Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2014/2015

Donnerstag, 13. November 2014

Die Gräber der in Auschwitz vergasten Freunde sind in mir.”

Frühe literarische Reflexionen des Holocaust in deutscher Sprache

Die deutschsprachige Literatur nach dem Genozid an den europäischen Juden erschien auf doppelte Weise belastet: Während die “Endlösung” die Idee von Kultur generell infrage stellte, war die deutsche Sprache als “Sprache der Täter” besonders kontaminiert. Theodor W. Adorno hatte in diesem Sinne 1951 die These von der Unmöglichkeit einer Kultur nach Auschwitz formuliert. Was lässt sich daraus für die deutschsprachige Literatur und ihr Vermögen einer Reflexion des Holocaust schließen? Ein Blick auf die deutsche Nachkriegsliteratur zeigt ein heterogenes Feld, in dem die wenigen Versuche einer literarischen Annäherung an den Völkermord von den Subjektpositionen ebenso wie von den ideologischen Einstellungen der Autoren bestimmt wurden. Im Vortrag soll anhand von vier Texten rekonstruiert werden, wie auch die literarischen Erinnerungstexte eher einem agonalen Schauplatz widerstreitender Interessen, Darstellungen und Politik glichen als einer Durcharbeitung von verbrecherischer Geschichte im Sinne eines kollektiven Lernprozesses, wie es die beruhigende Rede von der “Vergangenheitsbewältigung” nahelegt – Es spricht Hans-Joachim Hahn (Freiburg).

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Freitag, 14. November 2014

Antifaschistische Stadtrundfahrt

Radtour zur Erinnerung an die Deportation von 403 jüdischen Mitbürgern in das Internierungslager Gurs am 22. Oktober 1940 und deren Vorgeschichte in Freiburg – geführt durch E. Imbery

Treffpunkt um 15:30 Uhr am KG I, Rempartstraße.

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Donnerstag, 27. November 2014

Staatsfetischismus

Bedienen sich Theoretiker eines Begriffs, so wird damit nie nur eine Sache auf den Begriff gebracht, sondern stets auch in ein theoretisches System eingepasst. Im Vortrag wird darüber anhand der Verwendung des 'Staatsfetischbegriffs' in der wertabspaltungskritischen Krisentheorie von Robert Kurz, der rebellischen Befreiungstheorie von John Holloway und der materialistischen Staatstheorie von Joachim Hirsch aufgeklärt. “Im Fetischismus des Staates verschwindet die Gewalt, die diesem doch zugrunde liegt” (Stephan Grigat) – so lautet die ideologiekritische Pointe. In den genannten Theorien wird darüber hinaus versucht, ausgehend von unterschiedlichen Betrachtungen über den Fetischcharakter des modernen Staates, Theorien der Praxis zu begründen. Welche emanzipatorischen oder politischen oder rebellischen Praxisvorstellungen Kurz bzw. Holloway bzw. Hirsch aus ihren Staatsfetischtheorien ableiten, wie dies überhaupt möglich sein soll und wie diese einzuschätzen sind – darüber kann an diesem Abend diskutiert und beraten werden – Es spricht Alexander Neupert-Doppler. Er lehrte Politische Theorie in Osnabrück, veröffentlichte 2013 das Buch Staatsfetischismus. Zur Rekonstruktion eines umstrittenen Begriffs und arbeitet für die Sozialistische Jugend in Trier.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Freitag, 12. Dezember 2014

Buchvorstellung: Die Einsamkeit Israels

Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung

In der deutschsprachigen Nahost-Diskussion trifft man immer wieder auf die Behauptung, der Antisemitismus in den arabischen und islamischen Ländern sei ein Resultat des Nahost-Konflikts. Dagegen soll verdeutlicht werden, inwiefern der arabische und islamische Antisemitismus eine der zentralen Ursachen dieses Konfliktes ist, dessen Verlauf maßgeblich bestimmt hat und bis heute prägt.

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist auch die antizionistische Ideologie zu neuem Leben erwacht und weist weit über den Kreis linker Kleingruppen hinaus. Einer seiner Hauptprotagonisten ist heute das iranische Regime. Dass die im Antizionismus angelegten Vernichtungsphantasien nicht Realität geworden sind, verdankt sich einzig und allein der israelischen Staatsgewalt.

Heute hat es keinerlei Konsequenzen, wenn der Regierungschef eines Nato-Mitglieds wie der Türkei der Weltöffentlichkeit mitteilt, das israelische Vorgehen gegen Hamas und Islamischen Djihad in Gaza übertreffe die Barbarei der Nazis. In Deutschland haben Günter Grass und Jakob Augstein Israel zur “Gefahr für den Weltfrieden” erklärt und dafür breite Unterstützung erhalten. Islamisten versammeln in Kooperation mit Linken in Europa Zehntausende auf Demonstrationen, bei denen die Fahnen von Hamas und Hisbollah geschwungen und offen antisemitische Parolen skandieren werden, ohne daß die Polizei einschreitet.

In solcher einer Zeit gilt es, sich einen Begriff von der Einsamkeit Israels zu machen und den Ressentiments entgegenzutreten, die jenem Staat, der in Reaktion auf den Antisemitismus und als Konsequenz aus der Shoah gegründet wurde, keineswegs zufällig in den postnazistischen Gesellschaften Deutschlands und Österreichs in besonderem Ausmaß entgegenschlagen.

Stephan Grigat: Die Einsamkeit Israels. Zionismus, die israelische Linke und die iranische Bedrohung. Hamburg: Konkret 2014, 184 Seiten, 19,- Euro.

Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter an den Universitäten Wien und Graz sowie Mitbegründer und Wissenschaftlicher Direktor des Bündnisses STOP THE BOMB.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Freitag, 9. Januar 2015

Das Unbehagen in und an der homosexuellen Emanzipation

Die Emanzipation der Homosexuellen scheint unaufhaltsam. In den USA und in zahlreichen europäischen Ländern ist die rechtliche Gleichstellung beinahe durchgesetzt. Dennoch äußert sich ein Unbehagen an dieser Normalisierung: Nicht alle Schwule und Lesben können der neuen Freiheit etwas abgewinnen, weil sie zugleich den Verlust sowohl der Enge wie der Geborgenheit der Subkultur bedeutet wie auch des Sonderstatus der Minderheit. Sie fürchten Assimilation und Auflösung ihrer kollektiven Identität. Die politischen Gegner der Homosexuellenemanzipation in Europa und den USA betonen ihrerseits diese Identität, um den Sonderstatus der Homosexuellen und die damit einhergehende Diskriminierung positiv zu begründen und aufrechtzuerhalten. Sie sehen sich nicht als Homosexuellenhasser, sondern als Verteidiger einer natürlichen Ordnung. Im Rest der Welt schürt die Homosexuellenemanzipation das Ressentiment gegen den dekadenten W esten und die Verfolgung vermeintlicher Homosexueller nimmt immer brutalere und zugleich lächerlich wirkende Formen an. Auf dem afrikanischen Kontinent verschärfen zahlreiche Staaten die schon vorhandenen Gesetze gegen Homosexualität, die als westlicher Import und neokolonialer Angriff auf die afrikanische Identität verstanden wird – Es spricht Tjark Kunstreich, Sozialarbeiter und Publizist (Wien)

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Donnerstag, 15. Januar 2015

Von der friedfertigen Antisemitin zur queer-theoretischen Post-Zionistin

Jahrzehntelang hat die “neue Frauenbewegung” ein positives Bild von “der Frau” im NS gezeichnet, was nicht selten zu einer den Holocaust verharmlosenden Argumentation führt(e). Entgegen der Tatsache, dass Frauen als KZ-Aufseherinnen, Fürsorgerinnen oder Denunziantinnen an der antisemitischen Ausgrenzung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden begeistert mitwirkten, wurden sie in feministischen Schriften oft als auf die Mutterrolle reduzierte “Gebärmaschinen” dargestellt – ein feministischer Fall von Täter(innen)-Opfer-Umkehr.

Ist diesem feministischen Opfermythos seine Grundlage entzogen, lässt sich auf Basis einer kritischen Theorie des Antisemitismus die Frage stellen, ob der Antisemitismus bei Frauen und Männern die gleichen Bedürfnisse befriedigt oder ob entsprechend der von der Psychoanalyse beschriebenen weiblichen Subjektentwicklung und der verschiedenen Geschlechterrollen unterschiedliche Inhalte projiziert werden.

Wenn ferner Matriarchatsforscherinnen dem Judentum und seinem historischen “Ausmordungsprogramm” die Schuld an der Zerstörung des Matriarchats geben und es als besonders patriarchale Religion imaginieren, muss von einem spezifisch feministischen Antisemitismus gesprochen werden, der für jüdische Feministinnen keinen Platz lässt. Der Bogen reicht bis Judit Butler, die nicht mehr vom “alten Israel” spricht, sondern alles Schlechte im heutigen, rassistischen, vom Siedlerkolonialismus und Reinheitsvorstellungen geprägten, auf Vertreibung basierenden, illegitimen Staat Israel verortet, der aufgrund anhaltender “Deportationen” und des “konzentrierenden Kolonialismus” ebenfalls selbst schuld an der ihm drohenden Zerstörung sei – Es spricht Ljiljana Radonic (Wien).

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Freitag, 30. Januar 2015

Nichtidentität. Psychoanalyse und Gesellschaftskritik

Wenn Adorno schreibt, dass die analytische Psychologie die “Einzige” sei, die “im Ernst den subjektiven Bedingungen der objektiven Irrationalität” nachgehe, dann ist damit nicht nur gesagt, dass angesichts des fortdauernden Misslingens der Emanzipation die Psychoanalyse ein unabdingbares Moment kritischer Gesellschaftstheorie sein sollte, sondern auch, dass man es hier mit einer Lücke zu tun bekommt. Dieses Verhältnis von Nichtidentität, Bedingung der Möglichkeit und Grenze von Aufklärung zugleich, fordert Übersetzung ein. Freuds Konzentration auf das Individuelle, die Abwesenheit eines emphatischen Begriffs von Gesellschaft ist so ein Mangel, der es in seiner Negativität erlaubt, psychoanalytische Konzeptionen gesellschaftskritisch zu wenden, ohne sie in Gesellschaft aufgehen zu lassen. Ähnlich exzentrisch wie Hegel, der die Geschichte ausgerechnet auf die Verwirklichung der Freiheit hin konzipierte, entwirft Freud das Subjekt vom unbewussten Wunsch, der Suche nach Lust aus. Das macht die Psychoanalyse widerständig gegen alle affirmativen Psychologien, die den Menschen nicht anders als unter der Voraussetzung der Anpassung an eine immer schon vorgegebene Umwelt denken. Es lässt sich so auch zeigen, wie aus dem bei Freud anfänglich gesetzten Konflikt aus Wunsch und Lebensnot ein Subjekt entspringt, über dessen Entwicklung man immer erst nachträglich wird sagen können, was aus ihm geworden sein wird. Zentral wird es daher um das psychoanalytische Konzept der Nachträglichkeit und seine eigentümliche Zeitlichkeit gehen: auf klinischer Ebene, auf der Ebene der Subjektkonstitution und in erkenntnistheoretischer Hinsicht. Dabei geht es um das konstruktive Moment an der Erinnerung, das Ineinandergreifen von Vergangenem und Gegenwärtigen sowie um die Möglichkeit, die trotz allem in der Wirklichkeit liegt. - “...auf die Dauer kann der Vernunft und der Erfahrung nichts widerstehen” schrieb ausgerechnet der als Pessimist geltende Freud. Auch wenn er angesichts des Zustandes der Welt hier schon fast zu optimistisch scheint, spricht er den Punkt an, an dem sich Psychoanalyse und kritische Theorie in aller Unterschiedlichkeit treffen: Das schlechte Gegenwärtige wird von der zu verwirklichenden Möglichkeit her gedacht – Es spricht Christine Kirchhoff, Juniorprofessorin für Psychologie an der International Psychoanalytic University Berlin (IPU). In ihren Veröffentlichungen (auch bei ça ira) und Vorträgen geht sie in psychoanalytischer Perspektive den subjektiven Bedingungen der objektiven Irrationalität nach. Zuletzt erschien: Die Bedeutung der Lebensnot bei Freud und Adorno. In: Kirchhoff, Schmieder: Adorno und Freud. Zur Urgeschichte der Moderne. Berlin 2014.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Freitag, 6. Februar 2015

Podiumsdiskussion: Das Geld als Maß, Mittel und Methode. Das Rechnen mit der Identität der Zeit”

Im Zentrum des Vortrages von Frank Engster stehen die Fragen: “Wie ist eine angemessene Kapitalismuskritik möglich?” und “Was ist Geld?” Marx konnte die kapitalistische Gesellschaft kritisch darstellen, indem er durch die Entwicklung der Geldfunktionen zeigt, auf welche Weise diese Gesellschaft sich selbst zur Darstellung bringt. Die Pointe dieser “Selbstdarstellung” liegt darin, dass die kapitalistische Ökonomie durch das Geld eine maßgebliche Werteinheit für sich in Anspruch nimmt. Die Waren werden durch diese Einheit nicht nur ver-mittelt, sondern im Vermitteln werden aus der Produktivkraft der Verwertung von Arbeit und Kapital diejenigen Wertgrößen er-mittelt, die für die weitere Verwertung maßgeblich sind. Auf diese Weise führt das Geld unsere eigene Vergesellschaftung praktisch durch und bringt sie durch die realisierten Werte zugleich objektiv zur Darstellung. Mehr noch, die kapitalistische Gesellschaft wird durch diese Werte gleichsam sich selbst angemessen, kurz sie wird maßgeblich für: sich selbst.

Der Vortrag soll zeigen, dass das Geld zwar für die Kapitalismuskritik entscheidend ist. Aber das Geld ist nicht, wie etwa in den verschiedenen Marx-Lesarten und in der Kritischen Theorie üblich, über den Warentausch und die Tauschmittelfunktion zu entwickeln, sondern über seine Maßfunktion. Entsprechend muss seine Kapitalform wie ein überindividueller, gesamtgesellschaftlicher Messprozess auseinandergelegt werden, ein Messprozess, der, wie es im Untertitel des Buches anklingt, eine “Ökonomie der Zeit” (Marx) begründet.

Manfred Dahlmann wird darauf antworten:

Erstens: Die Begriffe Maß und Zeit sind in ihrer zentralen Bedeutung für die Marxsche Kritik der politischen Öko nomie allseits verkannt oder zumindest nicht hinreichend berücksichtigt worden. Zweitens: Marx kann nicht verstanden werden, wenn man nicht in Rechnung stellt, dass seine Begriffsbildung der Hegelschen Logik verpflichtet ist. Dem wäre aber nun, drittens, unbedingt hinzuzufügen: Was Maß und Zeit betrifft folgt Marx seinem Lehrer Hegel nur sehr eingeschränkt, und das aus sehr guten Gründen. Zum einen verfehlt eine Darstellung, die nach Maßgabe Hegels Qualität quantifiziert, die Realität, in der in der Ökonomie tatsächlich gemessen wird (sei es die Zeit, der Raum, gar die Arbeit oder sonst etwas), zum anderen führt die ‘Überhegelung’ der Begriffe der politischen Ökonomie – wofür Engster, wenn er Maß und Zeit als aus dem Geld herausgesetzt zur Darstellung bringt, beispielhaft stehen kann – zu einem Kritikbegriff, der die vom Warentausch vorgegebene Äquivalenzrelation transzendental nicht zu überschreiten vermag. Darüber, was das bedeutet, wird zu disputieren sein.

Um 20 Uhr in der Laterna Magika, Günterstalstr. 37

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Samstag, 28. Februar 2015

Tagesseminar zur Kritik der politischen Ökonomie

mit Manfred Dahlmann

Zur vorbereitenden Lektüre sind die in der sans phrase zum Thema veröffentlichten Artikel von Manfred Dahlmann empfohlen. Vor allem wird es darum gehen, den dort außen vor gelassenen Begriff des Kapitals seinen Bestimmungen zuzuführen.

Wegen begrenzter Teilnehmerzahl wird um Anmeldung per Mail an tagesseminar@gmail.com gebeten. Auf Anfrage an diese Adresse sind die Texte zur Vorbereitung auch als PDF erhältlich.

Um 14 Uhr im Büro des Institut für Sozialkritik Freiburg (ISF), Günterstalstr. 37

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