marcel Matthies (Halle).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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