Peter Korig: Rezension zu »Rackets«

Peter Korig

Thorsten Fuchshuber: Rackets – Kritische Theorie der Bandenherrschaft

 

Das Ende des Realsozialismus 1989/90 führte nicht dazu, dass sich bürgerliche Demokratie und Rechtsstaatlichkeit global ausbreiteten. In den Ruinen der Modernisierungsregime Osteuropas und des Globalen Südens traten stattdessen Banden auf den Plan, die mit Gewalt um Macht und Ressourcen kämpften. Die Grenzen zwischen legaler und illegaler Ökonomie lösten sich auf. Die Begriffe »Warlord«, »Oligarch« und »Failed State« hielten Einzug in den allgemeinen Sprachgebrauch.

In dieser Situation wurde das Konzept des »Racket« zur Beschreibung der Zerfallstendenzen der bürgerlichen Gesellschaft wiederentdeckt. Der Begriff stammt aus dem Englischen, wo er unter anderem für Schläger, Geschäftemacherei oder Gaunerei steht. Geprägt wurde das Racketkonzept in den 1940er Jahren vom in die USA exilierten Institut für Sozialforschung, vor allem von Max Horkheimer. Der Ideologiekritiker Wolfgang Pohrt versuchte 1997 unter Rückgriff auf Horkheimer in seinem Buch »Brothers in Crime«, die Bedingungen zu bestimmen, unter denen Gesellschaft durch ein System von Cliquen und Banden ersetzt wird. Auch in der iz3w wurde 1998 diskutiert, inwieweit sich die Rackettheorie zum Verständnis dieser Prozesse nutzbar machen lässt, etwa im Themenschwerpunkt »Politik in Banden« (iz3w 227).

Besondere Wirkungsmacht gewann die Rackettheorie in den Bemühungen der antideutschen Linken, das Regime der Islamischen Republik Iran zu erklären. Jedoch verkam der Begriff mehr und mehr zum Schlagwort, das selten analytisch gefüllt wurde. Seit einiger Zeit ist, unter anderem angesichts des Scheiterns des »Arabischen Frühlings«, wieder ein wachsendes Interesse an der Rackettheorie zu registrieren. Dazu passend legt der ça ira-Verlag mit der Dissertation Thorsten Fuchshubers zur »Kritischen Theorie der Bandenherrschaft« einen Versuch vor, die fragmentarisch gebliebenen Überlegungen zum Problem der Racketherrschaft zu rekonstruieren.

Fuchshubers umfangreiches Werk ist nicht voraussetzungslos. Grundlegende Kenntnisse der Geschichte, Begrifflichkeiten und Sprache der Kritischen Theorie sind nötig, um ihm folgen zu können. Der erste Teil der Studie zeichnet akribisch nach, wie die Rackettheorie entstand: Die von den Erfahrungen der gescheiterten Novemberrevolution, der Kämpfe in der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus geprägten Mitglieder des Institutes für Sozialforschung trafen in den USA auf die dortigen sozialen Auseinandersetzungen und reflektierten diese soziologisch.

Im zweiten Teil versucht Fuchshuber, aus den Überlegungen Horkheimers, Adornos, Neumanns, Pollocks und Kirchheimers eine Theorie der Racketgesellschaft zu rekonstruieren, die nicht bloße Soziologie der Bandenkriege in den Staatsruinen der kapitalistischen Peripherie ist, sondern eine Gesellschaftstheorie der nachliberalen Ära des konzentrierten und monopolisierten Kapitals. Schwerpunkte legt er dabei auf das Verhältnis von Racketbildung und Antisemitismus und auf das Problem der Souveränität, das in Horkheimers Ausführungen ein blinder Fleck geblieben ist.

Dabei verweist Fuchshuber immer wieder darauf, dass die Racketgesellschaft zwar eine nachbürgerliche, aber dennoch kapitalistische sei, weshalb die Marxsche Kritik der politischen Ökonomie auch hier weiterhin Gültigkeit beanspruche. Vor allem aber sei die Rackettheorie nicht formale Soziologie, sondern Gesellschaftskritik. Fuchshuber zeigt, dass die Rackettheorie insbesondere auch Klassentheorie ist, die die Spaltungen, Kämpfe und Ausschlüsse innerhalb der Klasse in den Blick nimmt. Seine Darlegungen dazu haben weit mehr Erklärungskraft als aktuelle identitäre Debatten oder die Versuche linker Politikmacherei, das Proletariat als revolutionäres Subjekt wiederzubeleben.

Das Buch schließt mit dem Versuch, die Aktualität der Rackettheorie an zeitgenössischen Beispielen zu demonstrieren. Ausgetretenen Pfaden folgend, werden dazu das Putinsche Russland und Somalia als Beispiele herangezogen. Zwingend ist das nach den vorangegangenen Ausführungen nicht, ein Blick auf die deutsche Autoindustrie hätte sogar nähergelegen. Insbesondere die Passagen zu Russland stellen den schwächsten Teil des Buches dar. Über die Feststellung, dass Putin nach den Oligarchenkriegen der 1990er Jahre eben nicht die Souveränität des Staates wiederhergestellt, sondern sich nur an die Spitze der konkurrierenden Rackets gesetzt habe, kommt Fuchshuber nicht hinaus. Fokussiert auf die Person der Präsidenten, gelingt es ihm nicht zu klären, wie die Racketgesellschaft entstehen und fortexistieren konnte und ihre Zerschlagung scheiterte.

Dabei ist diese Frage von zentraler Bedeutung. Denn die aktuellen Protestbewegungen gegen »Korruption« von Bogota über Bukarest bis Bagdad lassen sich durchaus als Aufbegehren gegen die Herrschaft der Rackets verstehen. Die Frage nach den Möglichkeiten zur Überwindung von Racketherrschaft ist damit gerade heute von großer praktischer Relevanz.

(iz3w, Juli/August 2020)