Initiative Sozialistisches Forum – Vernunft als Pleite

Initiative Sozialistisches Forum

Vernunft als Pleite

“Nicht von dem Wohlwollen des Fleischers, Brauers oder Bäckers erwarten wir unsere Mahlzeit, sondern von ihrer Bedachtnahme auf ihr eigenes Interesse. Wir wenden uns nicht an ihre Humanität, sondern an ihren Egoismus und sprechen ihnen nie von unseren Bedürfnissen, sondern von ihrem Vorteil”: Als am Ausgang des 18. Jahrhunderts der Aufklärer Adam Smith den ökonomischen Katechismus des aufsteigenden Bürgertums erließ, konnte er nicht ahnen, wie sehr es einmal den alternativen Enkeln des absteigenden Kleinbürgertums zum handgreiflichen Vorteil gereichen sollte, nichts anderes als nur ihre Bedürfnisse im Munde zuführen. Adam Smith sprach das Paradoxon der bürgerlichen Gesellschaft aus, in dem es die Alternativen behaglich sich eingerichtet haben. Das obskure soziale Verhältnis, das Vergesellschaftung einzig als ihre Negation zuläßt, ist ein metaphysisches, ein quasi-religiöses, eines, das seine Synthesis und seine Einheit nur als Wirken einer ‘unsichtbaren Hand’ sich deuten kann. Erst indem der Einzelne von sich selbst als bedürftigem Naturwesen einerseits, als in der Arbeitsteilung tätigem Sozialwesen andererseits praktisch abstrahiert, vermag er als Marktgänger den Vorteil herauszuschlagen, der die Befriedigung seiner Bedürfnisse immer schon beinhalten soll. Mißlingt sie, so liegt die Schuld immer beim Individuum, in seinem Mangel, die Abstraktion energisch genug zu vollziehen. Darin lag einmal der Skandal und die Linke trieb “Kritik der politischen Ökonomie”, um sich und anderen zu erklären, warum es am mysteriösen Sozialzusammenhang nichts zu verstehen, sondern etwas zu verändern gab. Aufklärung war intendiert, nicht Verbraucherberatung; Kritik sollte getrieben werden, nicht Reklame und Kommunikationsforschung.

Aber die Kritik des Kapitals ließ sich ohne die Kritik der Politik nicht konsequent artikulieren. Wer vom Profit spricht, der hat das Pech, von der Macht nicht schweigen zu können. Noch im Slang der bolschewistischen Antike, sogar in der Panzerkreuzer-Rhetorik von ‘Klassenkampf’ und ,Diktatur des Proletariats’, verbarg sich so, wie unterirdisch auch immer, die bestimmte Ahnung vom realen Zusammenhang.

Als dann im Herbst 1977 die Macht sprach, mußte künftig auch vom Profit geschwiegen werden. Davon besessen, jedes Wissen mit der inquisitorischen Frage “Was tun?” zu gängeln und auf den praktischen Nutzeffekt zu verhören, verging der Linken schockartig das Bewußtsein. Was gefährlich wurde, daher unnütz war, das mußte überdies noch der Unwahrheit überführt werden. Die Fahndung nach den Sympathisanten wurde langfristig durch die Beteuerung gekontert, man habe, nur aus uneigennützigem Lernprozeß natürlich, vom Proletariat längst Abschied genommen und ihm den Laufpaß gegeben. Aus der Revolution wurde ein Beitrag zur politischen Kultur und aus dem Sozialismus eine Alternative, d.h. eine Geschmacksfrage, über die man sich unterhalten, nicht aber streiten kann. Bewegungen ”quer zur Klassenlage” wurden Mode. Was am Beginn als Fortführung des alten Radikalismus auf höherem Niveau sich ausgab – die Kritik nicht nur der Warenform der Produkte, sondern ihres schlechten Gebrauchswertes – geriet zur Legitimation, von der Trennung von Freizeit und Arbeit nichts mehr wissen zu wollen. Die Forderung “Anders produzieren” meinte nur, die Malocher sollten endlich auch die Bedürfnisse des gehobenen, aber nicht so zahlungsfähigen Mittelstands befriedigen.

“Quer zur Klassenlage” stellte den Persilschein aus, als Mensch und weiter nichts sich betroffen zu zeigen. Alle sprachen von ihren Bedürfnissen zu ihrem Vorteil. Alternativ wurde zum geschützten Markenzeichen, Selbstverwaltung zur besten Reklame und der Handel mit orientalischem Plunder geschah im höheren Auftrag. Aber die Alternativen hatten Pech. Sie übersahen, daß die permanente Predigt der ökonomischen Selbstverwirklichung auf eigene Faust keine Garantie auf die entdeckte Marktlücke verschafft. Nachdem die Überlebensbewegungen für den Frieden und gegen das Atom das Bewußtsein ausreichend imprägniert hatten, übernahmen kapitalkräftigere Vereine den Kundendienst am Zeitgeist. Die Anpassung an den herrschenden Dialekt war in Wort und Tat so weit gediehen, daß sie als besonders bezahlte Arbeit überflüssig wurde. Die grüne Partei übernahm den politischen Part, die anthroposophischen Vollwertkonzerne den ökonomischen.

Jede Bewegung hat ihren Überbau, der sich auch dann noch ein Weilchen fortschleppt, wenn die Basis schlappmacht. Daher ergeht es den außerparlamentarisch institutionalisierten Alternativen heute so, wie es den K-Gruppen in den Jahren 1977-1980 geschah: Zuerst denkt der Ladenhüter, von der eigenen Qualität zutiefst überzeugt, die Nachfrage werde schon wieder anziehen, dann gibt er Preisnachlaß, schließlich wirft er sich in den Ramsch, um wenigstens die Portokosten herauszukriegen. Ganz regulär machen die Alternativen Bankrott. Die Kritik an der alternativen Wirtschaft, jahrelang tauben Ohren gepredigt, vollzieht sich so, wie sie nicht gemeint war: als Pleite. Um den Konkurs doch noch abzuwenden, verwandelt sich das alternative Lager zur Spendenkampagne in Permanenz, zur quengelnden Wegelagerei um Alimente. Es geht ums künstliche Beatmen von Ansprüchen, vor deren Fadenscheinigkeit das Publikum betreten schweigt. Ohne Bürger und Bürgen, die sich die Sozialhilfe für den im jugendlichen Leichtsinn linker Hand gezeugten alternativen Wechselbalg abluchsen lassen, ginge dem betrieblichen Weitermachen um jeden Preis täglich das Schmieröl aus. Die ÖkoBank als rationalisierter Angsttrieb um die Prämie geprellter Anwärter ist so die höchste und letzte Form dessen, was die Alternativen unter der Einheit von Theorie und Praxis sich vorstellen können.

Nachgedruckt in Das Ende des Sozialismus, die Zukunft der Revolution

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