Jour Fixe Programm Frühling/Sommer 2018

Jour Fixe Programm Frühling/Sommer 2018

Freitag, 11. Mai 2018

Stadtrundfahrt: Freiburg im Nationalsozialismus

E. Imbery

Radtour zur Erinnerung an die Deportation von 403 jüdischen Mitbürgern in das Internierungslager Gurs am 22. Oktober 1940 und deren Vorgeschichte in Freiburg – geführt von E. Imbery.

Treffpunkt um 15:00 Uhr am Haupteingang des KG I, Rempartstraße.

 

Donnerstag, 24. Mai 2018

Neoliberalismus und AfD

Björn Oellers (Hamburg)

Die neoliberale Lehre ist autoritär. Ihrem Bekenntnis nach soll sie dem Individuum und der Freiheit dienen, doch ihre Konsequenzen sind genau dagegen gerichtet. Dies lässt sich an den Schriften eines der führenden neoliberalen Autoren, Friedrich August von Hayek, der auch an der Universität in Freiburg lehrte, zeigen. Zwar will er seine Lehre als Mittel gegen totalitäre Verhältnisse verstanden wissen, allerdings zeigen sich die Ursprünge ebendieser, insbesondere des Nationalsozialismus, in der Theorie des Neoliberalismus, die nach der „freiwilligen Konformität“ und „Anpassung des Individuums“ an die bestehenden Verhältnisse strebt. Die AfD knüpft an diesen autoritären Gehalt des Neoliberalismus an, indem sie Marktwirtschaft und Volk verbindet. An ihr zeigt sich, dass die neoliberale Lehre und ein völkisches Weltbild weitgehende Gemeinsamkeiten haben.

Es spricht Björn Oellers (Hamburg). Zuletzt hat er Zwang statt Freiheit. Zum autoritären Gehalt der Lehre Hayeks (Hamburg 2017) sowie verschiedene Aufsätze zu Hayek und zur frühen Kritischen Theorie auf kritiknetz.de veröffentlicht. Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

 

Freitag, 15. Juni 2018

Roman Rosdolsky und Paul Mattick: ein Briefwechsel

Felix Klopotek (Köln)

Der eine hat die »Neue Marx-Lektüre« inspiriert, der andere ist bekannt geworden als Kritiker von Keynes: Roman Rosdolsky (1898-1967) und Paul Mattick (1904-1981) sind im Kanon des Marxismus fest verankert. Da vergisst man schnell, dass beide über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte politisch isoliert und ohne bedeutende Publikationsmöglichkeiten waren. Mattick und Rosdolsky waren in den USA gestrandete Revolutionäre der 1920er Jahre, deren Tradition von Stalinismus und Faschismus in Tateinheit ausgelöscht war. Den Rest besorgte der Antikommunismus des Westens. Im Januar 1964 nimmt Mattick Kontakt zu Rosdolsky auf. Bis zu Rosdolskys plötzlichem Tod drei Jahre später entspinnt sich ein reger Briefaustausch. Eigentlich trennt sie Welten: Mattick stammt aus der rätekommunistischen Strömung, die sich seit ihrem frühen Ausschluss aus der III. Internationale als dezidiert antibolschewistisch verstand; Rosdolsky, in den 20er Jahren ein führendes Mitglied der westukrainischen KP, war innerhalb der Bewegung bald als (Links-)Abweichler gebrandmarkt, aber Zeit seines Lebens bezog er sich positiv auf Lenin. Als Marginalisierte konnten sie sich nicht den Luxus erlauben, in den Dogmen ihrer Schulen zu verharren. So geht der Briefwechsel von Fragen der Marx-Philologie zur Kritik des Neomarxismus, zur Selbstbefragung der eigenen revolutionären Vergangenheit und zur Einschätzung der US-amerikanischen Arbeiterklasse über. Ihre Briefe zeugen davon, wie das Ringen um die Sache selbst davor bewahrt, den Verstand zu verlieren.

Es spricht Felix Klopotek (Köln), der aktuell eine Anthologie von Rosdolskys (unveröffentlichten) Schriften vorbereitet.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

 

Dienstag, 26. Juni 2018

Über Gebärfähigkeit. Zur Naturgeschichte einer Imagination des Weiblichen

Karina Korecky

Die Gebärfähigkeit taucht immer dann auf, wenn nach körperlichen Voraussetzungen der Geschlechterdifferenz gefragt wird. Als Aufruf eines unverfügbaren Moments gehört sie zum Vokabular des Alltagsverstands, der Verteidigung der Differenz, aber manchmal auch zu jenem des materialistischen Feminismus, der an Grenzen der Dekonstruktion erinnern möchte. Demgegenüber möchte ich die alte Frage danach, wann Biologie zum weiblichen Schicksal wurde, erweitern: Und seit wann ist Schicksal mit dem Wort Gebärfähigkeit beschrieben? Der Vortrag skizziert die Bewegung des Verhältnisses von Subjekt und Geburt von der Aufklärung über das 19. Jahrhundert bis zum Nationalsozialismus. „Der Mensch ist frei geboren …“ – verhandelte der frei Geborene seinen ersten Grund als geschlechtslose Antinomie der reinen Vernunft (Kant), integrierte die liberale Medizin des 19. Jahrhunderts Weiblichkeit in „des Menschen Sein” (Virchow), wurde die sexuelle Reproduktion im NS zum Gegenstand völkischer Arrangements. An dieser Stelle verwandelten sich die Geburt und das Gebären in die Gebärfähigkeit, das bevölkerungspolitische Potenzial der Frauen. Diesem biopolitisch zugerichteten weiblichen Subjekt galt die feministische Dekonstruktion der 1990er Jahre – die allerdings seine Geschichte unterschlug. Der Vortrag schließt mit Anmerkungen zur Rezeptionsgeschichte von Judith Butlers Gender Trouble in Deutschland.

Es spricht Karina Korecky, die an der Universität Freiburg zu Psychiatrie & Subjektivität promoviert und zu verschiedenen Aspekten feministischer Theorie publiziert, u.a. Der Muttermythos. Die deutsche Öffentlichkeit diskutiert die Studie ‚Regretting Motherhood‘ der israelischen Soziologin Orna Donath in: Konkret, Nr. 3, 2016.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

 

Donnerstag, 5. Juli 2018

Kafkas Behemoth – oder: Josef K. in antisemitischer Gesellschaft. Anmerkungen zu Franz Kafkas Process

David Hellbrück (Wien)

Bis heute stellt Kafka seine Leser vor die Herausforderung, seine Erzählungen selbst deuten zu müssen. Das für Kafka charakteristische gestische Schreiben, das allzu oft als Ausdruck von Sprachlosigkeit herhalten soll, verwehrt sich dem Erzählerischen, gerade dort, wo es selbst Erzählung sein will. Damit richtet sich das Erzählerische gewissermaßen gegen sich selbst, kippt an vielen Stellen ins Theatralische. Und zwar um den Preis, dass der Leser in der selben Unsicherheit zurückgelassen wird wie der jeweilige Protagonist. Weil auch der Erzähler in Kafkas Schriften meist nicht mehr preisgibt als die Protagonisten selbst wissen, wird der Leser zur Deutung gezwungen, wohlwissend, dass seine Interpretation keine vollständige Sicherheit zulässt. Bei aller scheinbaren Offenheit des Werkes, die sich in den prominenten Interpretationsversuchen (Psychoanalyse, Existenzialismus, Kabbala, Marxismus) ausdrückt, ist dennoch gerade eines zu konstatieren: Dass es die Gesellschaft ist, wie sie Kafka insbesondere im Process, aber auch in den anderen Romanentwürfen (Das Schloss und Der Verschollene) skizziert, die diese Unsicherheit für die Protagonisten erst produziert und die alsdann vom Autor an den Leser zurückgegeben wird. Und zwar indem er das, was erzählerisch nicht mehr beredet werden kann, durch Gestisches darstellt.

Der Process ist, entgegen populärer Behauptungen nicht die Darstellung jener anonymen bürokratischen Herrschaft, sondern vielmehr die literarische Reflexion von Gesellschaft, die der Möglichkeit nach jederzeit in den Behemoth umschlagen kann, also in jene Gesellschaft des Unstaats, wie Franz Neumann den nationalsozialistischen Racketstaat in Abgrenzung zum rechtsstaatlich verfassten Leviathan charakterisierte. Aber Kafka, und diese These soll an diesem Abend durch ausgewählte Textstellen plausibel gemacht werden, rückt dabei im Process, ähnlich wie in der Erzählung Forschungen eines Hundes, zugleich die Stellung des Juden in antisemitischer Gesellschaft in den Mittelpunkt. Denn ebenso wie über Josef K. von Beginn des ‚Prozesses‘ an das Todesurteil bereits gefällt worden war, hat man ihn, ohne dass er etwas Böses getan hätte, eines Morgens verhaftet: Jemand musste, so lautet die Mutmaßung im ersten Satz des Process, Josef K. verleumdet haben. Aus dieser Ungewissheit, ob tatsächlich eine Verleumdung vorliegt, beginnt alsdann das Prozessieren in der einzigen Gewissheit, dass nichts mehr so ist, wie es einmal war. Es ist kein Zufall, dass Kafkas Werk zuerst in Kreisen rezipiert wurde, in denen man den Antisemitismus nicht als bloße Randnotiz behandelte: In den Arbeiten Theodor W. Adornos, Günter Anders, Georges-Arthur Goldschmidts und Imre Kertész, um nur einige wenige exemplarisch zu nennen.

Es spricht David Hellbrück (Wien), der Philosophie und Katholische Theologie studiert und u. a. Redaktionsmitglied der Zeitschriften Pólemos und sans phrase ist.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

 

Donnerstag, 12. Juli 2018

Kritik der Intersektionalitäts-Theorie

Elvira Sanolas

Die Theorie der Intersektionalität beruht auf der Annahme, dass Menschen nicht nur in einem, sondern in mehreren Unterdrückungsverhältnissen positioniert sind, die sich auf je spezifische Weise miteinander verbinden. Von der Juristin Kimberlé Crenshaw stammend, diente der Begriff zunächst dazu, das Herausfallen schwarzer Frauen aus der Antidiskriminierungsgesetzgebung zu kritisieren. In den letzten Jahren hat sich Intersektionalität vom rechtswissenschaftlichen Kontext entkoppelt und zu einem Schlüsselbegriff sozialwissenschaftlicher Forschung sowie feministischer Praxis entwickelt. In der politischen Praxis wirft dies einige Probleme auf: Reihungen verschiedener Positioniertheiten ersetzen allzu häufig ein triftiges Argument oder wirklichen Erfahrungsaustausch. Auch hat sich in feministischen Kreisen z.T. eine Dynamik eingestellt, möglichst jede Betroffenheitslage mitdenken zu müssen, welche zudem meist nicht anders als zueinander in Konkurrenz stehend gedacht werden können. Insgesamt mündet Intersektionalität häufig in zunehmende Partikularisierung und Wettstreit um Betroffenheiten, anstatt eine gegenseitige Stärkung und Solidarität zu begünstigen. Der Vortrag will diese Phänomene der politischen Praxis durch eine Kritik der Intersektionalitäts-Theorie aufarbeiten, deren Kern letztlich darin besteht, Herrschaftszugunsten von Diskriminierungsverhältnissen zu (de-)thematisieren.

Es spricht Elvira Sanolas. Sie ist in der politischen Bildung aktiv und arbeitet vor allem zu Themen an der Schnittstelle von Sozialismus und Feminismus. Zuletzt veröffentlichte sie den Artikel Geschlecht als Wille und Design. Zur Kritik an der queeren Multiplikation der Geschlechtsidentitäten in dem Koschka Linkerhands herausgegebenen Band Feministisch streiten.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.

 

Freitag, 20. Juli 2018

Stadtrundgang: Freiburg im Nationalsozialismus

E. Imbery

An exemplarischen Stationen wird gezeigt, was in Freiburg nach 1933 passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Arbeitsstätten verlassen mussten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – E. Imbery führt und kommentiert. Treffpunkt um 15.00 Uhr

Treffpunkt um 15.00 Uhr am „Basler Hof“, Kaiser-Joseph-Straße (gegenüber Buchhandlung Herder).

 

Donnerstag, 26. Juli 2018

Einfühlung in die Kanone. Zur Kritik der deutschen Waffenexportkritik

Daniel Poensgen (Berlin)

„Waffenexporte stoppen!“ – viel mehr ist kaum übrig geblieben von linker Kritik an den Verhältnissen der Staaten zueinander: Kein Gewehr, kein Panzer soll Deutschland verlassen, egal warum und wohin. Was klingt wie der vielleicht naive, aber doch verständliche Wunsch, an Mord und Totschlag weltweit nicht beteiligt sein zu wollen, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als Engagement für den deutschen Staat.

Den Waffenhandel generell verbieten und gleichzeitig von der Produktion dieser Waffen nichts wissen zu wollen, diese paradoxe Position der Waffenexportgegner von Friedensbewegung bis SPD verweist auf eine doppelte Einfühlung in den Staat als Gewaltmonopolisten und ideellen Gesamtkapitalisten. „Einfühlung in den Tauschwert macht noch Kanonen zu demjenigen Konsumgegenstand, der erfreulicher ist als Butter“, schreibt Walter Benjamin 1938 in einem Brief an Adorno. Als Staatsbürger will man sich ganz in diesem Sinne nicht nur „milliardenschwer“, sondern auch bis an die Zähne bewaffnet fühlen. Als Deutscher jedoch muss man zugleich die Sehnsucht nach Omnipotenz nicht zuletzt vor sich selbst in die Forderung nach dem Ende von Waffenexporten kleiden, um so die eigenen geopolitischen Ambitionen als Dienst am Allgemeinen, am „friedlichen Zusammenleben der Völker“, wie es im Grundgesetz heißt, verkaufen zu können. Mit der Kritik an den Waffenexporten einher geht das Eintreten für eine Politik, die keine sein will. Deutsche Politik ist Politik mit antipolitischer Rhetorik, die keine Gegner oder Konkurrenten, sondern nur uneinsichtige Feinde kennt und diese doch immer nur in den USA und Israel findet.

Es spricht Daniel Poensgen (Berlin), Sozialwissenschaftler und Mitglied der Redaktion der Zeitschrift Pólemos. Er promoviert zum Verhältnis von Staatsverständnis und Antisemitismus.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37.