Andreas – Georg Lukács: Verdinglichung, Marxismus, Geschichte – Rezension

Andreas

Georg Lukács: Verdinglichung, Marxismus, Geschichte

Neu erschienen bei Ça ira ist diese Zusammenstellung zweier essentieller Georg Lukács Aufsätze aus seinem Werk Geschichte und Klassenbewußtsein (1923 – wobei die Aufsätze entstanden sind zwischen 1919 und 1922) mitsamt Einleitung und elf Aufsätzen zu diversen Themen, die auf Lukács’ Aufsätze verweisen und einzelne Thematiken genauer besprechen. Dabei wird die Frage gestellt: »Was bleibt von Georg Lukács?« (Lohmann), dem von der eigenen Schülerin Verrat vorgeworfen wurde, »nicht weil er Marxist, sondern weil er Kommunist war« (Lohmann). Die Einleitung schon stellt klar, warum dieser Band herausgegeben wurde und, warum zwei Aufsätze aus der Sammlung “Geschichte und Klassenbewusstsein” abgedruckt wurden – und nicht alle sieben: diese beiden Aufsätze erscheinen den Herausgebern als die wichtigen. Zunächst unternimmt die Einleitung den gelungenen Versuch einer historischen Einordnung. Februar- und Oktoberrevolution (beide 1917), Bürgerkrieg und Sieg des bolschewistischen Regimes (1921/22) sowie die »bereits Anfang der 1920er Jahre […] national verstaatlicht[e]« (Einleitung) Oktoberrevolution. In dieser Zeit schreibt Lukács, in einer Zeit der Krise (einer »allgemeinen Krisis [Stapelfeldt]) nicht nur des Kapitalismus sondern auch des Marxismus. Zentral in den Aufsäzen Lukács’ Ist der »Versuch einer Neuaneignung einer materialistischen Dialektik […] anhand der Bewußtmachung des Erbes der Hegelschen Dialektik« (Einleitung).

Um diese »Rekonstruktion der Dialektik im Marxismus« (Stapelfeldt) zu verstehen, fragt Lukács im ersten Aufsatz: »Was ist orthodoxer Marxismus?« Er spricht von »Tatsachen«, die »einer geschichtliche-dialektischen Behandlung zu unterwerfen sind«. Dementsprechend lautet denn auch der Untertitel der 1923 erschienen Aufsatzsammlung »Studien über marxistische Dialektik«. Die Herausgeber betonen, dass Lukács gleichzeitig »Kritik der Marx-Engels-Orthodoxle der Zelt und Beginn einer neuen Orthodoxie« übe, er selbst also wandelt sich »vom scharfsinnigen Kritik des orthodoxen Marxismus« zum »orthodoxe[n] Marxisten« (Einleitung). Mit dem Sammelband soll Lukács nicht aktualisiert und »für heute nutzbar« (Einleitung) gemacht, sondern durch »rückhaltlose Kritik« (ebd.) gewürdigt werden und »aus ihrer Genese« (Stapelfeldt) begriffen werden. Dennoch wird beispielsweise in Timothy Halls Aufsatz ein »wiederaufflammendes Interesse« an Lukács’ Schriften attestiert, die Literaturkritikern sowie Kunstwissenschaftlern und auch Sozialwissenschaftlern aktuell mit dem Realismuskonzept und dem Begriff der Verdinglichung Erklärungsansätze liefern. Und, ebenso der Gegensatz, indem Hans Martin Lohmann Lukács als »Phänotyp des engagierten Intellektuellen« bezeichnet, dem jedoch »nichts als Scheitern und furchtbare Irrtümer eingeschrieben« seien. Weitere Autoren sind: Stephan Grigat, Dennis Maier, Joachim Bruhn, Fabian Kettner, Biene Baumeister/Zwi/ Negator, Gerhard Scheit und Moishe Postone. Herausgeber sind Dennis Maier und Markus Bitterolf.

Ein sehr lesenswerter aktueller Sammelband mit umfangreichen Verständnis- und Deutungshilfen dank der thematisch weit gestreuten weiteren Aufsätze, die den Einstieg in Lukács’ Theorie erleichtern.

Aus: Trust 156

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