Helmut Reichelt – Die abstrakteste Form des Kapitals * Leseprobe aus: Helmut Reichelt, Zur logischen Struktur des Kapitalbegriffs bei Karl Marx

Die abstrakteste Form des Kapitals

Helmut Reichelt

Wenden wir uns nun wieder der Darstellung der Kategorien zu, die von jetzt ab als systematische Zerstörung jener Form begriffen werden muß, in der sich der Kapitalismus an seiner Oberfläche präsentiert. Die »reale Basis« der bürgerlichen »Dreieinigkeit von Eigentum, Freiheit und Gleichheit«, die einfache Zirkulation als Vermittlung des gesellschaftlichen Stoffwechsels, als formeller Prozeß, in welchen die Waren wie Brennmaterial von außen ins Feuer geworfen werden, wird sich als Moment erweisen, als bloße Erscheinungsform, als Form totaler Verkehrung, unter der sich der Gesamtprozeß präsentiert. »Wie wir gesehen haben, ist in der einfachen Zirkulation als solcher (dem Tauschwert in seiner Bewegung) die Aktion der Individuen aufeinander dem Inhalt nach nur wechselseitige interessierte Befriedigung ihrer Bedürfnisse, der Form nach Austauschen, Setzen als Gleiche (Äquivalente), so hier auch das Eigentum nur noch gesetzt als Appropriation des Produkts der Arbeit durch die Arbeit und des Produkts fremder Arbeit durch eigene Arbeit, insofern das Produkt der eigenen Arbeit durch fremde Arbeit gekauft wird. Das Eigentum an fremder Arbeit vermittelt durch das Äquivalent der eigenen Arbeit. Diese |[243/244] Form des Eigentums – ganz wie Freiheit und Gleichheit – in diesem einfachen Verhältnis gesetzt. In der weiteren Entwicklung wird sich dies verwandeln und schließlich zeigen, daß das Privateigentum an dem Produkt der eigenen Arbeit identisch ist mit der Trennung von Arbeit und Eigentum; so daß Arbeit = wird fremdes Eigentum schaffen und Eigentum – fremde Arbeit kommandieren.« [ 1 ]

Da, wie schon erwähnt, der Übergang zum Kapital im Rohentwurf geschmeidiger durchgeführt wird als im Kapital, wollen wir uns vorwiegend an diesem Text orientieren. Wie wir gesehen haben, muß dieser Übergang bei der Entwicklung der dritten Bestimmung des Geldes einsetzen, dem verselbständigten Tauschwert: »In dieser Bestimmtheit ist seine Bestimmung als Kapital schon latent erhalten.« Hingewiesen wurde ebenfalls auf die entscheidende Bewegung der Vermehrung, die von der bürgerlichen Theorie, wie Marx ausführt, nie als substantielles Moment des Kapitals selbst dargestellt werden konnte. Den eigentlichen Grund für dieses Versagen haben wir darin gesehen, daß das bürgerliche Subjekt seiner eigenen Welt hilflos gegenübersteht, einer Welt, die ihm nur unter der Form des Objekts erscheint. Ausdruck dieses Sachverhalts ist das äußerliche Aufgreifen der Kategorien; sobald aber die Kategorie »Kapital« auch nur erwähnt wird, ist die Bewegung der Vermehrung je schon mitgedacht. »Kapital« zu sein ist also selbst diese Bewegung der Vermehrung und diese muß infolgedessen entwickelt werden, bevor von Kapital die Rede ist. Die genaue Betrachtung der Schatzbildung hat uns zugleich gezeigt, daß sich die Darstellung der Kategorien gleichsam aufspaltet in zwei Gedankengänge; der eine handelt von der Schatzbildung als notwendigem Glied innerhalb der Entwicklung der besonderen Gestalten der dritten Bestimmung des Geldes, der andere hat die Entstehung des Kapitals zum Gegenstand. Diesen Gedankengang, den wir abbrechen mußten, wollen wir jetzt wieder aufnehmen und weiterführen.

Im Urtext zur Kritik der politischen Ökonomie resümiert Marx die Betrachtung der einfachen Zirkulation im Hinblick auf die weitere Entwicklung der Kategorien: »Aber nun haben die in die Zirkulation geworfenen Waren ihren Zweck erreicht. Jede in der Hand ihres neuen Besitzers hört auf Ware zu sein; jede wird Objekt des Bedürfnisses und als solches, ihrer Natur gemäß, aufgezehrt. Damit ist also die Zirkulation am Ende. Es bleibt nichts übrig als das Zirkulationsmittel als einfaches Residuum. Als solches Residuum aber verliert es seine Formbestimmung. Es sinkt zusammen in seine Materie, die als |[244/245] unorganische Asche des ganzen Prozesses übrigbleibt. Sobald die Ware Gebrauchswert als solcher geworden, ist sie aus der Zirkulation herausgeworfen, hat sie aufgehört Ware zu sein. Es ist daher nicht nach dieser Seite des Inhalts (Stoffs) hin, daß wir die weiterführenden Formbestimmungen suchen müssen. (Hervorgehoben von mir, H. R.) Der Gebrauchswert wird in der Zirkulation als das, als was er unabhängig von ihr vorausgesetzt war, Gegenstand eines bestimmten Bedürfnisses. Als solcher war und bleibt er stoffliches Motiv der Zirkulation; bleibt von ihr als der gesellschaftlichen Form aber ganz unberührt. In der Bewegung W-G-W erscheint das Stoffliche als der eigentliche Inhalt der Bewegung; die gesellschaftliche Bewegung nur als verschwindende Vermittlung, um die individuellen Bedürfnisse zu befriedigen. Der Stoffwechsel der gesellschaftlichen Arbeit. In dieser Bewegung erscheint die Aufhebung der Formbestimmung, d.h. der aus dem gesellschaftlichen Prozeß hervorgehenden Bestimmungen, nicht nur als Resultat, sondern als Zweck; ganz wie das Prozeßführen für den Bauern, wenn auch nicht für den Advokat. Um also der weitren aus der Bewegung der Zirkulation hervorwachsenden Formbestimmung nachzugehen, müssen wir uns an die Seite halten, wo die Formseite, der Tauschwert als solcher sich weiter entwickelt; vertieftere Bestimmungen durch den Prozeß der Zirkulation selbst erhält. Also nach der Seite der Entwicklung des Geldes, der Form G-W-G. (Hervorgehoben von mir, H. R.)« [ 2 ] Diesen neu einsetzenden Prozeß »die Verdopplung des Austauschs – des Austauschs der Konsumtion wegen und des Austauschs des Austauschs wegen« [ 3 ] – haben wir bei der Betrachtung der Schatzbildung dargestellt, die sich jedoch, wie wir gesehen haben, als existierender Widerspruch erweist und zwar in doppelter Hinsicht. Da die Verselbständigung des Tauschwerts, das Festhalten des Reichtums in seiner allgemeinen Form unmittelbar übergeht in die Vermehrung desselben, stellt sich dieser Widerspruch in doppelter Weise dar. Einerseits, da das Gold in seiner Metallität unmittelbar existierende Abstraktion des gesamten wirklichen Reichtums ist, ist es generell, wenn der Reichtum in dieser Form festgehalten wird, »bloße Einbildung. Wo der Reichtum in ganz materieller handgreiflicher Form als solcher zu existieren scheint, hat er seine Existenz bloß in meinem Kopf, ist ein reines Hirngespinst.« [ 4 ] Die Wirklichkeit des als Ding existierenden allgemeinen Reichtums liegt außerhalb |[245/246] seiner, in der Totalität der Besonderheiten, die seine Substanz bilden. Soll sich aber das Geld als materieller Repräsentant des allgemeinen Reichtums bewähren und verwirklichen, so ist das nur möglich, wenn er als allgemeine Form verschwindet. Es muß in die Zirkulation geworfen werden, es muß gegen die »einzelnen besonderen Weisen des Reichtums« verschwinden, und » … dies Verschwinden ist die einzig mögliche Weise, es als Reichtum zu versichern. Die Auflösung des Aufgespeicherten in einzelne Genüsse ist seine Verwirklichung … « [ 5 ] Andererseits, da dieses Festhalten einhergeht mit seiner Vermehrung, erweist er sich auch in dieser Hinsicht als Widerspruch. Geht diese Bewegung der Vermehrung nicht Hand in Hand mit der Vermehrung des wirklichen Reichtums, so verliert das Geld »selbst seinen Wert in dem Maße, in dem es aufgehäuft wird. Was als seine Vermehrung erscheint, ist in der Tat seine Abnahme. Seine Selbständigkeit ist nur Schein; seine Unabhängigkeit von der Zirkulation besteht nur in Rücksicht auf sie, als Abhängigkeit von ihr.« [ 6 ] Infolgedessen erweist es sich als falsch, »daß seine eigne Quantität das Maß seines Wertes ist«. Das Geld in seiner dritten Bestimmung widerspricht sich also nicht nur, weil es sich als festgehaltener individuierter Reichtum zum bloßen Hirngespinst des wirklichen Reichtums verkehrt, so ndern auch den »Wert als solchen repräsentieren soll; in der Tat aber nur ein identisches Quantum von veränderlichem Wert repräsentiert« [ 7 ] . Das Geld in seiner dritten Bestimmung »erscheint nun nach allen Seiten als ein Widerspruch, der sich selbst auflöst; zu seiner eigenen Auflösung treibt« [ 8 ] . Das war, kurz rekapituliert, der Gedankengang, wie wir ihn auf Seite ??? dieser Arbeit verlassen haben.

In welcher Weise vollzieht sich nun die weitere Entwicklung? Bisher haben wir gesehen, daß sich der Tauschwert verselbständigt, Geld wird, und zwar als »Produkt der Zirkulation, das, gleichsam gegen die Verabredung, aus ihr herausgewachsen ist« [ 9 ] . Im Gold existiert der Reichtum als solcher, individualisiert, zum Gegenstand geworden. Wird das Geld aber in dieser Form fixiert, so verliert es seine Formbestimmung, ist dann gerade nicht, was es sein soll, nämlich selbständig existierender Tauschwert. Die Form der Selbständigkeit ist nur eine »negative, verschwindende, oder illusorische«. Gold ist Geld nur in |[246/247] bezug auf die Zirkulation, als die Möglichkeit, in sie einzugehen. »Aber es verliert diese Bestimmung, sobald es sich realisiert. Es fällt zurück in seine beiden Funktionen als Maß und Zirkulationsmittel. Als bloßes Geld kommt es nicht über diese Bestimmungen hinaus.« [ 10 ] Der Tauschwert kann sich also außerhalb der Zirkulation nicht verselbständigen, gewinnt nur eine scheinbare Selbständigkeit; kehrt er aber in die Zirkulation zurück, verschwindet er gegen eine besondere Form des Reichtums. Soll er sich aber als verselbständigter Tauschwert erhalten, so ist das nur möglich innerhalb der Zirkulation, zugleich darf er aber nicht gegen eine besondere Form des Reichtums verschwinden. »Damit das Geld sich als Geld erhalte, muß es ebenso, wie es als Niederschlag und Resultat des Zirkulationsprozesses erscheint, fähig sein, wieder in denselben einzugehen, d.h. in der Zirkulation nicht zum bloßen Zirkulationsmittel zu werden, das in der Form der Ware gegen bloßen Gebrauchswert verschwindet. Das Geld, indem es in der einen Bestimmung eingeht, muß sich nicht in der andren verlieren, also noch in seinem Dasein als Ware Geld bleiben und in seinem Dasein als Geld nur als vorübergehende Form der Ware existieren, in seinem Dasein als Ware nicht den Tauschwert, in seinem Dasein als Geld nicht die Rücksicht auf den Gebrauchswert verlieren. Sein Eingehn in die Zirkulation muß selbst ein Moment seines Beisichbleibens, und sein Beisichbleiben sein Eingehn in die Zirkulation sein.« [ 11 ] Betrachtet man die einfache Zirkulation genauer, so zeigt sich, daß diese neue Bewegung in ihr schon angelegt ist. Da jede Ware, um als Gebrauchswert zu werden, einen doppelten Formwechsel durchführen muß, existiert der Tauschwert doppelt: einmal als besondere Ware, das andere Mal als Geld. Einmal ist er in dieser Bestimmung, das andere Mal in jener, und kann in dieser nur sein, wenn er nicht in jener ist, und in jener nur, wenn er nicht in dieser ist. Andererseits ist es derselbe Tauschwert, der einmal in der Form der Ware existiert und das andere Mal in der Form des Geldes, »und (ist) eben die Bewegung, sich in dieser doppelten Bestimmung zu setzen und sich in jeder derselben als ihr Gegenteil, in der Ware als Geld, und im Geld als Ware zu erhalten. Dies, was an sich in der einfachen Zirkulation vorhanden, ist aber nicht in ihr gesetzt.« [ 12 ] Sobald aber diese Bewegung als solche erscheint, sobald der Tauschwert diese beiden Formen, Ware und Geld, nur verschwindend annimmt, sich gegen die besondere Ware austauscht, die aber selbst in ihrer Besonder-|[247/248]heit nur die Allgemeinheit des Tauschwertes ausdrückt, diese Form abstreift und die des Geldes annimmt, das aber jetzt ebenfalls nur einseitiger abstrakter Ausdruck des Tauschwertes als Allgemeinheit ist, wohnen wir dem Entstehungsprozeß des Kapitals bei. Diese Bewegung ist die erste Erscheinungsform des Kapitals, das Kapital als »Einheit von Ware und Geld, aber die prozessierende Einheit beider, und weder die eine noch das andre, wie sowohl das eine als das andre« [ 13 ] . Zugleich ist es die abstrakteste Gestalt des Kapitals: »Wenn wir hier von Kapital sprechen, so ist das hier nur noch ein Name. Die einzige Bestimmtheit, in der das Kapital im Unterschied vom unmittelbaren Tauschwert und vom Geld gesetzt ist, ist die des in der Zirkulation und durch die Zirkulation sich erhaltenden und verewigenden Tauschwerts.« [ 14 ] Indem sich jedoch der verselbständigte Tauschwert als solcher erhält, also in der Form der Gegenständlichkeit existiert, »aber gleichgültig dagegen ob diese Gegenständlichkeit die des Geldes oder der Ware ist« [ 15 ] , weil jede der beiden nur noch die Allgemeinheit des Tauschwerts ausdrückt, ist er in jeder Form der allgemeine Reichtum, und dieser ist, wie wir bei der Betrachtung des Geldes als Einheit der ersten und zweiten Bestimmung gesehen haben, keiner anderen Bewegung fähig als einer quantitativen. »Für den Wert, der an sich festhält, fällt daher Vermehren mit Selbsterhalten zusammen und er erhält sich nur dadurch, daß er beständig über seine quantitative Schranke hinaustreibt, die seiner innerlichen Allgemeinheit widerspricht … Als Reichtum, allgemeine Form des Reichtums, als Wert, der als Wert gilt, ist er also der beständige Trieb über seine quantitative Schranke fortzugehn; endloser Prozeß. Seine eigne Lebendigkeit besteht ausschließlich darin; er erhält sich nur als vom Gebrauchswert unterschiedener für sich geltender Wert, indem er sich beständig vervielfältigt durch den Prozeß des Austauschs selbst. Der aktive Wert ist nur mehrwertsetzender Wert.« [ 16 ] Als bewußter Träger dieser Bewegung wird der Geldbesitzer Kapitalist, sein subjektiver Zweck, die permanente Jagd nach dem abstrakten Reichtum, ist identisch mit dem objektiven Inhalt dieser neuen Zirkulationsbewegung, der Verwertung des Werts. Jetzt erst, wenn das Geld als Kapital seine dingliche Starrheit verloren hat, Prozeß geworden ist, ist der Vergleich mit dem Hegelschen Geistbegriff möglich und sinnvoll gewor-|[248/249]den. Im Kapital weist Marx explizit, wenngleich in parodistischer Weise, auf die strukturelle Identität hin, indem er sich auf das »erhabenste Beispiel« bezieht, das Hegel zur Verdeutlichung der Natur des Geistes anführen kann, von dem er aber gleichzeitig sagt, daß es eigentlich kein Beispiel sei, sondern »das Allgemeine, das Wahre selbst, von dem alles Andere ein Beispiel ist«: es ist der Gott des Christentums, der sich als anderes seiner selbst, als Sohn, Gegenstand ist, aber dieses andere seiner selbst ebenso unmittelbar selbst ist; »er weiß sich darin und schaut sich darin an, – und eben dieses Sichwissen und Sichanschauen ist drittens der Geist selber. Das heißt, das Ganze ist der Geist, weder das Eine noch das Andre für sich allein.« [ 17 ] Im Kapital heißt es: »Wenn in der einfachen Zirkulation der Wert der Waren ihrem Gebrauchswert gegenüber höchstens die selbständige Form des Geldes erhält, so stellt er sich hier plötzlich dar als prozessierende, sich selbst bewegende Substanz, für welche Ware und Geld beide bloße Formen. Aber noch mehr. Statt Warenverhältnisse darzustellen, tritt er jetzt sozusagen in ein Privatverhältnis zu sich selbst. Er unterscheidet sich als ursprünglicher Wert von sich selbst als Mehrwert, als Gott Vater von sich selbst als Gott Sohn, und beide sind vom selben Alter und bilden in der Tat nur eine Person, denn nur durch den Mehrwert von, 10 Pfd. St. werden die vorgeschossenen 100 Pfd. St. Kapital, und sobald sie dies geworden, sobald der Sohn und durch den Sohn der Vater erzeugt, verschwindet ihr Unterschied wieder und sind beide Eins, 110 Pfd. St.« [ 18 ]

Die weitere Darstellung der Kategorien ergibt sich aus der Entfaltung der Widersprüche der »allgemeinen Formel«, wie Marx diese Bewegung des Werts als übergreifendes, sich in der Zirkulation erhaltendes und ausreckendes Subjekt im Kapital nennt, und von der er im Rohentwurf sagt, daß es »hier nur noch ein Name« sei, weil es nur eine einzige Bestimmtheit ist, wodurch sich diese Bewegung vom unmittelbaren Tauschwert unterscheidet. Bleiben wir zuerst beim Rohentwurf. Soll dieser Prozeß, so wird hier ausgeführt, nicht nur formell sein, also in der Weise erfolgen, daß bloß die Form des Tauschwerts gewechselt wird, so muß sich der Tauschwert gegen den Gebrauchswert austauschen, und dieser Gebrauchswert muß konsumiert werden. Aber – und in diesem Zusatz ist gleichsam die ganze weitere Entwicklung enthalten – der Tauschwert muß sich in der Konsumtion der Ware als Tausch-|[249/250]wert erhalten, der »Prozeß ihres Vergehns muß daher zugleich als Prozeß des Vergehns ihres Vergehns, d.h. als reproduzierender Prozeß erscheinen. Die Konsumtion der Ware also nicht auf den unmittelbaren Genuß gerichtet, sondern selbst als ein Moment der Reproduktion ihres Tauschwerts. Der Tauschwert ergibt so nicht nur die Form der Ware, sondern erscheint als das Feuer, worin ihre Substanz selbst aufgeht. Diese Bestimmung geht aus dem Begriff des Gebrauchswerts selbst hervor.« [ 19 ] Einige Seiten zuvor wird dieser Gedanke anders formuliert: die Ware muß als Gebrauchswert konsumiert werden, oder »ihr Vergehn muß vergehn und selbst nur Mittel des Entstehns größren Tauschwerts, der Reproduktion und Produktion des Tauschwerts sein – produktive Konsumtion, d.h. Konsumtion durch die Arbeit, um die Arbeit zu vergegenständlichen, Tauschwert zu setzen. Produktion von Tauschwert ist überhaupt nur Produktion von größrem Tauschwert, Vervielfältigung desselben. Seine einfache Reproduktion ändert den Gebrauchswert, worin er existiert, wie es die einfache Zirkulation tut, schafft ihn aber nicht.« [ 20 ] Verfolgen wir nun die konkretere Ausführung der ersten Schritte, die in diese Richtung führen. Die Bewegung, die wir als die abstrakteste Erscheinungsform des Kapitals kennengelernt haben, ist die des verselbständigten Tauschwerts, des Tauschwerts als prozessierende Einheit von Ware und Geld: »Er existiert in der Form der Gegenständlichkeit, aber gleichgültig dagegen, ob diese Gegenständlichkeit die des Geldes oder der Ware ist.« [ 21 ] In jeder dieser Formen bleibt er »an sich haltender Tauschwert« [ 22 ] . Er ist also Geld nicht nur, wenn er die Form des Geldes annimmt, sondern ebensosehr, wenn er Warenform annimmt. Die allgemeine Form steht ihm jetzt selbst noch als besondere gegenüber neben den besonderen Formen des Reichtums, beide sind sie nur besondere Formen seiner selbst, in jeder der beiden ist er bei sich. Als diese Bewegung ist er Kapital. Aber Kapital kann er andererseits nur sein als Tauschwert, der sich gegen ein anderes verselbständigt. Dieses andere können aber jetzt nicht mehr die besonderen Waren bzw. deren allgemeine Form sein, da er ja gerade als verselbständigter ist (denn sein Sein ist die Bewegung der prozessierenden Einheit), indem er in ihnen bei sich ist. »Statt es auszuschließen, erscheint der Gesamtumkreis der Waren, alle Waren, als ebensoviele Inkarnationen des Geldes. |[250/251] Was die natürliche stoffliche Verschiedenheit der Waren angeht, schließt keine das Geld aus in ihr Platz zu greifen, sie zu seinem eigenen Körper zu machen, indem keine die Bestimmung des Geldes in der Ware ausschließt.« [ 23 ] Was aber ist dieses andere? Als verselbständigter Tauschwert ist er nach wie vor Tauschwert und kann sich darum nur gegenüber dem Gebrauchswert verselbständigen: »Als Tauschwert kann sich der Tauschwert überhaupt nur verselbständigen gegenüber dem Gebrauchswert, der ihm als solchem gegenübertritt. Nur in diesem Verhältnis kann der Tauschwert als solcher sich verselbständigen; als solcher gesetzt sein und funktionieren.« [ 24 ] Was ist der Gebrauchswert, wenn die ganze Welt der vergegenständlichten Arbeit, gleichgültig ob in besonderer oder allgemeiner Form, Geld ist, Tauschwert in seiner Bewegung als Kapital? Es kann nur die ungegenständliche, als »Vermögen, Möglichkeit, Fähigkeit, als Arbeitsvermögen des lebendigen Subjekts« [ 25 ] existierende subjektive Arbeit im Gegensatz zur objektivierten sein: »Für das Geld als Kapital existiert kein andrer Gebrauchswert. Es ist eben dies das Verhalten seiner als Tauschwerts zum Gebrauchswert. Der einzige Gebrauchswert, der einen Gegensatz und Ergänzung zum Geld als Kapital bilden kann, ist die Arbeit und diese existiert im Arbeitsvermögen, das als Subjekt existiert. Als Kapital ist das Geld nur in Bezug auf das Nichtkapital, die Negation des Kapitals, in Beziehung auf welche es allein Kapital ist. Das wirkliche Nicht-Kapital ist die Arbeit selbst. Der erste Schritt, daß das Geld zum Kapital werde, ist sein Austausch mit dem Arbeitsvermögen, um vermittelst des letztren die Konsumtion der Waren, d.h. ihr reales Setzen und Negieren als Gebrauchswerte, zugleich in ihre Betätigung des Tauschwerts zu verwandeln.« [ 26 ]

Bedingung dieser Verwandlung von Geld in Kapital ist, daß der Eigentümer des Geldes in der Sphäre der Zirkulation den freien Arbeiter vorfindet, der als freier Eigentümer über sein Arbeitsvermögen disponiert, und seine Arbeit nicht mehr in Form einer Ware, als vergegenständlichte Arbeit, austauschen kann. Wie wir wissen, ist diese Konstellation das Produkt einer langen geschichtlichen Entwicklung. Der Mensch wird erst zum freien Arbeiter, dem sich sein eigenes Arbeitsvermögen vergegenständlicht und in Form einer Ware austauschbar wird, wenn er von den objektiven Bedingungen seiner Verwirklichung |[251/252] getrennt ist, von den Produktionsmitteln, die sich jetzt ebenfalls als Ware auf dem Markt vorfinden. Im entwickelten Kapitalismus geht der Geldbesitzer, der sein Geld als Kapital verwerten will, von diesem Sachverhalt als einem vorgegebenen aus, wie auch die theoretische Verarbeitung des Kapitalismus in Gestalt der dialektischen Darstellung der Kategorien, die diesen Geldbesitzer gleichsam begleitet, erst unter dieser Voraussetzung möglich ist: »Historisch tritt das Kapital dem Grundeigentum überall zunächst in der Form von Geld gegenüber, als Geldvermögen, Kaufmannskapital und Wucherkapital. Jedoch bedarf es nicht des Rückblicks auf die Entstehungsgeschichte des Kapitals, um das Geld als seine erste Erscheinungsform zu erkennen. Dieselbe Geschichte spielt täglich vor unseren Augen. Jedes neue Kapital betritt in erster Instanz die Bühne, d.h. den Markt, Warenmarkt, Arbeitsmarkt oder Geldmarkt, immer noch als Geld, Geld, das sich durch bestimmte Prozesse in Kapital verwandeln soll.« [ 27 ] Und in den Grundrissen heißt es: »Es zeigt sich an diesem Punkt bestimmt, wie die dialektische Form der Darstellung nur richtig ist, wenn sie ihre Grenzen kennt. Aus der Betrachtung der einfachen Zirkulation ergibt sich uns der allgemeine Begriff des Kapitals, weil innerhalb der bürgerlichen Produktionsweise die einfache Zirkulation selbst nur als Voraussetzung des Kapitals und es voraussetzend existiert. Das Ergeben derselben macht das Kapital nicht zur Inkarnation einer ewigen Idee; sondern zeigt es, wie es in der Wirklichkeit erst, nur als notwendige Form, in die tauschwertsetzende Arbeit, auf dem Tauschwert beruhende Produktion münden muß.« [ 28 ]

Verfolgen wir d enselben Gedankengang im Kapital. Wie erwähnt, nimmt die Darstellung der Kategorien ihren Fortgang durch die Entfaltung dessen, was er hier die »Widersprüche der allgemeinen Formel« nennt. Die Kurzfassung dieser allgemeinen Formel lautet: kaufen, um teurer zu verkaufen, also jene Bewegung des prozessierenden Tauschwerts, der sich im Wechsel der Formen erhält und ausreckt, die abstrakteste Erscheinungsform des Kapitals. Als abstrakteste Form des Kapitals ist es aber zugleich die Form, unter der jedes Kapital erscheinen muß; es ist nicht nur das Handelskapital, welches wir in dieser allgemeinen Formel vor uns haben, wie es auf den ersten Blick scheint, »… auch das industrielle Kapital ist Geld, das sich in Ware verwandelt und durch den Verkauf der Ware in mehr Geld rückverwandelt. Akte, die etwa zwischen dem Kauf und dem Verkaufe, außerhalb der Zirku-|[252/253]lationssphäre, vorgehen, ändern nichts an dieser Form der Bewegung. In dem zinstragenden Kapital endlich stellt sich die Zirkulation G-W-G’ abgekürzt dar, in ihrem Resultat ohne die Vermittlung, sozusagen im Lapidarstil, als G-G’, Geld das gleich mehr Geld, Wert, der größer als er selbst ist … In der Tat also ist G-W-G’ die allgemeine Formel des Kapitals, wie es unmittelbar in der Zirkulationssphäre erscheint.« [ 29 ] Wie aber ist diese allgemeine Formel möglich unter den Bedingungen der einfachen Zirkulation? lautet die entscheidende Frage, die sich jetzt stellt, und die nur eine andere Formulierung der im Rohentwurf an dieser Stelle aufgeworfenen Frage ist, welches der Gebrauchswert ist, dem gegenüber sich der als prozessierende Einheit von Ware und Geld existierende Tauschwert verselbständigt. Entweder werden Äquivalente getauscht, und dann kann es keinen Mehrwert geben, oder aber es gibt den Kapitalismus und keinen Äquivalententausch. Wie wir wissen, ist dies die Frage, die Adam Smith irritiert hat im Gegensatz zu Ricardo, der, wie Marx ausführt, gerade deswegen zu einer geschlossenen Konzeption gelangen konnte, weil er an dieser Stelle kein Problem sah. Marx zeigt nun detailliert, daß die Frage, so gestellt, die Unmöglichkeit einer Beantwortung einschließt; daß sie – als einzig mögliche Formulierung dieses Problems innerhalb des bürgerlichen Horizonts – im System der Kategorien nur einen bestimmten Ort einnimmt und dadurch die Darstellung weitertreibt. Wir wollen hier davon absehen, die gesamten Argumente zu wiederholen, die Marx in diesem Zusammenhang vorträgt. Es versteht sich von selbst, daß es sich nur um Illustrationen handeln kann oder um Zurückweisung von Gedankengängen, die von der bürgerlichen Vulgärökonomie als Lösungen dieses unlösbaren Problems vorgeschlagen werden. Marx kommt schließlich zu dem Ergebnis, zu dem er kommen mußte: »Kapital kann also nicht aus der Zirkulation entspringen und es kann ebensowenig aus der Zirkulation nicht entspringen. Es muß zugleich in ihr und nicht in ihr entspringen. Ein doppeltes Resultat hat sich also ergeben. Die Verwandlung des Geldes in Kapital ist auf Grundlage dem Warenaustausch immanenter Gesetze zu entwickeln, so daß der Austausch von Äquivalenten als Ausgangspunkt gilt. Unser nur noch als Kapitalistenraupe vorhandner Geldbesitzer muß die Waren zu ihrem Wert kaufen, zu ihrem Wert verkaufen, und dennoch am Ende des Prozesses mehr Wert herausziehen als er hineinwarf. Seine Schmetterlingsentfaltung muß in der Zirkulationssphäre und muß nicht in der Zirkulationssphäre vorgehn. Dies sind die Bedingungen des Problems. Hic Rhodus, hic |[253/254] salta!« [ 30 ] Der nächste Schritt ist uns bekannt. Der Geldbesitzer muß den freien Arbeiter vorfinden. »Die Frage, warum dieser freie Arbeiter ihm in der Zirkulationssphäre gegenübertritt, interessiert den Geldbesitzer nicht, der den Arbeitsmarkt als eine besondere Abteilung des Warenmarktes vorfindet. Und einstweilen interessiert sie uns ebensowenig. Wir halten theoretisch an der Tatsache fest, wie der Geldbesitzer praktisch.« [ 31 ]

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Bei unserem Versuch, den Entwicklungsgang der Kategorien nachzuzeichnen, sind wir bei jener Konstellation angelangt, die der junge Marx vor Augen hatte, über deren Entstehen er aber damals noch keine genaue Auskunft geben konnte. Obwohl schon in den Exzerptheften der Ansatz deutlich zu erkennen ist, aus der einfachen Warenzirkulation die härteste Gestalt der Entfremdung, den Kapitalismus als nicht mehr zu überbietende Form der verkehrten Aneignung der Natur systematisch abzuleiten, bleiben entscheidende Übergänge im Dunkeln. Auch die Deutsche Ideologie führt nicht weit darüber hinaus. Wie wir gesehen haben, geht er dort von der abschlußhaften Form der Trennung des Menschen von den objektiven Bedingungen seiner Tätigkeit aus und versucht die vorhergehenden Stadien als minder entwickelte Gestalten dieser Grundstruktur zu begreifen, die vorzugsweise bedingt sind durch die jeweilige Form des Produktionsinstruments. Eine exaktere Konstruktion des geschichtlichen Verlaufs findet sich erst im Spätwerk, und zwar, wie wir schon hervorgehoben haben, in gleichsam verschlüsselter Form in der dialektischen Darstellung der Kategorien. Dieser Konstruktion wollen wir uns jetzt zuwenden.

In der Einleitung zur Kritik der politischen Ökonomie weist Marx darauf hin, daß es »untubar und falsch (wäre), die ökonomischen Kategorien in der Folge aufeinanderfolgen zu lassen, in der sie historisch die bestimmenden waren. Vielmehr ist ihre Reihenfolge bestimmt durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben, und die genau die umgekehrte von dem ist, was als ihre naturgemäße erscheint, oder der Reihe der historischen Entwicklung entspricht.« [ 32 ] Handelskapital, Wucher- und Zinskapital, selbst Aktienkapital hat es gegeben, bevor der industrielle Kapitalismus entstanden ist. Die Behandlung dieser Formen erfolgt aber erst im zweiten und dritten Band des Kapitals, wo sie als besondere Funk-|[254/255]tionsweisen des kapitalistischen Gesamtprozesses dargestellt werden, der erst kapitalistischer Gesamtprozeß ist und als solcher dargestellt werden kann, wenn die gesamte Produktion unter das Kapital subsumiert ist. »In der Geschichte gehn andre Systeme vor, die die materielle Grundlage der unvollkommenen Wertentwicklung bilden. Wie der Tauschwert hier nur nebenherspielt neben dem Gebrauchswert, erscheint nicht das Kapital, sondern das Grundeigentumsverhältnis als seine reale Basis.« [ 33 ] Sobald jedoch alle Produkte die Warenform annehmen, erscheint das Kapital als »reale Basis« des Tauschwerts, es setzt die Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln voraus, also auch die bürgerliche Form des Grundeigentums. Das impliziert zugleich, daß sich die gesamte Produktion zum Selbstzweck verkehrt hat, mit anderen Worten: daß die allgemeine Form des Reichtums zum unmittelbaren Zweck der ganzen Produktion geworden ist. Der kapitalistische Gesamtprozeß muß daher auch je schon als prozessierender Wert begriffen werden, als die beständige Bewegung des übergreifenden Subjekts, das verschiedene Formen annimmt, aber in allen diesen Formen bei sich ist und eben dies ist, im Anderssein bei sich selbst zu sein und sich in dieser Bewegung zugleich zu vermehren: »Das Kapital als das alle Phasen durchlaufende Subjekt, als die bewegte Einheit, prozessierende Einheit von Zirkulation und Produktion, ist zirkulierendes Kapital; das Kapital als selbst in jeder dieser Phasen eingebannt, als in seinen Unterschieden gesetzt, ist fixiertes Kapital, engagiertes Kapital. Als zirkulierendes Kapital selbst fixiert es sich, und als fixiertes Kapital zirkuliert es.« [ 34 ] Aus diesem Grunde ist es eine Abstraktion, die Darstellung der Kategorien mit der Entwicklung der einfachen Warenzirkulation zu eröffnen, weil es je schon das Kapital selbst ist, das sich unter dieser Form präsentiert; dennoch ist eine andere Darstellungsform nicht möglich, weil das Kapital den Wert logisch und auch historisch voraussetzt. »Wenn in der Theorie der Begriff des Werts dem des Kapitals vorhergeht, andrerseits aber zu seiner reinen Entwicklung wieder eine auf das Kapital gegründete Produktionsweise unterstellt, so findet dasselbe in der Praxis statt. Die Ökonomen betrachten daher das Kapital auch notwendig bald als Schöpfer der Werte, Quelle derselben, wie andrerseits sie Werte für die Bildung des Kapitals voraussetzen … « [ 35 ] |[255/256]

Der letzte oben nachgezeichnete Schritt der Darstellung ist darum zugleich der erste Schritt zur Dechiffrierung der Form der einfachen Zirkulation als einfache Zirkulation, als eine »abstrakte Sphäre des bürgerlichen Gesamtproduktionsprozesses, die durch ihre eigenen Bestimmungen sich als Moment, bloße Erscheinungsform eines hinter ihr liegenden, ebenso aus ihr resultierenden, wie sie produzierenden tieferen Prozesses – des industriellen Kapitals – ausweist« [ 36 ] . Innerhalb des weiteren Verlaufs der Darstellung, die sich jetzt, mit der Nachzeichnung der immanenten Automatik des prozessierenden Werts in seiner Bewegung als Kapital, wesentlich von der vorhergehenden Darstellung unterscheidet, finden wir gegen Ende des ersten Bandes des Kapitals eine Passage, in der Marx den Entwicklungsgang der Kategorien unter dem Gesichtspunkt dieser Dechiffrierung resümiert: »Insofern der Mehrwert, woraus Zusatzkapital Nr. 1 besteht, das Resultat des Ankaufs der Arbeitskraft durch einen Teil des Originalkapitals war, ein Kauf, der den Gesetzen des Warenaustausches entsprach, und, juristisch betrachtet, nichts voraussetzt als freie Verfügung auf seiten des Arbeiters über seine eigenen Fähigkeiten, auf seiten des Geld- oder Warenbesitzers über ihm gehörige Werte; sofern Zusatzkapital Nr. 2 usw. bloß Resultat von Zusatzkapital Nr. 1, also Konsequenz jenes ersten Verhältnisses; sofern jede einzelne Transaktion fortwährend dem Gesetz des Warenaustausches entspricht, der Kapitalist stets die Arbeitskraft kauft, der Arbeiter sie stets verkauft, und wir wollen annehmen selbst zu ihrem wirklichen Wert, schlägt offenbar das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigne, innere, unvermeidliche Dialektik in sein direktes Gegenteil um. Der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsprodukts ist, und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß. Das Verhältnis des Austausches zwischen Kapitalist und Arbeiter wird also nur ein dem Zirkulationsprozeß angehöriger Schein, bloße Form, die dem Inhalt selbst fremd ist und ihn nur mystifiziert. Der beständige Kauf und Verkauf der Arbeitskraft ist die Form. Der Inhalt ist, daß der Kapitalist einen Teil der bereits vergegenständlichten fremden Arbeit, die er sich unaufhörlich ohne Äquivalent aneignet, stets wie-|[256/257]der gegen größeres Quantum lebendiger fremder Arbeit umsetzt. Ursprünglich erschien uns das Eigentumsrecht gegründet auf eigne Arbeit. Wenigstens mußte diese Annahme gelten, da sich nur gleichberechtigte Warenbesitzer gegenüberstehen, das Mittel zur Aneignung fremder Ware aber nur die Veräußerung der eignen Ware, und letztere nur durch Arbeit herstellbar ist. Eigentum erscheint jetzt, auf Seite des Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit oder ihr Produkt, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sich sein eigenes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging.« [ 37 ] Diese Textstelle ist nicht nur von Interesse, weil sie innerhalb des Kategoriensystems den Ort bezeichnet, wo die »historische Betrachtung hereintreten muß«, wie Marx im Rohentwurf sagt, sondern auch, weil sie in der Engelsschen Kritik an Eugen Dühring einen höchst fragwürdigen Stellenwert hat, und damit demonstriert werden kann, wie die Konstruktion der historischen Genesis des industriellen Kapitalismus nicht erfolgen darf, wenn man der Marxschen Theorie gerecht werden will.

Wir wollen hier davon absehen, auf die Thematik der Auseinandersetzung näher einzugehen. Der wesentliche Einwand gegen Eugen Dührings »Gewalttheorie« besteht darin, daß die Analyse der »Rolle der Gewalt« nur im Zusammenhang mit einer genauen Betrachtung der jeweiligen Entwicklungsstufe der Naturbeherrschung erfolgen kann. Wird davon abstrahiert, so bleibt die Diskussion nicht nur im schlechten Sinne abstrakt, weil die Form, welche die Gewalt annimmt, je schon zum Sekundären herabgesetzt wird, sondern die Gefahr liegt nahe, daß der wirkliche Zusammenhang zwischen Ökonomie und Politik übersehen wird und »ökonomische Verhältnisse als Ergebnis politischer Handlungen« erklärt werden. Das war bei Eugen Dühring der Fall, und demgegenüber mußte Engels auf dem »Vorrang der Ökonomie« insistieren. In den Vorarbeiten zum Anti-Dühring notiert Engels, daß Marx im Kapital bewiesen habe, »wie die Gesetze der Warenproduktion auf einer gewissen Stufe der Entwicklung die kapitalistische Produktion mit all ihren Schikanen notwendig hervorbringt, und daß dazu gar keine Gewalt nötig ist« [ 38 ] . Im Anti-Dühring selbst heißt es dann: »Aber auch um die ›Unterjochung des Menschen zum Knechtsdienst‹ in der modernsten Form, in der Lohnarbeit, zu erklären, können wir weder die Gewalt noch das Gewalteigentum brauchen. Wir haben schon erwähnt, welche Rolle bei der Auflösung |[257/258] der alten Gemeinwesen, also bei der direkten oder indirekten Verallgemeinerung des Privateigentums, die Verwandlung der Arbeitsprodukte in Waren, ihre Erzeugung nicht für den eigenen Verzehr, sondern für den Austausch spielt. Nun aber hat Marx im Kapital sonnenklar nachgewiesen – und Herr Dühring hütet sich, auch nur mit einer Silbe darauf einzugehen -, daß auf einem gewissen Entwicklungsgrad die Warenproduktion sich in kapitalistische Produktion verwandelt und daß auf dieser Stufe (Engels zitiert jetzt Marx, H. R.) ›das auf Warenproduktion und Warenzirkulation beruhende Gesetz der Aneignung oder Gesetz des Privateigentums durch seine eigene, innere, unvermeidliche Dialektik in sein Gegenteil umschlägt: der Austausch von Äquivalenten, der als die ursprüngliche Operation erschien, hat sich so gedreht, daß nur zum Schein ausgetauscht wird, indem erstens der gegen Arbeitskraft ausgetauschte Kapitalteil selbst nur ein Teil des ohne Äquivalent angeeigneten fremden Arbeitsprodukts ist, und zweitens von seinem Produzenten, dem Arbeiter, nicht nur ersetzt, sondern mit neuem Surplus ersetzt werden muß …‹ (Die folgenden Sätze von Marx, die sich auf das Verhältnis des Austausches zwischen Kapital und Arbeit als ein dem Zirkulationsprozeß angehöriger Schein beziehen, zitiert Engels nicht, sondern fährt fort:) ›… Ursprünglich erschien uns das Eigentum (statt Eigentumsrecht, H. R.) gegründet auf eigene Arbeit … (Auch bei den nächsten Sätzen, die sich wieder auf das Verhältnis der einfachen Warenzirkulation beziehen, verfährt Engels in derselben Weise:) Eigentum erscheint jetzt … auf Seiten des Kapitalisten, als das Recht, fremde unbezahlte Arbeit, auf Seite des Arbeiters, als Unmöglichkeit, sein eigenes Produkt anzueignen. Die Scheidung zwischen Eigentum und Arbeit wird zur notwendigen Konsequenz eines Gesetzes, das scheinbar von ihrer Identität ausging‹. (Engels fährt nun fort.) Mit anderen Worten: selbst wenn wir die Möglichkeit alles Raubs, aller Gewalttat und aller Prellerei ausschließen, wenn wir annehmen, daß alles Privateigentum ursprünglich auf eigener Arbeit des Besitzers beruhe und daß im ganzen ferneren Verlauf nur gleiche Werte gegen gleiche Werte ausgetauscht werden, so kommen wir dennoch bei der Fortentwicklung der Produktion und des Austausches mit Notwendigkeit auf die gegenwärtige kapitalistische Produktionsweise … Der ganze Hergang ist aus rein ökonomischen Ursachen erklärt, ohne daß auch nur ein einziges Mal Raub, die Gewalt, der Staat oder irgendwelche politische Einmischung nötig gewesen wäre.« [ 39 ] Sicherlich wäre es Eugen Dühring |[258/259] schwergefallen, auf diesen »sonnenklaren Nachweis« einzugehen, da diese Passage aus dem Marxschen Werk nur durch groteske Entstellung das hergibt, was Engels gern beweisen möchte, ein »Nachweis«, der eigentlich nur vor dem Hintergrund der damaligen tagespolitischen Auseinandersetzung verständlich ist. Doch darum geht es hier nicht. Wesentlich ist vielmehr, daß Engels einen notwendigen Zusammenhang zwischen einfacher Warenzirkulation und entwickeltem Kapitalismus konstatiert, aber die Marxsche Darstellung der Kategorien zugleich nur um den Preis einer gewaltsamen Verfälschung in diesem Sinne zu deuten vermag.

Diese abstrakte Entgegensetzung von Gewalt und ökonomischer Autodynamik gibt es bei Marx nicht. Wenn die kategoriale Darstellung selber noch als verschlüsselte Darstellungsform jener Bewegung zu begreifen ist, die historisch zum Kapitalismus führt, wenn also gezeigt wird, daß im Gelde selbst der industrielle Kapitalismus angelegt ist und erst die dialektische Entfaltung der Kategorien in angemessener Form, nämlich der Form der Notwendigkeit, explizit reflektiert, was dem historischen Prozeß je schon immanent war, so impliziert dies zugleich, daß in jeder Kategorie die Gewalttaten der Weltgeschichte gleichsam »aufgehoben« sind. Das freie bürgerliche Subjekt, die bewußt vollzogene Bewegung des prozessierenden Werts, der sich im Anderssein als identisch durchhaltendes Allgemeines erweist und sich in dieser Bewegung vergrößert, kann ohne sein Komplement, das lebendige mehrwertproduzierende Arbeitsvermögen, nicht existieren. Und dieses Vermögen produziert es selbst, wenn nötig, mit brutaler Gewalt, indem es die Möglichkeit von Mehrarbeit zur Wirklichkeit eines Mehrprodukts verwandelt. »Es ist … klar, daß, wenn eine gewisse Entwicklung der Produktivität der Arbeit vorausgesetzt werden muß, damit Surplusarbeit existieren könne, die bloße Möglichkeit dieser Surplusarbeit (also das Vorhandensein jenes Minimums der Produktivität der Arbeit), noch nicht ihre Wirklichkeit schafft. Dazu muß der Arbeiter erst gezwungen werden, über jene Größe hinaus zu arbeiten, und diesen Zwang übt das Kapital aus.« [ 40 ]

Wie stellt sich dieser Vorgang unter der Form der kategorialen Entwicklung dar? Im Rohentwurf geht Marx unmittelbar nach der Konstruktion des eben erwähnten »dialektischen Umschlags« zur Darstellung der »ursprünglichen Akkumulation« über. Dort heißt es: »Andrerseits, was viel wichtiger für uns ist, zeigt unsere Methode Punkte, wo die historische Betrachtung hereintreten muß, oder wo die bürgerliche Ökonomie als bloß historische Gestalt des Produktionsprozesses über sich hinausweist auf frühere Weisen der Produktion. Es ist daher nicht nötig, um die Gesetze der bürgerlichen Ökono-|[259/260]mie zu entwickeln, die wirkliche Geschichte der Produktionsverhältnisse zu schreiben. Aber die richtige Anschauung und Deduktion derselben als selbst historisch gewordener Verhältnisse führt immer auf erste Gleichungen … die auf eine hinter diesem System liegende Vergangenheit hinweisen.« [ 41 ]

Im Kapital geht er darauf erst nach der Darstellung der »Verwandlung von Mehrwert in Kapital« und der Entwicklung der »allgemeinen Gesetze der kapitalistischen Akkumulation« ein. Das 24. Kapitel eröffnet er mit der Formulierung dieser »ersten Gleichung«: »Man hat gesehen, wie Geld in Kapital verwandelt, durch Kapital Mehrwert und aus Mehrwert mehr Kapital gemacht wird. Indes setzt die Akkumulation des Kapitals den Mehrwert, der Mehrwert die kapitalistische Produktion, diese aber das Vorhandensein größerer Massen von Kapital und Arbeitskraft in den Händen von Warenproduzenten voraus. Diese ganze Bewegung scheint sich also in einem fehlerhaften Kreislauf herumzudrehen, aus dem wir nur herauskommen, indem wir eine der kapitalistischen Akkumulation vorausgehende »ursprüngliche« Akkumulation unterstellen, eine Akkumulation, welche nicht das Resultat der kapitalistischen Produktionsweise ist, sondern ihr Ausgangspunkt.« [ 42 ] Dieser Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktionsweise, die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, wird von Marx ebenfalls noch als Ergebnis der Kapitalbewegung beschrieben, wie wir bei der Behandlung der Marxschen Kritik an Ricardos Grundrententheorie gesehen haben. Um daher die »wirkliche Geschichte der Produktionsverhältnisse« schreiben zu können, ist selbst noch die kategoriale Darstellung vorausgesetzt, und unter diesem Gesichtspunkt erhält die als widersprüchlich dargestellte »allgemeine Formel des Kapitals« noch eine andere Bedeutung. Zeigt sie uns innerhalb der Entfaltung der Kategorien, wie das Kapital »in der Wirklichkeit erst, nur als notwendige Form, in die tauschwertsetzende Arbeit, auf dem Tauschwert beruhende Produktion münden muß« [ 43 ] , so gilt dies auch für den historischen Prozeß: »Diese Bewegung erscheint in verschiedenen Gestalten, sowohl historisch als zur Wertproduzierenden Arbeit führend, wie auch andrerseits, innerhalb des Systems der bürgerlichen, d.h. der Tauschwertsetzenden Produk-|[260/261]tion selbst.« [ 44 ] So stellt sich die »allgemeine Formel« des Kapitals einerseits als notwendiges Glied innerhalb der »Reihenfolge« der Kategorien dar, wie sie »bestimmt ist durch die Beziehung, die sie in der modernen bürgerlichen Gesellschaft aufeinander haben«. Sie treibt die kategoriale Darstellung weiter und erweist sich zugleich als abgeleitete Form, die erst entwickelt werden kann, wenn das Kapital im Verlauf der Entfaltung des »allgemeinen Begriffs« als zirkulierendes bzw. als Kredit zur Darstellung kommt. In diesem Sinne sagt Marx bei der Entwicklung dieses Übergangs: »Man versteht daher, warum in unserer Analyse der Grundform des Kapitals, der Form, worin es die ökonomische Organisation der modernen Gesellschaft bestimmt, seine populären und sozusagen antediluvianischen Gestalten, Handelskapital und Wucherkapital, zunächst gänzlich unberücksichtigt bleiben. Im eigentlichen Handelskapital erscheint die Form G-W-G’, kaufen um teurer zu verkaufen, am reinsten. Andrerseits geht seine ganze Bewegung innerhalb der Zirkulationssphäre vor. Da es aber unmöglich ist, aus der Zirkulation selbst die Verwandlung von Geld in Kapital, die Bildung von Mehrwert zu erklären, erscheint das Handelskapital unmöglich, sobald Äquivalente getauscht werden, daher nur ableitbar aus der doppelseitigen Übervorteilung der kaufenden und verkaufenden Warenproduzenten durch den sich parasitisch zwischen sie schiebenden Kaufmann. In diesem Sinne sagt Franklin: ›Krieg ist Raub, Handel ist Prellerei.‹ Soll die Verwertung des Handelskapitals nicht aus bloßer Prellerei der Warenproduzenten erklärt werden, so gehört dazu eine lange Reihe von Mittelgliedern, die hier, wo die Warenzirkulation und ihre einfachen Momente unsere einzige Voraussetzung bilden, noch gänzlich fehlt.« [ 45 ]

Andererseits ist in dieser immanenten Widersprüchlichkeit der »allgemeinen Formel« zugleich impliziert, daß das Kapital in dieser abstrakten Gestalt, in der es historisch zuerst erscheint, über sich hinausweist auf die Sphäre der Produktion, auf diese übergreift und sich ihrer schließlich bemächtigt. Dieser Prozeß ist jedoch nicht als gradli nig verlaufender zu denken, »… das bloße Dasein des Geldvermögens und selbst eine Art supremacy seinerseits reicht keineswegs dazu hin, daß jene Auflösung in Kapital geschehe. Sonst hätte das alte Rom, Byzanz etc. mit freier Arbeit und Kapital seine Geschichte geendet oder vielmehr eine neue Geschichte begonnen.« [ 46 ] Obwohl uns der allgemeine Begriff des Kapitals, soweit wir ihn hier entwickelt |[261/262] haben (und es ist nur ein Bruchteil der Gesamtdarstellung), zeigt, daß die immanente Logizität der Wertbewegung den Kapitalismus hervorbringt, daß in der Ware selbst der ganze Kapitalismus angelegt ist, läßt sich aus dem allgemeinen Begriff des Kapitals keineswegs ableiten, warum sich der Kapitalismus erst in Europa etablieren konnte, erst hier zu einer Existenz gelangen konnte, die seinem Begriff mehr oder minder – entspricht (wie wir wissen, enthält das Marxsche Kapital nur die Darstellung der wirklichen Verhältnisse, soweit sie ihrem Begriff adäquat sind). Hier hat die historische Forschung einzusetzen, der Marx innerhalb seiner durch die eigentümliche Natur des Gegenstandes bedingten spekulativ anmutenden Darstellungsweise ihren bestimmten Platz aufweist: »Wieweit aber dieser Prozeß die alte Produktionsweise aufhebt, wie dies im modernen Europa der Fall war, und ob er an ihrer Stelle die kapitalistische Produktionsweise setzt, hängt ganz von der historischen Entwicklungsstufe und den damit gegebenen Umständen ab.« [ 47 ] Und in den Grundrissen heißt es: »Dies ist, was man die zivilisierende Wirkung des auswärtigen Handels nennt. Es hängt dann ab, teils von dem Grad worin die Elemente der inländischen Produktion – Teilung der Arbeit etc. – schon entwickelt sind, inwieweit die Tauschwert setzende Bewegung das Ganze der Produktion angreift. In England z.B. im 16. Jahrhundert und Anfang des 17. macht die Einfuhr der niederländischen Waren das Surplus von Wolle, das England im Austausch zu geben, wesentlich entscheidend. Um nun mehr Wolle zu produzieren, wurde Ackerland in Schafweide verwandelt, das kleine Pachtsystem aufgebrochen etc., clearing von estates fand statt etc. Die Agrikultur verlor also den Charakter der Arbeit für den Gebrauchswert und den Austausch ihres Überschusses, den gegen sie in ihrer innern Konstruktion betrachtet gleichgültigen Charakter. Die Agrikultur ward an gewissen Punkten selbst rein durch die Zirkulation bestimmt, in Tauschwert setzende Produktion verwandelt. Damit wurde die Produktionsweise nicht nur verändert, sondern alle alten Populations- und Produktionsverhältnisse, ökonomische Verhältnisse, die ihr entsprachen, aufgelöst. So war der Zirkulation hier vorausgesetzt eine Produktion, die nur als Überschuß Tauschwerte schuf; aber sie ging zurück in eine Produktion, die nur noch mit Beziehung auf die Zirkulation stattfand, in Tauschwerte als ihren ausschließlichen Inhalt setzende Produktion.« [ 48 ] |[262/263]

Vergleicht man diese Konstruktion mit den berühmten Formulierungen im Vorwort zur Kritik der politischen Ökonomie, so läßt sich nicht übersehen, daß die dort vorgetragene Einteilung der menschlichen Vorgeschichte in »verschiedene progressive Epochen der ökonomischen Gesellschaftsformation« der Sache selbst äußerlich bleibt und weit mehr im Sinne einer Typologie aufgefaßt werden muß. Die nähere Betrachtung des Rohentwurfs zeigt, daß sich hinter der dialektischen Darstellung der Kategorien ein emphatischer Begriff von Geschichte verbirgt, der nur zwei Strukturen kennt: Verhältnisse, in denen der Reichtum eine von ihm selbst unterschiedene Form annimmt, und solche, wo das nicht der Fall ist. Wie sehr sich darum die verschiedenen Gesellschaftsformationen auch immer voneinander unterscheiden mögen, sofern sie auf der Aneignung des Reichtums in seiner besonderen Form beruhen, haben sie keine Geschichte. Geschichtlich ist nur die verkehrte Welt, in welcher der Stoffwechsel selbst zum Vehikel der permanenten Jagd nach dem abstrakten Reichtum herabsinkt, von der immanenten Logizität dieses Prozesses erfaßt und selber noch von ihm strukturiert wird. So erscheint es legitim, den Geschichtsprozeß als wiederholt einsetzenden zu denken, der auf der Grundlage ahistorischer Strukturen seinen Ausgang nimmt, auf diese zurückschlägt und zersetzend in sie eindringt und umgestaltet: »Patriarchalische, wie antike Zustände (ebenso feudale), verfallen daher ebensosehr mit der Entwicklung des Handels, des Luxus, des Geldes, des Tauschwerts, wie die moderne Gesellschaft mit ihnen emporwächst.« [ 49 ] Daß es sich hier keineswegs um eine an Hegel orientierte Deutung handelt, sondern umgekehrt die Hegelsche Geschichtsphilosophie von Marx als sich selbst undurchsichtige Formulierung des wirklichen Sachverhalts betrachtet wird, läßt sich an seiner Einschätzung indischer Verhältnisse zeigen. Ebenso wie Hegel sagt, daß Indien bei aller Kultur »doch keine Geschichte« [ 50 ] hat, ist für Marx die Wiederholung des Immergleichen kein hinreichender Grund, von Geschichte zu sprechen: »Die indische Gesellschaft hat überhaupt keine Geschichte, zum mindesten keine bekannte Geschichte. Was wir als ihre Geschichte bezeichnen, ist nichts anderes als die Geschichte der aufeinanderfolgenden Eindringlinge, die ihre Reiche auf der passiven Grundlage dieser widerstandslosen, sich nicht verändernden Gesellschaft erricheten.« [ 51 ] Unter diesen Voraussetzungen kann England jene Rolle |[263/264] übernehmen, die in Hegels Philosophie dem Geschäftsträger des Weltgeistes zugedacht war: »Gewiß war schnödester Eigennutz die einzige Triebfeder Englands, als es eine soziale Revolution in Indien auslöste, und die Art, wie es seine Interessen durchsetzte, war stupid. Aber nicht das ist hier die Frage. Die Frage ist, ob die Menschheit ihre Bestimmung erfüllen kann ohne radikale Revolutionierung der sozialen Verhältnisse in Asien. Wenn nicht, so war England, welche Verbrechen es auch begangen haben mag, doch das unbewußte Werkzeug der Geschichte, indem es diese Revolution zuwege brachte.« [ 52 ]

*

Wir wollen an dieser Stelle den Versuch, die dialektische Darstellung der Kategorien nachzuzeichnen, abbrechen und nur noch einige Aspekte hervorheben. Obwohl unsere Interpretation, auf deren Vorläufigkeit noch einmal nachdrücklich hingewiesen werden soll, erst mit einem Bruchteil der Kategorien befaßt war, zeigt sich einerseits deutlich, daß sich qualitative Unterschiede innerhalb der Gesamtdarstellung finden, je nachdem, ob es sich um die Darstellung der Formbestimmtheiten der einfachen Zirkulation handelt oder aber um den Nachvollzug der Autodynamik des prozessierenden Wertes, die mit der Schatzbildung einsetzt, andererseits läßt sich ebensosehr erkennen, daß sich über die Marxsche Methode, abgelöst von der Nachzeichnung des Dargestellten, so gut wie nichts aussagen läßt. Materialistische Dialektik – so haben wir festgehalten, obwohl es in dieser Weise von Marx nie ausgesprochen wird – ist Methode auf Widerruf, die so gut oder so schlecht ist, wie die Welt selbst, der sie angehört. In ihr reflektiert sich, daß es die Menschen selbst sind, die sich abstrakt negieren, indem sie sich unter der Form gesellschaftlicher Objektivität aus der Natur herausarbeiten, einer Form, die dadurch charakterisiert ist, daß sie voll und ganz durch Subjektivität konstituiert ist, daß aber zugleich die sie konstituierende Subjektivität dahinter verschwindet. Unter diesem Gesichtspunkt hat sich der Übergang aus der Sphäre der einfachen Zirkulation zum Kapital als Angelpunkt der Konstruktion erwiesen, insofern an dieser Stelle gezeigt wird, wie das Geld in der dritten Bestimmung – als von allen einzelnen hervorgebracht und zugleich als von allen einzelnen unabhängig existierend die Voraussetzung darstellt, daß di e Menschen subjektive Zwecke verfolgen können, deren Inhalt, wie Form und Mittel der Verwirklichung, völlig durch das Handeln der Menschen selbst bedingt sind. Die mit der |[264/265] Existenz des verselbständigten Tauschwerts einsetzende Bewegung ist darum subjektiv und objektiv zugleich, und doch ist das eine nicht unmittelbar das andere. Erst diese Konstruktion des Schnittpunkts von Subjektivität und Objektivität, die im Spätwerk denselben Stellenwert hat wie im Frühwerk der Begriff des Privateigentums, kann den methodischen Anspruch rechtfertigen, die kapitalistische Gesellschaft in einer Weise begrifflich verarbeiten zu können, vor der sich die Fragestellungen der gegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Methodendiskussion nicht nur nicht als unzulänglich erweisen, sondern selbst noch als Ausdruck einer – mit Hegels Worten – Stellung des Gedankens zur Objektivität, die Marx in der kategorialen Darstellung je schon übersprungen hat.

Wenn Marx es unterläßt, abgelöst vom darzustellenden Gegenstand über die Methode zu reflektieren, so impliziert dies, daß Methodendiskussionen je schon in einem Verhältnis wesentlicher Äußerlichkeit zum eigentlichen Gegenstand stehen, also dieser Gegenstand vorweg schon in eine bestimmte Form gebracht wurde, die der Methode unüberwindliche Schwierigkeiten entgegensetzt. Darin ist Marx nicht weniger rigoros als Hegel und das erklärt auch, warum er erste Ansätze einer solchen Verfahrensweise als Zeichen des Niedergangs der ökonomischen Theorie wertet. »Mill war der erste, der Ricardos Theorie in systematischer Form darstellte, wenn auch nur in ziemlich abstrakten Umrissen. Was er anstrebt, ist formell logische Konsequenz. Mit ihm beginnt ›daher‹ auch die Auflösung der Ricardoschen Schule. Bei dem Meister entwickelt sich das Neue und Bedeutende mitten im ›Dünger‹ der Widersprüche, gewaltsam aus den widersprechenden Erscheinungen. Die Widersprüche selbst, die zugrunde liegen, zeugen von dem Reichtum der lebendigen Unterlage, aus der sich die Theorie herauswindet. Anders mit dem Schüler. Sein Rohstoff ist nicht mehr die Wirklichkeit, sondern die neue theoretische Form, wozu der Meister sie sublimiert hat. Teils der theoretische Widerspruch der Gegner der neuen Theorie, teils das oft paradoxe Verhältnis dieser Theorie zu der Realität spornen ihn zum Versuch, die ersten zu widerlegen, das letztere wegzuerklären. Bei diesem Versuch verwickelt er sich selbst in Widersprüche und stellt mit seinem Versuch, sie zu lösen, zugleich die beginnende Auflösung der Theorie dar, die er dogmatisch vertritt.« [ 53 ] Daß sich hierin ein neues Phänomen ankündigen könnte, hat Marx nicht mehr wahrgenommen. Seinem Selbstverständnis zufolge kann die politische Ökonomie nur eine Wis-|[265/266]senschaft sein, welche die von den Menschen selbst produzierte Objektivität theoretisch zu durchdringen sucht und schließlich in seiner eigenen Kritik der politischen Ökonomie kulminiert, die sich als aufzuhebende Wissenschaft versteht und nur als solche in der Lage ist, den Kapitalismus wirklich angemessen zu begreifen. Methodisch betrachtet ist der Kapitalismus für die Marxsche Theorie eine abgeschlossene Weltepoche, selbst wenn diese in der Wirklichkeit fortdauert. Die Theorie ist dann Theorie eines naturähnlich fortwuchernden Prozesses, in welchem die Menschen wie eh und je unter die Objektivität ihrer eigenen Verhältnisse subsumiert sind. Solange jedoch diese Form der Subsumtion existiert, gibt es auch den Standpunkt des bürgerlichen Subjekts, dem sich seine eigene Welt nur unter einer Form darstellt, unter der des Objekts. Aus dieser theoretischen Not kann es aber gleichwohl eine praktische Tugend machen, den Gegenstand nach wie vor nur unter dieser Form wahrnehmen und dabei eine Wissenschaft entwickeln, in der dieser Gegenstand dann auch als das erscheint, als was sich das Subjekt immer nur erfaßt hat – als Objekt.

Anmerkungen

1Grundrisse, S. 148

2Grundrisse (Urtext), S. 925

3Grundrisse, S. 67

4A. a. O., S. 144

5A. a. O., S. 145

6A. a. O., S. 145

7A. a. O., S. 145

8A. a. O., S. 144

9Grundrisse (Urtext), S. 928

10A. a. O., S. 933

11A. a. O., S. 931

12A. a. O., S. 934

13A. a. O., S. 934

14Grundrisse, S. 173

15Grundrisse (Urtext), S. 939

16A. a. O., S. 936

17G. W. F. Hegel, Die Vernunft in der Geschichte (ed. Hoffmeister), Felix-Meiner-Verlag, Hamburg, S. 58 f.

18Das Kapital, Bd. 1, S. 169 f.

19Grundrisse (Urtext), S. 938

20A. a. O., S. 932 f.

21A. a. O., S. 939

22A. a. O., S. 941

23A. a. O., S. 941 f.

24A. a. O., S. 942

25A. a. O., S. 942

26A. a. O., S. 943 f.

27Das Kapital, Bd. 1, S. 161

28Grundrisse (Urtext), S. 945 f.

29Das Kapital, Bd. 1, S. 170

30A. a. O., S. 180 f.

31A. a. O., S. 183

32Grundrisse, S. 28

33A. a. O., S. 163 f.

34A. a. O., S. 515

35A. a. O., S. 163

36Grundrisse (Urtext), S. 922 f.

37Das Kapital, Bd. 1, S. 609 f.

38Marx-Engels-Werke, Bd. 20, Berlin 1962 S. 591

39A. a. O., S. 151 f.

40Theorien über den Mehrwert, Teil 2, S. 403 f.

41Grundrisse, S. 364 f.

42Das Kapital, Bd. 1, S. 741

43Grundrisse (Urtext), S. 946

44Grundrisse, S. 167

45Das Kapital, Bd. 1, S. 178 f.

46Grundrisse, S. 405

47Das Kapital, Bd. 3, S. 608

48Grundrisse, S. 168

49A. a. O., S. 76

50Die Vernunft in der Geschichte, S. 152

51Karl Marx, Die künftigen Ergebnisse der britischen Herrschaft in Indien, in: Marx-Engels-Studienausgabe des Fischer-Verlags, Bd. 4, S. 146

52Karl Marx, Die britische Herrschaft in Indien, a. a. O., S. 136

53Theorien über den Mehrwert, Teil 3, S. 80 f.

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