“Davor haben sie eine instinktive Abzirkelung …”

“Davor haben sie eine instinktive Abzirkelung …”

Alfred Sohn-Rethels Rezeption im ‘Neomarxismus’

Manfred Dahlmann

Wohl kaum jemand dürfte der Feststellung widersprechen wollen, daß es seit den 1970er Jahren keinen Text aus dem Umfeld der nicht-staatssozialistischen Marxrezeption gibt, der nicht zumindest in einer Fußnote auf Alfred Sohn-Rethels Erkenntniskritik Bezug nimmt. Ebenso ohne jeden weiteren Nachweis darf als gegeben unterstellt werden, daß, bis auf wenige Ausnahmen, das Gesamturteil dieser Marxisten lautet: “Sohn-Rethel spinnt” – auch wenn die meisten sich etwas höflicher ausdrücken als Walter Benjamin. So pauschal dieser Befund sein mag, so zeigt sich in ihm doch schon ohne weiteres, daß für die im Benjaminschen Sinne Urteilenden auch etwas ,dran’ sein muß an Sohn-Rethels Gedanken. Würde doch ansonsten diese Lesart der Kritik der politischen Ökonomie, für die hier der gleichfalls in den 1970er Jahren geprägte Terminus “Neomarxismus” stehen soll, und der gemäß Marx nicht als Legitimationsideologe, sondern als kritischer Theoretiker begriffen wird, mit Sohn-Rethel so umgehen, wie der selige Staatssozialismus einst und der akademische Mainstream sowieso es schon immer taten: nämlich dessen Schriften einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Betrachtet man diese Bezugnahmen neomarxistischer Autoren auf Sohn-Rethel inhaltlich, dürfte jedem Unvoreingenommen sofort auffallen, daß hier ein Autor vom anderen abgeschrieben zu haben scheint. Denn im Prinzip sagen alle dasselbe, nämlich: Insofern Sohn-Rethel die Tausch- und nicht die Arbeitsabstraktion zum nexum rerum gesellschaftlicher Synthesis erhebe, verlasse er die von Marxens Kritik der politischen Ökonomie vorgegebenen Grundlagen und wandele, bestenfalls, auf Habermasschen Abwegen.

Auf den Inhalt dieser Kritiken ist hier schon deshalb nicht einzugehen, weil sie allesamt sich – wieder: als ob sie es abgesprochen hätten – weigern, Sohn-Rethels Grundgedanken überhaupt zu erfassen. Zwar geben sie die Problematik einzelner Aspekte dieses Gedankens durchaus treffend wieder (etwa das in jeder Hinsicht äußerst fragwürdige Loblied Sohn-Rethels auf eine von ihm so genannte “Produktionsgesellschaftaft”, aber sie erreichen die Ebene gar nicht erst, von der aus Sohn-Rethel argumentiert. [1] Es geht dabei um den schon erwähnten Umstand, daß in diesen Kreisen trotz der vehementen Kritik, die nicht ein gutes Haar an den Gedanken Sohn-Rethels läßt [2] , dennoch alle Kritiker gleichermaßen sich bemüßigt fühlen, sich von ihm ausdrücklich auch noch distanzieren zu müssen. Es muß demnach etwas geben, das diese Neomarxisten auch in ihrer Ablehnung noch fasziniert, etwas, das sie zur Befassung mit diesem Mann gleichzeitig reizt und abstößt – sonst wäre die allgemein verbreitete Erwähnung eines nicht nur in ihren Augen, sondern ja auch tatsächlich vollkommen einflußlosen Theoretikers kaum nachzuvollziehen. [3]

In gewisser Hinsicht läßt sich diese Faszination natürlich darauf zurückführen, daß Sohn-Rethel der erste Marxist war, der sich an zentraler Stelle mit der Frage auseinandersetzte, woher eigentlich die Naturwissenschaften, und insbesondere die Mathematik, ihre allgemeine Geltung beziehen. Dies macht ihn zu so etwas wie einem Unikum im marxistischen Theoriebetrieb, denn der Geltungsanspruch allgemeingültiger Gesetze ist für Marxisten normalerweise überhaupt kein Problem: Technik und Technologie gelten wie Geld und Staat als bloße Instrumente im Klassenkampf. Wer die Macht hat (oder die “Hegemonie”, nach Gramsci), nutzt die Wissenschaften (und sonstigen Institutionen) für sich v so einfach ist das im wissenschaftlichen Sozialismus. Georg Lukacs jedoch, auf dessen Aufsätze zu Geschichte und Klassenbewußtsein im Grunde alle theoretischen Diskussionen unter Neomarxisten sich in irgendeiner Form beziehen [4] , hatte die Problematik als solche zumindest klar erkannt: Wenn die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie Hegel tatsächlich “vom Kopf auf die Füße” gestellt haben soll, dann vertritt sie jedenfalls, in Fortführung der “dialektischen Methode”, einen Totalitätsanspruch, das heißt, sie muß die Frage nach der Geltung von Urteilen aus ihren eigenen Grundlagen beantworten können; was wiederum heißt: sie darf diese Antwort nicht einer ,wertneutralen’ Logik oder Wissenschaft, die ihre Geltungsgründe aus einer außerhalb dieser Kritik angesiedelten Instanz bezieht (Logik, Denkgesetze, Anthropologie etc.), überlassen. Oder anders, in freier Wiedergabe einer Formulierung Sohn-Rethels: Wenn es dem Marxismus nicht gelingt, der scheinbaren Geschichtsenthobenheit der bürgerlichen Wahrheitstheorien den Boden zu entziehen, dann ist die Abdankung des Marxismus eine bloße Frage der Zeit. [5]

Doch Sohn-Rethels weit über Lukacs hinausgehender Versuch, die Grundlagen der allgemeinen, angeblich ahistorischen Geltung von Naturgesetzen in das hineinzuverlegen, was er die “Tauschhandlung” nennt – und die zweifellos ihre Geschichte hat -, nötigte diesen westlichen Marxisten (wie sie auch genannt werden) bestenfalls den Respekt ab, dem auch wieder Walter Benjamin den treffenden Ausdruck gegeben hat: “Wäre ja schön, wenn er recht hätte!” Es bleibt somit zu klären, warum keiner dieser Neomarxisten sich bisher bereit fand, sich auf Sohn-Rethels Grundgedanken so einzulassen, daß ein dessen Inhalt entsprechendes Urteil möglich wird.

I.

Zäumen wir dazu das Pferd von seiner anderen Seite her auf, und zwar von
der, die doch eigentlich zur handwerklichen Grundausstattung eines jeden Kritikers gehören sollte. Unterstellen wir einfach, und sei es ,spaßeshalber’, dieser Sohn-Rethel hätte mit seiner Grundaussage, entgegen Benjamins Einschätzung, einfach recht, und zeichnen deren Konsequenzen gedanklich nach, um so, quasi im Rückblick dann, beurteilen zu können, was von dem Ausgangspunkt zu halten ist. [6]

So formuliert beginnt es jedoch schon, äußerst verwickelt zu werden. Denn der Grundgedanke Sohn-Rethels ist für sich sprachlich kaum zu fassen – und einer Definition (wie etwa das System, oder das Zeichen in der Semiotik) sowieso nicht zugänglich. Im Grunde wurde er oben schon formuliert, doch wohl kaum einem wird dort etwas von der philosophisch nur als revolutionär zu bezeichnenden Brisanz aufgefallen sein, die diesem Gedanken eigen ist. Es geht in ihm jedenfalls um die Beziehung, genauer: die Identität von naturwissenschaftlichem Denken und Warenform. [7]

Zu fragen wäre somit als erstes: Was heißt hier “Identität”? Daß (natur-) wissenschaftliches Denken und Warenform in dem Sinne ,identisch’ seien, daß sie (ihrem Wesen nach) dasselbe wären, kann doch wohl kaum gemeint sein. Denn das wäre absurd -denkt man .unwillkürlich. Doch: genau das will Sohn-Rethel uns mitteilen. Genau das also, was wir instinktiv als absurd von uns weisen, ist es, was jede seiner Formulierungen in all seinen erkenntniskritischen Schriften uns nahe bringen will. Dabei geht es natürlich nicht nur um diese angebliche, ihre genetische Konstitution betreffende Identität von Warenform und naturwissenschaftlichem Gesetz -sondern darüber hinaus um unendlich viele mögliche Fassungen des im Kern jedoch immer gleichen Problems, das man, Hegelsch, auch so formulieren könnte: Wie ist es möglich, zwei Bereiche, die nur getrennt voneinander existieren (hier Wissenschaft, dort Ware; hier Erkennen, dort Natur; hier Subjekt, dort Objekt; hier Zufall, dort Notwendigkeit; hier Sein, dort Nichts usw.), doch so zu fassen, daß in ihnen das Moment aufgefunden werden kann, durch das hindurch sich das eine als das andere zu erschließen ver mag.

Kurz: es geht um das von Kant zwar alles andere als zum ersten Mal, aber erstmals in einer auf spezifisch kapitalistische Weise gelöste Problem der Bestimmung der Synthesis allen Mannigfaltigen, und, das ist wichtig: sei es untereinander noch so gegensätzlich. Wenn man von Kant auch nichts weiß, soviel weiß man eigentlich dann doch: er verlegt diese Synthesis (die vor ihm, wie heute noch etwa in den islamistischen Ländern, nahezu alle in Gott verlegen mußten, wenn sie nicht um ihren Kopf gekürzt werden wollten) in ein Konstrukt, also in das berühmt-berüchtigte Transzendentalsubjekt. Hegel nennt diese Konstruktion dann, aus äußerst gewichtigen Gründen, anders, nämlich Weltgeist, und Marx findet diese Synthesis in – ja wo eigentlich? In der Arbeit? Oder im Wert, also im Tausch? Jedenfalls sind wir jetzt mitten in der Auseinandersetzung der Neomarxisten mit Sohn-Rethel.

Nochmals: es geht um die Synthesis, das heißt die Einheit (das ,Identische’), aus dem heraus jede Differenz als Differentes überhaupt erst bestimmt werden kann. Es geht um die Einheit aller irgend möglichen Denkbestimmungen. Diese Einheit nun soll, wie alle Marxisten meinen (ob auch Marx, wäre noch die Frage), Arbeit stiften können? Wie soll man sich das ,konkret’ vorstellen? Ist Arbeit, noch bevor dieser Begriff etwas zu bezeichnen vermöchte, das im weitesten Sinne mit Tätigkeit zu tun haben könnte, von seinem inneren Charakter her nicht eine reine Denkbestimmung? Ist Arbeit, gleichgültig, was man darunter auch verstehen mag, auf jeden Fall nicht erst einmal ein verallgemeinernder, das heißt abstrakter Begriff, ganz im Hegeischen Sinne einer, Arbeit’ am Begriff, das heißt im Sinne einer Erzeugung der Welt aus der Selbstbewußtwerdung des Geistes in der Auseinandersetzung mit seiner (und der) Natur?

Spätestens an dieser Stelle wird jeder Neomarxist einwerfen: uns als Materialisten geht es zunächst nicht um Denkbestimmungen, sondern darum, diese Bestimmungen als Ausdruck der Gesellschaftlichkeit von Arbeit auszuweisen. Synthesis könne, materialistisch verstanden, nur bedeuten, daß die damit bezeichnete Einheit des Denkens und Handelns der Individuen in ihrem innersten Wesen von der gesellschaftlichen Arbeit – die Marx die abstrakte nennt – gestiftet werde. Wir sind jetzt also, statt wie weiter oben allein bei der Arbeit, bei ihrer Gesellschaftlichkeit angelangt: Bringt uns das wirklich weiter? Denn was ist Gesellschaft’ vor allem anderen Anderes als eine hochabstrakte, verallgemeinernde Denkbestimmung, der in der Realität nichts Empirisches auch nur annähernd entspricht? Demgegenüber wäre sogar der direkte Verweis auf Arbeit realitätshaltiger – läßt diese sich doch zumindest als Tätigkeit von Individuen an diesen ,konkret’ beobachten. Gesellschaftlichkeit hat demgegenüber, bisher wenigstens [8] , noch keiner direkt beobachten können, ebenso wenig wie Göttlichkeit. Auf derart transzendente Begriffe [9] kann nur induktiv, also vermittelt über empirische Indizien, geschlossen werden. Wer aber ist es, der da per Indizienbeweis gesellschaftliche Realität, die Wirklichkeit der Gesellschaft also, erschließt? Kurz: um wen anderes kann es sich dabei handeln als den individuellen Verstand – so sehr er auch allen menschlichen Wesen gemeinsam sein mag – ganz im Kantschen Sinne? Womit wir wieder am Anfang dieser, zugegebenermaßen bisher fruchtlos erscheinenden Erörterungen wären.

II.

Solche Kreisbewegungen sind den Philosophen natürlich seit je bestens bekannt. Fatalerweise gilt uneingeschränkt: all die von Philosophen bisher vorgeschlagenen Lösungen, dem infiniten Regreß zu entgehen, oder für das Problem, daß man den Grund, der etwas zum Gegenstand für das Erkennen werden läßt, nicht selbst zum Gegenstand werden lassen kann (und was es da an kuriosen ,Antinomien’ mehr noch alles geben mag), gingen in die Irre: bis auf eine, so möchte ich behaupten, bisher kaum beachtete Lösung – und genau diese ist die von Sohn-Rethel vorgeschlagene.

Nochmals, und die Wiederholung gerät hier durchaus zu so etwas wie einem didaktischen Prinzip, das aber bei diesem Thema kaum zu vermeiden ist: Es geht darum, wie die Einheit zu fassen ist, aus der heraus das Einzelne, das Besondere (etwa das Individuum) sich als solche Einzelheit, als solche Besonderheit nicht nur zu erkennen, sondern geradezu erst als solche zu bezeichnen vermag. Und zwar derart, daß die meisten vom Individuum gewählten Bezeichnungen nicht rein willkürlich erfolgen, sondern so, daß andere Individuen diese – wenn auch nicht ,genau’ so (denn dann handelte es sich bei den bezeichneten Sachverhalten um allgemeine, nicht um einzelne), aber doch als einander (in Form und Inhalt) hinreichend ähnlich auffassen, so daß die Welten dieser Individuen (quasi) gegeneinander durchlässig werden [10] , das heißt umgangssprachlich: so, daß diese Individuen sich verstehen können.

Jeder (Neo-) Marxist winkt hier sofort wieder ab. Solche kommunikationstheoretischen Erwägungen gehörten, bestenfalls, in die Systemtheorie oder Semiotik, jedenfalls beruhten sie auf idealistischen Voraussetzungen. Als Marxisten gingen sie jedenfalls davon aus, daß… Der Kreis wiederholt sich erneut. Instinktiv zirkeln sich diese Marxisten von der, jedem unbefangenen Denken aber kaum von der Hand zu weisenden Vorstellung ab, daß Synthesis woanders als im Denken unmöglich gefunden werden kann. Doch das, so diese Neomarxisten, sei nun einmal Idealismus per definitionem. (Womit sie vielleicht sogar recht haben!)

Nun kommt einer wie Sohn-Rethel und macht folgenden Vorschlag zur Güte: geben wir doch zunächst unumwunden einfach zu, daß die Synthesis des Mannigfaltigen, also das Transzendentalsubjekt von Kant ebenso wie der Weltgeist Hegels, tatsächlich und unüberschreitbar im Denken allein begründet liegt. Schließlich findet ja auch, um von hier direkt zu Marx zu springen, der tatsächliche Austausch von Waren erst statt, wenn die objektiven Preisbestimmungen (aufbauend auf den für die Produktion erforderlichen Vorschüssen zuzüglich einer ,angemessenen’, am Durchschnitt orientierten Profitrate) mit den subjektiven, am individuellen Nutzen orientierten, überein gehen. Die Existenz und die Notwendigkeit eines derartigen Zusammenspiels von Angebot und Nachfrage (oder subjektiven und objektiven Bestimmungen) wird denn ja auch von Marx nicht bestritten. (Bestritten wird von ihm ,nur’, daß sich aufgrund von Angebot und Nachfrage der ,wirkliche’ Wert der Waren ermitteln ließe, also der Punkt, um den die Marktpreise ,oszillieren’: aber das ist ein anderes Thema.)

Wenn wir nun das Hauptwerk von Marx aufschlagen und die ersten Seiten durchblättern, dann finden wir dort an zentraler Stelle den Begriff des Werts, nämlich dort, wo es um die Einheit von etwas Verschiedenem geht: Rock und Leinwand sind prinzipiell verschiedene Dinge, die aber im Wert (und nicht im Stoff!) ihre Einheit, das heißt ihre Synthesis finden (eine durchaus sehr spezifische, nämlich eine, in der logisch schon das Geld enthalten ist, aber das ist wieder ein anderes Thema). Klar, Marx geht nun unmittelbar (zu unmittelbar – sagt Sohn-Rethel) zur näheren Bestimmung dieses Werts über: dessen Substanz bestimme sich durch die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige, abstrakte Arbeit, die zur Produktion der Ware verausgabt wird. Dagegen ist nichts einzuwenden. Aber in unserem Zusammenhang zu klären wäre: worin liegt eigentlich der Materialismus des (Ausgangs-) Begriffes Wert? Seine materiale Substanz erhält er durch Arbeit – aber als Begriff kann der Wert in dieser Substanz keinesfalls vollständig aufgehen. Denn dann wäre er für die Darstellung überflüssig – wäre bestenfalls Akzidenz [11] . Vor allem: das ,Vermögen’ des Werts, Verschiedenes als gleich zu setzen [12] , fiele, wenn allein Arbeit (wie verstanden auch immer) das den Wert ausgestaltende Bestimmende sein soll, vollkommen unter den Tisch. Was immer auch Arbeit alles leisten kann – eines kann ihr im Prinzip nicht gelingen: nämlich die Denkbestimmungen zu generieren, die das eine Besondere vom anderen, und alles Besondere zusammen wieder vom Allgemeinen (und der in ihm gebildeten Einheit) unterscheiden könnte. Das vermag nun einmal Denken allein. [13]

Hätte Marx dagegen seinen Arbeitsbegriff in der Weise der Neomarxisten (also nicht nur als Substanz des Werts, sondern auch als konstitutiven Bestimmungsgrund der kategorialen Erfassung der Welt) verstanden, als er den Wert an zentraler Stelle in seine Darstellung integrierte, dann wäre seine Argumentation philosophisch und logisch alles andere als überzeugend: Auf der Ebene des Werts – mag dieser auch noch so sehr als bloßes “Oberflächenphänomen” gefaßt sein [14] – wäre Marx Idealist (denn ,Wert’, im Sinne von Nutzen etc., hat alles immer nur in Bezug auf ein Subjekt), und nur auf der Ebene der Produktion – die natürlich zentral, aber auf keinen Fall dasselbe ist wie die Zirkulation (denn: das eine ist ohne das andere nicht zu haben) -wäre Marx Materialist (denn hier wird in der Tat die ,Objektivität’ des Werts material-empirisch erzeugt).

Um hier dem Übervater Marx aus der ,Patsche zu helfen’, wird von den Neomarxisten folgendermaßen argumentiert: Auf der Zirkulationsebene ist das Denken der Individuen, ist das, was sie als ihren Nutzen interpretieren, als Ideologie zu betrachten, die ihren Grund, die Produktionsebene, das heißt die (gesellschaftliche) Arbeit, nicht erreicht. [15] Der Marxist hingegen durchschaut diese Ideologie als solche, er erreicht in seinem Denken deren Grund und zeichnet nach, daß es, gegen den Oberflächenschein, in Wirklichkeit die (gesellschaftliche, abstrakte) Arbeit ist, die unsere Welt, unser Handeln, und unser Denken erst recht, konstituiert. Die gesellschaftliche Arbeit wird somit, wenn auch natürlich erst im Kapitalismus, zum Ort der Synthese des individuell Besonderen in einem historisch spezifischen Allgemeinen. Sie, die Gesellschaftlichkeit der Arbeit, sei das (als Transzendentalsubjekt von Kant oder als Weltgeist von Hegel oder als Macht von Nietzsche oder als Sein von Heidegger vollkommen mißverstandene) wahre Subjekt der (natürlich auf den Kapitalismus begrenzten) Geschichte. – Wie aber, dumm gefragt, kommt Marx nun dazu, das Kapital [16] als das automatische Subjekt dieser Geschichte zu bezeichnen, und gerade nicht die Arbeit? [17]

Arbeit zum Subjekt (der Geschichte) des Kapitals zu machen ist so sinnig wie Gott diese Rolle für die Geschichte insgesamt zuzuschanzen. Nämlich unsinnig. [18] Und ist ebenso idealistisch wie nur noch die Behauptung, der Wert stelle ein solches Subjekt vor – solange man den Wert als Wert an sich begreift. Wenn man aber zeigen kann, daß das Denken dieses Werts (in all seiner Subjektivität wohlgemerkt) einen historischen, das heißt in Zeit und Raum zu beobachtenden, und demnach empirisch nachzuweisenden Vorgang zur Voraussetzung hat, eine Handlung gar, in der sich erst konstituiert, was Wert seinem Begriff nach ist: der sich selbst gleichbleibende Ausdruck zu einem bestimmten Augenblick; der berühmte Punkt ohne Ausdehnung, der allen Dingen vom Prinzip her unterstellt werden kann: so daß schließlich alles mit allem verglichen werden kann, sofern es erst einmal in Ort und Zeit identifiziert ist – dann wäre dieses Denken (auch und gerade in seiner Subjektivität) ohne jeden Zweifel als objektiv-allgemein materialisiert zu betrachten, gleich, was immer man auch sonst unter Materialismus verstehen mag.

Wenn nun gar noch gezeigt werden kann, daß dieser, einer konkreten, jederzeit empirisch beobachtbaren Handlung entspringende, und dennoch nur rein im ,Geiste’ existieren könnende Punkt (so sehr er auch einer Praxis, also dem Gegenteil des Denkens entspringt), sich in einem konkreten Gegenstand, der Münze, empirisch materialiter fixiert, so daß dieser Gegenstand in sich das (objektiv jedem Subjekt identische),Geistige’ quasi-physisch aufbewahrt, dann, sollte man meinen, müßten Theoretiker, die Materialisten und Marxisten sein wollen, sehr, sehr hellhörig werden. Werden sie auch. Um in der Folge aber, wie gezeigt, das Fallbeil zu schwingen und loszulassen: “Sohn-Rethel spinnt.” Sie behaupten erneut: einzig in Arbeit sei gesellschaftliche Synthesis aufzufinden. Alles andere sei Habermas. Oder sowieso Idealismus. Und wir hier könnten nach diesem Befund wieder mal von vorn anfangen.

III.

Bei diesen Marxisten handelt es sich natürlich nicht um ignorante Besserwisser, die ungeachtet der Sachlage auf ihrem Standpunkt einzig aus Prinzipienreiterei beharren würden. Was aber bringt sie dazu, gar nicht erst zur Kenntnis zu nehmen, daß Sohn Rethel ein, wenn nicht das Problem ihres Denkens gelöst haben dürfte, nämlich angeben zu können, worin tatsächlich der Materialismus im Marxschen Kapitalismusbegriff zu finden ist, sondern dagegen dazu, sich auf Sohn-Rethels Texte zu stürzen, jeden Satz einzeln herauszugreifen und so lange zu drehen und zu wenden, bis sie ihr Verdikt: unmaterialistisch und unmarxistisch, loswerden können?

Um dies ,verstehen’ zu können, ist ein kurzer Blick auf den Titel von Sohn-Rethels Hauptwerk hilfreich: Geistige und körperliche Arbeit. Schon die wenigen Bemerkungen, die ich zu seinem Grundgedanken bisher ausgeführt habe, lassen erkennen, was er unter geistiger Arbeit, also dem, was die Intellektuellen in dieser Gesellschaft leisten, versteht [19] : nämlich eine aus innerer, nicht zu überwindender Notwendigkeit heraus an den Kauf und Verkauf von Waren gebundene Tätigkeit. (Auch und gerade wenn während dieser Denktätigkeit Tausch als solcher aktuell gar nicht stattfindet.) Vorbei ist damit ein jeder, wie auch immer begründete Anspruch auf Überschreitung der gegebenen Verhältnisse – und sei es nur im eigenen Denken. Vorbei vor allem ist es nun mit einem wie auch immer formulierten Verweis auf idealere Zustände, vor deren Hintergrund sich die Gegenwart als ,schlecht’ (oder ,gut’) beurteilen ließe – diese Verweise sind allesamt, da vom kapitalistischen Subjekt (nämlich: mir selbst) formuliert, in sich von vornherein nichts anderes als Fortschreibungen der existierenden, das heißt auf Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft zurückgehenden Verhältnisse.

Wo das Denken Identität außerhalb des Tausches (auch und gerade als Ich-Identität) gar nicht vorfindet, da sie dort keinerlei Konstanz, keine Dauer und damit auch keine Wirklichkeit haben könnte (es sei denn, es gelänge, eine neue Religion zu stiften), und dies erst recht für Mathematik und Logik gilt [20] , dort gibt es ein Denken nicht, das, wie auch immer, über irgendeiner Sache stehen, sich in Distanz zu ihr selbst begeben könnte, um so das zu tun, wofür die geistige Arbeit sich jedoch prädestiniert hält und wofür sie auch bezahlt wird: nämlich Urteile zu fällen. Und, diese Selbstverständlichkeit am Rande, um nicht falsche Assoziationen zu wecken: natürlich erhebt auch und gerade das Urteil, es gebe keine allgemeine Wahrheit, einen allgemeinen Wahrheitsanspruch, nur in ideologischer, wenn nicht gar heuchlerischer Weise. Urteilen ohne allgemeinen Geltungsanspruch ist ein Widerspruch in sich. [21]

Instinktiv erkennt die geistige Arbeit der Neomarxisten in Sohn-Rethels Grundgedanken ihre unhintergehbare Verflochtenheit in das kapitalistische Allgemeine, in dessen ,Identität’. Weil sie diese Erkenntnis (zugegeben sei: durchaus unbewußt, als verdrängte) von sich fernhalten, zirkeln sich auch Intellektuelle, die Materia listen sein wollen, instinktiv gegenüber Sohn-Rethel ab; deshalb ihr Versuch, diese sich anbahnende Infragestellung ihrer Selbstgewißheit zu bannen, indem sie den Fluch über den Boten aussprechen. Darum die Befassung mit Sohn-Rethel – allerdings allein mit dem Ziel, sich gerade nicht mit seinem Grundgedanken identifizieren zu müssen, der einem vor Augen stellen würde, daß alles, was man macht und ganz besonders: was man denkt, egal wie man es macht und denkt, den Wert, das Geld und das Kapital zur notwendigen Voraussetzung hat – und deren Reproduktion zum Resultat.

Daraus nun den Schluß zu ziehen, wie etwa Jochen Hörisch – den einzigen Akademiker, der sich meines Wissens tatsächlich auf den Gedanken Sohn-Rethels eingelassen hat -, man müsse nun zum glühenden Verfechter der westlichen Zivilisation und des Kapitals (in seiner neoliberalen Variante auch noch) werden, weil als Alternative nur der Rückfall in die, das Ich-Bewußtsein zerstörende Barbarei bliebe, ist nicht nur kurzschlüssig, sondern auch durchsichtig: versucht hier doch jemand, seine privilegierte und elitäre Stellung als Geistarbeiter aufrechtzuerhalten, indem er den Leuten weiterhin die Welt erklärt, und zwar so, daß sie sich Gedanken um deren Widersinnigkeit erst gar nicht mehr zu machen brauchen. Auf diesem Weg landet man zwangsläufig bei Nietzsche und Heidegger, beim amor fati und “Geschick des Seins”, das, statt den Gedanken der Befreiung von der Bestimmtheit durch den von Wert, Staat und Geld ausgehenden Zwang auch reflexiv gegen sich selbst zu richten, ihn in die Attitüde des Übermenschen übersetzt (oder, nur etwas harmloser: in die professorale Geste des Über-der-Sache-Stehenden, der weiß, daß das ungezogene Kind sich schon noch beruhigen wird).

IV.

Wie radikal der Materialismus Sohn Rethelscher Prägung jedes Denken, dem es nicht gelingt, die Theorie endgültig zu verlassen und zur Kritik überzugehen, desavouiert, läßt sich an den Reaktionen Adornos und Horkheimers auf Sohn-Rethels materialistischer Grundlegung der, wie Kant es vornehmlich nannte: transzendentalen Apperzeption, zeigen. Sie, denen mangelnde Radikalität in der Kritik wirklich nicht vorgeworfen werden kann, mokierten sich darüber, daß Sohn-Rethel immer nur davon spreche, “demnächst” etwas zeigen, “dies und das noch auszuarbeiten” zu wollen etc. Sie übersahen, und Sohn-Rethel ist daran alles andere als unschuldig, daß dessen Gedanke, wie jeder wirklich tragfähige Grundgedanke, nur in der Ausführung, nicht aber in der Erläuterung, gar der Erklärung und Begründung seine Wahrheit erweisen kann. Sohn-Rethel aber hat immer nur erläutert, erklärt und begründet – statt, wie etwa Marx, oder auch Adorno/Horkheimer: auszuführen, darzustellen. Und dies hat seinen Gedanken [22] eher verdunkelt als erhellt. Und so konnten, um es in dieser verkürzten Form zu sagen, auch Adorno und insbesondere Horkheimer an einem Theoriebegriff festhalten, der wenn auch nur in der Negation, doch über seine Befangenheit im Existierenden hinauswiese. Sohn-Rethels Erkenntniskritik läßt jedoch auch für solchen (wenn auch nur als negativ zu bezeichnenden, aber dennoch:) Rest-Optimismus [23] keinen Raum. Theorie wird, wenn ihr Ausgangs- und Endpunkt das in sich selbst ruhende, alle Gegensätze in sich vereinigende Transzendentalsubjekt ist, das darin untrennbar mit der Warenform in eins geht, unweigerlich und in jeder Beziehung zur Affirmation der herrschenden Barbarei. [24]

Wer gegen diese Hermetik mit dem Argument der Praxis kommt, hat ganz recht, wenn es ihm darum geht, daß tatsächlich einzig Praxis, die sich bei keiner Theorie ihre Rückversicherung mehr holen kann, die Hermetik des Kapitals durchbrechen könnte. Erst nach der Abschaffung des Kapitals kann es Theorie wieder geben, Theorie, die – da nicht in der Ware, sondern der freien Assoziation der Produzenten gegründet – als Baumeister einer vernünftigen Praxis fungieren kann, und somit nicht das Privileg einer von der Handarbeit befreiten Gruppe wäre. [25] Ganz anders, nämlich sozialdemokratisch-stalinistisch kommt das Praxisargument aber dann daher, wenn in ihm behauptet wird, Theorie, die keine Handlungsanleitung geben könne, führe sich selbst ad absurdum, agiere im Elfenbeinturm, diene allein der Selbstbefriedigung (als ob das ein Vorwurf wäre), verliere mit ihrem Wirklichkeitsverlust auch ihre Anschlußfähigkeit (als ob nicht gerade letzteres das Gebot der Stunde wäre). Zu derlei Einwürfen wurde andernorts alles nötige gesagt – was sie natürlich nicht zum Verstummen bringt, da auch hier dem Geistarbeiter die Angst vor Statusverlust das Denken diktiert. Zusammengefaßt: Wer immer noch glaubt, Praxis sei ein Argument, der sei auf den aktuellen Zustand von Grünen, PDS und SPD verwiesen. Darin zeigt sich auch seine Zukunft – und zwar völlig unabhängig davon, auf welche Theorie er sich beruft und welches praktische Argument er anführt.

Um es nochmals zu betonen: einzelne Sätze, in denen Sohn-Rethel seinem Grundgedanken Gestalt verleiht, mögen oft genug an der unmittelbar angesprochenen Sache vorbei gehen – sie lassen sich vor dem Hintergrund des Grundgedankens aber “verstehen” und verlieren so jeden spinnerten, oder gar reaktionären Charakter. Vor allem: Keineswegs hat Sohn-Rethel den Stein der Weisen gefunden, aus dem sich umstandslos die Welt erschließen ließe. Im Gegenteil: sie erschließt sich der Vernunft von nun an überhaupt nicht mehr [26] , und ist nicht zuletzt darum eine, die zugunsten einer auf wahrer Vernunft beruhenden abgeschafft gehört.

Auch innertheoretisch wirft Sohn-Rethels Materialismus gewaltige Probleme auf: etwa bezüglich der historischen Entstehung des Kapitals oder, in anderer, polemischer Formulierung, bezüglich der Frage, warum denn das Transzendentalsubjekt erst von Kant und nicht schon in der Antike entdeckt werden konnte. Dies ist ein Beispiel für Sachverhalte, die Sohn-Rethel, wie er selbst wohl am besten wußte, nicht mit seinem Grundgedanken vereinbaren kann, und die diesen im Resultat durchaus noch als falsch erweisen könnte – wenn es trotz aller Bemühung nicht gelingen sollte, hier mit den tatsächlichen geschichtlichen Abläufen in Übereinstimmung zu kommen.

Die Neomarxisten machen aber noch nicht einmal den Versuch. Auch das nährt den Verdacht, daß ihrer Ablehnung tiefere, also psychische Motive (auch Ressentiments genannt) zugrundeliegen und sie an der Rolle kleben, die diese Gesellschaft der geistigen Arbeit zuweist: Kritik konstruktiv werden zu lassen, indem die herrschende Unvernunft als erklärbar rationalisiert wird, oder anders: indem praktische Auswege aus der je aktuellen Krise formuliert werden, und so in der Krisenlösung die Spirale der Kapitalakkumulation weiter in die Höhe getrieben wird. Jedenfalls ist nicht einmal in Ansätzen zu erkennen, wie diese Neomarxisten dem Kreislauf entrinnen wollen, daß trotz allerbester subjektiver Absichten bisher immer nur das Verkehrte sich objektiv institutionalisiert hat. Selbst wenn der Grundgedanke Sohn-Rethels sich als nicht tragfähig erweisen sollte: hinter ihn kann es dennoch für die materialistische, das heißt destruktive Kritik kein Zurück geben. Nur von hier aus läßt sich der Materialismus der Kritik gegen die Ontologie der Heideggerei ebenso wie gegen den wissenschaftlichen Szientismus (rechter wie linker Provenienz) behaupten. Ansonsten verzichtet man auf Kritik und wird zum Theoretiker – und sei es ein marxistischer.

Anmerkungen

[1] Eine nahezu vollständige Zusammenfassung all dessen, was dieser, aus verschiedenen, hier nicht zu explizierenden Gründen auch als ,akademisch’ zu bezeichnende ,Neomarxismus’ (nur so viel: ,akademisch’ heißt hier nicht, tatsächlich eine Stelle an der Universität innez uhaben) gegen Sohn-Rethel vorzubringen hat, findet sich in einem über die Marx-Gesellschaft (www.marx-gesellschaft.de) zu beziehenden Vortrag von Ralf Kliche Entzauberung einer Chimäre – Formanalyse und abstraktes Denken bei Alfred Sohn-Rethel. Darin (aber auch sonst an jederzeit zugänglichen Quellen) finden sich neben der einschlägigen Literatur auch die biographischen Daten. – Im Folgenden wird auf Literatur nicht verwiesen. Dies nicht, um so zu tun, als gäbe es die nicht und die Gedanken des Autors seien allesamt allein auf seinem eigenen Mist gewachsen, sondern um dem Nachvollzug des Gedankens Sohn-Rethels bestmöglichst die Ausweichmöglichkeiten zu versperren, sich nicht auf die Sache selbst einlassen zu müssen.

[2] Sieht man von der etwas wohlwollenderen, aber dennoch theoretisch gleichermaßen folgenlosen Rezeption der Aufsätze Sohn-Rethels zum Faschismus ab.

[3] Für den, der sich in den Gepflogenheiten akademischer Zitierkartelle nicht auskennt: normalerweise wird nur zitiert, wer, sei es in der eigenen, sei es der gegnerischen Bezugsgruppe, eine Lobby besitzt. Sohn-Rethel hat nirgendwo eine Lobby: und gerade deswegen ist es verwunderlich, daß er überhaupt Erwähnung findet. (Daß es sich bei ihm um einen äußerst angenehmen Zeitgenossen gehandelt haben soll, der “gut Geschichten erzählen” konnte, bestreitet keiner, wäre aber tatsächlich kaum ein hinreichender Grund für seine fortdauernde Erwähnung gerade auch in der wissenschaftlichen Literatur.)

[4] Meist uneingestanden, denn Lukacs ist aufgrund sei les späteren, stalinistischen Werdeganges in diesen Kreisen nur sehr eingeschränkt zitierfähig.

[5] ‘Diesem, etwa um das Jahr 1970 formulierten Salz, kann von heute aus gesehen sein prophetischer Wahrheitsgehalt wohl kaum noch abgesprochen werden.

[6] Oder anders: Gehen wir doch bei Sohn-Rethel so vor wie es die meisten Interpreten allgemein anerkannter Philosophen oder Grundlagen-Theoretiker ja auch tun: Wenn etwa Luhmann sich bei irgendeiner Formel bezüglich der Folgerungen aus seiner Systemtheorie geirrt haben sollte, kann dies ja nur für den ressentimentgeladenen Luhmannhasser diese Grundlage selbst falsifizieren.

[7] Oder, wieder anders ausgedrückt, nämlich in der gängigen Sprechweise der Diskussion um dieses Problem: Wie ist der Gedankenstrich zwischen Warenform – Denkform zu interpretieren? Als Identität oder Analogie? Im Falle des Letzteren wäre diese behauptete Beziehung das Papier kaum wert, auf dem sie entfaltet wird.

[8] Vielleicht gelingt das ja der Gentechnik mal – der Kriminalität, der Intelligenz, der Seele und dem Tod ist sie ja bereits hart auf den Fersen.

[9] Transzendent, weil sie die, die empirischen Wahrnehmungen überschreitenden’, Beziehungen bezeichnen: sei es die naturgesetzlichen zwischen Dingen, sei es gesellschaftliche zwischen menschlichen Individuen.

[10] Der Philosoph denkt unwillkürlich an Fenster in den Leibnizschen Monaden.

[11] Und genau auf ein solches soll der “reale Schein” der Zirkulationsebene, also der von Freiheit, Gleichheit, “Bentham”, ja gerade nicht heruntergebracht werden. Dies betont zu haben, bleibt das Verdienst der Neomarxisten um Backhaus, Reichelt und neuerdings Rakowitz u.a.

[12] Ein Vermögen im übrigen, das schon logisch allein im Denken sich konstituieren kann: denn Gleichheit mit anderen kann einem einzelnen Ding unmöglich ,materiell’, etwa als Eigenschaft, zukommen. Frei nach Marx: Im Wert ist kein Atom Naturstoff enthalten.

[13] Natürlich nicht autonom aus sich selbst heraus: es geht .nur’ um die Konstitution der Form, (nicht um irgendwelche Inhalte also), in der im Kapitalismus Denken und Arbeit ihre Identität – je für sich, als auch bezüglich ihrer gemeinsamen Genesis -haben.

[14] Für die Übersetzung des individuellen Nutzens, des Gebrauchswerts also, in das Allgemeine, den Wert, ist und bleibt dieser von zentraler Bedeutung und von Grund auf von jeder Arbeit unabhängig – wie schon der Gebrauchswert.

[15] Oder, was aber im Grunde dasselbe ist: am Anfang benutze Marx vorläufige Bestimmungen, die dann im Verlauf der Darstellung verifiziert werden würden, wodurch sie dann ihre ursprünglichen Bestimmungen vollständig verlören (Rakowitz). Es wäre hier auch eine Auseinandersetzung um das Verständnis des Übergangs von der formalen zur reellen Subsumtion unter das Kapital zu führen: Entspricht dieser einem tatsächlichen historischen Prozeß – des schließlichen vollständigen Aufgehens aller Gebrauchswertbestimmungen in die des Tauschwerts (Breuer, Pohrt) -, oder, wie Sohn-Rethel nahelegen würde, ist diese Differenzierung bloß der Darstellung zu verdanken, im Grund also schon im Anfang logisch vollständig enthalten. Aber auch das kann hier nicht weiter verfolgt werden.

[16] Zur Erinnerung: das im Geld, logisch und historisch (!), seinen Ausgang nimmt. Womit keineswegs die Engelssche Fehlinterpretation der einfachen Warenzirkulation als eine historisch der entwickelten vorangehenden das Wort geredet wird. Und unbestritten ist auch, daß, als Prozeß gefaßt, das Geld im Kapitalismus mit Notwendigkeit durch die in diesem Prozeß nicht sichtbare Vermittlung in der Produktion gehen muß. Sonst bliebe es Geld, und würde eben nicht zu Kapital. Hier aber geht es um anderes!

[17] Oder ist Arbeit und Kapital doch insgesamt, in allen Beziehungen dasselbe? Woraus konstituieren sich dann aber Klassengegensätze? Für Hegelianer: Nicht die Arbeit, das Kapital ist laut Marx die Identität von Identität (eben auch: Kapital) und Nicht-Identität (Arbeit).

[18] Das Kapital ist als solcherart tatsächlich existierendes Subjekt die verwirklichte Unsinnigkeit.

[19] Um hier einer klassentheoretischen Verengung vorzubeugen: Als derartig geistig Arbeitender wäre natürlich auch der überwiegend körperlich Arbeitende zu fassen, sobald er über seine Tätigkeit nachdenkt oder auch er Urteile über Gott und die Welt fallt – und sei es am Stammtisch.

[20] Das Identische etwa der zwei Seiten einer mathematischen Gleichung liegt immer in genau demselben Punkt, der sich im Tauschakt als das Identische in verschiedenen Waren erzeugt – das, und nichts anderes, wird hier behauptet. Zwar kann man natürlich diese Identität in der Mathematik vollkommen unabhängig von der Tauschabstraktion denken, und dieses Vermögen ist ja nachgerade für Sohn-Rethel die Grundlage für die scheinbare Autonomie von Wissenschaft – aber diese Wissenschaft besitzt, im Unterschied zur Identität in der Warenform, kein eigenes Medium, in dem sie sich (außerhalb des Tausches!) konstant auch materialistisch perpetuieren könnte. Und deshalb findet mathematisches und naturwissenschaftliches Denken systematisch, und die Gesamtgesellschaft erfassend, erst statt, sobald die Gesellschaft Denk- und Warenform im Kapital auch historisch synthetisiert hat.

[21] Selbst das Stammeln unzusammenhängender Laute von jemandem, der sich verständlich ausdrücken könnte, zielt aus sich auf allgemeines Urteil: zumindest ein ästhetisches.

[22] An dieser Stelle noch einmal: es geht um den Gedanken, daß die Kantschen Kategorien a priori, wie jede Kategorie, ihre Konstitution, das heißt ihre Bedi ngung der Möglichkeit, sich dem Vollzug einer in der Tauschhandlung notwendig sich erzeugenden, reinen Abstraktion verdanken – auf die dann die Philosophen reflektieren, wenn sie über Sein (oder Werden), Idee (oder Wirklichkeit), Einheit Gottes (oder Differenz der Menschen untereinander) etc. reden. Dies nur als Fußnote, weil eine Befassung damit eine eingehendere Beschäftigung erfordert als sie hier möglich ist.

[23] Sohn-Rethel selbst hat diese Dimension seines Gedankens nicht bis zur letzten Konsequenz bedacht: als Person war er noch allzu sehr in die reflexionslose, bedingungslose Parteinahme für die Arbeiterklasse (und die unterdrückten Völker dieser Erde) verfangen, die schon seit Marx unter die Rubrik “wahrer Sozialismus” fällt, und die natürlich grundsätzlich in aller Schärfe kritisiert gehört. Es gehört jedoch zu den Geboten der Höflichkeit, darauf zu verweisen, daß erst wir aufgrund der Erfahrungen, über die wir mit dieser bedingungslosen Solidarität mittlerweile verfügen (die, was Marx noch nicht mal hat erahnen können, mittlerweile dazu führt, daß sogenannte Antifaschisten sich zusammen mit Faschisten gegen die erklärten Hauptfeinde aller Faschisten: die USA und Israel, verbünden), keinerlei Entschuldigungen mehr für eine derartige Solidarität anführen können.

[24] Ganz besonders Schlaue fragen jetzt: wieso Barbarei? Woher diese Wertung, wo kommt dieser Standpunkt auf einmal her? Die Antwort mag sich jeder selbst geben.

[25] Wer hier unwillkürlich an die maoistische Parole: “Intellektuelle in die Produktion”, denkt, hat immer noch nicht begriffen, daß es mit dem Lob der Arbeit, in welcher Form auch immer, in jeder Hinsicht längst ein Ende hat.

[26] Das aber gilt schon für Kant und Hegel. Ersterem gelang offensichtlich nicht, was er sich eigentlich vorgenommen hatte: nämlich die praktische Vernunft in der theoretischen zu verankern, und Letzterer wußte sich nicht anders zu helfen, als das Wirkliche umstandslos für vernünftig zu erklären.

© ça ira-verlag 2010

Aus: Brüche N° 2 (Januar 2003), S. 11-17

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