Gerhard Hanloser – Kritik des Antiimperialismus * Sammelrezension zu: Landmann, Das Israelpseudos der Pseudolinken

Gerhard Hanloser

Kritik des Antiimperialismus

Der Antiimperialismus der 1970er Jahre hat einen extrem schlechten Ruf. Anti-amerikanisch soll er gewesen sein und sich in Form der bewaffneten Gruppen ins Terroristische manövriert haben; in seiner Parteinahme für die Palästinenserinnen und seiner harschen Kritik Israels soll er sich darüber hinaus deutlich antisemitisch positioniert haben. Doch tatsächlich ist hier noch nichts gesichert, historisch aufgearbeitet und schlußendlich begriffen. Was also anstünde, wäre eine interdisziplinär angelegte und nur von einem Forscherteam zu leistende Aufarbeitung des I970er-Jahre-Antiimperialismus. Fassen ließe sich dieser nur in seiner globalen Gestalt und in seinen Brüchen und Kontinuitätslinien zum Internationalismus der 1950er und 1960er Jahre, der sich noch besonders mit den antikolonialen Bewegungen Afrikas identifizierte. Weil ein solches Projekt noch aussteht, müssen an dieser Frage Interessierte mit kleineren, unzusammenhängenden Veröffentlichungen vorlieb nehmen. Auf zwei jüngste Veröffentlichungen gänzlich unterschiedlichem Zuschnitt soll hier eingegangen werden.

Die Palästinabegeisterung deutscher Linker

Dem deutschen Blickwinkel folgt die Wiederveröffentlichung von Michael Landmanns »Das Israelpseudos der Pseudolinken«. Diese erstmals 1971 erschienene Streitschrift gegen den linken Antizionismus stellt ein interessantes Zeitdokument dar. Dieses heute zu aktualisieren und zu kontextualisieren, gelingt leider den Herausgeberinnen nicht, wenn sie ihm ein rein polemisches, anti-linkes Vorwort von Henryk M. Broder voranstellen, und wenn sie im Nachwort in beispielloser Denkfaulheit die antideutschen Phrasen von der »Israelkritik« und dem Antizionismus als »sekundärer Säkularisierung der traditionellen Judenfeindschaft« wiederholen, um abschließend festzuhalten, man könne nur noch »im stetigen Widerspruch« zur aktuellen Linken an der Idee der Emanzipation festhalten.

Interessanterweise sind dies jedoch nicht die Positionen des Haupttextes: Michael Landmann, 1913 in Basel geborener jüdischer Philosoph und Anthropologe, bezieht sich positiv auf die emanzipatorischen und internationalistischen Ziele der Neuen Linken, gesteht ihr zu, sich von der stalinistischen Sowjetunion gelöst zu haben. Darüber hinaus erkennt Landmann auch die postfaschistische Konstellation in Deutschland und problematisiert den offiziellen »undifferenzierten Proisraelismus«, der berechtigterweise dem Veracht ausgesetzt ist, »für unüberwundene Schuldkomplexe und weiterhin latente faschistische Tendenzen als eine Art Blitzableiter zu dienen«.

Landmann behandelt vor allem die linksradikale Fundamentalopposition um die Zeitschrift agit 883, also revolutionäre Gruppen, die das Bestehende bakunistisch zerstören wollten, deren Kritik auch nicht konstruktiv sein wollte und konnte. Schon deshalb wurde Landmann mit seinem auf Versöhnung und Verständigung zielenden Programm nicht gehört. Erschwerend hinzu kommt die von ihm betriebene idealistische Zeichnung Israels als sozialistischer Staat, als Endpunkt einer nationalen Befreiungsbewegung jenseits jeglicher kolonialer Ambitionen und als reines Opfer, das trotz stetiger Verständigungsbemühungen einer bleibenden Bedrohung ausgeliefert sei. Wollte die Neue Linke damals die arabischen Vernichtungsdrohungen nicht hören, so blendet Landmann die auf Okkupation setzende Politik Israels aus.

Doch davon unbenommen ist seine Kritik an der palästinabegeisterten Neuen Linken. Er unterstellt ihr gerade nicht einen organischen, strukturellen, systematischen oder antizionistisch verkleideten Antisemitismus, sondern konstatiert weitaus nüchterner, daß:
– sich der Antiimperialismus nach dem Scheitern Che Guevaras einer Krise ausgesetzt sieht und nun der Palästinakonflikt neben dem Vietnamkrieg als neuer Katalysator dienen soll;
– mit dem Antiimperialismus ein Denkschema in mechanischer Weise einem Konflikt übergestülpt wird, in dem zwei Völker um Boden und Raum konkurrieren und gegenseitig sich ausschließende nationale Ansprüche erheben;
– die Palästinenserinnen als die Underdogs, Staatenlosen, Überflüssigen, Ausgestoßenen – und damit als die Negation des Kapitalismus per se – rezipiert werden, wobei die Linke ihren eigenen radikalen Veränderungswillen auf diese eher projiziert;
– sich die ursprünglich von Moskau unabhängige Neue Linke im Israel-Palästina-Konflikt sprachlich und bündnispolitisch der Position der Sowjetunion annähert – und dies in einer Situation, in der im Ostblock der Antisemitismus unter der Chiffre des »Antizionismus« wiederbelebt wird;
– die Neue Linke den reaktionären Charakter der arabischen Regime übersieht und den Palästinenserinnen einen sozialistischen Impetus unterstellen, wo diese im Grunde vorrangig nationalistisch motiviert sind;
– die Neue Linke die Vernichtungsdrohung gegenüber Israel nicht nur übersieht, sondern als unkritischer metropolitaner Bündnispartner der Palästinenserinnen auch noch aufnimmt, wohingegen doch eine linke emanzipatorische Position lauten müßte: »Solidarisierung mit dem, der annulliert werden soll… gewiß nicht seinem Sosein, aber mit seinem Dasein«;
– die Neue Linke in Deutschland aufgrund des Philosemitismus des Establishments in die totale, provokative, alle Tabus brechen wollende Opposition geht, in ihrer angeblichen Unbefangenheit eine negative Abhängigkeit herausbildet und dabei selbst faschistische Züge entwickelt.

Diesen bestechenden Beobachtungen stehen eklatante Schwächen gegenüber, besonders in Landmanns Kritik an den trotzkistisch-antizionistischen Positionen Isaac Deutschers, dem er »jüdischen Selbsthass« unterstellt. Hier erweist sich Landmann als linksliberaler jüdischer Nationalist. Gegen einen universalistischen Internationalismus, den er als abstrakt verwirft, stellt er das anthropologische Bedürfnis nach Volk und nationaler Identität. Die Solidarisierung mit Israel sieht er als neue Identität der jüdischen Diaspora, die dieser nicht genommen werden dürfe. Schließlich attestiert er der israelischen »Verwaltung in den besetzten Gebieten«, »human« zu sein – ein Urteil, dessen Realitätsgehalt man auch für die Zeit der Textentstehung anzweifeln darf.

Bankraub für die PFLP: die Blekingegade-Gruppe

Eine breitere Perspektive hat das von Gabriel Kühn herausgegebene Buch über die Geschichte der bewaffneten dänischen Blekingegade-Gruppe, die für mehrere Bankraube zugunsten von Befreiungsbewegungen verantwortlich zeichnete. Einige der Vorhaltungen, die Landmann der deutschen Neuen Linken macht, trifft auch auf diese Gruppe zu, die zwischen 1972 und 1989 aus einem eindeutig antiimperialistischen Impetus heraus agierte. Ihre politische Keimzelle war der Kommunistische Arbeitskreis (KAK), der sich 1978 auflöste. Im Verlauf der ig8oer Jahre wurde die Gruppe unter anderem angeklagt, eine Vielzahl von Raubüberfällen auf Banken, Postämter, ein Kaufhaus und einen Geldtransport begangen zu haben; das erbeutete Geld habe sie Befreiungsbewegungen, vornehmlich in Palästina, übergeben.

1969 kam es durch in Schweden wohnhafte Palästinenser zum Kontakt zwischen der 1963 gegründeten KAK und der Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP). 1970 fuhren zwei Mitglieder der KAK in ein Ausbildungslager der PFLP nach Jordanien, wo sie das Schießen und das Herstellen von Bomben erlernten. Im darauffolgenden Jahr folgten ihnen weitere Mitglieder der KAK. Der maoistischen Parole »Dem Volke dienen« folgend, wollten sie nun den Ausgestoßenen und Unterdrückten par excellence dienen. Die Gruppe wurde jedoch in ein Dienstleistungsverhältnis der PFLP aufgenommen. So war sie sogar bereit, als Pseudo-Gegengeheimdiensttruppe mögliche .Mossad-Agenten in Dänemark aufzuspüren. Dazu legte die Gruppe eine sogenannte Z-Kartei an, »Z« für »Zionismus«. Aufgelistet wurden Unternehmen, Organ isationen und Zeitschriften, aber auch Einzelpersonen, die Israel unterstützten.

Nach Bekanntwerden dieser Datei infolge einer Hausdurchsuchung wurde in der Öffentlichkeit von einer »Judenkartei« gesprochen und die Gruppe des Antisemitismus bezichtigt. Das wehren die ehemaligen Gruppenmitglieder in einem aktuellen Gespräch vehement ab. Sie verweisen auf Familiengeschichten, wonach die Eltern gegen die Nazis aktiv gewesen seien oder aufgrund ihrer jüdischen Herkunft vor den Nazis fliehen mußten. So sind die von Gabriel Kühn zusammengetragenen Dokumente über die dänische Antiimp-Formation ein weiteres Beispiel, daß man es bei dem linksradikalen Antizionismus als Teil des Antiimperialismus der 1970er Jahre keinesfalls mit einem spezifisch deutschen Phänomen zu tun hat, dem man psychologistisch eine »Schuldabwehr« und typisch deutsche, ewig antisemitische Traditionen unterstellen müßte. Antizionismus war ein globales Phänomen der Neuen Linken in den 1970ern.

Über die Perspektive eines neuen Antiimperialismus ist von den gealterten Militanten der Blekingegade-Gruppe wenig zu erfahren. Eines ihrer Mitglieder hält in dem historisch teils erhellenden Gespräch fest: »Was heute als Antiimperialismus auftritt, ist meist an religiöse Ideologie und reaktionäre Politik gebunden.« So richtig das ist – die anti-emanzipatorischen Implikationen des 1970er-Jahre-Antiimperialismus bleiben in dem Interview leider unterbelichtet.

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