Jour Fixe Programm Sommer 2005

Jour Fixe Programm Sommer 2005

Dienstag, 26. April

Das Dilemma der israelischen Linken

Was bedeutet es, im Staat der Shoah-Überlebenden radikale Staats- und -Kapitalkritik zu formulieren? Linke befinden sich in Israel in einem Dilemma, das aber nur den wenigsten bewußt zu sein scheint. Der Normalzustand ist (oder sollte es zumindest sein), daß man sich als Staatskritiker gegen die Ideologie zur Wehr setzt, der Staat seien “wir alle”, und die Anmaßung des Souveräns zurückweist, einem, da man nun einmal lebt, auch noch ein “Recht auf Leben” zuzuweisen, mit dem die staatliche Gewalt stets demonstriert, daß sie dieses Recht jederzeit auch entziehen oder relativieren kann. Abstrakt trifft das auf Israel ebenso zu; Israel aber ist nicht “normal”, ist kein “Staat wie jeder andere auch”, sondern die bürgerliche Emanzipationsgewalt von Juden und Jüdinnen, ein bewaffnetes Kollektiv zur Abwehr des antisemitischen Terrors. Insofern ist seine Existenz, auch wenn dieses scheinbare Paradox nur wenige in der radikalen Linken wahrhaben möchten, die Bedingung für radikale Kritik an Staat und Kapital. Worin unterscheidet sich vor diesem Hintergrund der israelische Nationalismus von anderen? Wie ist das Verhältnis von zionistischen und antizionistischen Linken in Israel? Welche Rolle spielt die innerisraelische Kritik für die Nahostdiskussionen in Europa? – Es spricht Stephan Grigat (Wien). Er gehört zu der Gruppierung Café Critique (www.cafecritique.priv.at), arbeitet als freier Autor in Tel Aviv, ist Herausgeber des Bandes Transformation des Postnazismus. Der deutsch-österreichische Weg zum demokratischen Faschismus (ça ira: 2003) und schreibt für Jungle World.

Um 20 Uhr in der KTS, Baslerstr. 103. In Zusammenarbeit mit dem Bündnis gegen Antisemitismus und -Israel-Feindschaft.

Trennmarker

Dienstag, 3. Mai

Das Gerücht über die Juden

Max Horkheimer, Theodor W. Adorno und die Kritik des Antisemitismus

“Wer den Antisemitismus erklären will, muß den Nationalsozialismus meinen. Ohne Begriff von dem, was in Deutschland geschehen ist, bleibt das Reden über den Antisemitismus in Siam oder in Afrika bedeutungslos. Der neue Antisemitismus ist der Sendbote der totalitären Ordnung, zu der die liberalistische sich entwickelt hat. Es bedarf des Rückgangs auf die Tendenzen des Kapitals” (Max Horkheimer). Die Auseinandersetzung mit der irrationalen Ideologie des Antisemitismus nimmt in den Arbeiten von Horkheimer und Adorno eine zentrale Stellung ein, ist der Antisemitismus doch mehr als ein Vorurteil gegen eine beliebig zu wählende Minderheit. Die Antisemitismusforschung der “Kritischen Theorie” geht dabei weit über alle früheren Erklärungsansätze des Antisemitismus hinaus, indem sie sich der Mittel der interdisziplinären Forschung bedient. Horkheimer und Adorno gehen davon aus, daß die Irrationalität des Antisemitismus ihre Ursachen in der Gesellschaft hat und nicht etwa als metaphysischer Geist über die Menschheit gekommen ist. Um aber die Wirkungsmächtigkeit des Antisemitismus als Resultat einer gescheiterten Aufklärung oder der Dialektik von Aufklärung und Gegenaufklärung näher zu bestimmen, gilt es, sowohl die historische Genese des Antisemitismus, wie auch dessen Grundlagen in der Ökonomie und in der Psyche der Subjekte zu untersuchen. – Es spricht Paul Mentz (Dortmund), der sich u.a. bei der Roten Ruhr-Universität engagiert.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker

Dienstag, 17. Mai

“Situationistische Revolutionstheorie”

Kommunistische Aktualität und linke Verblendung

Die Situationistische Internationale (SI) würdigen, heißt ihren Zeitkern retten. In den 1950er bis 70er Jahren bewegte sich diese inzwischen le-gendenumwobene Association eines Westlichen Kommunismus laut eigener Einschätzung “in einer vom Krieg zerstörten Landschaft, den eine Gesellschaft gegen sich und ihre eigenen Möglichkeiten führt” (Guy Debord). Nicht als traditionslinke “Avantgarde”, sondern als “enfants perdus”, d.h. als “verlorener Haufen”, welcher mit der Aufhebung der Kunst meinte, die “Nordwestpassage” der proletarischen Revolution gefunden zu haben. Dabei fanden sie die Stellungen der alten Arbeiterbewegung im sozialen Krieg seit dem Ausgang des spanischen Revolutionskrieges (1936-39) verlassen vor. Jede revolutionäre Perspektive schien im Spektakel der Blockkonfrontation verstellt, die Niederlagen der revolutionären Anläufe nach dem ersten Weltkrieg schienen zementiert, nicht allein durch die faschistische und NS-deutsche Konterrevolution, sondern insbesondere auch auf jenem Drittel des Globus, wo sie von den nachholenden Modernisierungsregimes unter roter Fahne in einen Sieg umgelogen worden waren. Die Herrschaft der Bilder des Bestehenden, sein Monolog über die in der spektakulären Warenproduktion zum Zuschauen verdammten Produzenten dieses Verhältnisses, sich reproduzierend “in einem vom Fernsehen durchdröhnten Luftschloß”, schien für die Ewigkeit bestimmt zu sein.

Was dann im wilden Generalstreik der Fabrikbesetzungen im Mai/Juni 1968 in Frankreich, später in Italien für kurze Zeit aufschien, die Infragestellung aller Aspekte kapitalistischer Vergesellschaftung, erscheint heute kaum noch als Traum, sondern, im nachhinein betrachtet, als kapitalistischer Modernisierungsschub. Es kann kein Zurück geben zur SI, sie muß endlich ihre Kritiker finden. Gewürdigt werden kann sie überhaupt nur darin, daß man ihre Schwächen und Halbheiten grausam-gründlich bloßlegt. Allerdings nicht unter ihrem Niveau. Den nächsten Anlauf zur Überwindung fetischistischer Vergesellschaftung zu unternehmen, heißt, sich der aktuellen Bedingungen und Möglichkeiten gewahr werden – vor allem aber der unbeglichenen Schulden der Geschichte, dem praktischen wie theoretischen Bankrott der revolutionären Arbeiterbewegung und Linken bis zum katastrophalen Bruch der bisherigen Gattungsgeschichte in der Shoah. – Das kürzlich in der Reihe theorie.org erschienene Buch Situationistische Revolutionstheorie (Schmetterling-Verlag) stellt die Grundzüge der situationistischen Revolutionstheorie dar und konfrontiert mit ihren linkskommunistischen “blinden Flecken”, dem -völligen Ignorieren der Geschlechterverhältnisse und der nahezu perfekten Ausblendung von Auschwitz. Dieses Projekt einer kritischen und aktualisierenden Aneignung wird vom Autorenkollektiv Biene Baumeister Zwi Negator vorgestellt.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker

Dienstag, 31. Mai

Irak

Von der Republik der Angst zur bürgerlichen Demokratie?

Nach der Niederlage der irakischen Truppen im Zweiten Golfkrieg 1991, der blutigen Niederschlagung der Aufstände im Nord- und Südirak und dem Beginn des UN-Embargos änderte sich die Herrschaftsstruktur des Irak vom totalitären Staat in eine zunehmend kriminell-mafiöse Struktur, die durch den illegalen Erdölhandel begünstigt wurde. Familie und Entourage Saddams bereicherten sich dadurch einseitig, während der Staat als solcher immer funktionsunfähiger wurde und sich schließlich auf seinen Repressionscharakter reduzierte. Parallel zur Schwächung des Staates und zur Stärkung klientelistischer Strukturen betrie b das Regime die (Re-) Tribalisierung des Irak. Seit dem Sturz des Ba’th-Regimes im April 2003 hat, im Gegensatz zu dem von deutschen Medien gemalten Bild eines unaufhaltsam im Chaos versinkenden Landes, die Demokratisierung des Irak bedeutende Fortschritte gemacht. Einen wichtigen Schritt zur Überwindung der Strukturen des Ba’thismus stellte dabei auf formaler Ebene die am 8. März 2004 verabschiedete Übergangsverfassung dar, die nicht nur eine Mehrparteiendemokratie, die Gleichstellung der kurdischen und arabischen Sprache und den Föderalismus festschreibt, sondern auch eine 25%-Quote von Frauen für öffentliche Ämter vorsieht. Bereits in dem nach Saddams Sturz gegründeten Regierungsrat waren die aktuell relevanten irakischen Parteien repräsentiert. Seither sind kurdische Parteien, Kommunisten, islamische Parteien und Nationalisten in der Regierung vertreten. So wird es erst möglich, die durch die ba’thistische Herrschaft forcierten Konflikte auf politischem Wege auszutragen. Daß weit über die Exekutive hinaus der Wunsch besteht, die ba’thistische Zwangshomogenisie-rung nachhaltig zu überwinden, davon zeugt nicht nur die hohe Wahlbeteiligung Ende Januar diesen Jahres trotz massiver Morddrohungen, sondern auch die zahlreichen Demonstrationen – z.B. für eine konsequentere Deba’thisierung, gegen Arbeitslosigkeit oder gegen Versuche zur Einführung der Scharia – bei denen vornehmlich individuelle Interessen gegenüber der eigenen Regierung zum Ausdruck gebracht werden. Zurecht betrachten die autoritären Regime des Nahen Ostens diese Entwicklung als Bedrohung ihrer eigenen Existenz. Würde sich der Irak tatsächlich in einen demokratischen Staat verwandeln, wären damit alle autoritären Regime des Nahen Ostens in Frage gestellt. Und so unterstützen einige Nachbarstaaten, direkt oder indirekt, jene Gruppierungen im Irak, die jede Stabilisierung des Landes verhindern wollen, mit Terror um des Terrors willen, um den Irak zu einem der Hauptschlachtfelder des Djihad gegen den “großen Satan” USA und “seiner Kollaborateure” zu machen. – Es spricht Andrea Woeldike (Wadi e.V., Hamburg), Co-Autorin des von M. Kreutzer/T. Schmidinger herausgegebenen Buches Irak. Von der Republik der Angst zur bürgerlichen Demokratie? (ça ira). Informationen zum Engagement von Wadi e.V. im Irak unter: www.wadinet.de.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker

Dienstag, 14. Juni

Der Denker des Djihad

Über Sayyid Qutb

Der Ägypter Sayyid Qutb ist in den Worten von Gilles Kepel der “richtungsweisende Vordenker für all diejenigen, die die gottlose Gesellschaft niederschlagen und auf ihren Ruinen den islamischen Staat errichten wollen”, ob sie sich nun in Massenbewegungen wie Hamas, in Splittergruppen wie der für die Ermordung Sadats verantwortlichen Al Takfir wa-l Hijra oder in globalen Terrornetzwerken wie al-Qaida organisieren, und seine “Schriften erscheinen in allen von Muslimen gelesenen Sprachen und in jedweder Form: als kleine Heftchen auf den Straßen jeder Stadt der Umma oder in schön gebundenen Ausgaben an augenfälligen Stellen in den Bibliotheken der Moscheen.” Geboren 1906 konnte Qutb zwar bereits im Alter von 10 Jahren den Koran auswendig, doch war sein politisches Engagement im antikolonialen Kampf lange modernistisch und säkular-nationalistisch geprägt. In den vierziger Jahren wandte sich Qutb immer weiter einer “islamischen Lösung” zu und entwickelte zugleich einen radikalen Haß auf alles “Westliche”. Zu Beginn der fünfziger Jahre war er in der Muslimbruderschaft aktiv und an der ägyptischen Revolution wesentlich beteiligt. Im Zuge der staatlichen Repressionswelle, die nach dem gescheiterten Attentat auf Nasser einsetzte, wurde Qutb inhaftiert und schließlich 1966 hingerichtet. Im Gefängnis verfaßte er eine umfassende Theorie der islamischen -Weltrevolution, die allerdings erst in den Jahren nach Qutbs Tod den großen Einfluß erlangen sollte, den sie bis heute hat. Ein genauerer Blick auf Qutbs Theorie, die anthropologischen Prämissen, seine Geschichtsphilosophie, die politischen und ökonomischen Grundlagen des entworfenen “perfekten islamischen Systems”, die politisch motivierte Aneignung der islamischen Quellen und Geschichte sowie die zentralen Feindbestimmungen ist für eine Kritik des modernen Djihads unerläßlich. Statt exotisch oder sonstwie unverständlich wird vieles auch ganz ohne Islamkenntnisse nur allzu vertraut klingen, und gezeigt werden kann, daß in der Islamismusdebatte verbreitete Begriffe wie “Islamfaschismus” einen mehr als nur polemischen Gehalt haben. Es spricht Jonathan Weckerle (ISF, Bündnis gegen Antisemitismus).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker

Dienstag, 28. Juni

Vom “Judenkapital” zum “jüdischen Faschismus”

Zur Entwicklung des “Antizionismus” in der KPD am Ende der Weimarer Republik

Der Antizionismus scheint ein Phänomen der Gegenwart zu sein. Wenn Israel mit Nazideutschland gleichgesetzt wird, wenn von “israelischem Faschismus” die Rede ist oder Israel zur Inkarnation des Imperialismus erklärt wird, dann wird das zumeist mit der aktuellen Politik der Likud-Partei oder, etwas historischer, mit dem Ergebnis des Sechstagekriegs von 1967 “begründet”. Ein Blick zurück in die 20er Jahre zeigt jedoch, das bereits viele Jahre vor der Staatsgründung Israels in der “Roten Fahne”, der Tageszeitung der KPD, antizionistische wie antisemitische Bilder geprägt wurden: “Juden” galten als Kapitalisten, als mächtig und habgierig. Folglich galt der Zionismus als Vorstoß des Kapitalismus und Imperialismus in die arabische Welt. Die zionistischen Siedler und die älteren jüdische Gemeinden im britischen Mandatsgebiet Palästina wurden als “Agenten des Imperialismus”, als Feinde des arabischen “werktätigen Volkes” dargestellt und als “jüdische Faschisten” mit den Nationalsozialisten gleichgesetzt, die am Ende der Weimarer Republik Kommunisten auf der Straße ermordeten. Das Urteil über Israel war in der deutschen kommunistischen Linken bereits gefällt, bevor es den Staat Israel gab. – Es spricht Olaf Kistenmacher (Hamburg), der die Sendereihe Antisemitismus von links im Freien Sender Kombinat (FSK) Hamburg (Audiofiles unter http://freieradios.nadir.org/reihen/antisem.php) betreut.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker

Montag, 4. Juli

Stadtrundgang: Freiburg in der NS-Zeit

An exemplarischen Stationen wird aufgezeigt, was in Freiburg passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Lebensstätte verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – Es führt und kommentiert E. Schlesiger.

Treffpunkt um 15.30 Uhr am Regierungspräsidium, Kaiser-Joseph–Straße (gegenüber Buchhandlung Herder).

Trennmarker

Samstag, 9. Juli

Textkritik

Theodor W. Adorno: Reflexionen zur Klassentheorie (1942)

Mit der neuen Rubrik “Textkritik” möchte die ISF einmal im Semester die Gelegenheit bieten, in Ruhe einen grundlegenden Text der materialistischen Gesellschaftskritik zu lesen, zu diskutieren und zu kritisieren. Zugleich Vorbereitung auf das Streitgespräch am 12. Juli. Wir lesen: Reflexionen zur Klassentheorie. In: Theodor W. Adorno, Gesammelte Schriften Band 8, S. 373 – 391.

Von 14 bis 18 Uhr im Büro der ISF, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker

Dienstag, 12. Juli

Klassengesellschaft und Klassenkampf

Eine Diskussion zwischen Karl Rauschenbach (Antideutsche Kommunisten AdK, Berlin) und Joachim Bruhn (ISF) über die Perspektive der Gesellschaftskritik

These: Die Not der Gegenwart besteht darin, daß durch die Abwesenheit des Klassenbewußtseins, also die Abwesenheit des Proletariats und der Bourgeoisie, die Geschichte keine mehr von Klassenkämpfen ist. Viel zugänglicher ist dem naiven Bewußtsein daher die Rede von der Historie als einer “sich selbst bewegenden Substanz” (Hegel), einem “sich selbst entrollendem Rad” (Schopenauer), einer “invisible hand” (Smith), des “Weltlaufs” (Adorno) oder auch die Rede von einem “automatischen Subjekt” (Marx). Dies ist unabweisbar. Die Geschichte nähert sich proportional zur Abwesenheit der praktischen Gesellschaftskritik einem “Möbiusschen Band” (Lieblingsbild von Lyotard) an. Der moderne Kommunismus nun macht aber aus dieser seiner Not eine Tugend und verkauft seine abstrakte Kritik an der Totalität für einen Fortschritt; er hält sein notwendig leeres Geschreibsel für die Überwindung des traditionellen Marxismus und meint die Spaltung der Gesellschaft in Klassen zum immanenten Gegensatz reduzieren zu müssen. Die Kategorie der Klassenspaltung ist aber zentral in der Gesellschaftskritik. Klasse ist dabei keine subjektive Kategorie, sondern durch die Stellung im Produktionsprozeß bestimmt. Wenn das Sein das Bewußtsein nicht bestimmt, bestimmt das Sein um so strikter das Unbewußtsein. Das Klassenverhältnis bleibt in beiden Fällen die wesentliche Determinante. Dies zu verleugnen hilft bekanntlich den Monopolen mehr, als die offiziellen Ideologien es vermögen. (AdK)

Antithese: Marx’ Rede vom “automatischen Subjekt” ist, im Gegensatz zur These Rauschenbachs, nicht idealistisch, sondern materialistisch als der Inbegriff der Kritik am Idealismus (auch am Idealismus der unsichtbaren Hand). Anders gesagt: Wenn der Bourgeois das Richtige sagt, ist es kein Beweis für ihn oder für die bürgerliche Gesellschaft, sondern es ist das allererst das Urteil über einen Gesellschaftszustand, in dem so etwas zutrifft: daß so etwas auch einmal recht haben kann… Diese Leute sagen, was sie wissen; aber sie wissen nicht, was sie sagen. Gewiß: nicht nur der Klassenbegriff, auch die Klassen selbst sind ausschlaggebend für die Gesellschaftskritik. Aber: die “klassenlose Klassengesellschaft” (Adorno) ist ein Resultat auch des Klassenkampfs selbst. Denn der Klassenkampf hat 1.) das Problem, daß er, als ökonomischer, zu gerne sich in Politik verflüchtigt, d.h. in den Staat. Kein Klassenbegriff ist wahr, der nur von der “Stellung im Produktionsprozeß” ausgeht. Der Prolet ist Subjekt, Privateigentümer seiner Arbeitskraft. Das war im Marxismus nie das Thema, darin ist sein Staatsfetischismus angelegt. Klasse ist ökonomisch und politisch, d.h. polit-ökonomisch; und 2.) ist die negative Aufhebung der Klassengesellschaft, ist also die “klassenlose Klassengesellschaft” bekanntlich das Resultat des Nazifaschismus. Jede Rede über Klasse ist apologetisch, die nicht auf die, höflich gesagt: Faschismusanfälligkeit der Arbeiter reflektiert. Darüber nicht zu reden, das hilft “den Monopolen” erst recht. (ISF)

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

Trennmarker