N.N.

Christoph Burgmer, Das negative Potential. Gespräche mit Johannes Agnoli

Gleichermaßen als Einführung wie als Ergänzung zu den “Gesammelten Schriften” Agnolis läßt sich das von Christoph Burgmer als Ergänzung zu einem von ihm gedrehten Film zusammengestellte Bändchen Das negative Potential. Gespräche mit Johannes Agnoli lesen. In den insgesamt vier Gesprächen, geführt im Januar 2000 in Berlin bzw. im September 2001 in Lucca, werden einige der Themen (Die Subversiven/Die bürgerlichen Ideale und der Staat/Der Neoliberalismus/Geschichte der Subversion) angesprochen, die in Agnolis Werk zentral sind. Der Integrationskraft des bürgerlichen Staates und seiner Institutionen, der die traditionelle Linke in ihren diversen Fraktionierungen mit ihren Eroberungsstrategien immer wieder erlegen ist, stellt Agnoli das “negative Potential” eines subversiven Denkens und Handelns entgegen, das sich seiner selbst theoretisch und historisch zu vergewissern zu hat und das “in der heutigen Situation” mit “Geduld und Ironie” zwecks “ Überwinterung” einer allerdings nicht näher ausgeführten “ Überwinterungsstrategie” bedarf. Im fünften Band von Agnolis Schriften liegen unter dem Titel 1968 und die Folgen (Freiburg: ça ira 1998) insgesamt 22 Texte zur Revolte der sechziger Jahre und ihren Nachwehen vor, darunter Redebeiträge, Gespräche und einige Erstübersetzungen aus dem Italienischen. “Revolten”, so resümiert Agnoli in seiner gegen die allgegenwärtigen “Distanzierer” gerichteten aktuellen Vorbemerkung, “kennen im allgemeinen nur das Scheitern, sonst wären sie Revolutionen.” Die Texte sind allesamt aus jeweils aktuellen Anlässen entstanden und können von daher als eingreifende Gebrauchstexte verstanden werden, deren Credo die Kritik ist: “Ich bin”, sagt Agnoli in einem im September 1988 veröffentlichten Gespräch, “eines konstruktiven Denkens nicht fähig.” Das, so kann man resümieren, unterscheidet diese Texte in positiver Weise von solchen, die – metaphorisch gesprochen – die Ärmel aufkrempeln, zupacken und aufbauen. Der sechste Band der Schriften versammelt unter dem Titel Politik und Geschichte. Schriften zur Theorie (Freiburg: ça ira 2001) “eine Reihe von ausgesprochen gelehrten Abhandlungen”, in denen, so Agnoli in der “Vorbemerkung”, in der er sich beiläufig über den neuesten Wertform-Fetischismus amüsiert, “weder Subversion noch Revolution vor (kommen), weder Kapital noch Emanzipation”. Statt dessen findet man Beiträge über die gescheiterten “Weltfriedensversuche” der Pax Romana und der Pax Christiana, was, da der Text aus dem Jahre 1975 stammt, keinerlei Anspielungen auf aktuelle Implementierungen einer Pax Americana impliziert, über die Rezeption Alexis de Tocquevilles in Deutschland, einen im französischen Original belassenen Beitrag über das parlamentarische Systems Westdeutschlands, “Vorträge über den deutschen Idealismus”, drei Rundfunkvorträge aus den tiefen sechziger Jahren zur Arbeiterbewegung zur Zeit des Ersten Weltkrieges, einen bisher unveröffentlichten Beitrag über “Wahrheit und Geschichte bei Giambattista Vico” und schließlich die Nachbemerkung zu dem 1980 veröffentlichten Gespräch zwischen Ernest Mandel und Agnoli, das er als “völlig mißglückt” bezeichnet. Hinzuweisen bleibt schließlich noch auf den von Joachim Bruhn, Manfred Dahlmann und Clemens Nachtmann herausgegebenen Band Kritik der Politik. Johannes Agnoli zum 75.Geburtstag (Freiburg: ça ira 2000), der, wie bei solchen Anlässen üblich, eine Reihe von unterschiedlich interessanten Beiträgen enthält, von denen hier diejenigen von Hans-Georg Backhaus (“Über den Begriff der Kritik im Marxschen Kapital und in der Kritischen Theorie”), Werner Bonefeld (“Die Betroffenheit und die Vernunft der Kritik”) und Antonio Negri (“Paschukanis lesen”, eine Übersetzung eines 1973 in Italien erschienenen Textes) Erwähnung finden sollen. In ihrem kurzen einleitenden Text verweisen die Herausgeber darauf, daß sich “Gesellschaftskritik in revolutionärer Absicht”, deren “Kritikcharakter darin begründet (liegt), daß sie die wesentlichen Bestimmungen der Realität begrifflich nachmodelliert”, angesichts der von ihnen gemachten Erfahrung, daß hierzulande “seit nunmehr zehn Jahre das System des faschistisch-autoritären Staates zusehends (erodiert)”, “auf gesellschaftliche Verläufe (wird) einstellen müssen, von deren barbarischen Charakter sie sich bislang nicht einmal in ihren verstiegensten Alpträumen eine Vorstellung gemacht hat.”

Aus: Archiv für die Geschichte der Arbeit und des Widerstands N° 17 ( 2003), S. 806 - 808

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