Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2004/2005

Jour Fixe Programm Herbst/Winter 2004/2005

Dienstag, 19. Oktober

Die Klasse und ihr Kampf

Über den Revolutionswert des Proletariats

Die Frage, ob es progressiv, gar: revolutionär ist, die bürgerliche Gesellschaft der Gegenwart, d.h. die Gesellschaft nach Auschwitz, als „Klassengesellschaft“ zu denunzieren und strategisch auf die subversive, gar: umstürzende Kraft der Arbeiterklasse, des Proletariats, zu setzen, läßt sich weder strikt verneinen noch umstandslos bejahen. Ja, es gibt die Klassen, und insbesondere gibt es das Proletariat. Nein: es gibt „die“ Klasse nicht in einem anderen als höchstens soziologischen Sinne. Ja: Denn es gibt die Lohnarbeit als eine Bedingung des Kapitals. Nein: Denn die Lohnarbeit ist es nicht, die das Kapital konstituiert. Einerseits herrscht die Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit, die Spaltung von Kommando und Gehorsam; andrerseits begründet diese Spaltung keineswegs Antagonismus, sondern den Funktionalismus des bloßen Gegensatzes. Einerseits gibt es die Arbeiterklasse, andererseits ist der Klassenkampf ein Motor der Reproduktion des Kapitalverhältnisses. Das macht: noch als es revolutionär war, die Gesellschaft als eine der Klassen zu denunzieren, war etwas an Begriff wie Sache der Klasse, das auf ihre Verwandlung in den Stand der zeitweilig mit produktiven Aufgaben betrauten Staatsbürger schon hinwies. Die Kritik der politischen Ökonomie, so, wie sie in Gestalt des Marxschen „Kapital“ vorliegt, notierte das – wenn auch nur im Vorübergehen: daß die Klasse niemals ein nur ökonomischer Tatbestand ist, sondern zugleich ein politischer, d.h. ein juristischer. Die Arbeitskraft ist eine privateigentümliche Ware, die Rechtsform ihre Verfassung. Ausgehend von der Rekonstruktion des Klassenbegriffs bei Marx soll gezeigt werden, daß die Rede vom Klassenkampf das Opium der linken Intellektuellen darstellt. Denn betrachtet man die Geschichte der Versuche, die Klasse von links gegen Sozialdemokratie, Gewerkschaften, Deutsche Arbeitsfront und Parteikommunismus zu mobilisieren – d.h. die programmatischen Konstrukte Georg Lukàcs und Karl Korschs, sowie insbesondere die des Rätekommunismus (Pannekoek, Gorter) und der italienischen Arbeiterautonomie (Tronti, Panzieri, Negri) –, fällt auf, wie aussichtslos sie (mangels Ideologiekritik) in die theoretischen wie praktischen Antinomien sich verstricken, die die kapitalisierte Gesellschaft bereithält. Gleich, ob „Linksruck“ oder „Wildcat“: die Propaganda der Klasse als erweist sich als Teil des Problems, d.h. als ausgemachte Projektionsleistung linker Intellektueller, als theoretische Ersatzhandlung, die ihre praktischen Affirmationsleistungen im System bürgerlicher Wissenschaft vorbereitet: Perspektiven eröffnen sich, für die Karriere Antonio Negris – vom operaistischen Klassenkampffetischisten zum heideggerisierenden Lebensphilosophen – allerdings paradigmatisch ist. – Es spricht Joachim Bruhn (ISF, Freiburg).

Der Vortrag ist zugleich die Einführung in die am Donnerstag, 21. Oktober, beginnende „Kapital“-Lektüre der ISF.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Donnerstag, 21. Oktober

Karl Marx: „Das Kapital“

Einführung in die Kritik der politischen Ökonomie

Es waren die Intellektuellen, insbesondere die Soziologen und die Philosophen, die Karl Marx zum „Marxisten“ gemacht haben und damit zu etwas, das er selbst, der in seinen besten Momenten als Kritiker der politischen Ökonomie auftrat, nur insoweit war, als er sich nicht aus der Tradition zu lösen vermochte – zum Theoretiker. Und es sind eben diese Intellektuellen, die, unfähig zur Kritik der geistigen Arbeit und deren spontanen Neigung zur Ideologieproduktion, in jedem Epochenumbruch, gleich, ob 1918, 1968 oder 1989 die „Krise des Marxismus“ ausrufen, weil die empirische Entwicklung den Theoretiker Marx widerlegt zu haben scheint. Zwei Phänomene wuchern ineinander, erstens die objektive Ambivalenz des marxschen Werkes selbst, zweitens die Rezeptionsgewohnheiten der akademischen Intelligentsia. Eine materialistische Lektüre des „Kapital“ wird daher weder einen „authentischen“ Marx herausdestillieren und zum Prüfstein der Interpretation machen können, noch wird sie der Neigung nachgeben, das Werk als Theorie der kapitalistischen Entwicklung zu lesen und soziologisch zu verifizieren. Denn der revolutionäre Materialismus oder auch „kritische Kommunismus“ (Marx) ist weder eine wissenschaftliche Methode noch eine proletarische Weltanschauung, er ist vielmehr, wie auch schon der Untertitel des „Kapital“ besagt: „Kritik“ – Vorbesprechung am Donnerstag, 21. 10., um 20 Uhr.

Der Kurs findet immer vierzehntägig Donnerstagabends statt bis Juli 2005, dazu an zwei Wochenenden Ende Februar/Mitte März und einmal im Juli.

um 20 Uhr im Büro der ISF, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 2. November

„Fahrenheit 9/11“: Der Kreuzzug des kleinen Mannes

Über Michael Moore und die Avantgarde der Gegenaufklärung

„Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit“ notierten Adorno und Horkheimer in der ’Dialektik der Aufklärung’. Michael Moore hingegen gibt sich als Rebell, als Nonkonformist der medialen Welt, und so sieht ihn auch sein Publikum. Dabei ist Moore nicht annähernd originell. Er gibt bloß den Gedankenmüll wieder, den die autoritär verfaßten und in Old Europe fast einheitlich deutschvölkisch getrimmten Subjekte ganz von selbst hervorbringen. Seine Propaganda ist ihre Innerlichkeit: struktureller Antisemitismus, plattester Nationalismus, faschistischer Haß auf die vermittelten Herrschaftsformen der bürgerlichen Gesellschaft. Sein Loblied auf die gesellschaftlich organisierte Dummheit der „kleinen Leute“ paart sich mit ressentimentgeladener Neidbeißerei. Die Zutaten sind bekannt. Sie werden lediglich – dabei ist Moores Methode der eines Jörg Haider nicht unähnlich – neu kombiniert und mit der Verve des sozialpädagogischen Volkstribunen abermals in Umlauf gebracht. Michael Moores eigenständige Leistung aber liegt in der Verpackung, in der Übersetzung der pathischen Projektionen in Ästhetik. Die Kulturindustrie schlägt in der Tat all ihre Produkte mit Ähnlichkeit, und doch ist nicht alles gleich. An „Fahrenheit 9/11“ läßt sich insbesondere zeigen, wie geistlose Unterhaltung, die mit dem Bestehenden versöhnen soll, in Propaganda umschlägt. Moores Werk ist eine instinktsichere Mischung aus Lüge und Ideologie mitsamt dem dazugehörigen Appell ans Mitmachen – am Mittun beim Ausblenden der eigenen Reflexionsfähigkeit zwecks Formierung der Volksgemeinschaft der Unmündigen. Moore entpuppt sich als besondere Form des Konformisten: als Gegenaufklärer par excellence. Seine Auslassungen untergraben genau das, was als Vorraussetzung für die gelungene Emanzipation der Menschen zur klassen- und staatenlosen Weltgesellschaft gesehen werden muß: die Fähigkeit, sich des eigenen Verstandes ohne die Leitung eines anderen zu bedienen. – Es spricht Tobias Ofenbauer (Café Critique, Wien).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 9. November

Stadtrundgang: Freiburg in der NS-Zeit

An exemplarischen Stationen wird aufgeze igt, was in Freiburg passierte, wie die Arisierung organisiert wurde, welche Menschen wo gelebt haben, die ihre Wohn- und Lebensstätte verlassen mußten. An der Universität wird vom Rektorat Martin Heideggers im Frühjahr 1933 die Rede sein. Der Rundgang endet gegen 17 Uhr am Platz der Alten Synagoge. – Es führt und kommentiert E. Schlesiger.

Treffpunkt um 15 Uhr am Regierungspräsidium, Kaiser-Joseph-Straße (gegenüber Buchhandlung Herder).

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Dienstag, 16. November

Alfred Hitchcock in Deutschland

Wie Nazis zu Dealern wurden. Eine psychoanalytische Darstellung der deutschen Schuldabwehr am Beispiel von Alfred Hitchcocks „Notorious“

Am Beispiel der deutschen Synchronfassungen von „Notorious“ (Hitchcock 1946) geht es um die Beziehung zwischen einem Film und seinem Publikum. Während in der Originalfassung Agenten der CIA einer Naziclique in Rio mit Hilfe der Nazitochter Alicia Hubermann auf die Schliche kommen, macht „Weißes Gift“, die deutsche Erstsynchronisation von 1951, daraus die Verfolgung eines internationalen Drogenkartells. Eine der ursprünglichen Fassung adäquate Synchronisation erschien in Deutschland erst 1969 unter dem Titel „Berüchtigt“. Der Vortrag wird die Transformation der Verdrängung und Abwehr deutscher Schuld in den fünfziger und sechziger Jahren anhand des psychoanalytischen Konzepts der Masse bei Sigmund Freud aufweisen und zeigen, wie diese Abwehr die Beziehung von Film und Publikum prägt. Diese Abwehr, d.h. die deutsche Strategie zur Aufrechterhaltung völkischer Identität, soll als das den Blick des Publikums bestimmende Moment verstanden und auf das Unverwechselbare und Besondere der Filme Alfred Hitchcocks bezogen werden. Anhand von Filmbeispielen wird erläutert werden, was unter „MacGuffin“ und „Suspense“ – zwei für Hitchcocks Filme typische „Funktionsweisen“ – zu verstehen ist; und warum Suspense und MacGuffin nur in der Interaktion von Film und Publikum entstehen können. Schlußendlich: Gezeigt werden soll, warum die Verwandlung von Nazis in Dealer in der Synchronisationsfassung „Weißes Gift“ unbedingt notwendig war, um einen für Deutsche unverfänglichen Rahmen zu schaffen, ohne den weder „MacGuffin“ noch „Suspense“ ihre Wirkung entfalten können. – Die lange Filmnacht der ISF am Morgen zum Buß- und Bettag 2004: Es spricht Sonja Witte (Bremen).

Nach dem mit Filmbeispielen illustrierten Vortrag wird „Notorious“ in der Fassung von 1969 gezeigt.

Um 20 Uhr in der KTS (Baslerstr. 103).

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Dienstag, 30. November

„Völker, hört die Signale!“

Deutschlands unvollendeter Krieg auf dem Balkan

Die Wiedervereinigung der Deutschen war für die ebenfalls nach „Selbstbestimmung“ strebenden Völker Jugoslawiens das Signal, ihren Kampf um einen eigenen Staat wieder aufzunehmen. Das Auswärtige Amt bestärkte sie darin mit der Parole, daß ihnen nicht verwehrt werden könne, was den Deutschen gerade gegeben worden war. So traten die Helden auf dem Kriegsschauplatz in den neunziger Jahren so auf, als wollten sie einen Scherz von Karl Marx aufführen, wonach die historischen Tragödien sich als Farce wiederholen. Der kroatische Präsident übernahm 1990 die Rolle des Ustasha-Führers Ante Pavelic, abgesegnet wie eh und je von Rom und Berlin. In Bosnien formierten sich die muslimischen Terrorlegionen wie einst unter der Regie des Mufti von Jerusalem, der von seinem deutschen Asyl aus die Tötungskommandos islamistischer Albaner anleitete, in deren Outfit man 50 Jahre später die „Befreiungsarmee des Kosovo“ auf die Bühne treten sah. In Deutschland wie in Kroatien, Bosnien und dem Kosovo schlüpften die Volksgenossen zwanglos in die Rolle ihrer Vorfahren. Da dies ein Weltordnungskrieg ist, hört er nicht auf, nur wenn auf einem Schlachtfeld die Waffen ruhen. Als aber amerikanische Streitkräfte 1995 auf dem Balkan intervenierten, hatte sich das noch nicht bis nach Washington herumgesprochen, denn andernfalls wäre es kaum zu erklären, warum Amerika für die falsche Seite Partei ergriff. Mit amerikanischer Schützenhilfe wurde die serbische Minderheit aus Kroatien vertrieben, Bosnien in seine völkischen Bestandteile zerlegt, der Kosovo den UCK-Faschisten ausgeliefert. Seither bewacht die Nato den faulen Frieden. Erst nach dem 11. September 2001 begriff Amerika, daß mit Volks- und Gotteskriegern nicht zu spielen ist. In Israel oder Tschechien, wo man sich spontan mit den Serben identifiziert hatte, existierte ein feineres Gespür dafür, weil man aus eigener Erfahrung die Gefahr kennt, die von nationalen, religiösen und sonstwie völkischen Minderheiten ausgeht, die für ihre „Selbstbestimmung“ antreten. – Es spricht Thomas Becker (Bielefeld), der u.a. für „Bahamas“ schreibt und die WebSite www. realization.info betreibt.

(Spechtpassage).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15

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Dienstag, 14. Dezember

Theorie der Gesellschaft und empirische Sozialforschung

Zur Logik der Aufklärung des Unbewußten

Das Verhältnis von Kritischer Gesellschaftstheorie und empirischer Sozial­forschung ist nicht nur von herausragender sozialwissenschaftlicher, sondern auch von hoher politischer Bedeutung: Es geht um die Möglichkeit einer Gesellschaftstheorie, die vom Interesse praktischer Gesellschaftskritik gelei­tet ist. Stapelfeldts Buch „Theorie der Gesellschaft und empirischer Sozialforschung. Zur Logik der Aufklärung des Unbewußten“ nimmt das Programm der Kritischen Theorie Horkheimers und Adornos auf, um es zu radikali­sieren. Horkheimer hatte 1931 die Kritische Theorie inhaltlich bestimmt durch den Versuch, den Zusammenhang zwischen der Politischen Ökono­mie, der „psychischen Entwicklung der Individuen“ und der Kultur darzu­stellen. Methodisch ginge es darum, „philosophische Konstruktion“ und „Empirie“ miteinander zu vermitteln. Diese Programmatik hat Horkheimer aus einer doppelten ‚Zerstörung der Vernunft’ (Lukács) legitimiert. Die bür­gerliche Sozialphilosophie nach Hegel sei auseinandergetreten in eine gei­steswissenschaftlich-irrationalistische Sozialphilosophie einerseits, einen naturwissenschaftlichen Positivismus andrerseits, der begriffslose Tatsachenforschung betreibe. Der Marxismus nach Marx weist, so Horkheimer, eine analoge Entwicklung auf: der sozialdemokratische Marxismus, der reformistisch aus­gerichtet ist, stützt sich auf Tatsachenforschung; umgekehrt ist der parteikommunistische Marxismus im Dogmatismus erstarrt und hat die Theorie ge­gen die Empirie immunisiert. Um diese doppelte ’Ohnmacht der deutschen Arbeiterklasse’ zu überwinden, bedürfe es einer Vermittlung von Theorie und Empirie, die freilich nicht innerwissenschaftlich zu erlangen sei, son­dern allein im Kontext der Überwindung jener ’Ohnmacht’. Im vorzustellenden Buch wird zuerst das Ausgangsproblem der Kritischen Theorie philosophiegeschichtlich rekonstruiert. Sodann wird der Versuch der Kritischen Theorie, Theorie und Empirie zu ver­mitteln, kritisch gewürdigt. Schließlich werden Modelle einer aufklärenden empirischen Sozialforschung diskutiert, die den Ansatz der Kritischen Theorie aufnehmen und radikalisieren können: die dialogisch-reflexive Untersuchungsmethode des Sokrates, Marx’ Kritik der Politischen Ökonomie, Freuds psychoanalytische Methode und Paolo Freires Pädagogik der Be­freiung. – Es spricht Gerhard Stapelfeldt (Hamb urg), Autor des gleichnamigen Buches bei ça ira sowie u.a. von Der Merkantilismus. Die Genese der Weltgesellschaft vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (ça ira 2001).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Mittwoch, 15. Dezember

Seminar mit Gerhard Stapelfeldt

im Institut für Soziologie der Universität am Mittwoch, 15. Dezember. Ort und Zeit werden noch bekanntgegeben

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Dienstag, 11. Januar

Vom Land, in dem das Leiden überwunden ist

Über Peter Weiss’ Drama „Inferno“

Vor vierzig Jahren reiste der nach Schweden emigrierte Schriftsteller Peter Weiss nach Deutschland, besuchte den Auschwitzprozeß und arbeitete an dem Drama „Inferno“, das erst im Herbst 2003 veröffentlicht wurde. Im Zentrum des Stücks steht das ’deutsche Inferno‘, das Dante vorfindet, als er in das Land der Täter zurückkehrt, die auch ihn vernichten wollten. Dante konnte fliehen. Bei seiner Rückkehr nutzt die Tätergesellschaft nun die Schuldgefühle des Überlebenden aus, um seine Erinnerungen zu tilgen. Die Schuld der Täter wird zur Mitschuld des Opfers gewendet. Der Rückkehrer wird ein zweites Mal zum Opfer, wieder droht ihm die Vernichtung. Seit der Veröffentlichung des Stücks verging über ein Jahr ohne jedes Echo. Keine Besprechungen im großen Feuilleton, keine Werbung durch den Buchhandel, keine Diskussion in der Germanistik – nach vierzig Jahren im Archiv der Untergang im Müll der Druckwaren. Dabei hat man den Schriftsteller Peter Weiss keineswegs vergessen. Mit der „Ermittlung“, dem 1965 uraufgeführten Stück zum Auschwitzprozeß, gedachte Holk Freytag, Intendant des Dresdener Staatsschauspiels, am 13.Februar letzten Jahres der ’deutschen Opfer’. Er ’wagte’ diese Herausforderung der trauernden Dresdner, um „im Gedenken an die Zerstörung unserer Stadt die Toten des Holocaust endlich zu unseren Toten zu machen“. Damit wurde Peter Weiss’ Drama radikal aus dem Zusammenhang gerissen und dem Autor unterstellt, das Elend dieser Welt ganz im allgemeinen zu beklagen. Ursprünglich als Teil einer Trilogie geplant, steht „Inferno“ in engem Kontext zur „Ermittlung“. Aber wie vor vierzig Jahren scheint es auch heute unmöglich, beide Stücke als Einheit zu denken. Läßt sich „Inferno“ weder subjektivieren, wie es Weiss sonst häufig widerfährt, noch universalisieren, wie es mit der „Ermittlung“ gelang? Peter Weiss verknüpft die Reflexion der eigenen Biographie mit seinen aktuellen Erfahrungen im Nachkriegsdeutschland. Der Künstler, der – zu seinem Verhältnis zu Deutschland befragt – konstatierte, er habe „das einzige, das man haben kann – ein gestörtes“, führt den Leser in „Inferno“ in eine Gesellschaft, deren Motto ist:

„Hier gehts herein zur Stadt

in der das Leiden überwunden ist …

Hier gehts zu denen die in jedem Augenblick die Sieger sind

Ihr die ihr kommt laßt alle Zweifel fahren.“

Es spricht Claudia Heinrich (Hamburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 25. Januar

Markt, Wert, Herrschaft

Thesen zur Entstehung und Entwicklung des kommerziellen Systems

„Eigentlich oder seiner abstrakten Grundfunktion nach, besser gesagt also uneigentlich, ist Wert etwas ganz Einfaches und Nützliches: Tauschwert. Als Tauschwert drückt der Wert aus, wie viel von etwas anderem das quantitativ bestimmte Etwas, das ihn verkörpert, aufwiegt bzw., falls es darum geht, das Etwas den Besitzer wechseln zu lassen, wie viel von dem anderen es als Gegengabe erheischt. Als Tauschwert ist der Wert die Bedingung dafür, daß in einer arbeitsteiligen Gesellschaft, d.h., in einer menschlichen Gemeinschaft, in der die Einzelnen nicht alles erzeugen, was sie zum Leben brauchen, und in der deshalb der eine auf die erzeugerische Tätigkeit des anderen angewiesen ist, jeder zu dem kommen kann, was er braucht, ohne es seinen Artgenossen mit Gewalt oder List entwenden zu müssen oder es von ihnen zu unkalkulierbaren, je nach Machtverhältnis, Notlage, Charakter, Laune wechselnden Konditionen überlassen zu bekommen“: Wenn es doch nur so einfach wäre, wie diese ersten Zeilen meines Buches „Herrschaft, Wert, Markt“ suggerieren. Das Buch indes und der Vortrag soll dies nachzeichnen – handelt von der Vor- und Frühgeschichte der entfalteten kommerziellen Aktivität, von der Entstehung des Werts aus dem herrschaftlichen Schatz sowie des gesellschaftlichen Orts des Werts, nämlich des Markts, aus einem unter herrschaftlicher Ägide initiierten Austausch. Damit aber handelt es zugleich von der hypothekarischen Konditionierung, die diese Vor- und Frühgeschichte für den Wert auch noch in seiner avanciertesten Form als Kapital, als tote Arbeit in lebendige Arbeit transsubstantiierender Tauschwert, bedeutete. – Es spricht Ulrich Enderwitz (Berlin), Autor u.a. von „Antisemitismus und Volksstaat. Zur Pathologie kapitalistischer Krisenbewältigung“ (Freiburg: ça ira 1998), der zuletzt, bei ça ira, die Bücher „Die Krise des Reichtums“ und „Markt, Wert, Herrschaft. Zur Genese des kommerziellen Systems“ (Freiburg 2004; Download gratis <HIER>) veröffentlicht hat.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 8. Februar

Auf die Frage: Was ist “antideutsch?

Anfangs als linkssektiererische Abseitigkeit belächelt, sind die “Antideutschen” zum Prügelknaben der deutschen Linken avanciert. Die “Antideutschen” müssen dabei nicht nur als Haßobjekt wutschnaubender Apokalyptiker à la Robert Kurz dienen, sondern sie werden auch, von etwas gelasseneren Charakteren in konkret, gerne des “umgekehrten” oder “negativen” Nationalismus bzw. Rassismus bezichtigt. Letztere, denen ansonsten keine Tatsache platt genug ist, um daraus nicht die verwegensten Schlüsse zu ziehen, entdecken plötzlich die Dialektik für sich. Und aus der Ecke zwar studentischer, dafür um so resoluterer proletarischer Klassenkämpfer ist im Oktober ein Sammelband erschienen, der zwar nicht ganz so überdreht daherkommt, aber doch alle Mühe darauf verausgabt, die Begriffs- und Geschichtslosigkeit der deutschen Linken um noch ein Kapitel Unrat zu bereichern. Die Anti-Kritik wird darauf bestehen, daß der historische und logische Unterschied zwischen einem Begriff von Nation einerseits, der – sei es aus der Geschichte der ursprünglichen Akkumulation heraus, sei es als Reaktion auf den deutschen Vernichtungswillen –, die Logik des Kapitals gerade noch in die Schranken der Selbsterhaltung zu zwingen vermag, und andererseits einem Begriff, der von dem Wahn geleitet ist, dem abstrakten Ideal von Nation eine konkrete Substanz – sei es einen “Volkswillen”, sei es eine historische Bestimmung –, auf jeden Fall aber einen deutschen Inhalt verschaffen zu wollen, keinesfalls verwischt werden darf. Es ist nämlich das gerade Gegenteil von Kritik als kommunistischer Aufhebung von Herrschaft und Ausbeutung, einen Kampf um “Befreiung” vom “imperialistischen Joch” mit emanzipatorischen We ihen auszustatten. “Antideutsch” ist der historisch und logisch einzig angemessene Name für das Programm, die Möglichkeit des Kommunismus offenzuhalten, indem es der Logik der Vernichtung sich konfrontiert. Kurz und gut, d.h. schlicht und einfach ausgedrückt: Wer nicht antideutsch ist, kann kein Kommunist sein. So einfach, und so wahr, kann materialistische Dialektik sein – Es spricht Manfred Dahlmann (ISF, Freiburg)

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Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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Dienstag, 22. Februar

Suicide Attack

Zur Kritik der politischen Gewalt

Es geht um den Zusammenhang mit dem Ort, von dem Vernichtung – als die Sache, die um ihrer selbst willen betrieben wird – einmal ausgegangen ist: War noch das Reich des Nationalsozialismus Staat und Unstaat, totale Herrschaft und Anarchie in einem, so ist dieses paradoxe innere Verhältnis heute nach dem Maßstab des „Großraums“ (Carl Schmitt) diversifiziert und ausgelagert. Immer dasselbe – aber immer neu erfunden; dieselbe „Freiheit des Opfers“ (Heidegger) – aber auf neue Weise verteilt: in Deutschland und „Kerneuropa“ (Derrida/Habermas) antiamerikanische Friedensmärsche, postfaschistischer Rechtsstaat und reguläre Souveränität, d. h. zensierter Judenhaß; im Nahen und Mittleren Osten irreguläre Märtyreroperationen, Diktatur bzw. Sharia und entfesselter antisemitischer Wahn. – Es spricht Gerhard Scheit (Café critique, Wien), der gerade bei ça ira sein gleichnamiges Buch veröffentlicht hat, Autor u.a. von Die Meister der Krise. Über den Zusammenhang von Vernichtung und Volkswohlstand (ça ira: Freiburg 2001).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage).

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