Alexander Stein – Die Protokolle der Weisen von Zion als Bibel des Antisemitismus * Leseprobe

Die Protokolle der Weisen von Zion als Bibel des Antisemitismus

Alexander Stein

Welche Bewandtnis hat es nun mit diesen “Protokollen der Weisen von Zion”, um die eine ganze Literatur entstanden ist? Noch vor wenigen Jahren ging die politische und wissenschaftliche Welt verachtungsvoll und geringschätzig über diese Frage hinweg. Man unterschätzte aber die Verhetzungsarbeit, die mit Hilfe dieser Schmähschrift in einer politisch ungeschulten, für Haß und Wunderparolen aufnahmebereiten Bevölkerungsmasse betrieben wurde. Die Explosion von Schmutz und Blut, die den “Aufbruch der Nation” begleitete, konnte nur erfolgen, nachdem eine entsprechende “Literatur” niedrigste Instinkte aufgepeitscht und sie für die Haßpropaganda des Nationalsozialismus empfänglich gemacht hatte.

Diese “Protokolle” sind untrennbar mit der nationalsozialistischen Weltpropaganda verbunden. Der Antisemitismus hat im Reiche Hitlers den unerhörtesten Aufschwung genommen und überflutet, von dort aus planmäßig unterstützt, die ganze Welt, Zu diesem kämpferischen Antisemitismus verhält sich der deutsche Antisemitismus der Ahlwardt und Stöcker in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts etwa ebenso, wie das Sozialistengesetz Bismarcks (1878 bis 1890) zu dem “totalen” Ausrottungsfeldzug der Hitlerregierung gegen alle politischen Rechte und freiheitlichen Regungen des Volkes. Es ist kein Zufall, daß die feudale und kapitalistische Reaktion, die sich nach 1918 sammelte, sich dieser antisemitischen Hetze bediente. Sie fand dadurch Eingang bei jenen Elementen des Kleinbürgertums, der Bauernschaft, der Intelligenz, die für alle wirtschaftlichen und politischen Nöte der Nachkriegszeit die Juden verantwortlich machten. Die Tatsache, daß nach der Beseitigung der früher bestehenden Einschränkungen Juden in stärkerem Maße als im Kaiserreich im politischen Leben hervortraten und sich meist in den Linksparteien betätigten, bot der Reaktion den Anlaß, die Republik als “Judenrepublik” zu beschimpfen und über die “Verjudung” der Arbeiterbewegung zu zetern. In Wirklichkeit wandte sie sich damit an die niedrigsten Triebe der Masse, sie organisierte den Haß und den Neid der Verhinderten und Verkrachten, um unter dem Deckmantel eines “reinrassigen” Nationalismus die Demokratie und die Arbeiterbewegung zur Strecke zu bringen. [ 1 ]

Auch Adolf Hitler, früher das Urbild eines verhinderten und verkrachten Kleinbürgers, übernahm die Ideologie, die sich während seiner Jugendzeit in radauantisemitischen Kreisen des alten Österreich entwickelte. Aber ihm genügte nicht der Antisemitismus als “Sozialismus der dummen Kerle” der Vorkriegszeit. Unter dem Einfluß Rosenbergs und anderer Rassenfanatiker stellte er den kämpferischen Antisemitismus in den Mittelpunkt seiner Staatsreligion. Für ihn, wie für den ganzen Führerkreis der NSDAP, ist “Kampf gegen das Judentum” gleichbedeutend mit Kampf gegen Liberalismus, Marxismus, Demokratie und Arbeiterbewegung. Der auf dem “arischen” Rassegedanken aufgebaute neudeutsche Nationalismus macht den Kampf gegen das Judentum zum Ausgangspunkt seiner angriffslustigen Expansionspolitik. Der Antisemitismus wird zum untrennbaren Bestandteil der Theorie von “Blut und Boden”, die die Grundlage der “dynamischen” Außenpolitik des Dritten Reiches bildet. Er wird aber zugleich eng verknüpft mit der nationalsozialistischen Unterdrückungspolitik, denn erst nachdem Gleichheit, Freiheit, Menschlichkeit, ja selbst die Ethik des Christentums als “jüdische Erfindung” gebrandmarkt und ausgelöscht worden sind, kann das “tausendjährige Reich” Hitlers verwirklicht werden.

Anmerkungen

1Georg Decker, Revolte und Revolution, Verlagsanstalt Graphia, Karlsbad 1934, S. 17 ff.

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