Jakob Hayner

Überall Rackets

Max Horkheimer wollte mit dem Racket-Begriff einst Herrschaft analysieren. Thorsten Fuchshuber versucht den Ansatz zu systematisieren.

In der Linken herrschte über den Begriff des Staates selten Einigkeit. Marx und Engels sahen ihn als Ausdruck des Selbstwiderspruchs der bürgerlichen Gesellschaft, Lenin als Produkt und zugleich Äußerung der Klassengegensätze, und auch der Ableitungsmarxismus der 1970er Jahre hatte seine liebe Müh und Freude an der exakten Theorie des Staates. Im Institut für Sozialforschung um Max Horkheimer und Theodor W. Adorno stritt man ebenfalls darüber. Wie verhalten sich Staat, Kapital, Politik und Gewalt zueinander? Und: Ist der Faschismus die Fortsetzung der bürgerlichen Gesellschaft mit anderen Mitteln oder ein Bruch mit derselben?

Insbesondere zwischen Friedrich Pollock und Franz Neumann kam es institutsintern Anfang der 1940er Jahre zu einer Kontroverse über den Charakter der Nazi-Herrschaft. Im Kern ging es darum, ob die klassischen Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie angesichts einer derart offen verbrecherischen Gewaltherrschaft noch Sinn ergäben. Und ob Monopole und Kartelle durch ihre Macht den Markt außer Kraft oder doch eher fortsetzten. Horkheimer als Leiter des Instituts machte daraufhin den Vorschlag, dass man sich gemeinsam einer Theorie der gesellschaftlichen Herrschaft widmen solle, um diese Fragen zu klären.

Er schlug dafür den Begriff der Rackets vor, ein Slangwort, das sowohl Schutzgelderpressung als auch korrupte Gewerkschaften bezeichnete und Eingang in das juristische und polizeiliche Vokabular gefunden hatte. Doch aufgrund ausbleibender Beteiligung wurde aus dem groß angelegten Versuch nichts. Der Philosoph Thorsten Fuchshuber hat es sich in „Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft“ zur Aufgabe gemacht, die Racket-Theorie aus den verschiedenen Schriften der Kritischen Theorie zu rekonstruieren.

Fuchshuber bezieht sich vor allem auf Texte von Horkheimer wie „Die Rackets und der Geist“, „Autoritärer Staat“ und „Vernunft und Selbsterhaltung“, deren Entstehung und Argumente er minutiös darlegt. Horkheimer wollte die Klassen neu begreifen – und somit die Rackets als ihre Schwundstufe. Bertolt Brecht hat das mit den Kohl-Trusts, Gangstern und Faschisten in „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ illustriert. Als Folge der Zentralisation des Kapitals werden die Vermittlungsinstanzen der bürgerlichen Gesellschaft hinfällig, Herrschaft äußert sich als unmittelbarer Zugriff auf das Leben der Einzelnen – oder als erpresster Schutz davor.

Schwerpunkt Gewalt

Angesichts der Staatsverbrechen des 20. Jahrhunderts eine plausible These. Die „gesellschaftliche Herrschaft geht aus ihrem eigenen ökonomischen Prinzip heraus in die Gangsterherrschaft über“, notierte Horkheimer. Zugleich wollte er die Rackets nicht als immerwährende Elementarform aller menschlichen Gesellschaften begreifen wie manch konservativer Theoretiker. Sie waren für ihn ein Produkt des Kapitalismus und mit diesem selbst vergänglich. Als Gegenmittel empfahl er Räte. Einen Schwerpunkt legt Fuchshuber auf die Beziehung zwischen Rackets und Gewalt gegen andere. Insbesondere der Antisemitismus ist ihm paradigmatisch für den Zusammenhang von vermittlungsloser Herrschaft, die sich ein Objekt der Vernichtung sucht.

Kontur gewinnt der Racket-Begriffs auf den über 600 Seiten unter anderem deshalb nicht, weil der Autor Schwierigkeiten bei der Darstellung hat sowie bei der Unterscheidung zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem. Auch die aktuellen Beispiele – Russland und Somalia – geben dem Begriff nicht die nötige Schärfe.

„Wenn alles Bande ist, hat nur ein Austausch der Wörter stattgefunden, eine Umbenennung“, schrieb der jüngst verstorbene Wolfgang Pohrt in seiner Racket-Studie „Bro­thers in Crime“. So drängt sich der Eindruck auf, dass auch inhaltliche Gründe für ein Ausbleiben der Racket-Theorie der Frankfurter Schule ausschlaggebend waren. Und dass der Begriff des Rackets wohl eher zu den polemischen Ausdrücken zu rechnen ist. In ihnen sollte pointiert ausgedrückt werden, dass die bürgerliche Gesellschaft ihre Alternative überlebte und zugleich hinter ihre Errungenschaften zurückfällt.

Thorsten Fuchshuber: „Rackets. Kritische Theorie der Bandenherrschaft“, Ca Ira Verlag, Freiburg 2019, 674 Seiten, 29 Euro

Aus:  taz, 5. Oktober 2019