Der alltägliche Notstand
Der alltägliche Notstand
Freiburg im März: Ansichten, Pamphlete, Analysen
Initiative Sozialistisches Forum
in Zusammenarbeit mit einigen Genossen aus der Gewaltfreien Aktion Freiburg
Zuvor
Stille Wasser sind tief. Wie so oft erst ein kräftiger Sturm auf der Oberfläche Verborgenes oder bislang Geheimgehaltenes gar aus der Tiefe zu Tage fördert, so haben auch die Ereignisse der vergangen Tage und Wochen vieles über abgründige Strukturen und ungeahnte Geheimnisse dieser bürgerlichen Gesellschaft manifest werden lassen, das es verdient, festgehalten und erinnert zu werden. Die Wahrheit der Normalität offenbart sich im Ausnahmezustand.
Diese Streitschrift versammelt darum Kritiken, Analysen und Pamphlete in der Erkenntnis, daß zwar die “Waffe der Kritik die Kritik der Waffen nicht ersetzen kann” (Marx), die Kritik jedoch nötig ist, um sich den Grund, zu den “Waffen” zu greifen, in aller Klarheit vor Augen zu führen. Sie gibt nicht vor. eine Bilanz zu ziehen, um etwa die Opposition im Papier zu ersticken noch bevor sie von der bürgerlichen Gesellschaft erstickt wird. Ohne jedoch abschließend urteilen zu wollen, steht aber die Frage, ob die “Bewegung in Freiburg” ihrem Wesen nach zu mehr fähig ist, als zu einem Sturm im Wasserglas und in den Gerichtssälen, im Mittelpunkt des Interesses. Die Klassenjustiz wird auf jeden Fall eine wie immer auch schlußendliche Wertung vornehmen.
Ort und Zeit einer Diskussionsveranstaltung zu den Thesen “Was ist die Bewegung” und das leidige, immer wieder zu behandelnde “Wie weiter ? “ werden wir noch bekanntgeben.
Inhalt
- Was Recht ist, muß Recht bleiben. Über den Hausfrieden und sein Recht
- Stadtplanung: die nukleare Totalsanierung als einziger Ausweg
- Badische Zeitung – Der außergewöhnliche Normalfall
- Glosse: Was soll aus Simon werden?
- Nach dem Knüppel: der Dialog. Über “Gesprächsbereitschaft”
- Der Sozialstaat und die Wohnungsnot. Über verteilende Gerechtigkeit
- Thesen zur Diskussion: “ Was ist, Bewegung”?
- GAF: Gewalt und Gewaltlosigkeit
- Wie soll es, wie kann es weitergehen?
Was Recht ist, muß Recht bleiben
(Deutscher Wahlspruch)
Des deutschen Michels höchstes Gut war und ist sein Bedürfnis nach Recht und Ordnung. Dabei ist es verpönt zu fragen, was denn nun eigentlich rechtens ist. Es herrscht der Glaube: Recht ist, was im Gesetz steht. Nun wird zwar von Zeit zu Zeit dieser Glaube nachhaltig erschüttert, so geschehen jüngst in Nürnberg, wo auf offensichtlichste Weise Minister, Richter, Staatanwälte, Polizisten auf Grundgesetz und Strafprozessordnung “verzichteten”, ganz allgemein ist dieser Mythos immer noch überwiegend verbreitet. Auch in Freiburg wird, ohne mit der Wimper zu zucken, einfach hingenommen, daß die Staatsgewalt bei der sogenannten “Räumung” des Schwarzwaldhofes keine bessere Eingriffsgrundlage findet, als den berühmt-berüchtigten § 1 Polizei-Gesetz Baden-Württ., der gemeinhin in Fach- und anderen Kreisen als “Gummiparagraph” (FWV-Simon), juristenlateinisch als “Generalklausel” verschrieen ist. Die Polizei trat demnach zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung auf den Plan. So im Gesetz. Was das aber nun konkret bedeutet, steht da leider nicht drin. Das besorgen hochbezahlte Richter, Professoren, die an ihrer Karriere basteln müssen. So kommen dann gar seltsame Ergebnisse zustande, die jedem um die Rechtsicherheit besorgten Bürger unmittelbar einleuchten müssen: nachdem z. B. die Strafbarkeit von Bordellerrichtung und -führung, von öffentlichem Nacktbaden, ruhestörendem Abspielen von Radiogeräten in Parks, das Nichtbesitzen einer Wohnung, auch Obdachlosigkeit genannt, nicht mehr aufrechterhalten werden konnte, allgemein diese Dinge aber als immer noch sittlich anstößig, die Bürgerruhe beeinträchtigend empfunden werden, darf die Polizei mittels § 1 PolG für Einhaltung von Sitte und Ordnung sorgen. Auch das Musizieren in Fußgängerzonen, das Verteilen von Flugblättern usw. erreichen nicht den angenommenen Bürgerkonsens.
Kurz: wer diesen allgemeinen Konsens der Mehrheit stört, verhält sich ordnungswidrig. Er kann jederzeit weggeschleift werden. Denn, wer z.B. obdachlos ist, ist schließlich selbst schuld (Polizeirechts-Kommentar Reiff-Wöhrle S. 65: “ … denn die gute Ordnung des Gemeinwesens verlangt allgemein, daß der Einzelne ein Unterkommen hat. ”) Soll sich die Polizei darum kümmern, dann hat alles wieder seine Ordnung!
Es gilt ferner als allgemein bekannt, daß Hausbesetzungen einen strafbaren Rechtsbruch darstellen, schließlich redet ja jeder vom § 123 und § 124 StGB (Hausfriedensbruch). Selbst die Besetzer reden nur davon, daß ihr Tun “legitim” sei, d. h. angesichts der Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt zweckmäßig und verhältnismäßig sei.
Auf den Gedanken, daß es bei anderer Auslegung des bestehenden Rechts auch: “legal” sein könnte, kommt niemand. Diese Frage unterliegt einem allgemeinen Tabu. Kennt man doch allenthalben das Urteil des Bundesgerichtshofes aus dem Jahre 1975, das bei länger dauernden Hausbesetzungen bereits vom Bestehen einer “kriminellen Vereinigung” ausgeht. Sicher, darauf zu hoffen, daß die Herrschenden revolutionäre Gesetze machen, bzw. sie demnach auslegen, wäre schlechterdings dumm. Das aber der allgemeine bürgerliche Kulturverfall bereits die “liberalen Bürgerköpfe” selbst ereilt, fällt niemandem auf . So wird nun einfach akzeptiert, daß, wird ein Haus besetzt. Der Tatbestand eine Hausfriedensbruches schon gegeben sei, auch wenn der zufällige Hauseigentümer genauso zufällig mit der sich darin befindlichen Wohnung spekuliert, wie er es nun einmal mit Waren und Produkten gewohnt ist zu tun; sein Hausfriede ist selbst dann als gestört anzusehen, hat er diese, seine “Wohnung” noch nie vorher von innen gesehen. Der Hausfriede besteht somit wohl in seinem Verfügungsrecht. Und die Sozialbindung des Eigentums ist “blöd” (Simon).
Offenbar ist hier eine sprachliche Sinnverschiebung eingetreten, die unbemerkt in die Köpfe der ruhebedürftigen Kleinbürger eingesickert ist. In glorreicheren Zeiten bürgerlichen Rechtempfindens, so unterstellen wir einmal, brachte man mit dem Begriff des Haus-Friedens einer Wohnung zunächst einmal das tatsächliche Bedürfnis des Besitzers nach einem ungestörten Feierabend, nach Geborgenheit vor den Unbillen des Alltags, nach kreativer, individueller Gestaltung seiner alltäglichen Umgebung, seiner Privatsphäre in Verbindung. Der privatisierend Wohnende durfte auf staatlichen Schutz hoffen, sollte ihm irgendein Eindringling in seinen eigenen vier Wänden ans Zeug flicken wollen. Man gebrauchte auch den Begriff der “Heimsuchung”, wohl um die tatsächlichen Schutzfunktion des Hausfriedensbruchparagraphen mehr zu veranschaulichen.
Die Zeiten haben sich geändert. Ohne an dem Begriff der Wohnung selbst zu rütteln, wenigstens im Gesetzeswortlaut, sind die Rechtsausleger in Gerichten und Universitäten nach und nach dazu übergegangen die Schutzfunktion dieses Paragraphen “etwas auszuweiten”: in heutigen Zeiten der realen Bedürfnisbefriedigung vornehmlich über Zahlen auf dem Bankkonto wird der Haus-Friede natürlich a uch im humanen einsam “Sterbenlassen” einer Wohnung erblickt. Das Hausrecht, als ehemaliges persönliches Schutzrecht, wird zum sachlichen Verfügungsrecht uminterpretiert. Eigentum macht schließlich frei!
Das tatsächliche Wohnbedürfnis jedoch fällt zwangsweise unter den Tisch. Die Wohnung ist nur noch als Tauschware auf einem angeblich bestehenden Markt als Luxusgut zu haben und folglich für den, der sie besitzt spekulationsgünstig hinter Vitrinenmauern zu verstecken. Wer seinem ureigenen Wohnbedürfnis jedoch in seiner Urform nachkommen will, kann sich ja selbst an dem Kuhhandel beteiligen und sich eine einkaufen, um dann anständig protzend in den Club der “Hausbesitzer” aufgenommen werden zu können. So wird der Friede des Wohnenden umgewandelt in die Freiheit des Grundbucheigentümers niemanden friedlich wohnen zu lassen. Im rückständigen Österreich wurde dies bisher allerdings als kapitalsteigernde Schutzumwandlungsaktion noch nicht erkannt. Dort wird in § 109 ÖStGB immer noch nur die nicht leerstehende “Wohnstätte” geschützt.
So kann dann mittels eigener Sprachregelung und angesichts des mythischen Glaubens an den Wortlaut des Gesetzes dennoch mühelos das scheinbar Normale des Alltags umwandeln in die Verwertbarkeit für profitgieriges Machtstreben, das die Ideologie vom Recht als Rechtsstaat geschickt agierend klammheimlich in den Ausnahmezustand der Macht des Geldes überträgt.
Die moderne Stadt – oder: ich trinke Jägermeister, weil
ich es mit einem klaren Kopf nicht mehr ertragen würde!
“Vermutlich kennt jeder die Abscheu, von der man nach Ferien im Süden bei der Rückkehr in die Zivilisation der Schaufenster, Kaufhäuser und Fußgängerzonen befallen wird, den Verdacht, für dieses Durcheinander aus Beton, Abfall und Verschwendung biete sich eine nukleare Totalsanierung förmlich an; die Ahnung, allein der atomare Wirbelwind einer mittleren H-Bombe sei imstande, alles wegzupusten, was das Auge quält. … So hilflos, ohnmächtig und erschrocken steht man vor der in Jahrzehnten aufgetürmten und beinahe unverwüstlichen Häßlichkeit aus Beton, Glas und Stahl, daß man sich zwangsläufig nach dem denkbar stärksten Verbündeten umsieht, der einzigen Kraft, die von Naturkatastrophen abgesehen fähig wäre, mit einem Schlag eine fünfzigjährige in Beton geronnene Geschichtskatastrophe wegzuputzen. ” (frei nach W. Pohrt)
Die Stadtplanung und der Städtebau der letzten Jahrzehnte kann man mit Fug und Recht als “die zweite Zerstörung Deutschlands” bezeichnen. Nie zuvor (außer durch die eingeflogenen Bombergeschwader im II. Weltkrieg) wurden so systematisch unsere Städte zerstört, wurde der menschliche Lebensraum so vernichtet, zergliedert, verödet und verwaltet, wie nach dem II. Weltkrieg. Wie grob oder verfeinert die sozialräumlichen und baulichen Konzepte auch gewesen sein mögen (und noch immer sind), immer wieder sind es die Stadtteile der Armen, der Sozialschwachen, der Arbeiter und Kleinverdiener, die der Politik der Spitzhacke zum Opfer fallen. Und die Resultate heißen im Jargon der Städteplaner: Segregation der Stadt nach Klassen und Schichten, Entmischung der Stadtgebiete in Funktionsbereiche von Arbeiten, Wohnen, Freizeit, Konsum und Bewegen, sozialer Wohnungsbau, gehobene Wohnbebauung im Kerngebiet der Stadt zur Ansiedlung einer dynamischen, kaufkräftigen Mantelbevölkerung, Ausbau der Innenstadt als Einkaufszentrum und Fußgängerzone, sowie Abschmelzung der ansässigen Bevölkerung durch Techniken der Mietsteigerungen (Wohnumfeldverbesserung, Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, Modernisierungen, Sanierungen, Dynamisierung der ortüblichen Vergleichsmiete) bei vorherigem baulichen Zerfall und Zuführung des Quartiers zur Endnutzung (Alte, Studenten, Ausländer).
Schon der soziale Wohnungsbau, dessen Ursprung nicht zufällig in den Initiativen der Deutschen Arbeitsfront im Dritten Reich zu suchen sind und als Vorbild den Barackenbau in den Konzentrationslagern der NS hatte, hatte einen Januskopf. Er war nicht nur ein Mittel zur Wohnungsversorgung breiter Bevölkerungskreise, vor allem für “Sozialschwache”, sondern immer auch Instrument sozialer Kontrolle, Durchsetzung von Herrschaft über fabrikmäßig behauste Menschen. Die Vereinzelung und Isolation in den Betonsärgen am Stadtrand hatte die völlige Zerstörung einer Autonomie des sozialen Alltags zur Folge; und da, wo die traditionellen Formen der Gemeinschaftlichkeit vernichtet wurden, entwickelten sich neue Formen der Asozialität und der Verelendung. Alkoholismus, Drogen, Kriminalität, Vereinsamung bis hin zum Selbstmord sind Gradmesser für die Lebensqualität in solchen Stadtgebieten.
Mit den heute existierenden Gesetzen und Verordnungen, wie dem Bundesbaugesetz, dem Städtebauförderungsgesetz, dem Modernisierungsgesetz etc. wird das zerstörerische und gewalttätige Gesellschaftsmodell des sozialen Wohnungsbaus auf die ganze Stadt ausgeweitet. Freiburg ist da kein Einzelfall, sondern nur ein trauriges Beispiel. In der 60er Jahren wurden Weingarten und Landwasser aus dem Boden gestampft, andere Gebiete, wie Betzenhausen und Ferdinand-Weiß-Straße kamen hinzu. War es am Anfang auch eine Antwort auf die Wohnungsnot der Nachkriegszeit, so wurde daraus bald eine Strategie zur Auflösung traditioneller und gewachsener Quartiere, wobei die ehemaligen Bewohner an die Stadtränder in Großwohnanlagen vertrieben wurden und in den “Kernrandzonenbereich” rückten nach der Umgestaltung ganzer Straßen (Sanierung genannt) eine kaufkräftige, dynamische Kerngesellschaft nach. (Beispiel hierfür sind Fischerau, Gerberau, Schloßbergring, Konviktstraße). Der nach der Sanierung übriggebliebene Wohnraum pro Wohneinheit war nicht nur kleiner und teurer, er war in der Regel auch nur noch als Eigentumswohnung, bzw. -Appartment zu bekommen. Viel von dem alten Wohnraum wurde von Kaufhäusern, Banken, Versicherungen und Boutiquen gefressen, die die Innenstadt zusammen mit der seit 1972 durchgängigen Fußgängerzone in eine Konsumrennbahn verwandelten. Die von der Stadtmitte nach außen entwickelte Neuordnung der Gesamtstadt zerhackt den naturwüchsigen öffentlichen Alltag und setzt ihn neu zusammen nach klar abgegrenzten Funktionsbereichen. In den Industriegebieten (Süd, Nord, Hochdorf) wird gearbeitet, in den Wohngebieten (Weingarten, Landwasser, Betzenhausen etc. ) wird gewohnt, in der City “erlebt” und im Wald wird sich bewegt (Trimm-Dich). Mischgebiete, in den Leben, Arbeiten, Wohnen noch eine Einheit bilden (Im Grün, Stühlinger) müssen zwangsläufig eliminiert werden, und zwar mit der selben Logik, mit der in der City beispielsweise käuferstromhemmende Veranstaltungen (Stadtmusikanten, Stadtstände, Demonstrationen) verboten oder doch zumindest auf ein Minimum reduziert werden; die “kaufkräftige Bewegungseinheit” (Menschen) muß jederzeit planbar, kalkulierbar und optimal steuerbar sein. Von den Schlafsilos zur City führen gut ausgebaute Stadtautobahnen und demnächst eine Stadtbahn, wobei die möglichst allseitig gut zu erreichende Innenstadt weitere Querverbindungen im Kernrandbereich braucht. (Eschholzstraße, Schloßbergring, Werderring/ Rotteckring und demnächst Schnewlin-Straße/Stefan-Meier-Straße). Schon der Ausbau der Straßen frißt bislang von der Sanierung unberührte Gebiete, je sie sind geradezu Anstoß für die Sanierung (siehe Gesamtverkehrsplan der Stadt und seine Auswirkung auf den Stadtteil “Im Grün”). Eine zentrale Rolle spielt hierbei die im Bau befindliche Stadtbahn, die als “Impulsgeber für die Westachse-Entwicklung” (Cityausdehnung bis zum Bahnhof einschl. Fußgängerzone, Bahnhofsüberbauung mit Kongreßzentrum, Sheratonhotel und Neugestaltung rund um den Stühlinger Kirchplatz) immerhin 60% der Gesamtbevölkerung und 69% aller Arbeitsplätze direkt erfassen soll.
Eine noch wichtige Steuerungstechnik ist die kalkulierbare Verödung des “Zentrumfeldes”. Die Lebendigkeit, der öffe ntliche Alltag mit Tante Emma-Laden, Kino, Kneipen um die Ecke, die Straße als Kommunikationsraum ist aus Stadtteilen wie Weingarten gänzlich verbannt und das muß auch so sein, denn erst die Verödung des Umlands macht den faden, künstlich erzeugten Erlebnisreichtum im Konsumzentrum attraktiv. “Die Tendenz zur Verödung, die reinen Wohnsiedlungen von einer bestimmten Größe an eigen ist, kann ja nur durch die Stimulierung außerhäuslicher Aktivitäten kompensiert werden, deren selbstverständlichster Kristallisationspunkt das Einkaufsverhalten sein dürfte.”(Neue Heimat/aus Autonomie S. 39/40, Nr. 3)
So kommt eins zum anderen und wir bleiben auf der Strecke! Allein die Vorstellung, daß wir zu schwach sein könnten, um diesen Wahnsinn noch zu stoppen, bereitet Magenschmerzen. Und das Wissen darum, wieviele Leute (nicht nur Polizisten und Politiker) das auch noch verteidigen, macht mich gerade schwach. Und ich will in keiner Stadt leben, auf die, wie James Bond über New York zu seinem Begleiter in: “Leben und Sterben lassen” sagt, zutrifft: “Eigentlich sollte man es nicht sagen, aber das hier muß wohl das weitaus lohnendste Atombombenziel sein, das es auf dem ganzen Erdball gibt.”
Die Badische Zeitung – der außergewöhnliche Normalfall
Was seit der Besetzung und Räumung, der Moltkestraße 34 in der BZ an Berichterstattung geleistet worden ist, stellt auch für diese Zeitung ein außergewöhnliches Kapitel dar. War zu Zeiten der Dreisameck-Zerstörung eine liberal–kritische Haltung zu verzeichnen, die auch auf halbwegs saubere, journalistische Arbeit gestützt war, so waren die in der Folgezeit gelieferten Schreibprodukte ein Beispiel für das Abkippen einer kritisch–bürgerlichen Presse zur unverhüllten Gesinnungspresse.
Der Skandal besteht nicht darin, daß wir uns von Herrn Homann beleidigen lassen müssen, sondern daß wir mit Bürgern diskutieren müssen, die dazu verdammt sind, ihr Wissen über die Ereignisse und über die Inhalte der Auseinandersetzung durch diese Zeitung zu beziehen. Mit Bürgern also, die falsch, verzerrt oder gar nicht informiert sind, dafür mit offen bekundeter Pogromstimmung im BZ-Stil allmorgendlich beliefert werden.
Es ist müßig, sich zu fragen, ob der Druck der Anzeigenkunden oder, in diesem Freiburger Modellfall, der Landesbehörden stärker war, oder welche traurige Rolle Herr Fiek spielt, der ein erklärter Gegner der SWH-Bewegung ist. In jedem Fall beweisen die letzten Wochen, daß die Redaktion nicht die Kraft besaß, sich ihrer Gleichschaltung zu erwehren. Das Verschwinden von Namen wie Sattler über längere Zeit hinweg läßt nur ahnen, wie dabei vorgegangen wurde.
Alles außer Kontrolle
Im Gegensatz zu anderen Medien, die durch Fernsehkritik, Filmbesprechungen und Buchrezensionen im mit einer gewissen Narrenfreiheit bedachten Feuilleton einer bescheidenen Diskussion und Kritik ausgesetzt sind, haben die Zeitungen nicht einmal dieses bürgerliche Kontrollinstrument. Eine Pressekritik existiert so gut wie nicht. Das einzige Korrektiv, das zwischen bürgerlichen Zeitungen besteht, ist die unartikulierte Konkurrenz untereinander. Daß diese keine Sprünge über den Horizont liberal-kritischen Räsonierens hinaus bewirken kann, zeigt der bundesdeutsche Blätterwald. Daß das Fehlen des Korrektivs zusätzliche Ungeheuerlichkeiten hervorbringt, bezeugt die BZ. Als Lokalzeitung ist sie eine Monopolzeitung, die durch “Stadtzeitung” etc. nicht ernsthaft in Bedrängnis gerät.
All morgen ist ganz frisch und neu…
Alle Tagesberichterstattung ist vom Fetisch der Aktualität gezeichnet. Zum nächsten Morgen muß, brandneu, berichtet werden, was der Fall war, irgendwie, auch ohne Wissen und Recherche. Es ergibt sich ein Puzzle aus Ereignissen, die hervorstechen, ungewöhnlich, skandalös sind. Nachricht ist der Ausnahmefall, nicht die Regel, der Exzeß, nicht der Dauerzustand, der Skandal, nicht seine Ursache. Der allgegenwärtige Wahnsinn ist nicht berichtenswert, vielleicht in dieser Form Presse gar nicht berichtbar.
Der BZ war der Schwarzwaldhof in der gesamten Zeit der Besetzung keinen Bericht über die Aufbauarbeiten, das Leben darin, die kulturellen Aktivitäten, die Forderungen etc. wert. Alternativer Alltag ist nicht nachrichtenwürdig (außer als exotischer Reisebericht besonders wagemutiger Schreiberlinge aus besonders unübersehbaren Freiräumen ).
Aber eine Hoffnung auf Exzeß durften sich Herr Fiek, der Chef der Lokalredaktion und sein persönlicher Schriftführer Homann nach der Scherbennacht befriedigen – wie alle bürgerliche Presse, an der Öde der Welt verzweifelt, sich nach Blut von Schlachtfeldern, brandaktuell, oder wenigstens den Scherben einer Bank sehnt. Das ist die Welt, ihr Leser: schlecht, verdorben, gewalttätig – aber doch liebenswert.
Auch in der Berichterstattung über die abgelaufenen Ereignisse in Freiburg läßt sich die Betonung des Spektakels feststellen. Zu dem Straßenfest, das in demonstrativ friedlicher Weise geplant und durchgeführt wurde, bis “die Polizei den Eindruck gewann, es könne zu längeren Störungen des Straßenbahnverkehrs kommen” (BZ v. 9. 3, Homann ), steht in der BZ ein zweispaltiger Artikel. Über das, was während des Festes stattgefunden hat, wer was wie musiziert hat, Berichte über die Stimmung, den Versuch, mit Passanten ins Gespräch zu kommen, steht darin nichts. Ein einziger Satz (!), ein Nebensatz geht darauf ein: “…dabei gab es Musikvorträge und Getränke.”
Der gesamte Rest des Artikels besteht aus einer verzerrten Darstellung der gewaltsamen Räumung des Bertoldbrunnens durch “Polizeikräfte”. Wichtig aber erscheint es Herrn Homann, darauf hinzuweisen, daß sich “auch wieder vermummte Personen” dort befunden haben sollen. In der Landesausgabe vom gleichen Tag ist sogar die Rede davon, ca. 30 Vermummte seien mit Latten auf die Polizei losgestürmt. Als Erklärung für diese noch ungeheuerlichere Variante meinte Homann auf der Veranstaltung im Paulussaal, zuerst habe der Polizeibericht ebenso gelautet, bis zur Erstellung der Stadtausgabe habe man dann eine Benachrichtigung erhalten und die Darstellung entsprechend verändert. Unterstellen wir einmal, dies trifft auch noch zu: ist die BZ also ein Verlautbarungsorgan für offensichtlich unrichtige Polizeiberichte ?
Was nicht in den Medien erscheint und zur Nachricht wird, hat in der Öffentlichkeit nicht stattgefunden, hat nicht existiert. Was in den Medien erscheint, ist Informationsgrundlage, Diskussionsauslöser, ein Stück vermittelt wahrgenommener Wirklichkeit bzw. ihres Scheins. Diese Macht nun hat die Presse, hat die BZ: durch eine Selektion von Informationen und Meldungen ein neues Bild der Wirklichkeit zu erstellen. Einer Wirklichkeit, die sich an den Erklärungen der Polizei mißt. Wenn eine Stadt auf Polizeiberichte angewiesen ist, um zu erfahren, was los war, ist sie verraten. Die BZ verrät sie.
Gibt sich die Presse ihrem eigenen Selbstverständnis nach als die vierte Kraft im Staate aus, berufen, jenen anderen drei zu kontrollieren, vermittels einer in ihr präsenten, wirklichen Öffentlichkeit, so ist diese BZ-Verfahrensweise nichts anderes als eine Verlängerung der staatlichen Gewalt in jedem Kopf.
Anzeigen und Kriegsberichte
Eine Zeitung wie die BZ lebt im Wesentlichen von Anzeigenkunden, die in ganzseitigen Inseraten ihre neuesten Knüller präsentieren und im Befehlston (Kaufen Sie ! Greifen Sie zu!) zum Irrsinn einladen. Absatzgarantie des Blattes ist der Informations- und Meinungsteil, der den eigentlichen Gebrauchswert für die Leserschaft darstellen soll. Ein reines “Organ der Freiburger Geschäftswelt”, alias Wochenbericht, ein mit Leitartikeln getarntes Anzeigenblatt würde kein Mensch abonnieren. Die Funktion der Verbreitung von Anzeigen koppelt sich an die Interessenhaltung einer lesenden Bevölkerung gegenüber der Lokalpresse; die Information und die Diskussion über die Verhältnisse. Daß die BZ dabei Verrat an journalistischen Prinzipien wie Richtigkeit, Sachlichkeit und Vollständigkeit nur allzu willig betrieben hat, ist gezeigt worden. Wie aber eine weitere Variante der Tendenzberichterstattung sich darstellt, wie die geforderte Trennung zwischen Information und Meinung in der Sprache zu Gunsten einer Landsergeschichte vollzogen wurde, soll ein Beispiel (eines von vielen möglichen) zeigen:
Im Folgenden eine chronologische Aneinanderreihung von Zitatfetzen aus dem Bericht vom 6. 3.: “…die Randale dauerte elf Minuten, … wilde Ausschreitungen eines militanten Kerns … Blitzaktion der Verwüstung … Gewaltausbruch … für die Niederlage revanchieren …den erklärtermaßen auf Krawall und Aggression ausgehenden Kräften das Handwerk zu legen … Laufschritt, Stoßtrupp, vermummt, Stahlhelme(!), Stangen, Prügel, Ketten, Steine, … bombardierten und zerstörten … Spuk … Bürgerzorn … Vandalismus …zurückerobertes Wohnhaus (durch die Polizei ), … Gegenschlag … Polizei kesselte ein … taktischer und strategischer Wandel. ”
Das ist die Herrschaftsvariante der Sklavensprache, einer Sprache, die hinter der manifesten Aussage eine zweite enthält, die eben nicht ins Bewußtsein des Bürgers dringen soll, sondern unterschwellig wirkt. Hinter der eigentlich berichteten Sache steht der Kontext eines Kriegsberichts, zwischen den Zeilen wird die Strategie der Truppen diskutiert, In der Sprache entschleiert sich ein uns erklärter Krieg. Er wird u. a. im Interesse derjenigen erklärt, die die Anzeigen stellen.
Es wäre falsch, all diejenigen, die uns am Straßenrand brüllend ins KZ, nach Moskau, zum Teufel oder sonstwohin wünschen, als Opfer und Ergebnis der BZ-Schmierage zu sehen. Hetze legt bloß den Weg frei für das, was schon da ist, bestätigt Verhetzte, keine Propaganda kann ungestraft lügen. Der eigentliche Sinn dieser Art Berichterstattung liegt darin, daß sie eine eventuelle Solidarisierung von Bürgern, sei es aus vernunftgeleiteter Einsicht. aus moralischer Empörung oder eigenem schwelendem Unmut heraus, verhindert.
Nicht die ”KZ-Brüller” sind die Opfer der BZ. sondern diejenigen, die Widersprüche in sich tragen, von unseren Flugblättern mangelhaft oder gar nicht erreicht werden, keine Chance haben, es besser zu wissen. Die Macht der BZ greift gerade da. wo sie die Grenzen der Denkfelder abzustecken versucht, den Dialog fordert und gleichzeitig vollendete Tatsachen in die Köpfe treiben will. ”Um der jedoch feststellbaren gewissen Entspannung Stabilität zu verleihen, müssen nun aber auch die politisch Verantwortlichen Zeichen setzen und konkrete Taten anbieten. Daß es sich dabei nicht um die Rückgabe des SWH’s handeln kann. wird jeder sehen, der nicht realitätsblind ist” (Homann, 14/15. 3.
Was wir klären sollten:
- Wie kann es uns gelingender BZ etwas entgegen zu setzen. das ihre Monopolstellung bricht?
- Wie verhalten wir uns gegenüber den bürgerlichen Medien? Dazu erscheint unsere Haltung merkwürdig zwiespältig. Einerseits schlummert in uns stets das Verlangen nach einer verbiederten Darstellung in der Presse. nach Betonung des friedlichen, ordentlichen, aufgeschlossenen Charakters der Bewegung (eingedenk des unterstellten Bürgerbewußtseins) . Andererseits wird uns zu recht übel, wenn wir auf der Ebene lediglich anders fühlender junger Geschöpfe dargestellt werden.
In diesem gespaltenen Verhältnis drückt sich eine Unsicherheit aus, die aus einer Schwäche rührt. Die Produktionsmittel der Kritik sind denen der Kritisierten allemal unterlegen. Wir sind auf eine einigermaßen saubere bürgerliche Presse angewiesen, solange wir kein deutlich verbessertes Kommunikationssystem haben. Die Veranstaltung zur BZ war ein Tribunal gegen den Lumpenjournalismus. Vielleicht brauchen wir ein weiteres für eine andere, für unsere Presse. Täglich eine ERSTE SEITE für die Bewegung!
Wollte man ein Stück über Freiburger Spießer schreiben, so wäre ein Dr. Friedrich Simon die unentbehrliche Hauptperson. So schillernd verdichtet sich selten jener Typ, der vorne ebenso sentimental wie hinten brutal ist. Es ist die Rede von einer Posse, abgedruckt als Leitartikel im “Freiburger Wochenbericht” (Was soll aus Freiburg werden?, 12. 3. 1981). Es soll hier nicht um Richtigstellungen gehen oder die zahlreichen falschen Tatsachenbehauptungen (eine kritische Beschäftigung brächte den Vorwurf der Verschwendung ein), nein, uns geht es um die Frage, wie denkt so einer?
Ein Dr. Friedrich Simon und wir alle sind zu “doppelter Wachsamkeit verpflichtet, weil “wir alle” Gefahr laufen, in den “Sumpf jener staatsverneinenden anarchistischen Szene” zu geraten. Dazu braucht es nur ein bißerl Narrenfreiheit im Schwarzwaldhof, eine alternative Kulturszene, einige “echte Chaoten, Krawallmacher und Landesfriedensbrecher” flankiert von “blauäugigen Blumenkindern” und Freiburg, die Schöne, ist geschändet.
Ja Freiburg! Ein Dr. Friedrich Simon hat Mut zum Positiven, In schwierigen Zeiten empfiehlt sich das Erinnern an abendländische Kulturwerte, an die “Pflege von Kunst und Kultur”, das hat auch der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß mit Schillerlesungen so gehalten. Vom zitterndem Pathos der Beschwörungen Freiburgs führt der direkte Weg in die Knüppelei – das Sentimentale ist durch und durch terroristisch. Simons tränenselige Beschwörungen derjenigen Geistesgrößen, deren Karrieren im 3. Reich gründeten, wie “ein Heidegger und Fischer-Diko, sind mehr als Gassenhauer, als die sie auf der Freitagsdemo feilgehalten wurden.” Es ist die Sehnsucht nach einer gesäuberten Welt, mit “Freizeitwert” und angenehmen “Klima”. In dieser sanierten Welt der “Erholungseinrichtungen”, der bedeutendsten caritativen Einrichtung” und der “Gei-stesgrößen” treten schockartig die Besetzer auf, die sich in jedem Dreckhaufen wohlfühlen, einigeln und dann verkommen. Das ist kaum verhüllter Lynchaufruf. Die Verhöhnung findet zwischen den Zeilen statt: diese “Dreckhaufen”, in denen “jene jüngere Generation” wohnen muß, sind in Wirklichkeit zum “wohlfühlen”. Man muß das schon zweimal lesen: “wohlfühlen im Dreckhaufen”! Es geht da die Phantasie einem Sabbergreis durch, der gern mal wieder im Matsch spielen möchte, der seine ganzen verhinderten Lustbarkeiten einer Minderheit unterschiebt, die dann mit eisernem Besen ausgefegt werden muß. Daß da langes Zaudern nicht angebracht sein kann, bringt Simon auf Gewaltphantasien, die einen Blick auf seine Psyche gestatten.
So stellt er sich eine Demonstration vor: “Die Friedliebenden werden vorausmarschieren, womöglich mit Säuglingen auf dem Arm, während die Chaoten mit extra präparierten messerscharfen Steinen und Schleudern hinterlistig auf Polizisten zielen, die nun schon seit fast 10 Tagen im härtesten Einsatz stehen”. Also ist auch der Harmloseste gefährlich, ja er wird es gerade durch seine Harmlosigkeit. Also ist gegen alle jedes Mittel recht. Es geht nicht um die Lächerlichkeit “geschliffener Steine”, sondern um eine bürgerliche Wunschproduktion, die diese Phantasien hervorbringt.
Doch wo Gefahr ist, ist der Retter nicht weit. Es sind Polizeikräfte, die nicht anderes im Sinn haben, als “die Bevölkerung Freiburgs zu schützen”. Die Knüppelei braucht nicht erwähnt zu werden angesichts so hoher Kulturwerte, die ein Dr. Friedrich Simon verteidigt. Doch ein Bürger wie Dr. Friedrich Simon denkt auch ans Personal. So ruft er die Freiburger Bevölkerung auf, es der jungen Union gleichzutun und den “meist jungen Polizisten” alkoholfrei Getränke zu spendieren. Es sind zynischerweise gerade diese jungen Polizisten, die in Freiburg mit Überstunden ihre Häusle finanzieren, die in Freiburg fehlen.
“Aber freilich … diese Zeit, welche das Bild der Sache, die Kopie dem Original, die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen vorzieht …, denn heilig ist ihr nur die Illusion, profan aber die Wirklichkeit. Ja die Heiligkeit steigt in ihren Augen in dem Maße, als die Wahrheit ab- und die Illusion zunimmt, so daß der höchste Grad der Illusion für sie auch der höchste Grad der Heiligkeit ist.” Feuerbach
Ein Dr. Friedrich Simon liebt den Komparativ und den Superlativ. Eine Institution muß “bedeutendst” sein, ein Einsatz “härtest”, der Wendepunkt “groß” und die Revoluzzer “geschultest”. Das schafft jene Mischung aus hybridem Pathos und künstlicher Erregung, die von jeder Wahrnehmung absehen kann. Die Beschreibung gerinnt zum Eigenschaftswort, das sich beliebig hinzuaddieren läßt und keiner Verpflichtung unterliegt. Die Verpflichtung sieht ein Dr. Friedrich Simon freilich auch anderswo: Wir alle, Bullen und Bürger, müssen doppelt wachsam sein. Damit zu Freiburg wieder jawohl gesagt werden kann.
“Gesprächsbereitschaft” – notwendiger Bestandteil des Designs einer bürgerlichen Partei
Nach dem Knüppel schickt sich nun der Dialog an, das Regiment über die Stadt zu führen. Grundvoraussetzung eines “Gesprächs” ist jedoch, daß der Gegenstand, über den verhandelt werden soll, der tatsächlichen Verfügungsgewalt zumindest eines der Gesprächspartner unterworfen ist. Verfügt niemand über den Gegenstand, kann das Gespräch nicht zu einer wirklichen Konsequenz, einer Änderung der Verhältnisse, führen. Der Verdacht auf symbolische Politik, auf rituelles Sprechen über ideelle Gegenstände, liegt bei der Frage des Hauseigentums um so näher, als tatsächlich ein Politiker, der im Rahmen des bürgerlichen Rechts bereit ist zu handeln, keineswegs über dessen harten Kern, , das Privateigentum an Grund und Boden, zu verfügen hat. Es geht also um eine bestimmte Haltung, ein bestimmtes Flair dessen, der dieses Privateigentum schützt und verwaltet. Nur wer als bürgerlicher Politiker fähig ist, das nötige Einfühlungsvermögen denen gegenüber zu zeigen, deren Elend seine Politik systematisch verwaltet, kann darauf hoffen, als Mann von Format, als Staatsmann mit Überblick zu gelten. Das bürgerliche Recht, in dessen Rahmen die Dialog-Enthusiasten agieren, stellt jedoch das Privateigentum nicht dem Dialog von Menschen zur Verfügung, sondern regelt das Verhältnis von Privateigentümern untereinander. Das bürgerliche Recht ist keine Tagesordnung eines Seminars gegenseitiger Verständigung, womöglich Versöhnung. Das Soziale an diesem Recht – und dies ist wohl der einzige Gesichtspunkt, unter dem sogar Friedrich Simon (FWV) beizupflichten ist – ist “ein blöder Begriff” (BZ, 18. 3. 1981), der bestenfalls noch die SPD in Legitimationszwänge bringt.
Die neuere Politik des Dialogs datiert von der Atomfrage her. Seit die klaren Entscheidungen für den Atom- und Sicherheitsstaat gefallen sind, wurde diese zur “Option” erklärt, die der Staat, dem Gebot der “Zukunftssicherung” folgend, als eine unter vielen Möglichkeiten offenzuhalten habe. Erst nach Bürgeraufklärung, -anhörung, -dialog sei das gemeinsame Beste zu ermitteln. Die Politik des Dialogs erklärt sich zur Wahrheit jenes Grunddogmas vom “mündigen Bürger”, von dem ein Gutteil der Staatgläubigkeit und, ergo, -verdrossenheit sich herleitet.
Einstimmung ins Gespräch
Der Dialog versucht zunächst, alle Teilnehmer auf einer Gesprächsgrundlage zu versammeln. Diese kann nur der kleinste, aber ausbaufähige, gemeinsame Nenner sein: das allgemeine Unbehagen. Dieses Gefühl der Entfremdung und des Leidens “in unserer komplizierten technischen Welt”(Stadtverwaltung, BZ 18. 3.)ist noch dem letzten Technokraten verständlich. Obwohl die Gemeinde “keinerlei Grund hat, Alternativen zum Grundgesetz zu fördern” (Stuttgarter Zeitung, 17. 3.: Pressesprecher Freiburg) hat sie doch allen Grund, eine andere Haltung zu diesem auch finanziell zu ermöglichen. Es geht darum, wie Wilhelm Hennis, Politikwissenschaftler zu Freiburg, immer wieder ausführt, daß “der Staat in den Herzen der Bürger nicht auf Sand gebaut ist”. Damit der Staat dies vermeidet, muß er selber Herz und menschliche Wärme zeigen. Er muß öffentlich ein Zeichen setzen, daß ihm das Staat-Sein nicht leichtfällt, daß er unter sich selbst leidet. Sehr gut demonstriert dies Volker Hauff, einst Bundesminister für Forschung: “Wenn ich über Tage, Wochen auf Menschen treffe, die in mir ausschließlich den Minister sehen, nicht die Person, den Menschen mit seiner persönlichen Geschichte, sondern nur noch das öffentliche Erscheinungsbild, dann werde ich mußmutig. Ich erfahre Bewunderung, Zustimmung, Ablehnung, Neid, auch Gleichgültigkeit, die dann allerdings fast nie mir als Volker Hauff, sondern nur dem “Bundesminister gelten.” (V. Hauff, Sprachlose Politik. Von der Schwierigkeit, nachdenklich zu sein. Fischer-Tb 4215, S. 21)
Politik verdirbt den Charakter. Aber wer ein Amt hat, um dem Gemeinwohl zu dienen, harrt aus, auch wenn es den Charakter über kurz oder lang kostet. Hauffs Parteigenosse Keidel war im Gemeinderat ähnlich bestrebt, darzulegen, wie sehr er als Mensch leidet unter dem, was er als Beamter zu exekutieren hat. Die Einstimmung ins Gespräch hat die Aufgabe, über dem Menschen den Beamten zu vergessen, um es dem Beamten leichter zu machen. So demonstriert auch Keidel Verständnis für alternative Kultur, was ihn allerdings zu gar nichts verpflichtet, außer eben – es immer aufdringlicher zur Schau zu stellen.
Die Ermöglichung des Gesprächs
Der Dialog ist erst dann möglich, wenn die Gegenstände aus Tatsachen in Begriffe – und das heißt hier: in Gegenstände des bloß privaten Meinens – verwandelt sind. So will denn dar Verband der Einzelhändler (BZ, 6. 3.) “nicht für eine Politik büßen, die jahrelang darauf gerichtet war, den Eigentumsbegriff als eine Grundfeste unserer Gesellschaftsordnung systematisch auszuhöhlen”. Es geht nicht um den Gegenstand selbst, sondern um dessen Aura, um das, was die Leute fühlen, wenn sie Eigentum sagen. Entsprechend wird das Leiden unter dem Privateigentum zum Gefühl des Leidens. Leiden kann nicht, wer verzärtelt ist, d. h. wer nicht den rauhen Wind der Nachkriegszeit spüren durfte. Leiden ist erst dann wirkliches Leiden, wenn es an der Existenzgrenze gespürt wird. Ersatzweise wird der nüchterne Blick aufs Wirkliche auch durch den Polizeiknüppel besorgt. Dieser schafft den vorurteilslosen Blick, aber auch den Raum für das Gespräch, für die “Begegnung”, in der die Seelen aneinander sich schmiegen. Sprechen kann nur, wer nicht erregt ist. Erregend ist die Unmittelbarkeit des Anlasses der Empörung. Die Polizei als berufene Institution für Gesprächstherapie – schließlich besitzt sie nach BKA-Herold ein “Erkenntnisprivileg für soziale Probleme” – bestimmt die Tagesordnung, entrückt uns den Gegenstand des Ärgernisses, ermöglicht die rationale und distanzierte Debatte. Durch die Polizei wurde “die Möglichkeit des Dialogs nicht verschüttet, sie wurde vielmehr eröffnet” (Staatssekretär Ruder, BZ 11. 3. ).
Es menschelt
Die Grundbefindlichkeit moderner Politiker ist bereitet; der Raum, in dem Teilhabe an den Sorgen der Bürger gezeigt werden kann, vorhanden. Das Problem ist aus einem wirklichen zu einem der bloßen Wahrnehmung geworden. Der Blick wird abgebogen. Heiner Geissler z. B. geht es bei der Frage der Hausbesetzungen v. a. darum, den jungen Menschen erneut “das Faszinierende an unserer Verfassung” (Sonntag Aktuell, Beilage der Stuttgarter Zeitung; 15. 3.) zu zeigen, das zwar vorhanden ist, aber nicht wahrgenommen wird. Gebannt wie die Maus auf die Schlange starrt, starren wir auf das Glitzern der Grundwerte unserer Verfassung und sehen – statt Charaktermasken wie Geissler nur noch Menschen. “Ich für meine Person bin auch gerne bereit, mich an einem solchen Dialog zu beteiligen”, zumal es ja nicht um Reales, sondern nur um “gewisse Ängste” (Ruder/BZ 11. 3.) geht. Und wer empfindet nicht z. B. jene “Urangst” vor dem Atom” (L. Späth), die der Mensch als Mensch noch aus Steinzeittagen hat, nicht aber als Beamter? Gespräch heißt Austausch über gemeinsame Seelenängste, nicht Rechtfertigung des Täters vor dem Opfer. Als Mensch von gleichem Recht können wir nun “um gemeinsame Antworten ringen” (Ruder).
Anlässe
Die Dialogmaschine steht geölt bereit und wartet auf Anlässe, um ihre Integrationsarbeit zu leisten. Der Anlaß Wohnungsnot ist ihr nicht Grund, über die Interessen von bedürftigen Menschen zu verhandeln, sondern um über die Probleme des Staates im Umgang mit diesem zu schwadronieren. Darum, sagte Lothar Spät im SWF, “müssen wir auch die Ärgernisse beseitigen, etwa den Bestand an leerstehenden Wohnungen, weil man Verständnis dafür haben muß, daß sich junge Leute aufregen” (Badisches Tagblatt, 16. 3.) Der Dialog setzt an beim manifesten Ärgernis, bei der Aufregung, nicht bei der Bodenspekulation.
Eingrenzung der Betroffenen
Sich aufzuregen ist nur derjenige fähig, der noch nicht mit Kreislaufproblemen und Asthma zu ringen hat. Daher ist zu vermuten, daß nur der sich erregt, der dazu physisch noch in der Lage ist. Es handelt sich also erkennbar um ein Jugendproblem. OB Keidel, der sich erst neuerdings im Gemeinderat erregte, hatte folgerichtig “so etwas in den letzten 35 Jahren nicht erlebt” (BZ 18. 3. ).
Formen
Ist das Gesellschaftsproblem – (“Der Normalbürger scheitert an dem Desinteresse der hohen Politik” – Wochenbericht 4. 3., weil er sich nicht mehr erregen kann) – auf ein Jugendproblem heruntergebracht, stellen sich neue Probleme. Obwohl man der Jugend ihren Lauf lassen soll und sie “in der ihr möglichen Form ihre Meinung sagen lassen muß” (H. Geissler), muß die Form doch gewahrt bleiben. In einer “Atmosphäre gewalttätiger Sprachlosigkeit” (BZ 17. 3.) kann das nötige Klima, die innere Ruhe der Teilnehmer, nicht gedeihen. Zuerst müssen Vorleistungen erbracht werden, um zu zeigen, “daß die minimalsten Erfordernisse eines zivilisierten Umganges” (BZ 6.//.3.) beherrscht werden. Menschen können nicht mit Menschenfressern verhandeln, es wäre selbstmörderisch. Während der Staat für den ersten Schritt, nämlich seine Bereitschaft zum Gespräch zu zeigen, mit mehr als schönen Worten honoriert werden will, bedarf es auf Seiten der Demonstranten schon ein erkleckliches mehr. Die “Probe auf ein konstruktives Miteinander” kann erst “losgelöst von spontaner Empörung” (Ungern Sternberg/BZ 7./8. 3.) gemacht werden, d. h. dann, wenn der empörende Zustand nicht mehr als ein solcher begriffen wird. Nutze die Jugend nicht, denn sie vergeht! Aber da schon soviel Geduld in uns alle investiert worden ist, reicht die Friedfertigkeit auf der Konsumrennbahn nicht aus, um das Gespräch für die Gemeinde wirklich renditeträchtig werden zu lassen. Wir müssen immer noch mehr “Formen finden, die unsere Ansprüche verständlich und annehmbar erscheinen lassen” (BZ 14. /15. 3.). Am besten wäre wohl eine Form, der man den Inhalt, nämlich unser Interesse, gar nicht mehr ansieht.
Immer aufs Neue
Gesprächsbereitschaft der Demonstranten hat glaubwürdig zu sein. Sie ist dies erst, wenn sie wiederholt und epidemisch, d. h. bei jedem Anlaß auftritt. Es ist einfach ungerecht, jemanden, der gesagt hat, er wolle sprechen, anzuklagen, er sei im Handeln säumig. Der Bürger, und mit ihm der Staat, fühlt sich zu Recht verletzt. Da ist es mehr als verständlich, wenn “der gerade in letzter Zeit sich anbahnende Kontakt zwischen Bevölkerung und jungen Demonstranten – man denke an Diskussionen am Rande der Dreisameck-Räumung! – über Nacht blinder Wut und ohnmächtigem Haß gewichen ist.” (Wochenbericht 12. 3.). Unsere Gesprächsbereitschaft wird erst dann geglaubt, wenn sie sich “am Rande jeder Räumung” wiederholt. Die Obdachlosen und Eingepferchten raunen sich zu: Gut Ding will Weile haben! Wichtigstes Gebot daher: Miteinander im Gespräch bleiben!
Die wahren Opfer
Für den Bürger ist es bereits eine Leistung, überhaupt zum Gespräch bereit zu sein. Darum ist der eigentlich Geneppte der Scherbennacht weder die Glasversicherung noch der Einzelhandel, und schon gar nicht die Schwarzwaldhofbewohner, sondern derjenige Politiker, der zuvor – möglichst schon kurz nach dem letzten Anlaß – Bereitschaft zum Dialog signalisierte. Er hat wirklich Grund genug zur Empörung, hat man doch ihn getäuscht. Undank ist der Welt Lohn. “Es ist mehr zu Bruch gegangen als Glas – zum Beispiel die Bereitschaft zum gegenseitigen Verstehen wollen” (BZ6. 3.). Daß dies so ist, ist wieder eine Frage der Form, nämlich der “Unverfrorenheit, mit der fremder Besitz requiriert wird” (ebenda). Was aber keine Aufforderung an die Krawallmacher ist, künftig mit weißem Kragen und Aktentäschchen in die Bodenspekulation einzusteigen, wo es weniger unverfroren, vielmehr gentlemanlike zugeht.
Verständnis
Da die Jugendrevolte überhaupt nur aus einem “erschreckenden Mangel an geistiger Führung entstehen konnte” (Geissler), hat sich die Sozialtechnokratie der Stadt zuerst einmal ein Bild über das Ausmaß der mittlerweile eingetretenen geistigen Verwüstungen zu verschaffen. Das Gespräch ist daher vor allem Erkundung, hat für den Bürger den Reiz einer exotischen, gleichwohl gefahrvollen Expedition. Dem Staat mangelt es an Erkenntnisinstrumenten. Obwohl zwar der Verfassungsschutz jedermann ins Wohnzimmer horchen kann, ist dies bei einer derart diffusen Opposition nicht genug. Das “typische Merkmal unserer Gesellschaft ist, daß wir die Fähigkeit verloren haben, in den anderen hineinzuhören” (BZ 19. 3.). Verstehen, nicht Begreifen, ist daher die Devise. Denn es ist egal, was der andere sagt. Wichtig ist, warum ausgerechnet er ausgerechnet jetzt dazu kommt, ausgerechnet soetwas zu sagen. Die allerorten von Staatswegen beklagte Sprachlosigkeit kommt weiß Gott nicht daher, daß etwa auf Demonstrationen geschwiegen würde, sondern daher, daß eine andere Sprache, die des Bedürfnisses, die des Interesses, im Munde geführt wird. Wie aber kann in einer Gesellschaft, in der jeder sein besonderes Interesse als Gemeinwohl ausgibt, jemand noch “unverblümten Egoismus” (BZ 6. 3.) äußern? Wie war es möglich, daß in diesem unseren Lande, psychische Deformationen solchen Ausmaßes überhaupt entstehen konnten?
Experten
Beim Versuch, sich in den anderen hineinzulauschen, um seiner wahren, nicht nur seiner geäußerten Motivation auf die Schliche zu kommen, ist jeder Bürger Experte, sofern er selbst einmal jung war oder Kinder im krawallfähigen Alter sein Eigen nennt. Das Problem liegt darin, es zu verwissenschaftlichen, um abgesicherte Grundlagen des gemeinderätlichen Handeln zu finden. Schließlich kann auch der potenteste Gemeinderat nicht im Gespräch 15000 Demonstranten die Hammelbeine lang ziehen. “Viele Demonstranten wissen nicht, worum es tatsächlich geht” (Stadtverwaltung in BZ 18. 3. ). Darum muß es die Gemeinde um so besser wissen. Eines weiß sie bereits ganz ohne Expertise ganz gewiss: “Die Kritik, daß es zu wenig Wohnraum gäbe, ist ein Stück Gesellschaftskritik”, was nur bedeutet, daß es den Demonstranten eigentlich nicht um den Wohnraum geht. Also möchte man wissen, wie weit die Kritik geht. Geht sie bis ans Eingemachte, bis zum Privateigentum an den Produktionsmitteln und also an Grund und Boden oder nur bis zum frommen Wunsch, davon mal eine kleine Ausnahme zu machen? Gälte ersteres, wären die bekannten Repressionsmittel gegen “Chaoten, Terroristen, Arbeitsscheue, Anarchisten oder militante Marxisten und Kommunisten” (BZ 11. 3.) ohne Aufschub anzuwenden. Gilt das zweite, dann muß verständlich gemacht werden, daß es aus der allgemeinen Misere der “städtischen Lebensgemeinscha ft” (Wochenbericht 12. 3.) keinen Ausweg für Einzelne geben darf. Aber wie auch immer: Selbst ein Bauexperte wie Ungern-Sternberg ist ganz ohne Expertise immerhin soviel Jugendexperte, daß er weiß “daß keinerlei Leistungen der Stadt Freiburg geeignet sind, zu einer Befriedigung” zu führen (BZ 7. 18. 3.). Die Kosten können also gleich auf 750000 DM pro Tag reduziert werden, ehe man sich in sinnlose Ausgaben stürzt. Aber da Freiburg nicht nur seinen inneren Frieden, sondern auch seinen Ruf als Stadt des Geistes zu verlieren hat, beruft man nebenbei
… eine Kommission von Experten
Obwohl der Mann vom Bau ist – es kann ihm nicht geglaubt werden. Zwar steht das Ergebnis von vornherein fest, sind die Versatzstücke der Dialogsprache nur neu zu kombinieren – aber der gute Wille muß mindestens 10000 DM kosten und dazu die vierteljährige Arbeit einer Schreibkraft und dem Schweiß von 12 Experten, um für alle ein Zeichen zu setzen. Abermals geht es um die leidige Glaubwürdigkeit. Nur die SPD ist glaubwürdig naiv genug, anzunehmen, der zum Protest treibende Sachverhalt ließe sich wirklich im Dialog so weit vergeistigen, daß er letztendlich verschwindet. Daher ist sie berufen, einen entsprechenden Antrag an den Gemeinderat zu stellen. Friedrich Simon hätte man das schwerlich abgenommen. Wie stets also, wenn statt des Begreifens einer Sache deren Verständnis gefordert ist, beruft man eine Kommission. In ihr haben sich alle zusammenzusetzen, die als Bürger (was nur heißen kann “von Amts wegen”) “in der Problematik junger Menschen erfahren sind” (SPD-Antrag). Was aber wird eine Kommission aus Jugendpolizisten, Drogenberatern, Familienvätern, Staatsschützern, Arbeitsmarktverwaltern und Sozialarbeitern anderes herausfinden als das, was wir bereits ahnten? Nämlich das, “christlich gesprochen, auch der Hausbesetzer, auch der Krawaller mein Bruder ist – und andererseits auch der Polizist, der seine Pflicht tut und sie gelegentlich überschreitet” (BZ 12. 3.). Was anderes wird in ihrem Bericht stehen als die Aufforderung zur Fortsetzung des Dialogs? Was mehr als ein Kompromiß zwischen Einerseits und Andererseits? Als ein Kompromiß, der gummiartig genug ist, um der Stadt auch weiterhin ein Handeln je nach Ermessen zu ermöglichen? Da die Ursache der Unruhen von vornherein nicht die kapitalistische Gesellschaft, sondern deren subjektive Wahrnehmung oder “Akzeptanz” (Geissler), ist, wird am Ende herauskommen, was Geissler schon längst weiß: “Ängste der Jugend akzeptieren!” (Sonntag Aktuell, Beilage der Stuttgarter Zeitung, 15. 3.) -und weiter geht’s nach Geschäftsordnung. Ganz so einfach macht es sich die SPD nicht. Als Reform-Partei hat sie auch in dieser Frage ein Ideal, nämlich
… ideale Experten.
Die erklärte Geschäftsgrundlage der Kommission soll nämlich der “Bericht der eidgenössischen Jugendkommission” sein. Helmut Schmidt hat ihn unlängst staatsmännisch empfohlen, Hans-Joachim Vogel reiste mit ihm ins klirrende “Schaufenster gen Osten” (Keidel) nach Berlin. Der Bericht der Eidgenossen ist im wesentlichen eine systematisierte Fassung dessen, was insbesondere Sozialdemokraten schon wußten, was das gesunde Volksempfinden mindest ahnte. Die Sinnressourcen sind knapp geworden, Kühlschränke allein machen die Herzen nicht warm; das Faszinierende der freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist öde, weil der Jugend “nahezu alles als machbar” (Geissler) suggeriert wurde. Mehr als daß diese Jugend das Produkt von Konsumismus, Formalisierung der Bedürfnisse und Verwarenförmigung aller Lebensbereiche ist, wird nicht heraus kommen. Daß die Peter-Stuyvesant-Generation ihren Weg nun auch wirklich geht, ist nur denen eine Überraschung, die nie gegen den Konsum-Terror gehetzt haben. Auch der eidgenössischen Jugendkommission gilt die Revolte als ausgelöst vom Gefühl, nicht der Wirklichkeit der Entfremdung unterm Kapital. So schreibt sie: “Im Interesse der Ruhe muß ohne Voreingenommenheit untersucht werden, was an der geltenden Ordnung nicht mehr stimmt. Das gehört zum politischen Alltag in einer Demokratie, in der die Ordnung veränderbar ist” (Frankfurter Rundschau, 12.2.). In einer spät(h)kapitalistischen Gesellschaft, in der längst keine Fehler mehr gemacht werden, sondern die der Fehler selbst ist, mutet es lächerlich an, mit welch verbaler Krafthuberei reale Änderungsmacht vorgetäuscht wird. Die glauben wirklich, nahezu alles sei machbar. Die Kommission resümiert: “Der fehlende Dialog ist die Hauptursache der Unruhe.” Was sich als Anlaß solcher Untersuchungen regt, ist nicht das längst amputierte Gewissen, sondern der nackte Kalkül, daß die Wohnungsfrage, genauer der Protest gegen die Wohnungsnot, “ein Prüfstein für das Funktionieren unserer Demokratie ist”. Und das alles weiterläuft wie geschmiert, ist das Hauptinteresse. Die Freiburger Kommission müßte, nähme sie ihr Erkenntnisinteresse so ernst wie sie vorgibt, in drei Monaten einen Aufruf zur Abschaffung der Herrschaft des Menschen über den Menschen vorlegen. Aber von einer Partei, der Demokratie nur “die Umgestaltung unserer Gesellschaft im Sinne ihrer besseren Durchlüftung” (Herbert Wehner) bedeutet, ist nicht zu erwarten, daß sie deren Verwesungsgeruch, der aus den Fundamenten dringt, anders als mit Deo-Spray zu Leibe rückt. Logische Folge einer Politik, die sich der Illusion hingibt, der Rechtsstaat verfüge nach Belieben und Mehrheit über kapitalistisches Privateigentum.
Ergebnisse des Dialogs
Die Grundvoraussetzung des Dialogs ist, als Gespräch mit Leuten, die nur alle vier Jahre etwas zu entscheiden haben, Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe – sowie Anstand der Betroffenen genug, nicht allzu aufdringlich auf ihrem Anliegen zu beharren. Schon “verbale Exzesse” und “erschreckende Maßlosigkeit” der Sprache”(Keidel, BZ 16. 3.) zertreten das zarte Pflänzchen des “Miteinander-ins-Gespräch-Kommens”(SPD, Wochenbericht 12. 3.). Es ist wie überall der Ton, der die Musik macht. Das Gespräch ist denn auch solange möglich, bis den Betroffenen wieder einmal die Augen übergehen ob der Radikalität der Besitzer von Grund, Boden und der Lebenschancen anderer Leute. Was bleibt, ist ein schales Gefühl symbolischer Politik, ein neuer ‘human touch’ im Design der bürgerlichen Parteien und die Kunst, Zeichen zu setzen. Wie schrieb doch Volker Hauff:
“Versuche zur Intensivierung des Gesprächs nützen wenig, wenn sie nicht mit deutlichen Zeichen gekoppelt sind, die verdeutlichen, daß es sich lohnt zu reden. Zu diesen Zeichen gehört es z.B. auch. daß die Sozialdemokratie ihre Konfliktfähigkeit in der Auseinandersetzung mit nicht nur (!) wirtschaftlichen Interessen nachweist. Vor allem dieser Nachweis könnte die Antwort auf die resignative Frage vorwiegend junger Wähler sein. was denn nun eigentlich die SPD von der CDU unterscheide. (…) Die Politik hat zu beweisen, daß sie tatsächlich Gestaltungsmacht besitzt – und dazu muß unsere Konfliktfähigkeit an einigen (!) )Beispielen deutlich gemacht werden” (Hauff, Sprachlose Politik, S. 77)
Das als Beispiel der Gestaltungsmacht und Konfliktfähigkeit ausgerechnet der Schwarzwaldhof gewählt würde, ist natürlich “eine Illusion. die jeder erkennt, der nicht realitätsblind ist”(BZ 14./15.3.)Und diese Realitätstauglichkeit der Demonstranten muß vorhanden sein. ehe die Stadt “an einigen Beispielen” klarmacht, daß Verhandlungen überhaupt irgendeinen Sinn haben.
Verständnis unserer Interessen wird dann im Munde geführt, wenn sie den normalen Geschäftsgang nicht störend beeinflussen. Und dieses Verständnis besagt dann nicht mehr, als (ersetze Polizei durch Keidel oder Fiek, Verkehrsteilnehmer durch Demonstranten):
“Die Polizei bedankt sich insbesondere bei den Verkehrsteilnehmern, die größtenteils mit viel Geduld und Verständnis Umwege und Behinderungen in Kauf genommen haben” (Flugblatt der Polizei-Pressestelle vom Freitag, den 13.3.). Und das war er dann auch : der Dialog.
Die verteilende Gerechtigkeit
Der deutsche Sozialstaat genießt sein hohes Ansehen in der Bevölkerung auch deshalb, weil angeblich nur er es vermag, den Leuten mittels ihrer eigenen Steuern im Notfall zur Seite zu stehen. Gleichheit aller vor der Sozialgerichtsbarkeit bietet Sicherheit und Hilfe im sog. “unverschuldeten” Notfall. Die Ungerechtigkeit der Gesellschaft wird durch die verteilende Gerechtigkeit des Staates ausgeglichen. Jeder Mensch darf als Bürger daran teilhaben, knapp vor dem Sturz unters Existenzminimum gerade noch abgefangen zu werden. Zwar werden die von niemandem (was nur heißen kann, von allen ) zu verantwortenden Leiden der “Sozialfälle” durch den Staat nicht in unbekümmerten Spaß am Leben verwandelt, aber Geld, Schlüssel zur Realisierung aller Wünsche, wird immerhin ausbezahlt.
Das Soziale am Staat ist der nachträgliche und gelegentliche Ausgleich der vorgängigen und prinzipiellen Asozialität der Gesellschaft. Um ein Anrecht auf Entschädigung zu erlangen, muß der potentielle Empfänger sich zuvor im Rahmen des bürgerlichen Rechts bewegen, dieses akzeptieren – und damit eben die Nachträglichkeit einer relativen, eben nur finanziellen “Wiedergutmachung”. Die Entschädigung ist denn auch nicht Anerkennung und Ausgleich eines erlittenen Unrechtes, sondern Honorierung dafür, daß das Opfer still- und durchgehalten hat.
Wie im Kapitalismus Hunger noch nie ein Grund war, Nahrungsmittel zu produzieren, so ist im Sozialstaat die Not keine Rechtfertigung, das Benötigte ohne staatliche Erlaubnis zu nehmen. Die Gerechtigkeit darf nicht selbst erstrebt, sondern nur auf Umwegen vollstreckt werden.
In der Wohnungsfrage wird diese Weise des Funktionierens sehr deutlich. Zwar hat die aus vielen kleinen Minderheiten zusammengesetzte Mehrheit Grund genug mit ihrer Wohnlage unzufrieden zu sein; für Arbeitsemigranten, für Leute, bei denen der Grund ihrer Armut ihr Reichtum an Kindern ist, für Arbeiterhaushalte, Rentner und Studenten ist der Wohnungsmarkt eng genug, die Qualität des Wohnraumes nicht gerade berückend und der Mietpreis teuer. Aber ihre objektive Notlage und ihre ebenso objektive Unzufriedenheit berechtigt sie zu nichts mehr, als einen Anspruchsschein auf soziale Reparatur ausfüllen zu dürfen. Erst die zuteilende Hand des Staates macht aus einer Notlage eine juristisch anerkannte und d. h. wirkliche Not. Andere Notlagen werden dem Bürger selbst zugeschrieben.
Darum faßt Ungern-Sternberg den Grundcharakter bürgerlichen Rechts, daß eben jeder das Recht hat, unter einer Brücke zu überwintern, wie folgt für uns zusammen: “Es steht jedem frei, die Form des Wohnens selbst zu wählen. Das kann aber kein Grund dafür sein, daß die öffentliche Hand dies bezuschußt.” (BZ 7./8. 3.).
der Staat uns das Sommerhaus im Tessin ebensowenig bezahlt, wie ein Dach über dem Kopf in Freiburg. Freiheit hat also im Unterschied zur Gerechtigkeit die übersinnliche Eigenschaft, nur da zu sein, wo der Staat (und das heißt ja nur: wir alle) nicht ist. Andererseits hat der Staat eine Art Vorkaufsrecht auf die Freiheit: wenn es sie überhaupt geben sollte, kommt sie garantiert von ihm. Ist Gerechtigkeit einmal als Eigenschaft des Staates definiert, so ist klar, daß der soziale Notfall sich selbst Gerechtigkeit nicht schaffen kann. Die Ursache des Elends selbst anzugehen, ist unsozial, ungerecht und daher strafbar. Ungern-Sternberg unser Baudezernent, erläutert uns dies bereitwillig im Namen der Allgemeinheit. “Die Verwaltung muß auf ihrem Standpunkt beharren, nach dem alternative Wohnformen nicht ohne den Nachweis der finanziellen Bedürftigkeit von der Allgemeinheit materiell gefördert werden können. Ein solches Vorgehen wäre gegenüber allen anderen mit einer ähnlichen Bedürfnislage ungerecht.” (BZ 17. 3.) Daraus folgt:
- Ein Bedürfnis muß in Geld zu befriedigen sein, um überhaupt als legitim gelten zu können.
- Bedürfnisse, die sich nicht mittels barer Münze befriedigen lassen, sind asozial.
- Die Gerechtigkeit des Staates ist gerade das Gegenteil der Forderung, jedes Bedürfnis habe einen Anspruch auf Befriedigung.
Ein weiteres Zeichen eines Bedürfnisses, das den Staat etwas angeht, erklärt uns Ansgar Fürst in der BZ vom 6. 3.: es darf sich nicht um das nur “private Bedürfnis einer Minderheit” handeln. Hat eine Minderheit also ein öffentliches, allgemeines Bedürfnis, wie z.B. den dringenden Wunsch nach Mehrung der Köpfe des deutschen Volkes, kann dieses honoriert werden mit Kindergeld, Babywäschezuschuß etc. Nur dann.
Merkmal des Bedürftigen ist es ferner, daß er zu kraftlos, zu willensschwach ist, um seinen Bedürfnissen gemäß zu handeln, d. h. angemessen zu arbeiten. A. Fürst läßt sinnig die Möglichkeit offen, ob nicht gerade diese Willensschwäche die eigentliche Ursache seiner Notlage ist. Aber er weiß: wer keinen Willen hat, dem leiht der Staat den seinen. Darum ist eine Hausbesetzung auch moralisch verwerflich, da sie die angebotene Hilfe des Staates ausschlägt. Hausbesetzungen sind:“eine Provokation für all diejenigen, die in wirklicher Notlage sind, denen es aber an Rigorosität fehlt, sich einfach zu nehmen, was sie brauchen. ” (BZ 6. 3.)
Wenn sich einer nimmt, was er braucht, dieses ihm jedoch von rechts wegen vorenthalten wird, ist dies asozial und damit Attentat auf unser aller Freiheit. Wenn aber jemand kauft, was er braucht, dann ist dies Verwirklichung seiner und aller Freiheit und keiner darf fragen, woher das Geld kommt. Der Widerspruch löst sich auf. Obwohl der Staat niemandem sein Bedürfnis realisieren kann, das dem Bedürftigen nicht mit Geld zu erfüllen ist, kann er zumindest versprechen, es zu prüfen und zu würdigen. FDP-Gemeinderat Wellbrock sieht dies so, daß “man der Jugend klarmachen muß, welche Angebote die Stadt mit Rücksicht auf die anderen Gruppen der Gesellschaft machen kann “ (BZ 19. 3.) Das Angebot besteht denn auch gerade darin, das Bedürfnis nach Einheit von Leben, Wohnen und Arbeiten gerade nicht zu erfüllen, sondern das Machbare, nämlich das Arbeiten, zu fördern, und über den Rest eine philosophische Kaminplauderei, einen Dialog zu führen.
Das macht ihm keinen Spaß, aber mit Rücksicht auf die anderen Sozialfälle kann er nicht anders. Gerade dieses Austüfteln, Auswägen, Zuteilen ist es daher, was der Sozialdemokratie das besonders Lobenswerte am Staat erscheint. Sie umgibt den einfachen Verwaltungsakt mit geradezu überirdischen Hoffnungen. Mit ihrem großen Vorbild und Neugründer Kurt Schumacher kann sie daher sagen: “Der Staat, der ursprünglich die Organisation kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse war, soll durch seine der Verwaltungstätigkeit inhärente Emanzipationstendenz zum Organ der sozialen Verwaltung werden.” (Kurt Schumacher, Der Kampf um den Staatsgedanken in der deutschen Sozialdemokratie, Stuttgart 1973, S. 115).
Thesen zur Diskussion
Eine notwendige Provokation
Augenblicklich diskutiert die ‘Bewegung’ vor allem über die Kriminalisierung, über die Organisierung der Solidarität für Georg, der noch immer in U-Haft sitzt, und alle, denen der Prozeß gemacht werden soll. Dabei gerät (notwendig?) aus dem Blick, daß die Solidarität nur dann Dauer haben wird, wenn es der ‘Bewegung’ gelingt, ihren Ausgangspunkt, die Frage des menschengerechten Wohnens, Lebens und Arbeitens, über ihre soziale Nische hinaus zu verbreiten und zum Brennpunkt einer neuen Emanzipationsbewegung zu machen. Die Kontinuität der Solidarität ist nicht zuletzt von der gesellschaftlichen Tiefe abhängig, die der Protest ergreift. Konkret: die Demonstration des Abscheus vor den Betonwohnklos hilft uns keinen Schritt weiter, wenn sich deren Insassen wirklich darin wohlfühlen sollten. Sie tun dies nicht, auch wenn dies mancher alternative Müsli-Spießer von seinem Kollegen im Wohnhochhaus annehmen sollte. Die folgenden Thesen sollen einige Haltungen und Strukturen der ‘Bewegung’ ins Bewußtsein holen. die uns bislang daran zu hindern schienen, den Protest so massenhaft zu machen, wie es dem zugrundeliegenden alltäglichen Skandal entspräche. Wir verstehen diese Thesen auch als Beitrag zur Selbstkritik der Bewegung, die nur in dem Maße stark ist. wie sie sich ihre Stärke nicht nur wünscht und erträumt, sondern sie in kritischer Auseinandersetzung der in ihr vorhandenen politischen Positionen auch wirklich erringt.
I.
Die ‘Bewegung’ befindet sich in einer engen sozialen Nische. Stärker noch als für das Dreisameck, gilt (galt ?) für den Schwarzwaldhof, daß sich all die zur tatkräftigen Opposition versammeln. die die bürgerliche Gesellschaft als nicht in der Lohnarbeit verwertbar ausgesondert hat. Das Spektrum reicht vom akademischen Proletariat, alternativen Töpfer- und Meditationsgruppen über linke Schüler bis hin zu frustrierten Maoisten, Lehrlingen, Dope-Konsumenten und kleinen Dealern. Für die Bürger eine ideale Ansammlung all derer, die seine Alpträume bevölkern. Eine Ansammlung derer, deren Misere er zwar zu verantworten hat, die ihm jedoch auch die Gelegenheit bietet, das ganze Elend der Gesellschaft der Schuld konkreter Einzelner zuzuschreiben. Die ‘zufällige’ Konzentration aller den normalen Gang der kapitalistischen Geschäfte auf irgendeine Art und Weise störenden, nicht für ihn tauglichen Menschen an einem Ort ist dem Bürger mehr als willkommener Anlaß, in der Ansammlung der Opfer der Misere deren wahren Grund zu sehen.
Stillschweigend scheint die ‘Bewegung’ diese Zwangsdefinition zu akzeptieren und stimmt in den Pathos des ‘Sandes im Getriebe’ ein, wo sie nur dessen Abfallprodukt darstellt. Zwischen verschiedenen Konzepten des ‚Überlebens als ganzer Mensch’ und des einfachen ‘Anders Leben’ hin- und hergerissen, läßt sie dem Bürger und dem Sozialstaat das Argument, er würde sie alle nur aushalten.
II.
Die soziale Nische wird in dem Grade mehr und mehr zur Falle, in dem die ‘Bewegung’ sie akzeptiert, gar ideologisiert. Oft genug mit der Aufforderung beschwindelt, sie solle ihre Normen, Bedürfnisse und Ansprüche dem Staat gegenüber verständlich machen, verzichtet sie nun darauf. sie auf gesellschaftliche Verallgemeinerbarkeit zu überprüfen um sie eventuell auch anderen Unterdrückten, Ausgebeuteten und Beleidigten als Interpretation auch ihrer Wünsche begreifbar zu machen. Eine Notwendigkeit, die von der Stilisierung des eigenen Lebens als Vorleben nicht ausgefüllt wird. Schon die Differenz der Kulturen verhindert, daß aus dem einfachen (oder militanten) Zur-Schau–Stellen der eigenen Lebensweise der befreiende Funke auf alle überspringt. Das ‘Vorleben’ bestätigt nur die schier unüberbrückbare Kluft. Der Alltag des ‘Normalbürgers’ kreist um Berufsleben und Stammtisch, seine Feste sind Hochzeiten, Geburtstage und der Jahresurlaub, seine Freiheit ist die Do-it-your-self-Werkelei im Bastelkeller. Und wenn seine Wünsche auf un-entfremdeten Gebrauchswert der Menschen und der Verhältnisse seinen Alltag überschreiten. zieht er sich nur verstärkt auf kompensatorische Bedürfnisse zurück. Im Gegensatz zum ‘Normalbürger’, der sich selbst unterdrückt, drückt sich der Alternative aus. Seine Weise sich zu kleiden z.B. ist für den Normalbürger, der sich mit Mühe und Not den jährlichen Konfektionswechsel von der Stange erkämpfen kann, eben nicht das Ideal.
Soweit die ‘Bewegung’ daher einzig Kulturopposition’ ist, sind ihr die Brücken zu anderen sozialen Gruppen gerade durch ihre Kultur versperrt. Sie muß daher theoretische wie praktische Mittel finden, um die kleinen Utopien des Alltagslebens zu politisieren. Andernfalls ist sie. wie auf dem Gebiet der Mode oft genug, nur die Avantgarde der nächsten Kaufhaus-Saison.
III.
Der Expressionismus der ‘Bewegung’ ist auch Resultat einer gewissen Weise, die Niederlage der letzten Revolte, der Studentenbewegung, aufzuarbeiten. Das Fehlende an dieser, der ‘human touch’, die ‘Politik in erster Person’ usw., hat sich aus einem Korrektiv gegen die Eiswüsten der Abstraktion, gegen die Kälte der marxistischen Phrase, längst zu einer eigenen Ideologie der ‘neuen Innerlichkeit’ und des “Leben-Lieben-Kämpfen”verabsolutiert. Je mehr sich die Opposition aufs bloße Gefühl verlegte, desto sprachloser und unfähiger zur Analyse und Kritik des herrschenden falschen Zustandes wurde sie. Das Herz aber spricht viele Sprachen und keine gleicht der anderen – jedoch nur solche, in die man sich einzufühlen hat, an denen unmittelbar teilgehabt werden muß, um sie verstehen zu können. Eine gewisse Hektik im Durchprobieren der verschiedenen möglichen Ausdrücke ist die Folge. Ist die Sprache des Herzens wirklich die neue subversive Sprache oder wäre es nicht vielmehr die von Bedürfnis und lnteresse, über die sich verbindlich sprechen ließe ?
IV.
Unsere Demonstrationen scheinen oft nicht mehr zu manifestieren, als die soziale Isolierung unseres Protestes. Ist die Demo unser alternativer Erlebnissamstag, unser alternativer Ausnahmezustand, unsere kleine Flucht aus dem grauen alternativen Alltag der kleinen Arrangements mit dem Gegner? Jedenfalls sind oft geplantes Spektakel und inszenierter Tumult nicht wegzudenken.
Geradezu zwanghaft suchen alle, um ihren Widerstand zu zeigen, die Zentralität der Innenstadt. ohne in ihrer Mehrheit allerdings dies als nur eine und dazu noch beschränkte Form einer dezentralen und politischen Arbeit zu begreifen.
Heißt das, daß der Haß sich nur auf die Obszönität des zur Schau gestellten Reichtums, nicht aber auf die Produktion dieser unheimlichen Warenmassen in den Fabriken, ihrer Konsumption in Stadteilen und Vorstädten richtet ?
V.
Die Verbannung aller Frage des gesellschaftlichen “Wie weiter?” aus den Diskussionen, die Reduktion unserer Politik aufs Durchhalten und Widerstehen ohne Gegenentwurf sind nur die Ergänzung. die politische Folge einer gewissen Sorte Innerlichkeit und Kult des Unmittelbaren. Wo das Wahre nur das unmittelbar Gefühlte ist, kann ein objektiver und verbindlicher Begriff des politischen Vorgehens nicht entstehen. Gefühle sind nicht mitteilbar ohne ihre Vergegenständlichung in Sprache, und d. h. Entfremdung. Folgerichtig reduzieren sich die Diskussionen der Vollversammlungen der ‘Bewegung’ auf das unmittelbar und zu Recht Einigende, auf die Kriminalisierung einerseits und das penetrante “Sachen machen” oder “Sachen nicht machen” andererseits, worin sich Einfallslosigkeit, öffentlich ausgestelltes konspiratives Gehabe und Wille zur Originalität treffen. Hier ist die ‘Bewegung’ durch und durch bürgerlich. Wie die Bürger glaubt auch die ‚Bewegung’, aus der legitimen Pluralität ergäbe sich, gleichsam durch eine unsichtbare, aber ordnende Hand, das gemeinsame Beste. Man verstehe dies nicht falsch :Es ist herzlich egal, ob der herrschende falsche Zustand nun “Packeis” oder “Staatsmonopolistischer Kapitalismus” genannt wird – es geht um die Weise. wie sich die ganze alte Scheiße immer aufs Neue reproduziert, um Ort und Ziel unseres politischen Eingreifens bestimmen zu können.
Nur durch eine Verbindlichkeit der Aktion, die nicht formal. sondern durch den größtmöglichen Grad von gesellschaftlicher Wahrheit bestimmt ist, werden wir diese Gesellschaft so gründlich revolutionieren können, wie sie es verdient.
VI.
Der Pluralität und Diffusität der ‘Bewegung’ steht seltsam gegenüber das Bild, das sie sich von ihrem Gegner, dem Staat, macht. Er erscheint als die Einheit von Staat und Gesellschaft, als übermächtiger ‘Gesellschaftsstaat’, als Ende aller Widersprüche in dieser kapitalistischen Gesellschaft. Die Verknastung der Welt, Resultat eines perfekt inszenierten Geheimplanes von St aat und Kapital, läßt die ‘Bewegung’ außen vor wie vor einer Zwingburg, deren Zugbrücke nur zu Zwecken der Verhaftung oder Integration herabgelassen wird. So ideologisiert die Bewegung selbst ist, so hat sie doch kein Organ für Ideologie, mit der der Staat in der Lage ist, den latenten Zwang seiner Machtapparate um den durchaus freiwilligen Massenkonsens zu erweitern und erst so die Gesamtgesellschaft wirklich – und nicht nur vorgeblich – zu repräsentieren fähig wird. Der Verlust des Wissens um die strategische Bedeutung ideologischer Mechanismen läßt Macht als Herrschaft über die Polizei und den Rest der Bevölkerung durch Zwang, nicht als Herrschaft über den Massenalltag. den die Polizei nur stützt wie ein Korsett, begreifen. ”Macht aus dem Staat Gurkensalat!” ist nur solange eine zündende Parole, als nicht vergessen wird, wie der Staat in der Erfahrung der Bevölkerung positiv. d.h. als Sozialstaat begriffen wird. Ohne dieses Bewußtsein verhält sich die ‘Bewegung’ nicht kritisch zum herrschenden Bewußtsein. sondern abstrakt-denunziativ.
VII.
Die Bewegung scheint bislang nicht begriffen zu haben, daß ihre “rechtsfreien. Räume”, die ihr als Schutz, als Defensive eines wie immer verstandenen ‘Ausstiegs’ aus der Gesellschaft dienten, vom Staat nun, da er sich in einen autoritären transformiert, als bewußt geplante Offensive einer Fundamentalopposition angesehen und behandelt werden. Dem Staat gilt nun jeder, der sich entzieht, als potentieller Angreifer. Zur Schau getragene, alternative Harmlosigkeit ist ihm Grund genug, das Schlimmste zu vermuten. Dies deshalb, weil das Kapital ein gut Stück voran gekommen ist in der Verwarenförmigung aller Bedürfnisse. Das “Modell Deutschland sondert alle aus dem Kreis der produktiv Arbeitenden aus, die nicht die zur ‘Modernisierung der Volkswirtschaft’ (Matthöfer) nötige Leistung erbringen können oder wollen. Er sondert sie aus, aber er verzichtet nicht auf ihre Kontrolle. Die ‘Bewegung’ ist unfähig. dem Staat die Legitimität seines Vorgehens zu bestreiten, solange sie sich entweder auf eines seiner freiwilligen Organe erniedrigt (“es wurde viel kostenlos – ehrenamtliche, aber wertvolle Sozialarbeit geleistet”, wie es in einem Flugblatt hieß) oder ihre Inseln zur ‘logistischen Basis’ einer militärisch gedachten Entscheidungsschlacht um die Macht erklärt. Dem “Modell Deutschland” ist nur zu widerstehen, wenn die Bewegung das politische Terrain wiedergewinnt.
VIII.
Ist der ‘Bewegung’ die ‘Bewegtheit’ alles, das Ziel jedoch nichts ? Es scheint so, wenn an das Lebensgefühl gedacht wird, die sie teilweise zur Lebensreformbewegung verkommen läßt. Für den Zusammenhalt der Bewegung ist es wesentlich, daß sie ihre Ziele und Inhalte gerade nicht verbindlich definiert. Eine Ersatzform von Verbindlichkeit wird durch die Existenz der Bewegung selbst erzeugt. die sich nicht organisieren kann ohne den Appell an subkulturell gängige Gefühlsmuster wie z. B. das des ‘the blues goes on’. Gerade die Verschmelzung von individuellem Schicksal und Weltschicksal, die, im erklärten Gegensatz zum bürgerlichen Bewußtsein, dem die Hungerleichen nur Anlaß sind, sich selbst seine Mildtätigkeit und Herzenswärme zu beweisen, die Stärke und das qualitativ Neue an der ‘Bewegung’ ist (es gibt keinen Winkel, in den die Neutronenbombe und das Packeis nicht hineinreichten), ist zugleich ihre Schwäche. Umgekehrt führt diese Verschmelzung zur Ineins-Setzung von individuellem Wunsch und allgemein-gesellschaftlichem Sein–Sollen und damit in dieser Unvermitteltheit in die des Wahns. Der Akt, mit dem sich der bewegte Mensch erstmals in dieser Gesellschaft als Subjekt setzt, seine Erklärung seiner vollen Verantwortlichkeit für die allgemeine Misere, ist zugleich der Akt des Subjektverlustes. Die Formung der Welt nach dem individuellen Begehren im Wunsch erklärt die tödliche Objektivität zum Zufall, verwischt die eben gewonnene Verantwortung für das Ganze, erschlägt die eigene Inbegriffenheit. Die totale Verantwortlichkeit für den Weltlauf führt ein rein betrachtendes, schlecht kontemplatives Bewußtsein seiner inneren Motorik mit sich im Gepäck. Das Subjekt verrät damit seine Opposition gegen die Herrschaft des Kapitals.
Der Wille, satt und frei zu sein, ist durchaus der älteste. Doch die Lage, die ihn erfüllen könnte, ist ungewöhnlich neu, ja jetzt zum ersten mal. Ist aber der Wille zum Aufruhr, wie 1918, gelähmt oder durchkreuzt, so winkt auch der beste äußere Augenblick umsonst. Die Scheidemanns, Eberts, gar Noskes, welche als sozialdemokratische Führer damals handelten, wie ihr kapitalistischer Auftrag war, hielten einer überreifen Situation den Hammer und die Sichel des subjektiven Faktors fern. Umgekehrt ist der feurigste Angriff vergebens, wird zur bloßen raschen Heldentat, wenn die Chance des Sieges noch nicht wieder gereift ist. Avantgarde allein siegt nicht.
Ernst Bloch
IX.
Revolution ist nicht die Steigerungsform von Militanz. Gewisse Formen unserer Opposition werden dort, wo sie als Fetisch, als einzig gültiger Beweis von Radikalität verstanden werden, zum hilflosen Reflex, zur bloßen Wiederholung dessen, was ja gerade revolutioniert werden soll. Das Hinstarren auf die Gewalttätigkeit des Gegners hat auch etwas von Faszination an sich. Damit aber auch von geheimen Einverständnis. über das wir kritisch-aufhebend hinaus gehen müssen.
X.
Die traditionelle und die altgewordene “Neue Linke” können am politischen Existentialismus der ‘Bewegung’ nur lernen. Daß sie ihre politische Identität als Linke auch in den Flauten der ‘revolutionären Konjunktur’ aufrechterhalten haben, schlug beim Langen Marsch durch die Institutionen oft genug dort als politischer Fehler zu Buche, wo sie sich, um Erfolge zu sehen, vom Auf und Ab der Bewegung abwandten und die Emanzipation zu institutionalisieren suchten. Sie hat nun zu lernen, daß es die Emanzipation ohne die Selbsttätigkeit der zu Emanzipierenden nicht geben kann.
In der Bewegung der Hausbesetzungen ist die Frage der Befürwortung oder Ablehnung von Gewalt potentielle Bruchstelle der Einheit des Widerstands. Die Auseinandersetzung wird durch unterschiedliche Gewaltdefinition noch kompliziert und verschärft. So wird von den Herrschenden das Bemalen von Hauswänden mit dem gleichen Attribut belegt wie der Steinhagel auf die Polizei: gewalttätig. Auch Teile der Linken machen sich diese Interpretation zu eigen, indem sie umgekehrt den Verzicht auf Gewalt mit Legalismus gleichsetzen. Da aber das Recht auf Unversehrtheit des Lebens unserer Meinung nach eine gänzlich andere Qualität hat als das Recht auf Eigentum, können wir uns dieser Auffassung nicht anschließen. Unter Gewalt verstehen wir die Tötung oder Verletzung von Personen und nicht die Beschädigung von Sachen. Aus diesem Grund kann die Diskussion über Sachbeschädigung in der Innenstadt nur taktischer und nicht prinzipieller Natur sein. Obwohl von dieser Aktion eine unbestreitbare Mobilisierung ausgegangen ist – allerdings in zweifacher Hinsicht – hat sie auf der anderen Seite dazu beigetragen, die eigentlichen Probleme der Wohnungsnot zu überdecken und das öffentliche Interesse auf die zerstörten Scheiben gerichtet statt auf die zerstörten Häuser. In dieser Hinsicht war die Aktion für uns eine Niederlage. In dieser Nacht-Aktion offenbart sich aber noch so etwas wie ein Endzeit-Gefühl, ein Gefühl, ohnehin zum Untergang verurteilt zu sein – die letzten Mohikaner im Kampf gegen den Moloch; Moral und Menschlichkeit haben keine Chance gegen die Maschine, deren höchste “Freiheit” die Vernichtung ist. Die Linken, isoliert und abgeschnitten von den Medien, laufen immer Gefahr, ihre Marginalisierung zu akzeptieren anstatt offensiv ihre Alternativen zu verteidigen. Aus der Verzweiflung heraus dürfen wir nicht die Moral unserer Gegner übernehmen und unsere “Waffen” aus den Händen unserer Feinde empfangen. Denn das ist, wie Peter Brückner sagt, das Schlimmste, was die Sieger den Besiegten, die Herrscher der Beherrschten antun, daß sie ihm ein Stück falsches Selbstbewußtsein implantieren. Wir müssen uns dieser Gefahr bewußt sein und unser Handeln neu bestimmen. Der legale Protest und die organisierte Gewalt gegen die Polizei sind die beiden Seiten der gleichen herrschenden Moral. Die Alternative kann nicht nur heißen: entweder die Harmlosigkeit friedlicher Massenaufmärsche oder die menschenverachtende Militanz. Notwendig wären Aktionen, die die Kompromißlosigkeit unseres Widerstands zu Ausdruck bringen, ohne die Gewalt zu “ultima ratio” zu machen.
Mit den vorangegangenen Artikeln sollten einige Kritiksteine in den Spektakelfenstern abgelegt werden. Allein: das reicht nicht. das wissen wir wohl. Auch wenn wir unter dem Eindruck der staatlich ausgehaltenen Prügelgarden stehen und das Alltagsgeschäft des Widerstandes uns in dauernder Hektik des Organisierens, Demonstrierens etc. hält, sollten wir nicht nur das Diktat der täglichen Aktion durch die Polizeistrategen befolgen, sondern auch über die wahrscheinlich bald eintretende Ruhepause nachdenken und versuchen zu fragen, welche Möglichkeiten es gibt, eine tatsächliche, kontinuierliche Bewegung zu schaffende über den Tag hinaus Bestand haben kann. Dafür, um eine Diskussionsgrundlage zu haben. wollen wir Fragen an die Bewegung, also auch an uns selbst stellen, die wir breiter diskutiert sehen wollen:
- Ist eine Verstetigung der Bewegung mittels dezentraler Aktionen in einzelnen Stadtbezirken in Freiburg vorteilhaft, sowie in Berlin mit Besetzerräten nach Vierteln etc., um nicht mehr zentral angreifbar zu sein, flexibler handeln zu können? Sind solche Formen (Stadtteilräte etc) auch in regelmäßigen Wohngemeinschaftstreffen, Projektgruppentreffen, zu sehen, die neben dem etwas allgemeineren Erfahrungsaustausch über die Kneipengespräche hinaus auch punktuelle Aktionen bzw. deren Vorbereitung durchführen können? (Hausbesetzungen, Schwerpunktmietboykotts, lnfo–Stände, Straßenfeste in den einzelnen Stadtvierteln)?
- Besteht das Interesse und die Möglichkeit, weitere gesellschaftliche Gruppen anzusprechen, um eine noch breitere Basis zu schaffen? (oppositionelle Gewerkschafter, Bürgerinitiativen, Mieterinitiativen) Ist es hierzu möglich, breitere Vorweginformationen zu sammeln und zu verbreiten über die geplanten und vorstellbaren Reaktionen des Staatsapparats auf unseren Widerstand hin? (Info über privaten Wohnungsbau und Standardisierung von Wohnen, Auswirkungen der Staffelmiete, Verschärfung des Demonstrationsrechts, weiterer Ausbau des Überwachungsapparats zur “individuellen Prävention”, staatlich gelenkte Alternativkultur oder Autonomie, Medienkartell und Kabelfernsehen etc. pp.)
- Können wir selbst über das widersprüchliche Verhalten – hier Forderung an den Sozialstaat, uns Räume zur Verfügung zu stellen, dort Abkoppelungsversuch von staatlichen und gesellschaftlichen Einflüssen – hinwegkommen? Ist eine Forderung nach einem “rechtsfreien Raum”, zum Beispiel ein Modell Christiania in Freiburg wünschenswert und möglich?
- Haben wir eine Strategie, die den hervorzüngelnden, latenten Faschismus zurückhalten kann, ohne daß wir dabei vor die Hunde gehen bzw. uns verheizen lassen?
- Sind wir praktisch und theoretisch in der Lage, lokale Gegenöffentlichkeit aufzubauen, die sowohl schnell genug auf die täglichen Ereignisse reagieren kann, als auch als Informationsträger, Diskussionsforum, Aktionskoordinator, Selbstdarstellungsblatt, Berichterstatter auch von den Randschauplätzen der Region aus, arbeiten kann? Könnte dies eine regionale, linke Wochenzeitung sein, die die Stadtzeitung ergänzen kann (nur Bewegungswiedergabe ist u. E. zu wenig )? Wäre dies auch eine Möglichkeit, aus dem ewigen Schielen auf den noch liberaleren Redakteur bei BZ, SWF, Südkurier, FR, herauszukommen, die ja doch nur so singen können, wie ihre Geschäftsführer gerade pfeifen.?
Wahrscheinlich gibt es noch mehr. Aber nur eine wirkliche Auseinandersetzung kann auch die nötige Phantasie zum Neuen hervorbringen. Deshalb: laßt uns nicht das Risiko eingehen, nur noch auf das Spektakel abzufahren, nur noch auf staatliche Fütterungen mit Helm und Knüppel warten zu dürfen, um den Fortschrittszoo einmal mehr mit Tagesschaugrusel anzureichern.
Broschüre im Format A 4, 16 Seiten, 0, 50 DM, Freiburg 1981