Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 2011

Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 2011

Mittwoch, 20. April 2011

Die sog. “Protokolle der Weisen von Zion”

Zur Kritik der politischen Ökonomie des Antisemitismus und (ergo) des Antizionismus

Wenn die Rede auf den Antisemitismus kommt, dann mobilisiert diejenige Fraktion der bürgerlichen Gesellschaft in Deutschland, die sich noch irgendwie als “liberal” und “aufgeklärt” verstehen möchte, gerne Theoreme und Vokabeln wie “Vorurteil”, “Ressentiment”, “Uninformiertheit” oder “Deutschtümelei”. Über Begriff und Sache der Ideologie jedoch schweigt man sich lautstark aus. Das kommt davon, daß der Bürger, fühlt er sich auch noch so sehr in der Klemme, immer noch den Aberglauben von wegen “die Gedanken sind frei” verbreiten möchte: die letzte Notlüge der Herrschaft der Produktionsweise, der er sich auf Gedeih und Verderb verpflichtet fühlt. Aber die Gedanken sind unfrei. Sie denken dem nach und also: hinterher, was man denken muß, um im gesellschaftlich totalisierten System des Warentausches und also: der Kapitalakkumulation bestehen zu können. Nirgends zeigt sich dies Symptom so deutlich wie in all den Versuchen, über den manifesten Lügencharakter der sog. “Protokolle der Weisen von Zion” zu informieren, die die Nazis seit 1920 in Umlauf brachten und die bis heute – nicht nur die “Charta der Hamas” zeigt es – ein Bestseller sind, nicht nur im arabischen Raum. Zigmal ist, seit dem Prozeß von Lausanne 1934, der auch juristische Nachweis erbracht worden, daß es sich bei den “Protokollen” um eine Fälschung (des zaristischen Geheimdienstes) handelt, niemals wurde der Frage Hannah Arendts nachgegangen, warum diese Lüge, aller rationalen Widerlegung zum Trotz, so gnadenlos durchschlägt. – Es sprichtJoachim Bruhn (Freiburg), Mitarbeiter des ça ira-Verlags, in dem im Frühsommer das ursprünglich 1936 in Prag publizierte Buch von Alexander Stein “Adolf Hitler, Schüler der ‘Weisen von Zion‘” in einer historisch-kritischen Edition von Lynn Ciminski und Martin Schmitt neu erscheinen wird

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

Trennmarker

Mittwoch, 4. Mai 2011

Die kommende Revolte, der heutige Situationismus

Im Gegensatz zum “Kommunistischen Manifest” ist “Der kommende Aufstand” des “Unsichtbaren Komitees”, wenn auch mit einigen Jahren Verspätung, von FAZ und SZ, von Glenn Beck und sogar von der taz besprochen und im “Spiegel” nachgedruckt worden. Seitdem stellen sich nicht nur eine Handvoll Eingeweihter die Frage, ob sie es mit einem antimodernistischen Manifest, inspiriert von Carl Schmitt und Martin Heidegger, zu tun haben, oder mit einer Aktualisierung des situationistischen Revolutionsversprechens. Diese Frage führt nun leider durch ein System labyrinthischer Gänge zu einer Reihe ganz anderer, viel tiefer liegender Fragen, die allesamt den doppelten Nachteil haben, erstens für eine wirklich revolutionäre Perspektive absolut entscheidend, und zweitens unter den angeblichen Revolutionären absolut unbeliebt zu sein. Ist es übertrieben zu behaupten, das Verdienst des Buches bestünde darin, solche Fragen überhaupt, wenn auch unwillentlich, gestellt zu haben? Selbstverständlich. Denn man muß der Debatte diese Fragen erst aufzwingen. – Es spricht Jörg Finkenberger (Würzburg/Freiburg), Autor und Mitherausgeber ehemals “Letzter Hype”, jetzt “ In The Absence Of Truth”

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

Trennmarker

Mittwoch, 18. Mai 2011

“Aber wenn ich werd’ schreien, wird besser sein?”

Die Lebensgeschichte der lettischen Jüdin Ruth Fridlendere

Ruth Fridlendere war ein achtjähriges jüdisches Mädchen, als Deutsche im Sommer 1941 Lettland eroberten und zusammen mit örtlichen Helfern begannen, ihren Plan eines lsquo;arischen‘ Reiches im Osten Europas zu realisieren. Deutsche hatte Ruth bis dahin ausschließlich als freundliche Nachbarn kennengelernt. Im Unterschied zu den meisten ihrer Angehörigen überlebte sie die Herrschaft der Deutschen und die sorgfältig vorbereiteten Massenmorde an mindestens 90.000 jüdischen Männern, Frauen und Kindern in Lettland. Fast vier Jahre, bis zu ihrer Befreiung am 9. Mai 1945, lebte Ruth Fridlendere zusammen mit ihrer Mutter und unterstützt von ihrem nicht-jüdischen Vater im Versteck, die meiste Zeit in einem Erdbunker im Garten eines nicht-jüdischen Paares am Stadtrand von Ventspils. In ihrer Biographie wird beschrieben, wie das Leben von Ruth Fridlendere vor und nach der Verfolgung verlief und welche Spuren die Kriegsjahre in ihrem Leben hinterlassen haben. Dabei wird den Erinnerungen der Überlebenden der Shoah derselbe Raum gegeben wie den Wahrnehmungen der Zeitzeugin der Lebensverhältnisse im sowjetischen Lettland der Nachkriegszeit sowie der drastischen politischen und ökonomischen Veränderungen nach der Unabhängigkeit Lettlands im August 1991. Entstanden ist auf diese Weise das Porträt einer Frau, die vieles war – musikbegeistertes Kind, Lehrerin, Ehefrau, Mutter, Pianistin, Liebende, hilfsbedürftige Rentnerin, leidenschaftliche Reisende – und noch im Alter den Mut und die Lust hatte, ihre Geschichte in einer der Sprachen ihrer Kindheit zu erzählen, die zugleich die Sprache der Mörder ihrer Angehörigen ist. – Es spricht Jens Hoffmann (Berlin); Autor u.a. von “Das kann man nicht erzählen.” lsquo;Aktion 1005‘ – Wie die Nazis die Spuren ihrer Massenmorde in Osteuropa beseitigten (Konkret-Verlag 2008) und “Aber wenn ich werd‘ schreien, wird besser sein?” – Die Lebensgeschichte der lettischen Jüdin Ruth Fridlendere (konkret-texte 52, Hamburg 2010).

Um 20 Uhr in der Buchhandlung Jos Fritz, Wilhelmstr. 15

Trennmarker

Samstag, 21. Mai 2011

Freiburg in der NS-Zeit

Antifaschistischer Stadtrundgang

An exemplarischen Stationen wird gezeigt, was in Freiburg nach 1933 passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Arbeitsstätten verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17°° am Platz der Alten Synagoge. E. Imbery führt und kommentiert.

Treffpunkt um 14 Uhr “Basler Hof”, Kaiser-Josephstraße (gegenüber Buchhandlung Herder)

Trennmarker

Mittwoch, 1. Juni 2011

Der Aberglaube des Positivismus

Der Kosmologe Stephen Hawking (Eine kurze Geschichte der Zeit), der Physiker Robert B. Laughlin (Abschied von der Weltformel), der Biologe Richard Dawkins (Der Gotteswahn) und der ehemalige Finanzmathematiker Nassim Nicolas Taleb (Der schwarze Schwan) haben etwas gemeinsam: Sie sind alle an Grenzen naturwissenschaftlich-mathematischer Vorstellungen gestoßen. Daraufhin versuchten sie, diese Grenzen im Rahmen ihrer jeweiligen wissenschaftlichen Disziplin zu überschreiten. Sie wollten bessere, fortgeschrittenere Theorien entwerfe n, mit dem Ziel, letztlich das Wesen des Weltganzen zu beschreiben. Und alle sind sie dabei gescheitert. Aber ihre jeweiligen Theorien enthalten explizit oder implizit eine Kritik an verschiedenen Versuchen, die Welt vollständig naturwissenschaftlich zu erklären. Daher lohnt sich eine Auseinandersetzung. Ihre eigenen Ambitionen in dieser Hinsicht sind daher jedoch ebenso Gegenstand der Kritik. Denn eine naturwissenschaftliche Erklärung des Weltganzen ist ganz prinzipiell unmöglich, sie widerspricht der naturwissenschaftlichen Methode, deren Prüfstein immer auch in der begrenzten menschlichen Erfahrung liegt. – Der Referent, Jörg Huber (Freiburg), ist Physiker und beschäftigt sich mit der Kritik naturwissenschaftlicher Welterklärungen; zuletzt erschien von ihm ein Artikel zum Thema in der Zeitschrift “Bahamas”.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

Trennmarker

Mittwoch, 15. Juni 2011

Die Sehnsucht nach dem Ganzen als Streben zum Tod

Der islamistische Schlachtruf “Ihr liebt das Leben – wir lieben den Tod” ist paradigmatisch für das Verständnis vom Tode unter Bedingungen zerfallender Subjektivität im Spätkapitalismus. Die von der kapitalistischen Gesellschaft geschaffenen, aber nicht verwirklichten Glücksversprechen werden ideologisch eingestrichen und an ihre Stelle die Anerkennung des Elends gesetzt. Gemäß dieser Denkweise soll nicht die unmenschliche Gesellschaft in eine vernünftig eingerichtete verwandelt werden, sondern vielmehr noch die letzte Sehnsucht nach einem befreiten, erfüllten und glücklichen Leben ausgemerzt werden. Dieses Denken gründet in der Geschichte der deutschen Ideologie, die sich zwischenzeitlich globalisierte. In Deutschland formierten sich bürgerliche Subjekte historisch erstmals unter dem Banne des Todes zu einer mörderischen Volksgemeinschaft. Der ideelle Bereiter und Begleiter dieses Weges war der Philosoph Martin Heidegger. Seine, von den Nazifaschisten realisierte Sehnsucht galt, wie den heutigen Islamisten und regredierten Linken, dem so genannten Ganzen, daß er als das “Sein” definierte. Dieses “Sein”, so unbestimmt und ungewiß er es ließ, charakterisierte er als eines zum Tode. Anhand derartiger Gedankengänge wird gezeigt werden, daß der Kampf gegen die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen und der gegen die Herrschaft von Menschen über Menschen unmöglich von einer Kritik der Ideologie des Todes getrennt werden kann. – Es spricht Martin Dornis (Leipzig); er studierte Philosophie, Ökonomie und Erziehungswissenschaften, arbeitet derzeit zur Kritik der Ideologie des Todes und zur Musikphilosophie Adornos und veröffentlichte Texte über Ideologiekritik, Antisemitismus, Krisentheorie und materialistische Gesellschaftskritik, zuletzt in dem von Alex Gruber und Philipp Lenhard herausgegebenen Buch “Gegenaufklärung. Der postmoderne Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft”

(ça ira 2011).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

Trennmarker

Mittwoch, 29. Juni 2011

Die Nacht der Vernunft

Zur Sozialpsychologie des islamisierten Subjekts

Die politökonomische Realität des Vorderen Orients ist bis zum heutigen Tag von einer speziellen Art von Günstlingswirtschaft geprägt, die der Vermehrung individuellen Vermögens klare Grenzen setzt, den Egoismus zu einer riskanten Angelegenheit macht und einen stets wiederkehrenden Zyklus autoritärer Erhebungen motiviert. Privates Eigentum  bleibt von den Kalifaten über das osmanische Reich bis hin zur Willkürherrschaft der auf dem System der Ölrente errichteten arabischen Despotien unmittelbarer Herrschaft ausgesetzt. Alles Wirtschaften und Regieren unterliegt zudem religiösen Vorbehalten und Kontrollen. Ökonomie, Politik und Religion durchdringen einander, so daß von einer Trennung in unterschiedliche Sphären keine Rede sein kann. In Analogie dazu scheinen die Todesangst gegenüber einem strafenden und unnahbaren Vater sowie eine dem Bedürfnis nach Kompensation ihrer untergeordneten Stellung als Frau entspringende narzißtische Täuschung durch die Mutter den im islamischen Familienverband Heranwachsenden an einer eigenständigen und rationalen Auseinandersetzung mit der Welt zu hindern und stattdessen zur Unterwerfung unter den Willen des Vaters und das von diesem repräsentierte Phantasma eines allmächtigen Gottes zu prädisponieren. Dem Nachwuchs gelingt der Ausgang aus der Unmündigkeit der verwirrenden Mutter-Kind-Dyade nur durch das Selbst-Opfer einer globalen Identifikation, welche den antiautoritären Affekt in verliebte Hörigkeit transformiert, indem die tabuisierten Regungen stellvertretend an Anderen bekämpft werden. – Es sprechen zwei Genossen der Gruppe Morgenthau (Frankfurt), die zuletzt in der Zeitschrift “Prodomo” einen einschlägige Analyse veröffentlicht hat (siehe unter: http://www.morgenthau.tk).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

Trennmarker

Mittwoch, 13. Juli 2011

Adornos Kritik der politischen Ökonomie

Als Philosoph, Soziologe, Musikwissenschaftler, Kunsttheoretiker und ungerechtfertigterweise vor allem als Kulturkritiker ist Adorno als Klassiker des europäischen Geisteslebens post mortem fest etabliert, und dies nicht nur in den Wissenschaften, sondern auch im Kulturbetrieb selbst. Daß er ein radikaler Kritiker der Produktionsverhältnisse war, kommt allerdings in den allermeisten Referenzen nur als Randnotiz pflichtschuldig zur Sprache; daß er sich mit ökonomischen Belangen aufgehalten habe, wird selbst von wohlmeinenden Kommentatoren entweder bestritten oder im Vergleich zu seinen Leistungen auf anderen Gebieten bagatellisiert. So sagt etwa Jürgen Habermas: “Mit politischer Ökonomie hat sich Adorno nie befaßt.” Durchaus typische Einschätzungen wie diese legen den Verdacht nahe, daß die Adorno-Forschung sich ihrerseits zwar mit allem möglichen befaßt, aber ausgerechnet das Zentrum der Kritischen Theorie Adorno verlegen ignoriert habe. Auf der Grundlage seines Buches “Adornos Kritik der politischen Ökonomie” (Transcript-Verlag 2011) wird Dirk Braunstein (Bochum) die bis heute verbreitete Einschätzung widerlegen, daß der Rekurs auf Marx und zumal auf dessen Kritik der politischen Ökonomie in Adornos Werk ein Relikt aus bald überwundenen Stadien seiner Theorieentwicklung darstelle, eines, das er nach der Rückkehr aus dem amerikanischen Exil nur mehr wie eine kostbare Antiquität mit sich geschleppt habe; ebenso die gängige Vermutung, daß Adorno sich mit der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie ohnedies nie sehr intensiv beschäftigt habe.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

Trennmarker