Terror der Ökonomie. Elend der Politik
Terror der Ökonomie. Elend der Politik
Kongreß gegen Sozialreformismus
Bündnis gegen Arbeit
Die Parole der Vereinigung in Gewerkschaften und Parteien war gründlich befolgt, aber diese führten weniger die unnatürlichen Aufgaben der Proletarier durch, nämlich den Widerstand gegen die Klassengesellschaft überhaupt, als daß sie den natürlichen Bedingungen ihrer eigenen Entwicklung zur Massenorganisation gehorchten. (…) Die Partei verwandte sich für eine soziale Gesetzgebung, der Arbeiterschaft sollte das Leben im Kapitalismus erleichtert werden. Die Gewerkschaft erkämpfte Vorteile für Berufsgruppen. Als ideologische Rechtfertigung bildeten sich die Phrasen der Botriebsdemokratie und des Hineinwachsens in den Sozialismus aus. Die Arbeit als Beruf: eis die Plackerei, wie die Vergangenheit sie einzig kennt, wurde kaum mehr in Frage gestellt. Sie wurde aus des Bürgers Zierde zur Sehnsucht der Erwerbslosen.”
Max Horkheimer, Autoritärer Staat (1942)
1.
Die Geschichte, sagt Karl Marx, ereignet sich einmal als Tragödie, ein zweites Mal als Farce. Längst nachdem Gewerkschaften, Sozialdemokratie und Parteikommunismus die Integration des Proletariats in die Klassengesellschaft bewerkstelligt haben, inszenieren derzeit Linke unterschiedlichster Couleur ein sozialreformistisches Komödiantenstadl, der der Marxschen Diagnose zu trauriger Aktualität verhilft. Von der “Geld ist genug da”-Propaganda über die gebetsmühlenartig runtergedudelte Forderung nach einem Recht auf Arbeit bis hin zum Bemühen vieler Linker, in den Bewegungen gegen Sozialabbau mitzuschwimmen, zeigt sich ein Sozialreformismus, der damit kokettiert, die Sozialdemokratie zu beerben, seitdem diese die “soziale Gerechtigkeit” vernachlässigt. Theoretisch gibt man sich bescheiden, so daß in der populären Phrase “Geld ist genug da!” schon ein Gutteil seiner Programmatik bündig enthalten ist: Die “Umverteilung von oben nach unten”. Der Rest sind Zahlenspiele, die belegen sollen, daß alles eine Frage des guten Willens und somit der besseren Politik ist. Kapitalismus wird zur Verteilungsfrage und der Staat zum Heilsbringer. Daß allerorten vornehmlich über “Neoliberalismus” und “Globalisierung” gejammert wird, speist sich so nicht zuletzt aus der Bestürzung über den Machtverlust des im Rückblick verklärten nationalen Sozialstaats, der, glaubt man der sozialreformistischen Ideologie, seiner eigentlichen sozialen Bestimmung entfremdet und zum “Unternehmerstaat” (VVN) degeneriert, mithin kein “Staat des ganzen Volkes” mehr ist. Diesen nationalistischen Affekt bringt stellvertretend für viele Subcomandante Marcos vom mexikanischen EZLN zum Ausdruck, wenn er den Neoliberalismus als Projekt des vaterlandslosen Finanzkapitals anklagt, dem mit der “Wiedererlangung von Nation und Vaterland” begegnet werden müsse.
4.
Die Kritik des Reformismus kann nicht mehr im Namen einer revolutionären Bewegung geführt werden, die von den Reformern ausgebremst würde. Verratsvorwürfe verbieten sich, denn weder hat der Reformismus je etwas versprochen noch gäbe es jemanden, den er verraten könnte. Folglich kann es auch nicht um das Auseinanderdividieren einer subversiven Basis einerseits, einer korrumpierten Führung andererseits gehen, ein Spiel, das zwar unter Linken immer noch beliebt ist, aber heute schlechter denn je erklären kann, wie denn die eigentlich revolutionär gesonnene Basis zu eben jener Führung kommt. Die Transformation der potentiell revolutionären Klasse in die Masse der produktiven Staatsbürger macht die radikale Kritik gesellschaftlich ortlos. Dem Sozialreformismus hingegen hilft sie, seine Logik des kleineren Übels ins Spiel zu bringen, auch wenn diese Logik immer nur der Vorbereitung des größeren dient.
5.
Die deutsche Nation ist für den Reformismus je nach Couleur etwas zum unbeschwerten Mitmachen oder aber bloßer Schein, Konstrukt “der Herrschenden”. Entweder wird, wie im Falle der Freiburger Linken Liste, ein Loblied auf den Reichtum “in unserem Land” geträllert und somit die nationale Gemeinschaft der Produktiven hofiert und also latent antisemitisch gegen das unproduktive spekulative Kapital gegeifert, wie es sich für Apologeten von Arbeit und Staatlichkeit gehört. Oder aber man hält sich links von der Liste damit bei Laune, daß die Grenzen eigentlich gar nicht zwischen den “Völkern”, sondern zwischen oben und unten verlaufen. Dies ist die linke Lebenslüge, mit der die Reflexion über das hierzulande ausgesprochen herzliche und pogromträchtige Verhältnis zwischen “oben” und “unten” blockiert wird. Die als Kundschaft für soziale Massenbewegungen umgarnte Bevölkerung wird penetrant schöngeredet. In ihrem Realitätsverlust amüsant, in den Konsequenzen widerlich sind Empfehlungen volksverbundener Kreise an die antinationale Linke, anstatt das organisierte Deutschtum in Gollwitz und anderswo zu denunzieren solle man gefälligst sozialistische Politik treiben, nicht besser auch die Überlegung bewegungssüchtiger Linker, bei der Initiierung eines zünftigen Massenprotests in der Zone könne Ost-Identität nur hilfreich sein. Die Heimatsehnsucht, der unbedingte Wille nach “Verankerung” erzwingen die Ausblendung des rassistischen Konsenses in Deutschland. Diese Verdrängungsleistung verlängert sich bis in den Antifaschismus reformistischer Provenienz hinein, der den Nationalsozialismus nur als unglückliches Zusammentreffen eines fehlgeleiteten Protests mit den finsteren Machenschaften gewisser Großindustrieller denken kann und die klassenübergreifende Verbreitung des Antisemitismus nicht wahrhaben will. Die Verhinderung eines “neuen 33” wird zur Legitimation sozialreformistischer Politik, deren oberstes Ziel die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist, damit sich nicht wieder der Führer des Problems mit Autobahnbau annehmen muß.
6.
Keine Bewegung ist zu abgeschmackt, als daß Linke nicht ihre pädagogischen Neigungen daran ausleben würden. Auch als kürzlich die Studierenden murrten, man würdige sie, die Ressource Wissen, am Standort Deutschland nicht gebührend, gaben viele Linke den Bewegungsonkel. Obwohl die Studierenden sich für ihre Flugblätter nicht mehr interessierten als für das, was sie normalerweise in der Universität pauken, verbreiteten etliche Linke zwanghaften Optimismus und traktierten sie mit der Aufforderung, den Protest zu “verbreitern” und “auszuweiten” – mit dem Ergebnis, daß aus zwei dusseligen Bewegungen eine wurde und Studenten und Gewerkschafter vereint für Arbeit und Bildung demonstrierten. Zwar ist noch niemals eine Bewegung durch linke Propaganda entstanden, doch fahndet man immer noch nach dem Patentrezept, das die Leute auf die Straße treibt. Nüchtern wird taxiert, welche Forderung das Objekt der Begierde – “die Masse” – hinterm Ofen hervorlocken könnte: ein bißchen Grundsicherung? Mieten einfrieren? Die Befreiungsperspektive ist auf ein Programm sozialstaatlicher Wohlfahrt eingeschrumpft. Statt die Subversion des Bestehenden zu versuchen, empfiehlt man sich als besserer Anwalt der “kleinen Leute”.
7.
Wenn Arbeitsfetisch und Etatismus erst einmal kritisiert sowie die Leier von der “Vermittlung linker Politik” und der “Radikalisierung” affirmativer Bewegungen als Heimatsehnsucht durchschaut sind, die immer nur nationalen Opportunismus hervorbringen, dann können wir endlich über das Selbstverständliche sprechen. Reden wir über das, was von den Linken allseits kollektiv beschwiegen wird: Reden wir über Kommunismus. Über Anarchie. Über den globalen Anarchokommunismus, die staaten- und klassenlose Weltgesellschaft, in der es nie wieder Deutsche, dafür immerhin freie Individuen geben wird. Reden wir nicht nur über die Abschaffung der Lohnarbeit, sondern über die Abschaffung der Arbe it überhaupt. Über die soziale Liquidation des Geldes. Über die freie Assoziation. Über die Abschaffung des Staates und über die Liquidation des Kapitals. Reden wir darüber, daß der totalitären Gesellschaft der Herrschaft und der Ausbeutung ein Ende gesetzt werden muß, daß dies Ende nur revolutionär gesetzt werden kann.
8.
Der Kommunismus, den wir wollen, ist antiutopisch zu fassen. Er ist kein politisch und ergo: staatlich zu realisierendes Programm, sondern negativ, d.h. ein Programm der Abschaffungen. Der Kommunismus ist weder die Praktizierung einer Theorie noch die Theoretisierung einer vorfindlichen Praxis, sondern Kritik als Vorschein wie Antizipation der Zusammenbruchskrise des Kapitals. Der Kommunismus sprengt das den Linken bis zur Besinnungslosigkeit liebgewordene Schema von Theorie und Praxis, das in Wahrheit ein Verhältnis ist von gesinnungstüchtiger Meinung und opportunem Pragmatismus; gegen den Pragmatismus setzt er die Anweisung auf historische Praxis.
9.
Reden wir schlußendlich darüber, warum die gesellschaftliche Einheit der Vielen ohne Zwang, die der Kommunismus sein wird, in dem einen Satz sich zusammenfaßt: Jede nach ihren Fähigkeiten, jeder nach ihren Bedürfnissen. Warum darin die schärfste nur mögliche Kritik der represssiven Vergleichung durch Wert und Geld und Kapital und Recht und Gesetz und Staat beschlossen ist. Warum der Kommunismus keine Anthropologie braucht, keine Lehre vom Menschen, die zwischen sog. wahren und sog. falschen Bedürfnissen akkurat zu unterscheiden wüßte. Und warum die Rede vom “Wesen des Menschen”, auf der die ganze Anthropologie gründet, eine durch die Bank reaktionäre Veranstaltung darstellt. Sprechen wir darüber, warum der Kommunismus kein Ideal und kein politisches Programm ist, kein Prinzip, keine Utopie. Sondern: das Gebot der Vernunft, ihr Diktat, das sich nicht in positiven Sätzen, sondern in der negativen Kritik des Bestehenden nur aussprechen kann. Sprechen wir also über Kommunismus, über das Einfache, das trotz allem leichter zu denken als zu machen ist. Reden wir wieder vom kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen und abzuschaffen, unter denen die Menschen ausgebeutete und beherrschte Wesen sind: Nicht etwa, um diesen Imperativ zu begründen. Die Evidenz der Vernunft bedarf keiner weiteren Begründung. Sondern um uns ihn anzueignen als den Nerv der Sozialrevolutionären Kritik.
10.
Darüber wird zu reden sein.
- Das Programm der sozialen Marktwirtschaft ist ein revolutionärer Ansatz im Interesse der Menschen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 18. August 1997
- Niemand stellt den Kapitalismus heute noch in Frage. Wer sollte das auch wagen?
Ulrich Beck, Der Spiegel 20/1996
- Der neue internationale Kapitalismus hat die nationalen Kapitalismen völlig ausgeschaltet und die politische Macht restlos zersetzt. (…) Im Varieté der Globalisierung erleben wir die “Strip-Show” eines Staates, der am Ende der Vorstellung nur noch das absolut unentbehrliche Minimum anhat: seine Repressionsinstrumente. Nachdem … seine Souveränität annulliert… ist, verwandelt sich der Nationalstaat mehr oder weniger rasch in einen reinen “Sicherheitsapparat im Dienst der Megaunternehmen. (…) Tatsächlich verfechten die Zapatisten die Verteidigung des Nationalstaates angesichts der Globalisierung. (…) Die EZLN verteidigt die nationale Souveränität …
Subcomandante Marcos in: Le Monde diplomatique (dt. Ausgabe), August 1997
[… weitere Texte und das gesamte Veranstaltungsprogramm sind in der PDF-Fassung enthalten]