Joachim Bruhn – Marxistischer Antileninismus * Rezension von Pannekoek/Mattick – Marxistischer Antileninismus

Joachim Bruhn

Marxistischer Antileninismus

Sozialdemokratie ist Bolschewismus ohne Staatsmacht, Marxisten-Leninisten sind autoritäre Sozialdemokraten. Die durch den Zusammenbruch der realsozialistischen Gesellschaften des Ostens ausgelöste Massenkonversion der linken Intellektuellen zur »Zivilgesellschaft« als moralisch veredelter Ausgabe der freien Marktwirtschaft hat den Geburtsfehler der Linken bloßgelegt: ihren Staatsfetischismus. Sozialistisch, gar kommunistisch gab man sich genau so lange, wie man eine leitende Position im gesellschaftlichen System der Trennung von geistiger und körperlicher Arbeit erhoffen durfte. Hier nehmen alle Illusionen der »wissenschaftlichen Handhabung der Ware-Geld-Beziehung« ihren Anfang, mit denen nach ’68 die K-Gruppen politisch hausieren gingen. Der Leninismus war die Ideologie der proletarisch verkleideten bürgerlichen Revolutionäre. Schon in den zwanziger Jahren kritisierten die »proletarischen Antibolschewisten« um Anton Pannekoek die Verwandlung des Marxismus in Herrschaftswissenschaft und die Ideologie der nachholenden Industrialisierung. Ausgehend von Rosa Luxemburgs Diktum, die Bolschewiken seien die Nachfahren der Jakobiner, vertraten die Rätekommunisten die These, nationaler »Sozialismus in einem Lande« sei nichts anderes als Staatskapitalismus. »Das Ziel, das die Kommunistische Partei sich unter dem Namen ‘Weltrevolution’ setzt – mittels der Macht der von ihr geführten Arbeiterklasse eine Schicht von Führern und Intellektuellen zur Herrschaft zu bringen, die dann die Sozialisierung, d.h. die planmäßige Produktion durch die Staatsgewalt durchführt – stimmt im wesentlichen mit dem sozialistischen Endziel der Sozialdemokratie überein.«  Im Zentrum des Sammelbandes steht Anton Pannekoeks Schrift »Lenin als Philosoph« von 1938, die 1967 erstmals – und folgenlos – auf deutsch erschien, dazu Aufsätze von Paul Mattick und Karl Korsch, schließlich die »Thesen über den Bolschewismus« der Gruppe Internationale Kommunisten Hollands von 1934. Der abschließende Aufsatz von Diethard Behrens und Kornelia Hafner »Auf der Suche nach dem ‘wahren Sozialismus’. Von der Kritik des Proudhonismus über die russische Modernisierungsdiktatur zum realsozialistischen Etikettenschwindel« untersucht, wie es zur Verwechslung von Planwirtschaft und Kommunismus kommen konnte. Der Abgang des Staatskapitalismus eröffnet den Blick auf den ebenso antikapitalistischen wie notwendig antietatistischen Charakter des »Vereins freier Menschen«. Kein Grund zur Trauer also oder gar zur FDGO.

Aus: Konkret-Literatur 1991

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