Inititative Sozialistisches Forum – Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 1994

Jour Fixe Programm Frühjahr/Sommer 1994

Dienstag, 19. April 1994

Kritische Theorie am Ende?

Die Wirklichkeit hat Stefan Breuer mit seiner “Krise der Revolutionstheorie” (1977) und Wolfgang Pohrt mit seiner “Theorie des Gebrauchswertes” (1976) Recht gegeben: Die Linke, die sich auf einen angeblich von der Wertvergesellschaftung nicht erfaßten Begriff – wie den von der “konkreten Arbeit” – berufen hat, ist gescheitert. In dem Vortrag soll gezeigt werden, wie diese Kritiker zwar den Transformationsprozeß der äußeren Momente, auf die die Linke ihre Revolutionstheorie gestützt hat, zum konstitutiven Moment der Gesellschaft richtig beschreiben, in ihrer Erkenntnistheorie allerdings dem Konstitutionsprinzip dieser Gesellschaft nicht entronnen sind. – Es spricht Manfred Dahlmann (Hamburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 3. Mai 1994

Traditionelle und witzige Theorie

Eines der grundlegenden Probleme der Gesellschaftstheorie seit Hegel ist die Frage, wohin die Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft treibt. Hegel war noch der Überzeugung, daß die Beschleunigung des Marktes im Staat abgebremst werden könnte. Marx prognostizierte dann, daß der Kapitalismus Fluchtgeschwindigkeit erreichen, dann aber in einen stabilen kommunistischen Orbit einschwenken würde. Als sich diese Hoffnung zerschlug, forderte die Kritische Theorie den Griff zur Notbremse – doch dazu war es bereits zu spät. Jean Beaudrillard hat einem seiner jüngsten Werke ein Motto vorangestellt, dem sich auch dieser Vortrag über seine Philosophie verpflichtet weiß: “Since the world drives to a delirious state of things, we must drive to a delirious point of views.” – Es spricht Michael T. Koltan (Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 17. Mai 1994

Marx und Stalin

Über den Zusammenhang von “freier Assoziation”, “Diktatur des Proletariats” und “allgemeiner Staatssklaverei”

Verbirgt sich hinter dem Anspruch auf politische und soziale Revolution nur Totalitarismus? Ist der “kategorische Imperativ” (Marx), alle Verhältnisse umzustürzen, unter denen der Mensch ein ausgebeutetes und verächtliches Wesen ist, nichts anderes als das moralische Alibi neuer Herrschaft? So zumindest jammern die Renegaten des zusammengebrochenen “realen Sozialismus” und die Volksfront ihrer “fellow traveller”, die Apostel der Marktwirtschaft, die FdGO-Advokaten und ihr postmoderner Tross: Utopie ist totalitär, heißt es, und jeder Revolutionär höre letztlich auf den Namen Stalin oder Pol Pot. Diese Polemik ist wahr und falsch zugleich: Wahr, weil sie den diskreten Jakobinismus der bisherigen Emanzipationsbewegungen dementiert – falsch, weil sie im Erbe des Bürgers Robespierre und seines Urenkels Lenin nicht sich selbst, d.h. die Ideologie und Praxis der neutralen Staatsform erkennt. Gegen die Selbsttäuschung der Bürger aller Fraktionen hilft nur Materialismus. Woher kommt also die autoritäre, staatskapitalistische Tendenz der traditionellen Arbeiterbewegung? Ist sie ein Indiz bürgerlicher Hegemonie über ihren sozialen Antagonisten oder genuin proletarischer Herkunft? – Es spricht Joachim Bruhn (Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 31. Mai 1994

Antisemitismus, made in DDR

Anti-imperialistischer Antizionismus und deutsch-nationales Interesse

Nur acht Jahre nach der Niederlage des NS stand im antifaschistischen Nachfolgestaat des Dritten Reiches wieder die Entlarvung und Verfolgung von “Volksschädlingen” auf der Tagesordnung. Wieder bezichtigte eine deutsche Staatsmacht “jüdische Kapitalisten” der “Verschiebung deutschen Volksvermögens”. Die SED begann derart entschlossen mit der Bekämpfung von “Gesindel wie Kosmopoliten, Zionisten, Freimaurern und anderen moralisch verkommenen Subjekten”, daß 1952/53 rund die Hälfte der Juden aus der DDR floh. Doch der aus der UdSSR importierte Antizionismus diente in der DDR nicht nur der stalinistischen Säuberung der Partei und der Verteufelung Israels als “Hauptwerkzeug des Weltimperialismus im Kampf gegen die Befreiungsbewegung der arabischen Völker”: Es zeigt sich, daß die DDR per Antizionismus immer wieder auch ihr “ureigenstes nationales Interesse” verfolgte: Die Entlastung des “friedliebenden deutschen Volkes” von Auschwitz. – Es spricht Thommy Haury (Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 14. Juni 1994

Globalisierung und lokaler Raum

Zur politischen Ökonomie der Aufstände in Los Angeles

Die Aufstände, die letztes Frühjahr durch South Central L.A., Rico Union und Korea Town tobten, wurden von den deutschen Medien als “Rassenunruhen” verschlagwortet und mit den Aufständen von Watts 1965 verglichen. Tatsächlich jedoch sind die 92er Riots Ausdruck sozioökonomischer Polarisierungsprozesse, die nur im Kontext globaler Vergesellschaftungsmechanismen begriffen werden können. Denn in L. A., der World Class City, die nicht nur postfordistische Glitzermetropole und – als Pacific Rim City – Frontstadt zugleich ist, sondern darüber hinaus als Drehscheibe eines Migrationsraums fungiert, der sich von El Salvador bis Seattle und von Fernost bis in den mittleren Westen dehnt, verdichten sich die Trends der neuen Ökonomie zum konkreten Mikrokosmos. – Es spricht Frank Sträter (Freiburg).

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Dienstag, 28. Juni 1994

Und die Witwe hat doch recht

Willy Brandt und die Ostpolitik

Zum Auftakt des Superwahljahres hat die Witwe der Partei des Großen Vorsitzenden und des Chefs der “Sozialistischen Internationale” ein unverhofftes Geschenk gemacht: die Chance nämlich, wieder über ihr trostloses Schicksal als “verfemte, vaterlandslose Gesellen” zu jammern, um bei den Bürgern um Streicheleinheiten nachzukommen. Aber war die SPD seit Gustav Noske und dem Ja zu Hitlers Friedensresolution im Juni 1933 je etwas anderes als eben eine national-soziale Partei und ein Grenzträger bürgerlicher Herrschaft? Hat Herbert mit Stasi-Mielke kollaboriert? Brachte es Willy Brandt wirklich nicht übers Herz, die Nation an Erich zu verraten? Oder wollte die SPD in Wahrheit gar die Wiedervereinigung genau anders herum? Fragen über Fragen, die Wolfgang Schneider (Hamburg, Konkret Redaktion) wahrscheinlich beantworten wird. Als Vorbereitung ist die Lektüre seines im Dietrich zu Klampen-Verlag erschienenen Buches “Tanz der Derwische” empfohlen.

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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Freitag 3. Juni bis Sonnt ag 5. Juni

wie immer identisch!

ISF 12 Einhalb im Vorderhaus der “Fabrik”, Habsburgerstr.9

  • Die Kritik zur Krise radikalisieren?
    Podiumsdiskussion mit Ilse Bindseil (Berlin), Wolfgang Eßbach (Freiburg) und Manfred Dahlmann (Hamburg) über das Verhältnis von Materialismus, Ideologiebegriff, Revolution
  • Karl Marx und die Revolution
    Die politischen Konsequenzen des “Kapital”. Streitgespräch zwischen Michael Berger und Joachim Bruhn
  • Marxismus und Kultur
    Streitgespräch zwischen Günther Jacob (Hamburg, Redaktion 17° C) und N.N über Kulturindustrie und Gegenöffentlichkeit
  • Faschismus/Postfaschismus
    Streitgespräch zwischen Clemens Nachtmann (Berlin, Gruppe K) und N.N. über
    negative Vergesellschaftung und Barbarei
  • Nachtzug
    Eine Abenteuerreise durch das Land des guten Grooves (Soul, Reggae, HipHop, House) mit Günther Jacob
  • Frühschoppen
    Seit 12,5 Jahren ist die ISF mehr oder weniger angenehm aufgefallen. Jetzt darf auch einmal konstruktiv kritisiert werden. Mit Diskutanten aus dem Archiv für soziale Bewegungen,
    Gruppe K, Ex-Anti-Nato-Gruppe, Jos Fritz
    etc. pp.

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Freitag, 8. Juli

Anarchismus: Aristokratismus oder Liberalismus

Warum Adelssprößlinge Sozialromantiker werden, warum Sozialrevolutionäre Kommunistenfresser werden, warum ML-kritische Achtundsechziger Kapitalismusapologeten werden, warum der Anarchismus nach dem Endsieg über den Kommunismus in die Mode und schnell wieder herausgekommen ist, und was dies alles mit dem Unmittelbarismus und dem Problem des Staates zu tun hat, dies alles soll diskutiert werden teils am Beispiel der älteren russischen, teils an dem der jüngeren deutschen Geschichte. – Es spricht Kornelia Hafner, Frankfurt

Um 20 Uhr im Jos Fritz-Café, Wilhelmstr. 15 (Spechtpassage)

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