Helmut Hartwig – Diktatur der Freundlichkeit. Lieferanteneingänge zum wohltätigen Wahnsinn * Rezension des gleichnamigen Titels der ISF

Helmut Hartwig

Diktatur der Freundlichkeit. Lieferanteneingänge zum wohltätigen Wahnsinn

Zitate fürs Poesie-Album der Wünsche und Ängste; Anfangssätze fürs Nachdenken und auch Korken: zum vorläufigen Zustöpseln nach der Art: “Das hab ich auch immer gedacht.” Die Autoren formulieren meist zielstrebig polemisch – und was wichtig ist – präsentieren den Stoff, an dem sie sich abarbeiten, dort, wo es um die Kleinigkeiten geht, z.B. in “Ra-jeeshpuram von außen” oder “Ashram in Freiburg”, mit journalistischer Genauigkeit. Oft spürt man die Lust an einer exakten Verbindung von Gedanken und Affekten und die Weigerung, “Ja, aber” zu sagen. Damit haben sie recht. Ich stimme ihnen zu, wenn sie sagen, daß Bhagwan immer noch der Repräsentant einer Bewegung ist, die es zu begreifen gilt. Die Aufsätze zum Thema sind – nach allem, was es dazu gibt – wichtig, weil sie zusammen eine Perspektive ergeben, die verschiedene Sehweisen kombiniert. Ich will es gar nicht verschweigen, sie halten an bestimmten Erkennt^nisformen der Aufklärung fest im Umgang mit Phänomenen, Leuten, Theorien und jenen Therapien, die .ihre Interessen in Verbindung mit der Behauptung durchsetzen wollen, daß Ideologiekritik, der Gebrauch des Verstandes, ihr “Wesen” verpassen müsse und sie deshalb nicht berühren könne. Sie schreiben aber nicht nur über Bhagwan, “Bhagwan Bahros Öko-Ashram”, sondern auch über die “kommende Psychokratie”, über die “Zwischenmenschen”, über “ökologische Barbarei und die Philosophie der Grünen”, “Unheimliche ökologische Begegnungen der Dritten Art”, aber auch über die “Alchemie der Gefühle” bei Peter Handke, den Selbstmord der Johnson-Sekte usw.

Aber – damit kein Mißverständnis entsteht: Sie sind keine Intimgruppe, sondern es handelt sich um fast zwanzig selbständige Autoren. Sind sie Sozialisten? Die Antwort interessiert mich nicht, aber vielleicht ist heut schon derjenige Sozialist, der das Leben des “Ich-Selbst” in die ökonomische, ideologische, technische, politische Wirklichkeit zurückversetzt, also es aus der Weichheit des Se-, Se-, Sessels auf einen etwas härteren Stuhl (vorsichtig formuliert) hebt.

Die Autoren haben Gemeinsamkeiten in der Art wie sie fragen und Zugeständnisse verweigern, z.B. dieses furchtbare Zugeständnis, das sich so lähmend über die Vernunft legt: “Aber – vielleicht nützt es dem einzelnen, wenn er sich den Hygienevorschriften, den Regeln, der Hierarchie im Ashram unterwirft.” Sie sagen: Uns interessiert etwas anderes, z.B. die Tatsache, daß es ausgerechnet etwa 75 % Deutsche sind, die in Oregon für Bhagwan leben und arbeiten. Überhaupt ist die Frage nach den deutschen Elementen in der Sehnsucht nach Infantilität, Okkultismus, Therapie, Natursehnsucht ein Bestandteil ihrer Versuche, die geschichtliche Dimension bei der Beschäftigung mit der gegenwärtigen Kultur wiederzugewinnen.

“Der Deutsche ist wieder auf der Suche nach 5inn …” Und was sich zeigt, sind “Visionen einer neuen Volksgemeinschaft”. “Warum aber der Weg ins lustvolle Leben den Umweg über einen ziemlich aufwendigen Massenprotest nehmen mußte (die Studentenbewegung), erklärt sich nur aus der typisch deutschen Eigenart, für jeden Egoismus gleich das Gemeinwohl zu bemühen.”

Ich habe nicht gesagt, daß ich alles annehme, was da so sententi gesagt wird. Aber – ich lasse es mir gesagt sein. Z.B.: Therapiekritik als Fortsetzungsgeschichte zu Adornos Statement mit ein bißchen Lacan: daß es manchmal eine Unverschämtheit sei, wenn einer Ich sage. “In der Aussage (des Ich sagenden Subjekts in bestimmten Therapien) wird keine Referenz zu einem Jenseits der Sprache aufgefunden, da die Stereotype “Ich” übercodiert ist; wenn ein Teilnehmer mit dem gesprochenen “Ich” einen Coup landen wollte, so ist das meist für die Hörer so langweilig wie das ‘Guten Abend‘ in der Tagesschau.” Jeder möge prüfen, ob ihm so ein Satz gut tut; was er mit ihm macht; was in ihm angegriffen wird durch den Vergleich; an welche Situationen er sich erinnert, wenn er ihn abwehrt. Solche Sätze und noch dickere Sprüche finden sich in diesem Buch. Sie machen Spaß, natürlich nicht dem, der zu tief getroffen wird, wenn sie das “süßlichen Gesummse vom Selbst” denunziert. Flirren da nicht die Gefühle und Gedanken? Fragt sich da nicht jeder: Wie bin ich da gemeint? Denn natürlich sind diese Leute nicht dagegen, daß man sich selbst ernst nimmt. Nur schieben sie in das Gesummse ein paar Fragen und Begriffe ein, die dazu auffordern, den Abstand zu sich zu vergrößern, damit man noch etwas für sich tun kann im zukünftigen Leben: sich besuchen, mit sich telefonieren, sich umsehen, wo und wie das Selbst eigentlich lebt und wohnt und wem der Häuserblock gehört, an dem die Straße vorbeigeht. Und nicht zuletzt, um zu vermeiden, damit bloß noch Geister einem beiwohnen.

Aus: Ästhetik und Kommunikation N° 57/58 (15. Jg. 1985), S. 131 f.

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