Manfred Dahlmann

Das Rätsel des Kapitals

Zur Kritik der politischen Ökonomie

September 2020, 472 Seiten, ISBN: 978-3-86259-138-1
Gesammelte Schriften 3 | Herausgegeben von David Hellbrück und Gerhard Scheit

29,00 

978-3-86259-138-1 Kategorien: ,

Beschreibung

Karl Marx war bei seinen Versuchen, das Rätsel des Kapitals zu entschlüsseln, von dem gleichen Ehrgeiz getrieben, wie alle Ökonomen der Neuzeit: Auch seine Kritik sollte durchgängig in operationalisierbaren Wertausdrücken gründen. Setzt man dabei aber Wert- und Preisausdruck auch bei der Bestimmung des Kapitalbegriffes in eins, dann droht unterzugehen, dass Geld- und Kapitalzirkulation zwar ineinander verschoben sind, aber auf je anderen Maßeinheiten aufbauen müssen. Trennt man sie, dann muss man offen zugeben und auch ausweisen, dass der Sprung in die (Quasi‑)Metaphysik unvermeidbar ist. Alles andere wäre philosophische »Unaufrichtigkeit« (Sartre).

Die Marxschen Begrifflichkeiten der Kritik der politischen Ökonomie setzen sich aber keinesfalls über die empirischen Gegebenheiten, die in Preisen, Wachstum, Gewinnen, Zinserträgen usw. gemessen werden, hinweg und konstruieren eine irgendwie geartete, ›höhere‹ Wahrheit hinter jenen Phänomenen. Es geht ›lediglich‹ darum, so etwas wie einen überempirischen, quasi-metaphysischen Raum zu öffnen, einen Raum, der die Bedingungen der Möglichkeit erkennen lässt, wie das Kapital unter der Voraussetzung des Äquivalententauschs aus Geld ein Mehr an Geld erzeugen kann, ohne, wie die Nationalökonomie, dabei auf qualitative Bestimmungen Bezug nehmen zu müssen.

Jedem, der die bestehende Gesellschaft nicht als Hort von Freiheit und Gerechtigkeit betrachtet, dürfte klar sein, dass Herrschaft und Ausbeutung in ihr etwas mit ihrer Ökonomie zu tun hat, also nicht allein politisch oder sonst wie bedingt ist. Linke Kapitalismuskritiker verweisen sofort auf ‚die‘ Arbeit, deren Ausbeutung und Unterdrückung das ökonomische System organisiere und berufen sich dabei allzu gerne auf Marx. Beides, nämlich dass die Funktionsweise des Kapitals in der Arbeit ihre Letztbestimmung habe, wie auch die Behauptung, Marx lege dies seiner Kritik der politischen Ökonomie zugrunde, ist aber von Grund auf falsch. Mit dem Begriff der abstrakten Arbeit entfaltet Marx eine Maßeinheit, er liefert also eine Formbestimmung, die von ihrem Gegenstand: eben der Arbeit gerade abstrahiert. Die abstrakte Arbeit misst wie jeder Maßstab, etwas, was in der Maßeinheit nicht enthalten sein darf; kein Maß kann sich selbst messen. Abstrakte Arbeit misst denn auch etwas ganz anderes als die Arbeit, und zwar, in der Definition von Marx: die gesellschaftlich im Durchschnitt verausgabte Zeit, die notwendig war, um eine Ware herzustellen. Die abstrakte Arbeit (als Messung von Zeit) wird so zum Maß der konkreten, die von Marx nun ebenfalls abstrakt, aber in einem ganz anderen Sinne, definiert wird als Verausgabung von »Herz, Nerv, Muskel, Sinnesorgan usw.« Das Problem, das die Nationalökonomen mit dem von Marx entwickelten Begriff der abstrakten Arbeit haben, ergibt sich denn auch gar nicht aus ideologischen oder gar klassentheoretisch bedingten Motiven, sondern sie behaupten schlicht und einfach: Wir brauchen diese Maßeinheit nicht, denn mit dem Preis, wie immer der auch zustande gekommen sein mag, liegt uns eine in jeder Hinsicht ausreichende Maßeinheit, wie Marx sie erst mühsamst entwickelt, längst vor.

Den Beweis zu führen, dass der Marxsche Maßstab ökonomischer Prozesse dem der Ökonomen (also dem Preis) überlegen ist, und nicht nur das: sondern er notwendig ist, um das Kapital in der historischen Besonderheit seiner Existenz überhaupt begreifen zu können, ist alles andere als einfach. Um diese Schwierigkeit in den Griff zu bekommen, wird in der vorliegenden Schrift Manfred Dahlmanns der Versuch unternommen, die Richtung in der Darstellung, die Marx, wenn auch aus sehr guten Gründen, im Kapital gewählt hat, in gewisser Weise umzukehren, indem hier mit der Darstellung des ökonomischen Systems als Ganzem in Form einer (fiktiven) Welt-Gesamtrechnung begonnen werden soll. Insofern allen Tauschakten auf Basis dieser Weltgesamtrechnung zugrunde zu legen ist, dass zwischen der gekauften Ware und dem dafür gezahlten Preis von Käufer wie Verkäufer eine in diesem Preis fixierte Äquivalenzbeziehung konstituiert worden ist, kann man nur zu dem Schluss kommen, dass die Gesamtheit aller Tauschakte, bezogen auf das Geld als Tauschmittel, nichts anderes als ein Nullsummenspiel ins Werk setzt.

Von diesem immanenten Problem der Weltgesamtrechnung ausgehend ist dann, je nach Notwendigkeit in der Sache, zum Abstrakten vorzudringen: den zur zweiten Natur erhobenen Begriffen Geld, Staat, Recht usw. im Allgemeinen; Markt, Konkurrenz, Wachstum, Produktivität, Krise und Kapital usw. im Besonderen. Es wird sich bei diesem Vorgehen herausstellen, dass sich die Unlösbarkeit der allermeisten ›Unzulänglichkeiten‹ des Systems, wie sie in der Öffentlichkeit verhandelt werden, darstellen lässt, ohne dabei auch schon auf den Marxschen Maßstab zurückgreifen zu müssen. Denn, und daran schon scheitern alle Ökonomen: das Ganze der Ökonomie lässt analytisch eben nicht aus dem Verhalten seiner Teile (oder Elemente) erschließen (oder auch umgekehrt: das Verhalten der Teile nicht aus der Existenz des Ganzen), mit welchem Maß auch immer man misst, mit welchen Methoden und Definitionen auch immer man vorgeht.

Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als den Nachweis, dass Marx, was die Möglichkeiten der Formalisierung ökonomischer Prozesse betrifft, der aktuellen Realität – und das nachprüfbar – sehr viel näher kommt als alle heutigen Ökonomen zusammen. Dass dieses Näherkommen allerdings nichts mit einer konstruktiven Kritik zu tun hat, wird in der Kritik des Politischen explizit, der sich die letzten Kapitel dieser Kritik der politischen Ökonomie widmen.

Der dritte Band der Gesammelten Schriften von Manfred Dahlmann versammelt grundsätzliche Überlegungen des Autors zu den zentralen Kategorien der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie, an denen er unter dem Eindruck der sogenannten Eurokrise seit 2012 gearbeitet hat. Neben den abgeschlossenen Aufsätzen aus der Reihe zur Kritik der politischen Ökonomie in der Zeitschrift sans phrase, die er selbst nicht mehr abschließen konnte, aber noch vor seinem Tod für eine selbständige Publikation bearbeitet hat, enthält der Band auch Hinweise auf weiterführende und die Artikelserie fortsetzende Überlegungen in Form von Fragmenten und Gedankensplittern aus dem Nachlass. Der Band wird um einen Anhang ergänzt, der Diskussionsprotokolle und Artikel zu Problemen der Kritik der politischen Ökonomie im Allgemeinen und zu Überlegungen rund um die Eurokrise und den deutschen Autarkiewahn im Besonderen umfasst.

Aus dem Inhalt

  • Vorbemerkung der Herausgeber
  • Kapitel 1: Das Geld und seine Wissenschaft
    • Ökonomie als System einer ›vollständigen Induktion‹ – Warenzirkulation und Äquivalenz – Datenerfassung – Zur Einheit in der Differenz von Produktion und Zirkulation: das Zeitproblem – Das Wesen des Geldes – Einheit und Differenz im Geld: die Geldmengensteuerung – Die Arbeitszeit
  • Kapitel 2: Die Mechanismen der Preisbildung
    • Die ›bloße‹ Expansion – Angebot und Nachfrage, Grenznutzen, Konkurrenz – Ökonomische Gesetze
  • Kapitel 3: Geld als Ware
    • Das Kreditgeld – Die Bonität – Das Buchgeld – Die Submärkte
  • Kapitel 4: Der Preis als Maß
    • Die Quellen der Inflation – Die Maße für Wachstum und Inflation – Das Maß für Leistung
  • Kapitel 5: Die Subjekte der politischen Ökonomie
    • Die Unternehmen: Zur inneren Logik des ökonomischen Gleichgewichts – Der Staat: Ökonomisch-historische Bestimmung – Die Konsumenten: Das Verschwinden der Ware
  • Kapitel 6: Der Markt und seine Ideologie: der Satz der Identität
    • Das Rätsel des Wachstums – Wert, Mehrwert und Profit Staatsgeld und Eigentum – Kapitalismuskritik als Ideologie – Die Verschiebungen des Identitätsbegriffs – Tauschwertidentität und Gebrauchswert – Warenidentität und Rationalisierung
  • Kapitel 7: Kapital, Geld und Wert
    • Die Verwandlung von Geld in Kapital – Die Wesensbestimmung des Kapitals – Kapital und Zeit – Wert und Arbeit – Relativer Mehrwert – Kapital als überempirisches, dennoch messbares Verhältnis
  • Kapitel 8: Die Kapitalreproduktion
    • Produktivität – Kapitaldynamik und Marktkonkurrenz – [Das Geldrätsel] – Die Lösung des Geldrätsels – Der Arbeitsfetisch – Die Durchschnittsprofitrate – Der tendenzielle Fall der Profitrate
  • Kapitel 9: Der Staat des Kapitals
    • Identitätsdenken und Staat – Autarkieoption und Volksstaat – Gewalt und Autorität – [Entwurf einer »Zusammenfassung der Reflexion auf den Begriffsbildungsprozess«]
  • Kapitel 10: Sozialpsychologie des Kapitals
    • Hofstaatler und Mittellose – Das MS-Biotop – Die Öffentlichkeit
  • Kapitel 11: Das Massenbewusstsein
    • Zeit und Geschichte – Der Monotheismus
  • Kapitel 12: Die Mystik des Kapitals als Wahn
    • Nominalität und Realität – Unzulässige Argumentationsmuster – Aktualität – Volksstaat und Krise – Krise des Kapitals
  • [Finanzkrise und deutsche Kriegskasse. Vorbemerkung und das erste Kapitel der ursprünglichen Konzeption]
    • Vorbemerkung – Finanzkrise und deutsche Kriegskasse – Weltsouverän Kapital – Zur Dynamik deutscher Außenhandelspolitik – Logik des Krieges
  • Gedankensplitter. [Aus den Jahren 2016 und 2017]
  • Gedankensplitter. Aus [der] Erstfassung
  • Anhang: Artikel und Gespräche
    • Manfred Dahlmann: Marx als Fetisch [2011]
    • Manfred Dahlmann: Deutsches Geld [2012]
    • Manfred Dahlmann: Der Euro und sein Staat [2015]
    • Manfred Dahlmann / Gerhard Scheit: Diskussion zu Der Euro und sein Staat [2015]
    • Manfred Dahlmann / Gerhard Scheit: Autarkie ist Regression [2017]
    • Manfred Dahlmann / Christian Thalmaier: Anmerkungen zur Logik und Geschichte des Kapitals. Ein Gespräch. 1. Teil [2017]
      • Abstraktion vom Gebrauchswert – Theorie und Kritik – Das reale Verschwinden des Gebrauchswerts – Abstraktion und Konkretion – Anschauung und Logik – Anschauung und Geschichte – Arbeitsproduktivität und Krise – Leistungszwang und Konkurrenz – Ausbeutung und Herrschaft – Kritik als Verwerfung
    • Manfred Dahlmann, Christian Thalmaier: Anmerkungen zur Logik und Geschichte des Kapitals. Ein Gespräch. 2. Teil [2017]
      • [Scheiß Arbeit und abstrakte Arbeit] – [Ausbeutung und Äquivalententausch] – [Rechnen statt trial and error] – [Der Imperialist und der Hegemon] – [Aschenbecher und Flasche beziehungsweise Gott, Gottsohn und Heiliger Geist] – [Rose oder Nelke] – [Abaelard oder Althusser]
  • Editorische Nachbemerkung
  • Literaturverzeichnis
  • Drucknachweise

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