Initative Sozialistisches Forum – Bomben auf Freiburg

Initiative Sozialistisches Forum

Bomben auf Freiburg

Oder: Der 8. Mai als Volkstrauertag

“Ich bin kein weltflüchtiger Mensch, ich bin ein Deutscher mit großen nationalen, aber auch internationalen Erfahrungen. Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk, und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation, eine ritterliche, stolze und harte Nation. … Mein Leben und Wirken kannte nur eines: Für das schaffende deutsche Volk meinen Geist und mein Wissen … zum Bestehen der deutschen Zukunft für den siegreichen sozialistischen Freiheitskampf im neuen Völkerfrühling der deutschen Nation einzusetzen!”

Ernst Thälmann, Bautzen, Februar 1944

Die Bombenteppiche waren die nachhaltigste Achtung, die die Alliierten Deutschland noch bezeugen konnten. Denn das “moral bombing” hoffte darauf, die “Heimatfront” des Mordkollektivs könne überhaupt erschüttert werden, und daher hieß es in der Area Bombing Directive von Februar 1942: “Es ist entschieden, daß das Hauptziel … jetzt auf die Moral der gegnerischen Zivilbevölkerung gerichtet sein sollte, insbesondere die der Industriearbeiterschaft.” Sir Arthur Harris provozierte damit auf eine statt Deutscher Arbeitsfront noch vorhandene gesellschaftliche Restvernunft und spekulierte auf eine neue Novemberrevolution, gegen Hitler. Durch die Konfrontation mit den Folgen der bösen Tat sollte eine Katharsis ausgelöst werden. Die deutsche Arbeiterklasse jedoch war Fleisch vom Fleische geworden, Rosa Luxemburg längst ermordet, und Ernst Thälmann, der inhaftierte Anführer des Proletariats, war nur ein stalinistischer Dutzendpatriot. Die bürgerliche Gesellschaft war mit Mann und Maus durch die Volksgemeinschaft aufgehoben worden, und an ihre Stelle war das so klassenübergreifende wie die Klassen in sich negierende Mordkollektiv getreten. Das Dritte Reich war so der erste Staat des ganzen deutschen Volkes gewesen, eine gemeinschaftlich unternommene Ausrottungsaktion. So tief ging die “deutsche Revolution”, so nahtlos und total war der Volkskörper verschweißt, daß seine Testamentsvollstrecker bis heute so wenig wie seine Erben wissen, ob der 8. Mai nun der Tag des “Zusammenbruchs” oder der Befreiung war. Den Feierlichkeiten war diese Fadenscheinigkeit immer schon abzumerken; nur mühsam wurde die Unfähigkeit zur Trauer überspielt und die Zustimmung zur Freiheit simuliert, bis heute, ob im Kino “Der Untergang” läuft oder der Staat Festreden halten läßt. Sorgsam verborgen, guckt es doch unter der Decke vor: Die Deutschen sind die Gemeinschaft der wahren Opfer; der 8. Mai ist ihr Volkstrauertag, an dem der traumatische Verlust der bedingslosen politischen Einheit begangen wird.

Wer in der Provinz lebt, in Südbaden zum Beispiel, mag sich erst recht einbilden, im Winkel der Geschichte zu wohnen. Zwar hofierte der arische Staat seine Alemannen, spendierte eine originale Fasnet und brütete den Heidegger, aber bis hinein ins grünalternative Zeitalter fühlt man sich als Peripherie und Opfer der Metropole. Die da oben sind die, die fern sind und, wie der Slang sagt, nicht “vor Ort”, wo es dann ausgebadet werden muß. Schon in der Parole “Kein AKW in Wyhl und anderswo” klang das “Anderswo” ziemlich geheuchelt. “Die Stadt”, schreibt Jörg Friedrich in seiner Legende vom Bombenholocaust, “die Stadt träumte in der Schönheit der Landschaft im stillen Winkel der Ereignisse.” Bis die Bomber kamen: “Bei der Zerstörung Freiburg am Abend des 27. November 1944 ging es um gar nichts”, nur um willkürlich-sportives “Städtetotalverbrennen”. Leider, und das geht den nationalen Erbauungsliteraten nichts an, wurde das eigentliche Ziel des Bombardements, die Volksgemeinschaft, verfehlt. Sie lebt fort, und wie sie sich auf nationalem Niveau feiert, indem sie sich in den Produktionen von Friedrich, Fest und Grass die Wunden leckt, so auch in der Provinz. Mit dem Streifen “Bomben auf Freiburg” von Dirk Adam und Hans-Peter Haagmann hat auch Freiburg seine Guido Knopps gefunden.

Hier ist alles tümlich, und es dräut: Von unten blickt man den schönsten Turm der Christenheit hinauf. Über dem Münster ziehen dunkle Wolken auf. Was mögen die höheren Mächte mit Freiburg im Sinn haben? Das Mensch aber ist klein und hilflos: So beginnt der Film über die “Operation Tigerfish”, die Bombardierung Freiburgs durch die Royal Air Force. Das Prinzip Knopp haut hin wie im TV: Thema soll sein Sein und Zeit im NS, aber die Augen der Zeitzeugen leuchten. Die Begeisterung der Hitlerjugend hat man sich frisch gehalten. Alles ist wie gestern, wenn der Zeitzeuge erzählt. Weil es das Testament für morgen ist: Jungvolk und Hitlerjugend, das war eine aufregende Sache gewesen, die Nazigrößen waren die Stars von damals für uns Buben, und überhaupt der Krieg: damals, bis zum Bombenangriff am 27. November war Krieg spannend, war interessant, war toll. Das Äußerste, was der Zeitzeuge an “Schreckensherrschaft” erinnert, sind drei Mark Bußgeld für mangelnde Verdunkelung. Schlager und Filmaufnahmen illustrieren die Epoche der großen Gemeinschaft, als man sich bei Wehrsportübungen und Paraden zusammenfand, beim Ausheben von Panzergräben und im behaglich eingerichteten, blumengeschmückten Luftschutzkeller bis zum bitteren Ende zusammenhielt. Daß die Alliierten durchgängig als der Feind bezeichnet werden und Freiburg durch den D-Day Gefahr droht, versteht sich von selbst. Warum die Menschen hier allesamt so satt, so unverschämt gesund und heiter sind, kann man in Götz Alys Buch “Hitlers Volksstaat” nachlesen: “Am Ende hatte jeder Herrenmensch – und das waren nicht allein irgendwelche NS-Funktionäre, sondern 95 % der Deutschen – Anteile an dem Geraubten in Form von Geld in der Tasche oder als importierte, im besetzten Ausland mit geraubtem Geld und Gold bezahlte Lebensmittel auf der Hüfte. Bombenopfer trugen die Kleider der Ermordeten und atmeten in deren Betten.”

Doch dann war der blaue Himmel plötzlich bewölkt. Der Tagesbefehl von Arthur Harris lautet: Zerstörung von Stadt und Bahnanlagen. Das klingt nüchtern und vernünftig, und das war es auch. Der Sprecher allerdings raunt düster: Es ist der Befehl zur Vernichtung Freiburgs. Vernichtung: so geht das, wenn die Assoziation aufs Gemeinte gerichtet wird. Die Methode dieser Technik ist, wie beim Knopp, die oral history: behauptet wird, individuelle Erfahrung zur Sprache zu bringen, aber in Wahrheit werden nur Schnappschüsse vom Kollektivgefühl übermittelt. Denn die Erkenntnis, daß Krieg ganz furchtbar ist – zur Parole geworden im Linksslogan “Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!”, obwohl sich das schon historisch ausschloß -, ist glatt geschenkt. Da die Erfahrung keine gesellschaftliche darstellt, vielmehr nicht über den Tellerrand der Volksgemeinschaft hinausguckt, resümiert sich die ganze Unternehmung in dem schönen Resultat, daß der Krieg immer irgendwie furchtbar ist und unschön, vor allem dann, wenn man ihn verliert. Kann sein, daß in dieser “Erfahrung” das Fundament der deutschpazifistischen Erweckung beschlossen ist, die immer dann agitieren geht, wenn Amerika Krieg führt. (Dahinter steht das Interesse, der Historiker Hans-Ulrich Wehler hat es der Frankfurter Allgemeinen gesteckt, endlich über ”die Massenvergewaltigungen in Ostdeutschland” sich auszusprechen, sowie darüber, daß insbesondere die Befreiung durch die Rote Armee keine war.)

Das Leuchten im Auge der Zeitzeugen bestätigt abermals, wie rational es von den Alliierten war, im Flächenbombardement auf jede Differenzierung zwischen Deutschen und Nazis zu verzichten. Die Deutschen wußten sehr genau, was sie getan hatten, und mit gutem Grund fürchteten sie die Rache. Bis zur Kapitulation verwischten sie die Spuren ihrer Taten, versuchten noch in den letzten Kriegstagen, alle Zeugen zu ermorden. Für die überlebenden Juden und die anderen Verfolgten hatte jeder Tag, der den Krieg verkürzte und die Vernichtungsmaschinerie störte, lebensrettende Bedeutung. Das Chaos nach den Angriffen ermöglichte einigen noch die Flucht. So entkam die Freiburger Jüdin Lotte Paepcke nur knapp der letzten Deportationswelle während der Jahreswende 1944/1945. Doch der Film kennt die Opfer nicht und auch nicht die, die durch den Sieg der Alliierten befreit wurden. So addiert sich die Oral History zur Freiburger Provinzminiatur der gesamtdeutschen Opferlegende, und das vorgebliche Gedenken decouvriert sich als Ermächtigung: Die Enkel der HJler fechten‘s besser aus! Dagegen ist, etwa mit Jean Améry, ganz undialektisch und starr auf dem Unterschied von Täter und Opfer zu beharren; keineswegs gehören die Pimpfe auch zu den Opfern. Und die Hitlerjugend von damals, die es heute wissen könnte, wurde nicht verführt, sondern nach ihrem Interesse agitiert. Ganz den Maximen der deutschen Ideologie verpflichtet, vollzieht der Film nach, wo doch Geschichte darin besteht, etwas zu zeigen und zu demonstrieren. Der völlige Verzicht der Filmemacher auf Kritik, Distanz und Analyse beweist ihren Abscheu davor, das Erlebnismaterial zur selbstkritischen Erfahrung zu konkretisieren. Statt dessen immer nur Schwelgen in unverständigen Abstraktionen: Menschen, Krieg, Sein und Zeit, Erlebnis. Man versinkt selbst immer mehr in der Zeit schwafeln die Macher, und sie tun ganz baff: Plötzlich fingen Häuser und Menschen an, unglaubliche Geschichten zu erzählen, und diesen Erzählungen, diesen authentischen Erlebnissen der Zeitzeugen verschreibt man sich restlos. Ein einziges Mal nur wird die Andacht durchbrochen: Aus mit dem Krieg, Schluß, jetzt geh ich heim, witzelt die Zeitzeugin; fantastisch! tönt es aus dem Off. Nicht mit dem gebotenen Mißtrauen begegnen sich die Generationen, sondern mit unbedingter Einfühlung; keine Spur von der vielbeklagten moralischen Überheblichkeit derjenigen, die nicht “dabei” waren.

Es geht zu wie in der Familientherapie à la Tilman Moser; mit Erfolg, wie ein Blick in das Internetforum zum Film zeigt: Ich bin Jahrgang 1975, heute bin ich begeistert wie dieser Film so viele Gefühle und Erinnerungen in meiner “Vatergeneration” hervorruft. Der Film kam genau zum richtigen Zeitpunkt heraus. Denn jetzt berichten die damaligen Kinder authentisch und ohne persönliche Schuldgefühle. Für meine Generation ist das eine sehr tiefgehende Erfahrung. Leider blieb die “Großvatergeneration” bis zuletzt viel zu stumm. Deren persönliche Schuldgefühle führten zu vielen Tabus. Die Erben sind innerlich ganz frei von Schuldgefühlen, die Verehrung für die Ahnen ist ungebrochen, und auch der eigene Kriegsgewinn ist kein Grund für schlechtes Gewissen: Ich schnappte meine Kleider und die Taschenuhr, die mir mein Vater aus dem Krieg mitgebracht hatte – ich habe sie heute noch – und ab ging es in den Keller. Berichte von Schulvorführungen gewähren Einblick in den aktuellen Stand des Dialogs der Generationen: Schüler verlassen das Klassenzimmer, weil sie “es nicht mehr aushalten” und finden es “total kraß” daß auch die eigenen Großeltern “dabei” waren, letztlich “Überlebende” sind. Die Macher sind es zufrieden: Gott sei Dank: er wirkt. Wir werden dem Thema gerecht. Es ist der deutsche Familienroman, der neben dem staatlichen Gedächtnis existiert und goutiert wird. Es ist dies eine Arbeitsteilung in Sachen Ideologieproduktion, -distribution und -akkumulation. Das öffentlich-rechtliche Schuldbekenntnis war für die Wiedererringung der nationalen Souveränität zuständig, und es hat aus der deutschen Tat längst Kapital in Form von der Lehren aus der Geschichte gemünzt. Als notwendig abstraktes Bekenntnis konnte es hingegen nie die Gewißheit des Familienromans erschüttern: Opa war kein Nazi. Die Familie ist und bleibt das Modell des deutschen Gedächtnisses. Die Identifikation mit der Nation setzt die Verantwortlichkeit für die Massenvernichtung voraus; sie hat sich für den Sozialstaat bezahlt gemacht. Ins Bewußtsein der Familie ist dies dagegen jedoch niemals gedrungen. In der neuen deutschen Opferlegende wird diese Verdrängung als Einopferung des Kollektivs öffentlich-allgemein und zeigt, daß es noch nie um Aussöhnung mit den Opfern ging. So ist der Film ein Novum: Ein Film von Freiburgern für Freiburger, sagt die Reklame. Die Ermordeten werden noch einmal ausgelöscht, noch einmal beraubt: Sie müssen herhalten, das deutsche Leiden zu illustrieren. Penetrant ist von Vernichtung die Rede, und nachdem der Terror auch in Freiburg ankam, bleibt den Ausgebombten, für die die Stadt keine Heimat mehr ist, nur noch der Auszug ins gelobte Land, der Exodus in den Schwarzwald, wo sie aber nicht wie Volksgenossen behandelt werden, sondern wie die Zigeuner. Man raubt ihnen die Mäntel, zwingt sie zur Arbeit. Eine Frau erzählt von toten Kindern, die aus Trümmern geborgen werden: Die Russen – das heißt viel – die sind dagestanden und haben ihr Kreuz gemacht und haben geweint. Das heißt viel… Das heißt viel.

Dann ist der 8. Mai gekommen, aber das Leben geht weiter. Kleiner Mann, was tun? Kleiner Mann, was nun? singen die Comedian Harmonists im Abspann. Und was kann man schon tun, als kleiner Mann? Wenn einem so viel Böses widerfährt? Mitmachen, weitermachen. Wo kein Heute mehr ist, kann nur die Zukunft Hoffnung geben, und so wurde geschaufelt, Stein auf Stein gesetzt und eine neue Stadt entstand. Wie überall in Deutschland. Sechs Jahrzehnte später ist der Alptraum Geschichte. Freiburg lebt, vielleicht mehr denn je. Man muß schon suchen, will man die Spuren der Vergangenheit lesen können. Tatsächlich muß man lange suchen, will man in Freiburg eine Spur der Juden und der anderen Verfolgten finden, die eben nicht mehr denn je leben. Für sie gab es keine Zukunft. Und wer, wie Lotte Paepcke, überlebte, wurde das Trauma nicht mehr los: “Eine jahrelange Angst vor den deutschen Mitmenschen, Ausgesetztsein und Entwürdigung durch sie. (…) Das gewaltsame tödliche Nein, das über einen gesprochen, das einem entgegengebrüllt wurde von einer Gemeinschaft, in der man bisher scheinbar zugehörig gelebt hatte: dieses Nein, diese existenzielle Absage und Verurteilung hatte die Macht eines Kindheitstraumas (und kann) im Leben nie mehr ganz verheilen.” Und weiter sagt sie: “Die meisten Deutschen haben sich wieder gefunden in fleißiger Arbeit, in hoher Produktivität ihrer Industrie, in Schaffung gesellschaftlichen und persönlichen Reichtums. Gemeinsam verübte Vernichtung von Mitmenschen, damals ebenso effektiv und erfolgreich inszeniert, ist nicht mehr Inhalt ihres Bewußtseins. … Arbeit ist das neue Heil von heute und die Rettung aus der Vergangenheit in die Zukunft.”

Durch Krieg und Massenmord enger vereint, kann das Mordkollektiv der Geschichte durch das “Wirtschaftswunder” noch mehr Sinn geben: So schmerzlich es ist, daß so viele Menschen ums Leben gekommen sind, um manches Gebäude ist es nicht schade, daß es unterging und hat Freiburg vielleicht geholfen, grad dieser Wiederaufbau, dieses zielstrebige Was-Tun-Müssen, so ein Zusammengehörigkeitsgefühl hat Freiburg schon vorangebracht. Wer angesichts alliierter Bomben verzweifelte, weil Gott so etwas zuläßt, kann angesichts des beispiellosen Wohlstandes wieder glauben. Man ist glücklich, die Rache blieb aus. Seitdem unterstellt man Israel erst recht, es handle nach dem Grundsatz von Auge um Auge, weil man vom Äquivalenzgebot des Gleich um Gleich ausgenommen wurde und jetzt im Jenseits von Schuld und Sühne sich bewegt. Das macht frech. Und so kommen die Deutschen den Juden nicht mehr nur mit “Mein Kampf” sondern gleich mit dem Talmud. Es gibt einen Spruch aus dem Talmud: Das Geheimnis der Versöhnung ist die Erinnerung, sagt Ex-OB Rolf Böhme im Interview zum Film. Man gedenkt dessen, was den Volksgenossen die schöne Zeit des Nationalen Sozialismus am Ende doch noch verleidete: Der Bomben auf Freiburg. Es war Heimat, eine volle Heimat, das ist jetzt keine so Heimat mehr, das einzige ist, daß ich wieder zurückgekommen bin nach Freiburg und wenn ich da auch nur Tote hab aber es ist meine Stadt… Ich liebe Freiburg, hab es über alles geliebt und lieb es auch heut noch über alles. Das Geheimnis der deutschen Ideologie ist ihre immerwährende, Tag für Tag taufrische Unschuld.

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