Schwadroneure und Empiristen

Schwadroneure und Empiristen

Zwei verfehlte Versuche, die Wahrheit Goldhagens sich anzueignen – eine Anti-Kritik

Initiative Sozialistisches Form

Im spezialisierten Denken des spektakulären Systems vollzieht sich eine neue Aufgabenteilung und zwar in dem Maße, wie eben die Perfektionierung dieses Systems selbst neue Probleme aufwirft: auf der einen Seite unternimmt die moderne Soziologie, die die Trennung allein mit Hilfe der begrifflichen und materiellen Instrumente der Trennung studiert, die spektakuläre Kritik des Spektakels; auf der anderen Seite bildet sich in den verschiedenen Disziplinen, in denen der Strukturalismus Wurzeln faßt, die Apologie des Spektakels zum Denken des Nichtdenkens, zum bestallten Vergessen der geschichtlichen Praxis heraus. Dennoch sind die falsche Verzweiflung der undialektischen Kritik und der falsche Optimismus der reinen Werbung für das System als unterwürfiges Denken identisch. Die Wahrheit dieser Gesellschaft ist nichts anderes als die Negation dieser Gesellschaft.

Guy Debord, Die Gesellschaft des Spektakels, 1967

Foucault und die Freunde der offenen Gesellschaft: Über den Schmerz und über die Affirmation seines Grundes Es ist ein Widerspruch in sich, dort noch diskutieren oder gar debattieren zu wollen, wo sich die gesellschaftliche Totalität als prinzipiell unendliche Reihe subjektiver Interpretationen von Ereignissen darstellt, über die nie und nimmer etwas mit Anspruch auf objektive Geltung und auf Wahrheit also ausgesagt zu werden vermag. Denn die Debatte setzt zwingend ein Verhältnis von Behauptung und Gegenbehauptung voraus, setzt weiter voraus, daß es Wahrheit gibt, um die zu streiten sich lohnt. Wenn es lediglich darum geht, konkurrierende Interpretationen als gleichwertige Meinungen nebeneinander zu stellen oder zu vergleichen, dann dient derlei allein dazu, den aktuellen Marktwert der Meinung und den ihres Urhebers zu ermitteln. Die Warenwelt wird darin zum Geschwätz verdoppelt, zum Pluralismus der Talkshows; die Dialektik der Aufklärung wird stillgestellt, die in der Reflexion einen, wenn auch noch so schwindenden Fluchtpunkt der praktischen Negation der herrschenden Wahrheit entdecken wollte. Meinung, Wahn, Gesellschaft ist denn auch ein einschlägiger Essais Theodor W. Adornos betitelt, ein anderer Zur Theorie der Halbbildung.

Im postfaschistischen Intellektuellen bringt sich die Ware auf den selbstbewußten Punkt. Der Postintellektuelle vereingt die Heidegger, Popper, Foucault und Feyerabend – die immerhin kritikwürdige Erkenntnisse vorgelegt haben -, trotz aller ihrer Widersprüche friedlich in sich, geht es doch der Philosophie seiner Meinung nach nur um Ansätze, Thesen, Hypothesen, nicht um Synthese, schon gar nicht die objektive der kapitalisierten Gesellschaft. Was der vulgäre Verbraucher einfach nur tut, wenn er sich an der konsumierbaren Vielfalt der Welt berauscht, die als Ware bei ihm zu Gast ist, das rechtfertigt der intellektuelle Konsument als Notwendigkeit. Erhebt er doch die tatsächliche Erkenntnispraxis, die Welt als Neckermann-Katalog zu betrachten, zum Prinzip. Dabei verbirgt er dem Publikum seine Absichten keineswegs, allererst die, sich von Widerspruch, gar von Kritik weiter nicht irritieren zu lassen, denn schon auf seine eigenen Widersprüche kommt es ihm längst nicht mehr an. “Das Interesse”, sagt Marx irgendwo, “hat kein Gedächtnis”, und, so darf dogmatisch gefolgert werden, auch keines an Wahrheit. Widersprüche treiben es nicht etwa zur Philosophie, sondern, indem es sie flugs zu Aspekten der Sache erklärt, zu Ansichtssachen, zur Methodenkunde, d.h. zur Kunst, sie derart zu sortieren und zu organisieren, daß es weiter nicht auffällt. Bei Neckermanns Denkern hat Dialektik keine Bestellnummer.

Der Postintellektuelle interpretiert nur, ohne irgendeinen Anspruch auf Wahrheit; er ist der dogmatische Hermeneut, der das Vorgegebene aufseinen Sinn abhört, nicht auf seine soziale Konstitution. Und auch sein Kritiker, meint er, könne nur Exegese treiben und interpretieren, ja: die Kritik selbst sei, weil der Kritiker “standortgebunden” (Karl Mannheim), nicht auf Totalität aus, sondern auf Projektion, aufs Aublasen seines Besonderen zum Allgemeinen.. Wer dennoch auf Wahrheit besteht, der outet sich selbst als autoritärer, auf “Wesensschau” und “Essentialismus” erpichter Charakter, gar als totalitärer Stalinist..

Die Willkür der Interpretation führt, hat man nur einmal der Idee der Wahrheit den Laußpaß gegeben, dazu, die Kritik ganz willkürlich zu behandeln, sie je nach Gusto aufzugreifen oder zu ignorieren. So verlieren die Foucaultfans um Günter Jacob in ihren Repliken keinen Satz über das Verhältnis von Ideologie und Kapital, kein Wort über das von Warenform und Denkform, keine Silbe darüber, wie die Kritik die Unterscheidung von Wesen und Erscheinung trifft, kein Komma und keinen Punkt zum notwendig negativen Charakter der Wahrheit des Kapitals. Erst recht verlieren sie keinen Gedankenstrich darüber, warum die Darstellung falsch sein soll, daß es dem Nominalisten Foucault wesentlich darum zu tun ist, die Kategorien der Warenanalyse in seine eigene ‘Sprache’ zu übersetzen, mit allen daraus erwachsenden Verkürzungen und fatalen Ideologisierungen. Sie schwadronieren stattdessen über die Binsenweisheit, daß irgendwie jede Theorie anders ist als die irgendwo wiederum andere, daß “jede Theorie ihren eigenen Sound hat” hat, daß keine Rede, nur Gerede, ihren Gegenstand je erfassen kann. Und so verfahren sie nicht, um die Wirklichkeit trotz dieses nun wirklich allseits bekannten Sachverhalts begreifen zu wollen, sondern sie möchten aus einer platt auf der Hand liegenden Tatsache wie der, daß es “unterschiedliche Vokabulare” gibt und daß eine Fiktion, nur für sich betrachtet, eben auch eine Realität darstellt, den absurden Schluß ziehen, daß jeder Versuch, die prinzipiell unüberwindbare Trennung von Begriff und Gegenstand gleichwohl und trotzdem zu reflektieren, zugunsten des Neckernmann-Denkens, des Plauderns über alles und jedes endlich aufzugeben ist.

Foucault hatte noch klar und deutlich gesagt, worum es seines Erachtens jeder Interpretation allein geht: um Machtgewinn, und das heißt wohl: um die Unterwerfung des Gegners. Dies ist die ‘Wahrheit’, der sein ganzes Werk verpflichtet ist. Die ISF kann also gar nicht nicht gemeint sein, wenn etwa Seibert klagt, die Kritik verstehe unter “Dialog nur die Unterwerfung des Gegenüber unter die eigene Wahrheit” (jungle World 11/98): denn erstens gibt es bekanntlich keine eigene Wahrheit, sondern nur die Pflicht zur eigenen Meinung, zweitens gibt es keine eigene Wahrheit, sondern nur die Wahrheit als allgemeine und negative, die die Unwahrheit des Kapitals ist, und drittens ist es zweitens tatsächlich kein geringerer als Foucault, der Meisterdenker Jacobs u.a., der, in der genauen Tradition Friedrich Nietzsches, die Wahrheit einzig und allein als “Wirkung von Macht” begreifen mag. Im Gegensatz zu seinen Scholaren kann Foucault allerdings ein tragisches Bewußtsein in dieser Angelegenheit attestiert werden. Die Intellektuellen des Spektakels spüren dagegen, wie lächerlich sie sich mit Foucaults kategorischen Imperativ: “Verliebe dich nicht in die Macht”, machen würden, und also verzichten sie auf das zurTragik treibende Dilemma, mit der Macht gegen die Macht kämpfen zu müssen. Foucaults Fans widmen sich viel lieber der energischen Affirmation der spektakulären Denkmode: prêt à penser.

 

I. Die Ideologen des Diskurses

Ideologiekritik ist ein mühsames und antiquiert gescholtenes Geschäft. Aber vor allem ist sie langweilig, hat etwas buchhalterisch Kleinkariertes an sich, denn sie hat sich ohne auf intellektuelle Originalität zu schielen, auf “die Sache selbs t” einzulassen, und sie muß daher ihrem Gegner Punkt für Punkt den wirklichen Sachverhalt vorrechnen. Das ist schwierig, nicht nur der Gelduld der Leser wegen, sondern weil erst einmal Melodie und Rhythmus in einen “Sound” gebracht werden müßten, der behauptet, über jeden Gedanken ans System erhaben zu sein. Daher nur einige Kuriositäten und Fundstücke am Rande, an denen, gleichsam pars pro toto und also mikrologisch gelesen, das Denkdispostiv der Diskurstheoretiker erhellen mag, das in der eitlen Disposition übers Denken resultiert.

 

Ungenügend: Die Lehrlinge Foucaults

Man vergegenwärtige sich kurz den Ausgangspunkt der Debatte in jungle World: Das war die Frage, ob Daniel J. Goldhagen mit seinem Buch “Hitlers willige Vollstrecker” eine Darstellung des Nazismus gibt, die entscheidende, links bislang unberücksichtigte oder willentlich ignororierte, gar verdrängte Erkenntnisse vermittelt. Die Antwort von Behrendt u.a. in jw 2/98 war: ja – aber nur unter der Bedingung, daß man Goldhagen poststrukturalistisch bzw. dekonstruktivistisch interpretiert. Diese Bedingung – nicht die Antwort auf die Frage selbst, die zweifellos bejaht werden muß – führte in unserer Polemik gegen die Heideggerei unter den Linken (jw 7/98) auf die weitere Frage, ob man auf der Basis der Heideggerei überhaupt kritisch argumentieren kann. Die Antwort darauf war klipp und klar: Nein, man kann es nicht.

Darob erzürnte sich Alfred Schobert (jw 11/98). Er fühlte sich vom Freiburger ISF-Autoritärmarxismus aus der Diskussion ausgegrenzt und wollte nicht wahrhaben, daß ein Schauinsland, wenn er sich auch in der badischen Provinz erhebt, den Vorteil doch haben kann, einem den Überblick zu verschaffen und Einsichten, die nicht auf Holzwege führen. Schobert sah Foucault, Derrida und Lyotard, immerhin die zur Zeit im akademischen Zitierkartell wohl am häufigsten genannten Autoren, “aus der cité” vertrieben, und er wollte gar die Koffer packen. Zu Foucault mag man nun stehen, wie man will, aber eines muß man ihm doch lassen: er stellt dar, daß diese Gesellschaft widersprüchlich konstituiert ist. Denn da ist einerseits der Wille zum Wissen, d. h. die allseits herrschende Zwangsvorstellung, um jeden Preis rational argumentieren zu müssen und nicht zu delirieren – und da ist andererseits das Spiel um die Macht, das, wie er zeigen will, diesem “Willen zur Wahrheit” in Wirklichkeit (so viel nur zur Verweigerung der “Wesensschau” bei Foucault) zugrundeliegt. Daraus folgt: wenn Schobert seinen Foucault gelesen hat, dann muß er wissen, daß man sich diesem Spiel um die Macht, diesen “strategischen Operationen” niemals entziehen, geschweige denn daraus ausgeschlossen werden kann.

Was soll man Bedenkenträgern antworten, die Marx und Adorno durch Foucault und Derrida ersetzt haben, und die gleichwohl, den Meistern ihres Diskurses glatt zuwiderdenkend, meinen, irgendwelche Provinzmaterialisten besäßen die Macht, irgendjemand aus irgendeiner Diskussion zu vertreiben? Die ISF ist in Freiburg näher an Heidegger dran und weiß es daher besser, möchte man der Metropole zurufen, wenn man nicht genau wüßte, daß Betroffenheitsargumente nur unter den Metropolitanen legitim sind. Aber zu befürchten steht eher, daß der Pluralismus des Diskurses darin seine eigene Herrschsucht herauskehrt. War Voltaire noch für das Recht auf die falsche Meinung eingetreten, so wittern die jetzt Postintellektuellen die Gemeinheit, die, gut aufklärerisch und ironisch, im Wort von der falschen Meinung liegt, d. h. die Zumutung der aller Meinung zum Trotz objektiven, wenngleich: negativen Wahrheit.

Das Denken Foucaults reflektiert noch konsistenter und systematischer als das Derridas, Virilios und Baudrillards, gar der angelsächsischen Postmoderne auf die Beziehung eines allgemeinen und allumfassenden, also totalen Begriffs der Macht bzw. der Mächte zu seinen Bezugspunkten, zu den Ereignissen, den Tatsachen, den Wahrnehmungen, den Körpern, zu den unwiederholbaren und originären Einzelheiten, den “Haeccaitates”, wie Deleuze und Guattari eingangs von Milles Plateaux gut nominalistisch sagen. Die Weise, in der Foucault den konzeptualisiert, gibt die Form vor, in der er die Wirklichkeit denkt. Daraus folgt, daß seine Urteile, über die “Geburt des Gefängnisses” oder die “Ordnung der Dinge” etwa, stets eine Totalität reflektieren. Es soll dies sein die Totalität der Macht. Daraus wiederum folgt, streng nach den Gesetzen der Logik, daß, wenn dieser Begriff die Wirklichkeit nicht erfaßt, Foucault über irgendein Ereignis aussagen kann, was immer er möchte – seine Urteile sind beliebig; sie sind so wahr und so falsch wie das, der Mond bestünde aus grünem Käse.

Uns geht es hier und heute nicht darum, im einzelnen zu entwickeln, warum Foucault im Begriff der Macht die Wirklichkeit des Kapitals so sehr verfehlt, wie es nur Max Strirners “Einziger” getan hat. Zugestanden sei jedenfalls, daß man diese Wirklichkeit legitimerweise so interpretieren kann wie Foucault. Denn im Prinzip hat er nichts anders interpretiert als es Hobbes oder Darwin, als Nietzsche, Heidegger und Luhmann es tun – nämlich als ein Ensemble mehr oder weniger unabhängig voneinander existierender, einzelner Ereignisse oder vereinzelter Einzelner, deren Zusammenhang einzig und allein vom Kampf der Individuen (der Atome, Lebewesen etc.pp.) um das Überleben, um Machterhalt und Machtsteigerung, um die Verminderung oder um die Steigerung von Komplexität usw. bestimmt wird: struggel for life, Konkurrenz bis aufs Messer, survival of the fittest. Die Postmoderne ist eben dies: Darwins Wiederkehr in der vom Kapital gesetzten Ewigkeit des Marktes – eine Wiederkehr, die Terry Eagleton in die Worte gefaßt hat, Postmoderne sei immer dann, wenn man nicht mehr mit dem unbedingten Anspruch auf Wahrheit wissen könne, ob man einem Verhungernden das Brot gibt oder ihn an den Fußsohlen kitzelt.

Ausschlaggebend für die jungle world-Debatte allerdings ist, daß Foucaults Lehrlinge von dieser zweifelsfrei reaktionären und mit voller Absicht gegen die Aufklärung formulierten Grundlage seines Denkens überhaupt gar nichts wissen wollen – was, wohlgemerkt, nicht bedeutet, daß der Mensch Michel Foucault ein Reaktionär gewesen wäre; man lese nur seine Kritik an der maoistischen “Volksjustiz” der Gauche Prolétarienne der frühen 70er. Die Lehrlinge haben diese Grundlage verinnerlicht; sie argumentieren systematisch, konsequent und konsistent von dieser ihrer strategischen Basis aus. Aber im Unterschied zu Foucault verweigern sie sich der Zumutung, darauf auch zu reflektieren, d. h. zumindest den bereits Foucault mißlungenen Versuch zu unternehmen, die unausweichlichen Konsequenzen dennoch kritisch zu wenden. Wer A sagt, muß nicht B sagen; er kann auch erkennen, daß B falsch ist. Foucault wußte, wie falsch B ist, aber, Bürger, der er war, konnte er das A einfach nicht sein lassen. So sehr war er auf Emanzipation aus, daß er gegen sein Denken dachte; das ist seine Faszination, ist die ihm eigene Wahrheit: tragisches Bewußtsein. Seine Lehrlinge dagegen, Linksakademiker, wollen das Denken vermittels des Denkens nicht etwa in die Foucaultsche Verlegenheit bringen – sie wollen es liquidieren, d.h. sie wollen eine Theorie aus dem machen, was allemal theoretisches System war, aber verzweifelt versuchte, kein System sein zu müssen. Foucault meinte noch, daß “man zweifellos Nominalist sein muß”; seine Lehrlinge wissen mittlerweile weder, warum man müssen muß, noch, wollen sie mehr wissen, was Nominalismus tatsächlich darstellt: “bürgerliches Urgestein” (Adorno). Der Nominalismus aber ist ein Kapitalgespenst, das in jenen linken Köpfen spukt, in denen es als subversiv erachtet wird, das Besondere gegen das Allgemeine zu forcieren, statt die negative Dialektik zu kritisieren, die zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen statthat. “Das Ganze ist da s Falsche”, es ist dies die Synthese, die Form, in der sich das Besondere selbst zum Allgemeinen zusammenfaßt.

In Ignoranz dessen bleibt die Postintellektuelle dazu verurteilt, die Tradition, die sie so aktualistisch ignoriert wie spektakulär negiert, in ihrer schwarzen Seite zu wiederholen. Die Rede vom verschiedenen “Vokabular” soll sagen, daß man die pünktliche Wiederkehr des Gleichen nicht merken darf, wenn es sich anders nennt, sich ein neues Zeichen gibt und ein anderes Etikett. Historisch war derartiger Nominalismus durchaus einmal das kritische Prinzip, die subversive Denkform, in der sich das Kapital gegen die alten Mächte dachte, formierte, schließlich hegemonial zum Konsens durchsetzte. Nach dem Sieg aber ist er historisch, logisch sowieso, zum retardierenden Moment in der Dialektik der Aufklärung geworden. Ihm eignet kein emanzipatorischer Funke, auch keine List der Vernunft mehr – im Gegenteil. Im Abseits dieser Dialektik existiert der Nominalismus denn bei Foucaults Lehrlingen auch nur noch als Spiel – nicht mehr als Spiel um die Macht (z. B. über Körper), also um einen nicht-tautologischen Inhalt und daher um eine kritisierbare Bestimmung, sondern um das Spiel als Spiel um seiner selbst willen, als selbstbezüglicher Selbstzweck. Jede Emanation, jede einzelne Erscheinung in diesem Monopoli der Interpretationen beweist ihnen nur die Wahrheit der Tautologie dieses Spielens um des Spiels willens. Die Wahrheit? “Siedler von Katan”! Neues Spiel, neues Glück: Eine andere ‘Wahrheit’ als die, daß in den Diskursen (und alles ist tatsächlich Diskurs, das ist so wahr wie platt:), um nichts anderes gerungen wird als um eine möglichst günstige Ausgangsposition, um nichts anderes gekämpft wird als um diskursive Hegemonie (früher nannte man das: Rhetorik), ist den Lehrlingen unvorstellbar.

Der Vorwurf des “begriffsherrschaftlichen Absolutismus”, den Schobert erhebt und der in diskurstheoretischer Perspektive logisch folgt, ist tatsächlich so reduziert wie diese Augenhöhe selbst. Denn vorausgesetzt wird, man könne mit Begriffen überhaupt, und dann noch: absolut, herrschen.. Herrschaft ist jedoch – es muß einmal gesagt werden – das so reale wie verkehrte Verhältnis der “Herrschaft des Menschen über den Menschen”, ein Verhältnis, das sich zwar in Begriffen reflektiert, d.h. in Ideologie als objektiver Verblendung, aber keineswegs in ihnen fundiert. Würden Herrschaft und Begriff praktisch ineinander aufgehen, identisch sein, dann ließe sich die “freie Assoziation”, die Mehrheit im Bundestag vorausgesetzt, am besten durch Gesetz beschließen und einführen lassen. Stimmte Schoberts Vorwurf, dann könnte die fällige Revolution durch Politik erst simuliert, dann substituiert werden: durch Diskurspolitik, als deren Diskurspolizei Schobert bereits trainiert.

Auch Thomas Lenke (jw 11/98) hat eine reife Leistung erbracht: Ihm ist es gelungen, mit Foucault gegen Foucault zu argumentieren – leider, ohne daß er es auch bemerkt hätte. Nach 412 von Joachim Hirsch betreuten und bei Wolfgang Fritz Haug gedruckten Dissertationsseiten hätte er zu wissen, daß Foucaults Pointe, sein tragischer Trick, darin besteht, strikt zu behaupten, es läge ihm ganz fern, über eine totale allumfassende, d.h. systematische Theorie zu verfügen oder verfügen zu wollen. Foucault erklärt, kein System zu haben. Von seinen Studien spricht er stets als von “nomadischen Untersuchungen”. Gesetzt, dies träfe zu – dann müßte es objektiv unmöglich sein, den Grundgehalt des foucaultschen Denkens so darzustellen, wie Lemke es tut: als methodische Reflexion auf die Logik der “Gouvernementalität”. Nach der Lektüre des Beitrages Thomas Lemkes gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder hat Lemke den Foucault ganz falsch verstanden oder völlig richtig dargestellt. Stimmt das Letzte, woran in Freiburg kein Zweifel besteht, dann hat der Lehrling seinen Meister im Grundsatz widerlegt. Er hat Foucault als den Metaphysiker offenbart, der er ist, aber unter keinen Umständen sein will, d.h.: als einen klassischen Theoretiker, als einen Intellektuellen, der über ein konsistentes theoretisches Konzept zur Reproduktion der Wirklichkeit im Denken verfügt. Das macht: auch der Nominalismus ist Denken mit Methode, ein Anti-System mit Systemm, das auf Totalität geht.

 

Die Heideggerei und der Kultus vom Sein

Dies Denken will um jeden Preis “antihegelianisch” denken und antidealistisch, das heißt leider auch: gegen Materialismus als philosophische Kritik andenken. Die Liquidierung der im Idealismus Hegels durchgängig präsenten Negativität zugunsten einer Welterklärung, in der Kampf um Macht (vulgo: die marktförmige Konkurrenz der Individuen) zur unüberwindlichen Natur erst verdinglicht, dann ontologisiert, in der Folge: affirmiert wird, macht den Nominalismus Foucaults jenseits jeder Zitatenlese zur Heideggerei. Dabei spielt es gar keine Rolle, daß man Heidegger im einzelnen so oder so interpretieren kann – es kommt auf das Prinzip der Wirklichkeitserkenntnis an, das dieser Philosoph des Nazismus vorgelegt hat.

Wenn man Heidegger zustimmt, muß man nicht schon Heideggerianer sein; darin wiederum hat Seibert recht: (Warum man dagegen ein totalitärer Platoniker sein soll, wenn man Platon gegen die Sophisten recht gibt, wie wir es tun, verrät Seibert nicht.) So wenig, wie man ein Pythagoreer ist, wenn man die Geltung des Satzes von Pythagoras akzeptiert, oder Marxist, wenn man glaubt, im Kapital werde das Kapital kritisiert. In Frage steht anderes: wie wird man Platoniker, Pythagoreer, Heideggerianer? Offensichtlich dann, wenn man sich mit wesentlichen Aussagen dieser Philosophen identifiziert die gegen die anderer Traditionen stehen. Heideggers Zentrum ist die programmatische Behauptung, man habe auf jede Metaphysik, auf die Erkenntnis irgendeines Wesens der Sache selbst zu verzichten. Jenseits akademischer Theorievergleiche folgt daraus die bestimmte These, die so platt ist wie wahr, daß, wer sein Denken ebenfalls dieser Maxime verpflichtet, eine Menge mit Heidegger zu bekommt, mag er nun wollen oder nicht.. Diese Logik setzt sich dann erst recht ins Werk, wenn man nicht akzeptiert, daß Heideggers systematische Antimetaphysik absurd argumentiert – denn entweder hat der Mensch die Fähigkeit zur Erkenntnis (und dann ist das Erkannte, horribile dictu, nichts anderes als das Wesen der Sache), oder aber man spricht ihm die Fähigkeit zu Erkenntnis rundum ab. Das macht jede weitere Diskussion überflüssig. Wäre Heidegger als Philosoph konsequent gewesen, er hätte im Interesse seiner Sache weder Sein noch Zeit veröffentlicht.

Für die Heideggerei aufschlußreich ist nicht nur, daß sie der Erkenntnis des Wesens sich verweigert, sondern dazu, wie sie mit dem Begriff der Differenz verfährt. Differenz meint zunächst nur die Banalität, daß die Dinge oder Ereignisse getrennt existieren, als selbständige, in ihrer Individualität und “Jemeinigkeit” unwiederholbare. Im Unterschied zum naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriff unterstellt die philosophische Tradition, in der Heidegger steht, dabei nicht, daß diesen Einzelheiten ein objektiver Zusammenhang ‘von Natur aus’ immanent ist, sondern daß es stattdessen einen (tatsächlich: anthropomorphen) Willen, eine Macht oder ein ultimates “Sein” gäbe, das sich bei Heidegger im Führer so wie bei Nietzsche im Übermenschen materialisiert und zur Ek-sistenz kommt. Der Führer ist der Leithammel des Seins. Es sei dieser Wille, diese Macht, der die Einzelheiten des nur Daseienden erst in einen (durchaus ‘objektiven’) Zusammenhang hineininterpretiert, hineinzwingt durch die reine Kraft seiner unableitbar dezionistischen Gewalt. So plausibel dieses Konzept gesellschaftlicher Synthesis auf den ersten Blick scheint und sowohl affirmativ à la Heidegger als auch in dekonstruktiv à la Foucault gegen die je herrschende Macht gewendet werden kann, so wenig wird es der Wirklichkeit des Kapitals gerecht, die sich abstrakt – “hinter dem Rücken d er Produzenten” – reproduziert. Denn die Allgemeinheit des Seins wird keineswegs aus der Besonderheit des Seienden selbst generiert, sondern aus seiner abstrakten Form, aus Synthesis a priori. Sie wird gegen das Besondere diesem implantiert; eine klassische “Ableitung”, wenn auch keine aus der Wertform. Gleichwohl meinen die linken Anhänger dieser Differenzkonzeption, nur darin ließe sich das Besondere (das “Begehren”, der “Wunsch” usw. isf.) aus der Herrschaft das Allgemeinen “befreien”.

Es ist dieser Konzeption eigen- und das demonstrieren alle philosophischen Unternehmungen in dieser Tradition, die mit Schopenhauers Kantkritik beginnt -, daß im Resultat eine Einheit ontologisiert werden muß: die Macht oder das Sein, die Gerechtigkeit (Derrida) oder die Geschwindigkeit (Virilio). Im Resultat geht das Besondere also doch wieder in einem Allgemeinen auf und damit unter. Die Rettung des Besonderen schlägt um in die Rettung des Allgemeinen. Die “Einheit des Vielen ohne Zwang”, die Versöhnung, die der Materialismus der kritischen Theorie anempfiehlt, steht notwendig konträr. Anders gesagt: er votiert im Zweifelsfall zwar stets nominalistisch, für das Besondere, gegen das Allgemeine – aber seine negativ-dialektische Sache ist nicht Wahlhilfe, sondern die Konstitutionskritik der Wahl. Die Kritik zeigt, daß Gegensätze wie der von Sache und Begriff oder von Mensch und Natur unaufhebbar objektiv sind, daß daher Kategorien wie Widerspruch, Negativität, Antagonismus (d.h. eben die, gegen die Foucault seine “Antirepressionshypothese” setzte) ihr Realfundament haben. Die Kritik zeigt sodann, daß der Gegensatz doch derart versöhnt werden kann (Kommunismus), daß sich der objektive Zwangscharakter gesellschaftlicher Reproduktion nicht länger reproduziert. Das ist die Anweisung auf die Zerstörung der negativen Vermittlung (Kapital), die zwischen dem Besonderen und dem Allgemeinen besteht. Die Einheit des Vielen ohne Zwang setzt daher die Abschaffung des im Wert sich konstituierenden, im Geld sich explizierenden und im Kapital sich reproduzierenden Identitätszwanges voraus.

Spricht die Postmoderne von der “Anerkennung der Differenz”, so meint dies alles andere als Versöhnung. Ihr “ontologisches Bedürfnis” (so Adorno in der Negativen Dialektik gegen Heidegger) straft sie regelmäßig Lügen. Die Ontologien der Postmoderne, ob sie nun auf das “Seiende”, auf die “Mächte” oder die “Diskurse” hören, illustrieren den Denkzwang, der sich im Nominalismus exekutiert – seinen Umschlag ins Gegenteil, seine Selbsttransformation. Die Menschen machen mit dem Rücken nicht nur ihre Geschichte, sie denken auch damit. Es ist dieser Denkzwang, den ein strikter, ein materialistischer Begriff von Ideologie thematisiert, und in diesem Sinne war Platon der erste Ideologiekritiker. Soviel Hegelsche Logik war schon ihm geläufig: Differenz läßt sich ohne einen Begriff von Einheit nicht denken, eine Einheit, die das Differente synthetisiert. Je bewußtloser, d.h. ohne auf die Einheit zu reflektieren, von Differenz schwadroniert wird, um so schlimmer kommt es für die Differenz: sie verschwindet und wird autoritär zum Verschwinden gebracht. Das ist der Grund, warum doch ganz zu Recht, wie Alfred Schobert dann monierte, von einer “Philosophie des Nazismus im Singular” die Rede war. Es versteht sich, daß diese Philosophie praktisch außer im Kopf des Führers nur in der tätigen Gestralt seiner willigen Vollstrecker gab. Theoretisch existierte sie in Gestalt verschiedener Philosophien, was man in den philosophiekundlichen Büchern des Argument-Verlages nachlesen mag. Deren Quintessenz gab Heidegger, den Nazismus als Philosophie, und das macht ihn, vollkommen zu recht, zu dem Philosophen des Faschismus und zu dem mit den meisten Fans im Postfaschismus. In Heidegger dachte und schrieb Hitler seinen Kampf mit seiner Zeit.

Der Nazismus der heideggerschen Philosophie Heideggers liegt daher nicht vorrang im völkisch plätschernden Jargon der Eigentlichkeit, nicht “im Privileg des ‘Eigenen’ und ‘Eigentlichen’, der ‘Nähe’, des ‘Bodens’ oder bder ‘einheitsstiftenden Versammlung’”, wie Schobert sagt, sondern darin, Freiheit des Seienden radikal auszuschließen bzw. als “Seinsverfehlung” zu denunzieren. Der Mensch ist Heidegger so das blöde Schaf des Seins wie den Historikern oder den Marxisten die bewußtlose Fußnote der “Struktur”. Die Freiheit macht es, daß die Menschen sich für oder gegen die herschenden Verhältnisse entscheiden können, daß Schuld als historische Kategorie möglich ist – diese Wendung machte Goldhagens Angriff auf den postfaschistischen Common sense aus. Heidegger leugnet nicht nur die Möglichkeit von Freiheit, sondern er unternimmt das philosophisch, was der Nazismus gesellschaftspraktisch unternommen hat: das Individuum als Exemplar zu setzen – und dies im Namen einer so anonymen wie totalen, sich aus sich selbst reproduzierenden Instanz, des ganz anders als im Marxschen Sinne automatisch zu nennenden Subjekts. Heidegger erklärt das abstrakte Denken- er nennt es “Metaphysik”, Foucault das “Subjekt” – zum Generalfeind des Seins, ein Denken, das dem Antisemiten in den Juden sich verkörpert, das daher vernichtet werden muß.

Wer daher, aus welchem Grund und mit welchen Vorbehalten und Einschränkungen auch immer, auf Heidegger sich beruft, hat schon erklärt, mit der Form seines Denkens einverstanden zu sein. Diese Form, das heißt die Feindschaft gegen das wesenslogische Denken, ist bei Foucault, Derrida usw. mit der heideggerschen, – was sie im übrigen auch gar nicht abstreiten.

Nicht im Traum kämen wir daher auf die Idee, Günter Jacob u.a. oder gar Heidegger, den Vorwurf zu machen, sie seien sophistische “Zersetzer”. Unsere Polemik zielt im Gegenteil darauf, daß der Dekonstruktivismus ein falsches Versprechen gibt, wenn er behauptet, wie auch immer an der Subversion der Gesellschaft des Kapitals zu arbeiten. Der Dekonstruktivismus ist vielmehr überaus konstruktiv, indem er, das heruntermacht und niederdenkt, was diese Gesellschaft außer der Revolution am meisten haßt: die Erkenntnis ihres negativen Wesens, d.h. ihrer Wahrheit.

 

Nominalismus und Nazismus

Ob das Urteil, die Adepten der Postmoderne hätten gemäß der Logik der zu denkenden Sache – die, was gerade Foucault nie bestritten hat, stärker ist als jeder subjektive Wille -, mehr mit der Philosophie des Nazismus zu tun, als sie sich selbst je zugeben könnten, nun zutrifft oder nicht, mag der Leser selbst entscheiden, ebenso, ob es sich dabei um eine absichtliche und böswillige Verleumdung handelt und um ein haltloses Urteil. Daß die Postintellektuellen Nazis und Antisemiten seien, wurde jedenfalls nicht behauptet – obwohl es doch verwundert, daß Schobert der Auffassung ist, Derrida könne gar seiner Natur nach gar kein Antisemit sein. Derlei Argumente sind nicht nur verboten, sie ignorieren auch souverän, daß ein Lieblingsbuch Hitlers, Otto Weiningers “Geschlecht und Charakter”, allgemein als Ausdruck jüdischen Selbsthasses bewertet wird, was immer das auch sein mag. Dieses – falsche – Argument umdrehend, könnte man nun sagen, Derrida sei Heideggerianer nicht aus Erkenntnisinteresse, sondern aus Identifikation mit dem Aggressor. Wozu soll das gut sein?

Wer den Faschismus, wer Rassismus und Antisemitismus im Diskurs aufgehen läßt, zu dessen Analyse sodann, wie Jacob u.a. möchten, die Unterscheidung von Wesen und Erscheinung, von Fiktion und Realität überflüssig, gar schädlich sei, kommt natürlich zu ganz anderen Ergebnissen als der Materialismus der kritischen Theorie. Wer Begriff und Sache der Ideologie nicht wahrhaben möchte, hat im Ergebnis Antisemitismus dann für inexistent zu erklären, wenn kein solcher Diskurs mehr geführt wird. Für diesen Befund ist der Eiertanz bezeichnend, den Jacob u.a. vollführen, wenn sie die nirgends erhobene Bezichtigung Behauptung gleichwohl widerlegen wollen, sie reihten sich unter die Aus chwitzleugner ein. Der Gedanke der objektiven Latenz notwendig falschen Bewußtseins, des ungedachten Denkens, steht ihnen nicht zur Verfügung. Deshalb wußte schon Foucault in genauer Konsequenz des diskurstheoretischen Konzeptes in seinem ganzen Werk über den Nationalsozialismus nicht mehr als den Satz zu sagen, es sei dessen “Mythos vom Blut” gewesen, der sich “in das größte Massaker verwandelt habe, dessen sich die Menschen bis heute erinnern können”. Einmal abgesehen davon, daß Foucault die Qualität der Vernichtung auf die Verwirklichung einer Idee bzw. eines Diskurses und ihre Realität selbst auf Quantität reduziert – wenn die Erinnerung daran verschwindet, wird es sie dann nicht mehr gegeben haben, werden die Toten dann etwa nicht mehr tot sein? In dieser Logik liegt es schließlich, das Kapital für bloß so ein Wort zu erklären, dem keine Substanz entspricht.

Diese Konsequenzen möchte Seibert vergessen machen, wenn er behauptet, man habe “in Freiburg überlesen”, daß für Foucault die Seele keine “Illusion oder ein ideologischer Begriff” sei. Nein; man hat nicht. Foucault begreift die Seele ebenso, wie Seibert es zitiert: sie ihm die Verschränkung der Wirkungen einer bestimmten Beziehung zwischen Macht und Wissen. Sie ist so Realität, wie der Staat. Aber für Foucault gehen derlei Allgemeinheiten restlos im Begriff auf. Das exakt ist das Fatale. Ihnen eignet keine außerbegriffliche Realität. Gerade deshalb handelt es sich für Foucault bei derartigen Verallgemeinerungen um “Dispositive”, die ohne jeden Rest von “Macht” besetzt sind, sie zentralisieren und vereinheitlichen, die so dafür sorgen, daß die Macht sich verwirklichen, ihre Herrschaft über das Besondere ausüben kann. Und wieder gibt ihm der erste Blick recht, der, der dem realen Schein der Zirkulation auf den Leim geht, denn der Staat z.B. ist tatsächlich ein Gebilde, das sinnlich nicht wahrnehmbar ist.

Der Materialismus der kritischen Theorie behauptet allerdings gegen den Nominalismus, daß solche Abstraktion zwar eine nur in der Reflexion erkennbare Realität darstellt, das sie aber dennoch an und für sich existiert, objektiv ist. Existent sind sie nicht im Sinne platonischer Ideen, sondern selbstredend sind es historisch entstandene Gebilde. Daß Foucault Seele und Sexualität als zentrale Dispositive der Macht bezeichnet, läßt sich zwanglos mit der kritischen Theorie überein bringen: denn sie sind natürlich gesellschaftliche Konstruktionen. Nur: was ist eine Konstruktion, die nicht Produktion wäre, gesellschaftliches Produktionsverhältlis, das sich als Realabstraktion darstellt.

Der Staat, sagt die kritische Theorie, ist das materielle Produkt gesellschaftlicher Verhältnisse, keine diskursive Konstruktion, keine Fiktion und kein Name; die Seele ebenso. Der Unterschied zwischen Nominalismus und kritischer Theorie zeigt sich in Sache Seele augenfällig darin, daß Foucault von Freud genauso sich abgrenzt wie von Dialektik: Freud ist ihm geradezu der Hegel der Seele. In der kritischen Theorie gehen Seele und andere Realabstraktionen allerdings sowenig wie in Diskursivität in gesellschaftlicher Determination auf. Vielmehr: die kapitalisierte Gesellschaft implantiert der Seele im gleichen Zuge auch das Gegenteil solcher Bestimmung: Kontingenz. Darüber wird das Indiduum zum Subjekt. Empirisch erscheint dies als das Bewußtsein notwendiger Freiheit. Es ist das Diktat desWertgesetzes, das als sein eigener Gegensatz erscheint und nur in diesem ist.

Die Kritik denunziert dies Selbstbewußtsein. Anders als Foucault zielt sie aber nicht auf die Verleugnung dieses Gegensatzes von Freiheit und Determination, sondern sie strebt danach, diesen Widerspruch, ihn verstärkend, geradewegs so auf die Spitze zu treiben, daß er, kommunistisch materialisiert, als Bedingung realer Freiheit erkannt werden kann. Gegenstand der Kritik ist Ideologie, nicht Illusion. Foucault dagegen will an der Seele exekutieren, was die Realabstraktionen Staat und Geld zu treffen hätte:“Verflüssigung”, Abschaffung, Zerstörung. Der schon von Guy Debord gegen Strukturalismus und Nominalismus erhobene Vorwurf, das Denken wegdenken zu wollen, meint genau das: in der negativen Konzentration auf das Subjekt, das als identisches Dispositiv der Macht gilt, als der Ort, an dem sie sich vereinheitlicht, wird, in toto zum Feind erklärt, anstatt es exy negativo der Kritik als den Souverän seiner gesellschaftlichen Wirklichkeit zu konstituieren. Wie Menschen, die sich nicht als je besondere begreife, jemals das Besondere gegen die Herrschaft des Allgemeinen durchsetzen sollen, bleibt das Geheimnis der Differenztheoretiker. So kommt im Schwadronieren vom “Tod des Subjekts” der Wille zum Durchbruch, vor dem Souverän zu kapitulieren.

Wie die Seele im Kommunismus beschaffen sein wird, weiß man nicht; was man immerhin wissen kann, ist, daß sich Staat, Kapital, Geld einerseits, die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft andererseits ausschließen. Die Verwirklichung der Freiheit wiederum hat die Anerkennung der Einheit zur Voraussetzung, die im Widerspruch von Freiheit und Determination präsent ist. Der Ort dieser Anerkennung kann kein anderer sein als die je besondere geistige und Welt des je einzelnen Menschen für sich, dort also, was gemeinhin ‘Seele’ genannt wird. Und wenn man schließlich auch sonst nichts weiß, so kann doch gewußt werden, daß die Zerstörung der Seele wie die die der Sexualität nur als reaktionäres Projekt verwirklicht werden kann: denn in der Sexualität kommt, wie in jedem Bedürfnis, der Gegensatz von Mensch und Natur zum Austrag, von Subjekt und Objekt, d.h. ein Gegensatz, der im genauen Maße seines Verschwindens die Barbarei ankündigt: die Identität von Begriff und Sache ist der Tod.

Macht oder Vernunft: das ist das Zentrum, wenn es darum geht, die Wahrheit Goldhagens sich anzueignen., d. h. gegen bürgerlichen Strukturalismus oder Verführungstheorie wie gegen marxistischen Deteminismus die “Volksgemeinschaft” materialistisch anzuerkennen und den NS als geschlossenen Mordzusammenhang zu verstehen, in dem sich Befehl von oben und Wille von unten in mörderischer Spontaneität zu eben dem verbinden, was in der Bundeswehr heute noch “Auftragstaktik” heißt. Wird der Begriff und die Sache der Vernunft nicht gegen das Pseudos der nominalistischen Metaphysikkritik gesetzt (das auch in Goldhagens eigenem Konstruktivismus umgeht), wird der Zusammenhang von Freiheit und Schuld verfehlt, der, wenn nirgends sonst, im Willen zum Töten besteht.

Ob sich der “Dekonstruktivismus” der Postmoderne in irgendeiner Weise mit der kritischen Theorie zusammendenken läßt, hängt also davon ab, ob in den Diskursen ein über sie hinausweisendes, transzendierendes Moment liegt, ein Realobjekt, das Vernunft denkt. Wenn nicht, dann kann man nur Nietzsches amor fati hilfloser Nachtrab sein, d.h. der Wirklichkeit ein Schnippchen schlagen, indem man sich ihr umstandslos überläßt: ihr Sein also nicht kritisiert, sondern hypostasiert; Ernst Jünger hat das den “heroischen Realismus” genannt.

Die Entscheidung zwischen Macht und Vernunft ist – wie es eben in der Natur je für sich totaler und einander ausschließender Begriffe liegt -, nicht begründbar, schon gar nicht durch den zwanglosen Zwang besserer Argumente. Es ist eine Dezision, wenn auch keine im Sinne etwa Carl Schmitts, denn im Angesicht dieser Wahl kann keine Wahrheit mehr werden; sie folgt daraus, als Reflektion auf Evidenz. Sie kann nur das Resultat von Reflexion auf die gesellschaftliche Konstitution von Wirklichkeit sein, und darin tut sich, ganz nach dem Muster, wenn auch nicht dem Inhalt nach, wie es der Marxismus einst im Antagonismus von Lohnarbeit und Kapital dachte, eine Kluft auf, die diskursiv nicht unüberbrückbar ist. Es gehört sich einfach nicht, mit Rassisten darüber zu diskutieren, ob Schwarze auch Menschen sind – denn darauf sich überhaupt nur einzulasssen, impliziert, wie jede Diskussion, zumindest die Anerkennung der Möglichkeit, daß es auch Gründe geben könnte, die Menschheit in ihnen .zu verneinen.

 

II. Empiristen von links

Der Beitrag der Autoren von Goldhagen und die deutsche Linke, (Becker u.a.; jw 28/98) wirkt gegenüber den Auslassungen der Lehrlinge wie eine erfrischende Dusche. Kaum zu glauben, daß die positivistischen Borniertheiten des Marxismus-Leninismus derart belebend sind, liest man sie als Kontrastfolie zur Diskurstheorie.

Form und Inhalt bei Marx: kurzer Bericht über eine schwierige Dialektik

Eine der Bornierungen des ML-Marxismus war jene, partout nicht zu begreifen, daß die wesentliche Verdopplung, die die Gesellschaftlichkeit des Kapitals konstituiert, nicht im Kampf der Klassen besteht, sondern in der Verdoppelung von Inhalt und Form. In seiner Wertformanalyse zeigt Marx, daß das Kapitalverhältnis eine historisch wie logische Besonderheit insofern stiftet, als es die Dialektik von Inhalt und Form gesellschaftlich stillzustellen vermag: die Wertformanalyse widerlegt deshalb die von Marx in den vorkritischen Schriften und zum Teil noch im Kapital behauptete Geschichtsmetaphysik der Arbeit, des Wechselverhältnisses von Produktivkräften (als Inhalt) und Produktionsverhältnissen (als ihrer Form). Im Kapitalismus hat sich jeder Inhalt (der Gebrauchswert, der subjektive ‘Sinn’) in die vorgegebene Form (der Ware) einzupassen, und diese Form erscheint dem Denken als “zweite Natur”, als ontologisch, von Natur aus vorgegeben.

Dieser Grundriß war notwendig, um die Haltlosigkeit der Vorwürfe Küntzels u.a gegen die ISF, Ulrich Enderwitz Joachim Bruhn und andere verdeutlichen zu können, sie wollten “Auschwitz aus dem Wert ableiten”. Küntzel u.a. haben sich zwar vom Klassenkampfkonzept, und vielen anderen Mythen des klassischen Marxismus verabschiedet, doch mindest der Form halber ihres Denkens halten sie seinem Positivismus als “wissenschaftlichem Sozialismus” weiter die Treue. Denn um Ableitung in welcher Form auch immer – ob im Sinne einer Relation von Ursache und Wirkung, ob im Sinne eines Verhältnisses von Zweck und Mittelrelation oder einer Schematik von Basis und Überbau geht es der Formanalyse des Kapitals keinesfalls. Die Frage, ob Auschwitz ein ‘Betriebsunfall’ des Kapitals war oder seine innere Logik notwenig offenbart hat ist eine akademische Gretchenfrage, die meist wird von denen gefragt wird, die gerne an die Unschuld des Denkens glauben daher nicht wahrhaben wollen, daß auch das wissenschaftliche Denken den Gesetzen jener Logik folgt, die mit der Warenform gesetzt sind.

Wie man in eine Bierflasche durchaus andere Stoffe als ausgerechnet Bier abfüllen kann, und zwar unendlich viele, aber längst nicht alle, z. B. große Steine -, so kann alles Mögliche Warenform annehmen, aber ‘von Natur aus’längst nicht alles und zwar das nicht, was noch nicht so zugerichtet wurde, daß es warenförmig reproduzierbar wäre. Um im banalen Beispiel zu bleiben: natürlich kann man auch Steine in Bierflaschen füllen, aber dazu muß man sie zuvor erst zerkleinern. Derart konstituiert die Form Gesetzlichkeit, Zwang Notwendigkeit. Daraus folgt, wie der Zusammenhang von Freiheit und Notwendigkeit gedacht werden kann, ohne in Determinismus zu verfallen oder unbestimmt zu bleiben. Das Problem, das sich der Wertformanalyse mit der Shoah stellt, ist denn auch ein ganz anderes, als es Küntzel u.a. haben, jedenfalls keines der “Ableitung”.

Für Küntzel u.a. konstituiert die Warenform ein Denken und ein Handeln, daß der ökonomischen Relation von Zweck und Mittelrelation, dem Kalkül der Profitmaximierung verpflichtet ist. Die Shoah aber paßt nicht in diese Form, läßt sich ihr nicht subsumieren. Der Schluß, den sie denn auch konsequent ziehen, scheint unabweisbare, daß die Wirklichkeit zwar durch die Warenform bestimmt sein mag, aber darin nicht restlos und vollständig aufgeht. Weil die Shoah, wie Goldhagen zeigt, ein Verbrechen war, das der spezifisch deutsche der eliminatorische Antisemitismus verantwortet, ist jede Analyse verkürzt, unzureichend, gar verharmlosend, die allein die Vergesellschaftung durch das Kapital dafür haftbar machen möchte.

Diese Argumentation ist absolut korrekt, und sie hat dennoch einen gravierenden Fehler, denn sie verweigert ihre Konsequenzen: Das Resultat der Argumentation widerspricht ihrer Prämisse. Zwar muß, wer A gesagt hat, nicht B sagen, aber dann sollte er doch merken, daß A schon falsch war. In so einem Fall bleibt nur eins: den Konsequenzzwang abtun, d. h. in diesem Fall, die marxsche Wertformanalyse auf den Müllhaufen der Geschichte verfrachten, denn sie läßt sich mit der Wirklichkeit des Nazismus nicht überein bringen. Die Wertformanalyse kann ihren strategischen Wert für die Analyse der historischen Wirklichkeit des Kapitals tatsächlich nur behaupten, wenn sie zeigen kann, daß unter kapitalistischen Bedingungen jeder Inhalt Warenform annehmen, und das heißt, folgt man der Vorstellung, die Küntzel u.a. von der Warenanalyse haben: daß alles Denken und Handeln die Rationalität von Zweck und Mittel verkörpert. Das hat die Shoah widerlegt.

Warum dann ziehen Küntzel u.a. diese Konsequenz nicht und verabschieden Marx? Was soll eine Analys, die angetreten war, die Totalität des Kapitals theoretisch zum Zwecke ihrer Kritik zu reproduzieren, aber zum katastrophalsten Ereignis seiner Geschichte nichts zu sagen weiß? Was wollen sie noch mit Marx?

 

Linker Moralismus und Ideologiekritik

Was bezwecken sie mit der Forderung, Goldhagens Untersuchung für eine neue Analyse der Massenvernichtung zu verwenden? Genügt es nicht, zu wissen, daß es das Kollektiv der Deutschen gewesen ist, um alles zu tun, damit Deutschland im Konzert der Nationen keinen Mucks mehr macht? Was hat Goldhagen an empirischem Material vorgelegt, daß nur ein Jota an diesem kategorischen Urteil ändern oder verbessern könnte?

Bezeichnend ist, wie nicht nur die diskursnomadische Linke mit Goldhagen verfährt. Denn dessen Darstellung ist ambivalent, ist er doch bemüht, miteinander zu vereinen, was in der wissenschaftlichen Denkform unmöglich vereint werden kann: das sog. “Tatsachenurteil” mit dem sog. “Werturteil”, d. h. die objektive, durch keinen Begriff je vollständig zu erfassende Faktizität der Ereignisse einerseits, andererseits ihre Subjektivität, daß die Deutschen nämlich genau das tun wollten, was sie denn auch getan haben. Entlang dieser Spaltung differenzieren sich denn auch die gegen unsere Polemik in Sachen “Heideggerisierung der Linken” argumentierenden Fraktionen in der jungle world-Debatte. Die Fraktion Jacob reduziert die Faktizität: alles soll eine Frage der subjektiven Konstitution, der politischen Haltung, der Interpretation sein. Die Fraktion Küntzel macht es andersherum verkehrt: sie nimmt sich den Wissenschaftler Goldhagen und schneidet die Subjektivität ab. Küntzel u.a. wollen, indem sie das typisch Deutsche zu ermitteln suchen, die nur moralisch zu wertende Entscheidung etwa eines postfaschistischen Deutschen, sich im Bekenntnis zur Nation bewußt in die Tradition der Mörder zu stellen, szientistisch so rationalisieren, daß die real existierende, individuelle Freiheit, sich für oder gegen die Volksgemeinschaft entscheiden zu können, in kategorialen Verallgemeinerungen untergehen muß. Sie wollen die Freiheit “ableiten”.

Würde sich die Fraktion Küntzel zu der Moral offen bekennen, aus der sie ihre nur allzu berechtigte Kritik an den linken Deutschen ableitet, ginge der Rest in Ordnung. Aber das will man nicht, denn man ist sich, scheint es, der Moralität dieser Moral so sicher nicht. Um sie verallgemeinerungsfähig werden zu lassen und zu objektivieren, muß Theorie her – in ihrer wissenschaftlichen, positiv erklärenden, rationalen Form. Deshalb soll Marx Goldhagen implantiert werden. Küntzerl u. a. fragen: “Wie kann die Kritik der politischen Ökonomie mit der von Goldhagen gelieferten Empirie synthetisiert werden, ohne daß die Theorie der Empirie in den Rücken fällt?” – ohne zu berücksichtigen, daß, nach Marx, keine Empirie ohne die jedweder Wahrnehmung schon eigene Warenförmigkeit zu haben ist. Denn als Kritik kann sich die marxsche Theorie ja nur deshalb ausgeben, weil sie als Ideologiekritik unmittelbar Erkenntniskritik ist. Das unterscheidet Ideologiekritik von szientistischer Theorie, daß sie wissen kann, daß Moral, wenn sie denn die Evidenz der Wahrheit praktisch macht, keiner theoretischen Krücken bedarf. Die theoretische Begründung eines Tabus ist schon sein Bruch.

 

Verdopplung und Identität: die Deutschwerdung des Menschen

Der Fehler liegt darin, den Zusammenhang von Warenform und Denkform zu verkennen. Marx analysiert die Warenform ja nicht als eine rationale und vernünfte Veranstaltung – im Gegenteil: Die Ware ist “sinnlich-übersinnlich”, hat ihre “theologischen Mucken” usw. usf. Mit der Ware wird eine Logik installiert, die eine “dialektische Logik” darstellt, die einerseits der Identitätslogik der wissenschaftlichen Denkform zuwiderläuft, diese Denkform andererseits aber konstituiert. Ideologie bestimmt sich daher als Zwang zur Rationalisierung des objektiv Irrationalen, als das korrekte Denken im falschen Bewußtsein, das die praktische Notwendigkeit kapitaler Vergesellschaftung theoretisiert, die kontingenten Einzeldinge in die Warenform zu pressen. Das ist der Zweck und das Wesen der Zweckrationalität. In ihrem Kern west ihr Gegenteil als ihre eigene Existenzbedingung: die Aufhebung jeder Rationalität, die Zerstörung jeder Vernunft – bis dahin, daß die Menschen im rationalen Wahn der Identität so energisch der Ware sich assimilieren, daß Identität ihr Wesen offenbart, den Tod, den Willen, zu töten.

Das Einerseits und das Andererseits, das Rationale und das Irrationale, das Kapital und Deutschland sind eines im realen Prozeß der Vergesellschaftung. Ein Vermittlungsproblem, zu dessen Lösung Goldhagen sei’s via Küntzel, sei’s via Jacob beitzutragen hätte, besteht daher allseits nicht. Denn der reale Schein der Wahlfreiheit zwischen Waren sowie das Selbstbewußtseinder Freiheit einerseits, das den Subjekten daraus erwächst, und die von den empirischen Individuen abgespaltene Synthesis ihrer atomisierten Existenz zur totalen Gesellschaft andererseits durch die kapitalproduktive Verwandlung konkreter Arbeit in Wert sind unmittelbar identisch. Nur daher kann Marx im Kapital in scheinbar paradoxer Wendung überhaupt von einem “unmittelbar Allgemeinen” sprechen oder von “konkreter Allgemeinheit”, etwa der Geldform als dinglich erscheinender rationalisierter Irrationalität. Unter der Form des Subjekts ist das Individuum frei und gleich, als ein Besonderer der Allgemeine. Seine Praxis ist schon die Synthesis, aber sie gilt ihm als das Äußerliche der Gesellschaft, mit dem es sich zu vermitteln hätte, als Abstraktion. Was Goldhagen uns, wenn auch in positivistischer Manier, erklärt, das ist, daß diese Vermittlung aus dem freien Willen geleistet wird und geleistet werden muß, als Vermittlung durch Mord, sei’s spontaneistisch und geradezu basisdemokratisch, sei’s bürokratisch von Staats wegen. Tatsächlich gehören der Wille zum Töten und der Zwang dazu so sehr zusammen, so wenig eine Münze, die vorn eine Zahl trägt, mit ihrer Rückseite, die den nationalen Souverän vorzeigt, mit sich selbst im Widerspruch wäre.

Man kann bestreiten, ob es einer so gefaßten Wertformanalyse möglich ist, die Unbegreifbarkeit der Shoah zu rekonstruieren. Das setzt aber die Bereitschaft voraus, zu verstehen, worum es dieser Analyse in bewußtem Unterschied zum wissenschaftlichen und identitätslogischen Denken geht. Küntzel u.a. scheinen dies Interesse nicht zu haben; nur deshalb können sie auch den Vorwurf erheben, vermittels der Wertformanalyse sei nimmer zu erklären, warum Auschwitz von den Deutschen organisiert wurde, nicht von Texanern. Denn nicht die durchaus akademische Frage nach Zufall oder Notwendigkeit, nicht die nach dem Grund, warum ein Ereignis so und nicht anders, ist Thema. sondern die Frage danach, wie das Kapital das antinomische Verhältnis von Zufall und Notwendigkeit, Freiheit und Determination organisiert. Denn, so heißt es darüber in Adornos Negativer Dialektik, “das Subjekt braucht nur die ihm unausweichliche Alternative von Freiheit oder Unfreiheit des Willens zu stellen und ist schon verloren. Jede drastische These ist falsch. Im Innersten koinzidieren die von Determinismus und die der Freiheit. Beide proklamieren Identität.”

Trennmarker