Initiative Sozialistisches Forum – Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 1998

Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 1998

Dienstag, 21. April 1998

Was ist Ideologie?

Wie objektive Verblendung zum allgemeinen Schicksal wird

Gegenwärtig ist die Tendenz stark, Ideologie, d.h. die Notwendigkeit falschen Bewußtseins, durch Verweis auf den kollektiven Charakter der das Bewußtsein bestimmenden Mächte zu begründen. Nichts anderes meint die Rede von den “ideologischen Mächten”, die Ideologie als Prozedur darstellt, die den einzelnen durch Kommunikation, Interaktion, Erziehung und Rituale indoktriniert und konditioniert. Dabei ist es sekundär, ob es sich bei derartigen Vorstellungen um rechte Kommunikationstheorie à la Habermas und Derrida handelt, die die neueste reklamegesellschaftliche Entwicklung des Kapitals als intellektuelles Reformprogramm verkaufen wollen, oder um linke Verschwörungstheorien à la Althusser oder Foucault, die gesellschaftliches Bewußtsein auf eine wie immer subjektlose Indoktrination zurückführen möchten. Dagegen ist es notwendig, den Begriff der Ideologie als “notwendig falsches Bewußtsein”, wie ihn klassisch Georg Lukács definiert hat, in seiner objektiv-logischen Bedeutung zu nehmen, das heißt als Notwendigkeit, die aus der Sache selbst resultiert, die sich aus der inneren Logik des Objekts ergibt. Die Falschheit des Bewußtseins folgt aus der Verkehrtheit der Sache selbst. – Es spricht Ulrich Enderwitz (Berlin), Autor u.a. von “Der Konsument als Ideologe”, “Die Medien und ihre Information” und des im Frühsommer erscheinenden Bandes 3.2. von Reichtum und Religion, Die Polis

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Freitag, 24. April bis Sonntag, 26. April 1998

Bündnis gegen Arbeit

Kongreß gegen Sozialreformismus

Terror der Ökonomie, Elend der Politik

Freitag, 24. April 1998

Der Staat des Kapitals

Die Linke und der Parlamentarismus

Es spricht Johannes Agnoli (Lucca)

20 Uhr in der Aula der Universität (KG 1)

Samstag, 25. April 1998, 14.00 Uhr

Wenn Linke zu Bürgern werden und sich über den besten Sozialstaat Gedanken machen

Über Bürgergeld, garantiertes Grundeinkommen und Existenzsicherung

Samstag, 25. April 1998, 17.00 Uhr

Die bürgerliche Wissenschaft vom Reichtum als Politische Ökonomie des Reformismus

Über Sir John Maynard Keynes

Samstag, 25. April 1998, 20.00 Uhr

Die Glücklichen Arbeitslosen (Berlin)

Sonntag, 26. April 1998, 17.00 Uhr

Der Traum vom Kapitalismus ohne Kapitalismus

Über den Sozialreformismus und seine offenen Flanken zum Antisemitismus

Sonntag, 26. April 1998, 20.00 Uhr

Was tun? Was denken?

Die Linke zwischen Deutschtümelei, Reformismus und Kapitalismuskritik

Podiumsdiskussion mit Detlef zum Winkel, Autor (Frankfurt), Georg Lutz, Blätter des IZ3W (Freiburg) und Joachim Bruhn, ISF (Freiburg)

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Freitag, 1. Mai 1998

Demonstration: Für die Staaten- und klassenlose Weltgesellschaft!

Es ruft auf das Bündnis gegen Arbeit.

Um 11, Platz der Alten Synagoge

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Samstag, 2. Mai 1998

Tanz in den Roten Mai

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Dienstag, 5. Mai 1998

Warenform und Denkform

Über die Philosophie Alfred Sohn-Rethels

Selten genug, doch immer wieder aufs Neue beschleicht die Philo­sophie der unerträgliche Verdacht, daß Denkform und Warenform unauflöslich ineinander verwoben sind. Und dann tut sie alles Er­denkliche, um sich mit diesem leidigen Thema nicht näher befassen zu müssen, steht doch, ist nur erst vom Zusammenhang von geisti­ger und körperlicher Arbeit die Rede, die Autonomie des Geistes auf dem Spiel. Daher nimmt sie den Grundgedanken des Philoso­phen Alfred Sohn-Rethel gar nicht erst zur Kenntnis, der den Be­weis führt, daß dieser Verdacht nur allzu berechtigt ist. Es wird zu zeigen sein, daß Sohn-Rethels Idee in ihrer ganzen Einfachheit und Klarheit zur Folge hat, daß die Philosophie (und mit ihr das wissen­schaftliche Denken der sog. “Moderne”, mißt sie sich nur an ihren eigenen Ansprüchen, sich selbst als ideologisch zu denunzieren hätte -jedenfalls dann, wenn es ihr tatsächlich um das zu tun wäre, was sie als ihr zentrales Motiv in Anspruch nimmt: Wahrheit und Erkenntnis. – Es spricht Manfred Dahlmann (Feiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Freitag, 8. Mai 1998

Zwischen zwei Kriegen

Ein Film von Harun Farocki

Die Faschismustheorie, so wie sie Alfred Sohn-Rethel in seinem Buch “Ökonomie und Klassenstruktur des deutschen Faschismus” dargelegt hat, als Spielfilm; geht das? Man wird sehen: “In der Weimarer Republik war der Zeitpunkt für die Senkung der Kosten durch verbesserte Produktion gekommen. Es kam zur Gründung der Vereinigten Stahlwerke (VESTAG), die 40% der deutschen Ka­pazität vereinigten. Die Produktionsmaschinerie arbeitete effizient, aber das Produkt lag auf Halde. In dieser Situation befand sich die Schwerindustrie, als sie sich für Hitler entschied. Hitlers anleihen­finanzierte Rüstungsindustrie war es, die einen ständigen Bedarf nach Stahl und Eisen hatte … Der geplanten, höher organisierten Produktion mußte eine geplante, höher organisierte Absatzrege­lung folgen. Es kam Hitlers blutige Vergesellschaftung. Da mußte man etwas produzieren, was die Märkte nicht verstopfte, freimach­te und sich bestenfalls ins Nichts auflöste: Kriegsgüter” (Harun Fa­rocki). Der Filmemacher Farocki hat u.a. den Vietnamfilm “Etwas wird sichtbar” gedreht.

Um 20 Uhr im Kommunalen Kino, Alter Wiehrebahnhof (Urachstr.)

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Dienstag, 19. Mai 1998

Vernunft und Barbarei

Über die Begreifbarkeit des Nationalsozialismus

Der Nazismus ist fraglos das Produkt des Kapitals, die Konsequenz seiner ureigenen Krise und seines definitiven Zusammenbruchs. Aber die Weise, wie der Nazismus als ableitbares Produkt gesetzt wurde, ist zugleich das Gesetz seiner unableitbaren Autonomie, das in der Massenvernichtung kulminiert. So ist der NS dem Kapital entsprungen, und ist ihm doch zugleich entronnen: Es ist dieser Doppelcharakter des Nazismus, der ihn, je länger, je mehr, dazu trieb, sich zur Gesellschaft eigener Ordnung zu radikalisieren, sich als Gesellschaftsform ation sui generis zu konstituieren: als Barbarei. Jeder Versuch, Auschwitz rational zu erklären, ist daher Rationalisierung, d.h. Injektion subjektiver Vernunft in einen Gegenstand, der sie als objektive nicht mehr enthält. Der Nazismus zerstört die Bedingungen der Möglichkeit, unter denen Gesellschaft als an sich rationale erkennbar ist – und indem er diese Zerstörung leistet, demonstriert er, daß der Begriff der Vernunft eher der posi-tivistischen Rationalität von Zweck und Mittel geschuldet war als materialistischer Dialektik. Dieser Befund soll nicht zuletzt an den marxistischen Theorien über den Faschismus ausbuchstabiert werden, an Ernst Bloch und August Thalheimer, an Leo Trotzki und an Alfred Sohn-Rethel. – Es spricht Joachim Bruhn (Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 2. Juni 1998

Lebendiges Geld

Zur Dramaturgie des Antisemitismus

Die Tradition reicht vom mittelalterlichen Passionsspiel bis zum nationalsozialistischen Film – und sie beherbergt so angesehene Meister wie Shakespeare, Bach, Achim von Arnim, Richard Wagner und Rainer Werner Faßbinder. Den Haß auf die Juden ‘spielbar ‘ zu machen, ihn in Szene und sogar in Musik zusetzen, gehört nicht zu den ‘Auswüchsen’, sondern zum innersten Kern der abendländischen und speziell der deutschen Kultur. Dieses merkwürdig obsessive Bedürfnis, jene, die man verfolgt, vertreibt und ermordet, gleichzeitig mit verteilten Rollen zu spielen, entspringt immer aufs Neue dem Alltag der Warensubjekte – darauf verweist schon der antisemitische Witz, der die hohe Kunst stets begleitet hat. Im antisemitischen Bewußtsein kommt offenkundig der Verkörperung – als physischer Form des Projizierens – eine besondere Funktion zu: mit ihr wird ‘der Jude’ als Personifizierung der abstrakten Seite der Warenproduktion, des Geldes und des Kapitals, wie in einem Ritual beschworen. – Es spricht Gerhard Scheit (Wien), der u.a. für “Konkret” schreibt.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 16. Juni 1998

Goldhagen und die deutsche Linke

Eine Diskussion mit Matthias Küntzel über die Gegenwart der Massenvernichtung

Daniel J. Goldhagens Buch “Hitlers willige Vollstrecker. Ganz normale Deutsche und der Holocaust” hat – neben dem unheilbaren Nationalismus der deutschen Öffentlichkeit und dem nicht weniger chronischen ihrer Geschichtsschreiber – die Unfähigkeit der Linken enthüllt, der fortwährenden Vergangenheit sich zu stellen. Es scheint, all ihre theoretischen und politischen Bemühungen liefen nur darauf hinaus, die nazistische Produktion der Volksgemeinschaft zur bloßen Halluzination zu erklären, mit der das gute deutsche Volk nichts gemein hatte. Theorie mutiert, statt als Mittel der Selbstreflektion und Aufklärung zu wirken, zum Instrument der Abwehr, Verdrängung und Verleugnung der historischen Erfahrung. Matthias Küntzel u.a. haben dieser Linken die Rechnung aufgemacht – allerdings in einer Form, die selbst noch viel zu nah an der bekämpften Theorie zu liegen scheint, als daß sie subversiv wirken könnte. – Matthias Küntzel ist Co-Autor des 1997 bei Elefantenpress erschienenen Buches “Goldhagen und die deutsche Linke oder die Gegenwart des Holocaust”. Manfred Dahlmann (ISF), der mit ihm diskutieren wird, hat gerade in der Berliner Zeitschrift “Kalaschnikow” über “Goldhagen und die Krise des wissenschaftlichen Denkens” geschrieben.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 30. Juni 1998

Das Recht auf Krankheit und Tod

Über die Gentechnik und ihre Kritiker

Der Anbruch des sogenannten Genzeitalters hat auch die radikale Linke zu einiger Geschäftigkeit in Sachen Ethik veranlaßt. Allein, nach zweihundert Jahren Dekonstruktionsarbeit am Begriff des Menschen bleibt nichts mehr, was sich der durchgängigen gesellschaftlichen Bedingtheit menschlicher Existenz entgegenhalten ließe. Versuche, eine absolute Schranke vor die neuen, den definitiven Sieg über die Krankheit verheißenden Technologien der Gen- und Repromedizin zu setzen, scheitern aus zwei Gründen. Erstens entwarf bisher noch jede Utopie einen von Krankheit freien Menschen, und sie tat sich daher schwer damit, den Kampf gegen die erblichen Krankheiten – im Unterschied zu dem gegen die ansteckenden – als verwerflich zu erklären. Und zweitens gibt es keine originäre Qualität des Menschlichen mehr, in dessen Demontage die neuen Möglichkeiten der Medizin umschlagen könnten – was doch stets als die eigentliche die eigentliche Gefahr der Gentechnologie vorge­bracht wird. Muß nicht – soll Emanzipation überhaupt möglich sein – der Begriff des Menschen in einem jenseits seiner gesellschaftli­chen Bedingtheit wie zugleich diesseits aller Gesundheits- und Un­sterblichkeitsphantasien gedacht werden? – Es spricht Ralf Oberndörfer (Berlin), Redakteur der wissenschaftskritischen Zei­tung “Faust”, in deren Heft 3/97 er einen Beitrag zum Thema veröf­fentlicht hat (Bezug: Faust, Marchstr. 6,10587 Berlin).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 14. Juli 1998

Befreiung der Gesellschaft vom Staat?

Zum Verhältnis von Anarchismus und Liberalismus

So sehr die anarchistische Literatur zwischen gewaltfreien und mi­litanten, destruktiven und konstruktiven, individualistischen und kollektivistischen Positionen schillert, in der Forderung nach Ab­schaffung des Staates treffen sich die Libertären jedweder Couleur. An die Stelle des Leviathans soll die freie Assoziation treten: Ord­nung ohne Herrschaft mittels Gesetz und Gewalt. Ihr Modell ist der Vertrag. Den sozialen Zusammenhang stiften sollen Netzwerke wechselseitiger Vereinbarungen zwischen souveränen Individuen. Die freie Gesellschaft erscheint als ein großer Marktplatz. Ist der Anarchismus nichts als ein radikaler Liberalismus? – Es spricht Ul­rich Bröckling (Freiburg), der zuletzt “Disziplin. Soziologie und Geschichte militärischer Gehorsamsproduktion” veröffentlicht hat (Fink Verlag 1997).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Samstag, 18. Juli

Antifaschistischer Stadtrundgang

Die Route führt vom Regierungspräsidium (ehemals NS-Polizeipräsidium) über das frühere jüdische Viertel (Wasserstraße) zur Universität (Vorreiterrolle der freiburger Universität für die nationalsozialistische Gleichschaltung der deutschen Universitä­ten), dann weiter zum Hauptbahnhof (Deportation) und in den Stühlinger zum ehemaligen Kreispflegeheim (Euthanasiepro­gramm). – Es führt und kommentiert G. Schlesiger.

Treffpunkt um 14 Uhr vor dem Regierungspräsidium, Kaiser-Joseph-Straße.

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