Hanns-Werner Heister – Gerhard Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld

Hanns-Werner Heister

Gerhard Scheit: Verborgener Staat, lebendiges Geld

Ein großer Wurf, der Elemente des Antisemitismus auch dort findet, wo man ihn kaum vermuten würde. Stofflich im Zentrum stehen Theaterstücke vom europäischen Mittelalter bis zur Gegenwart. Aber immer wieder, ob Passionsspiel, Bach-Passion oder Wagners “Bühnenweihfestspiel”, kommt Scheit zu treffenden bis bestürzenden Erkenntnissen, wie weit verbreitet und selbstverständlich antisemitische Denkfiguren und künstlerische Gestaltungsmittel waren – und sind. Dem Fall Wagner, prominent durch Ausmaß, Penetranz und Brutalität des Antisemitismus wie durch Rang und Ausstrahlung des Werks, ist dabei ein ganzes Kapitel gewidmet. Im Kern steht immer die Personifikation (als Projektion jeweils eigener negativer Regungen, als Sündenbock u.a.) des abstrakten gesellschaftlichen Reichtum, des Geldes, dem in “dem Juden” eine im Wortsinn greifbar-angreifbare Gestalt gegeben wird. Sein Unterfangen nennt Scheit grimmig-paradox eine “Kulturgeschichte der Barbarei”. Methoden wie Ergebnisse und Erkenntnisse seines Überblicks könnten, ernst genommen und weitergedacht, einen kleinen Beitrag zur Überwindung dieser Barbarei und zur Entwicklung humaner Zivilisation bilden.

Aus: Neue Musikzeitung Dezember 2000 / Januar 2001

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