Hendrik Wallat – Der Fetisch – die marxsche Theorie verrückter Verhältnisse

Hendrik Wallat

Der Fetisch – die marxsche Theorie verrückter Verhältnisse

Stephan Grigat hat den Versuch unternommen, Genesis, Wesen und Wirkungsgeschichte der marxschen Fetischtheorie in einer Monographie abzuhandeln. So viel vorweg: Es ist bei einem Versuch geblieben. Während die ersten beiden Kapitel (25-87) die Entstehungsgeschichte und den Kern der marxschen Fetischkritik eruieren, gehen die Kapitel 3-9 (89-237) der Wirkungsgeschichte derselben nach. Die Kapitel 10-13 (239-363) zeigen dann das Potential der Fetischtheorie bei der Erklärung solcher Phänomene wie des Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus und zur Bestimmung dessen, was kommunistische Emanzipation intendiert. Ausgangspunkt des aus der Dissertationsschrift des Autors hervorgegangenen Rekonstruktionsversuchs er marxschen Fetischtheorie, der sich als “eine Art Einführung in die antideutsche Wertkritik” versteht, ist, daß sie ganz im Gegensatz zu ihrer fundamentalen theoretischen und praktischen Bedeutung “über weite Strecken eine Geschichte ihrer Nicht-Rezeption” war (20). [ 1 ] Der besondere Ergeiz des Autors liegt indessen in dem zweifelhaften Versuch einen zwingenden “Zusammenhang zwischen einer Kritik des Fetischismus im Sinne der Kritik der politischen Ökonomie und der Parteilichkeit für den Zionismus als Emanzipationsbewegung herzustellen” (16). Grigat geht dabei m. E. zu Recht davon aus, daß kritische “Gesellschaftstheorie nur als Gesellschaftskritik zu haben ist” und die “Darstellung gesellschaftlicher Kategorien und Ideologien” zugleich ihre “Verurteilung impliziert” (17). Das Interesse an Marx ist – durchaus begrüßenswert – mithin weniger philologischer als explizit politischer Natur, was den Diskussionsbedarf noch steigert. Doch der Reihe nach.

Da der Rekonstruktionsversuch der Genesis und des Kerns der marxschen Fetischtheorie, die der Autor richtigerweise sich über alle drei Bände des lsquo;Kapitals’ vom Waren-, Geld- und Kapitalfetisch bis hin zur Form des Zinses, der Durchschnittsprofitrate und der trinitarischen Formel entwickeln sieht, gegenüber den wesentlichen Referenzquellen (primär Thomas Marxhausen u. Ulrich Erckenbrecht) nichts dem mit der Materie vertrauten Leser wesentlich Neues zu bieten hat, kann sich hier auf die Diskussion zentraler, auch in weiteren Kapiteln, zum Teil in gewandelter Gestalt auftretenden Mängel von Grigats Interpretation der marxschen Theorie beschränkt werden. Im Wesentlichen referiert Grigat über weite Strecken die Ergebnisse der lsquo;neuen Marx-Lektüre’, die, sieht man einmal von dem sich der Erkenntnis verweigernden Haug-Marxismus ab, in der deutschen Debatte, nicht zuletzt via die ausgezeichneten, wenn auch nicht fehlerfreien Arbeiten von Michael Heinrich, weitestgehend Allgemeingut geworden sind. Es gilt hier daher, nur die Punkte zu benennen, an denen Widerspruch einzulegen ist:

a.)

Die notwendige und vom Autor durchaus gewinnbringend betriebene begriffs- und werkanalytische Differenzierung zwischen den marxschen Termini: Fetisch, Entfremdung, Verdinglichung, Versachlichung und Vergegenständlichung gerät in einem Punkt, ähnlich wie bei Heinrich, einseitig: Der marxsche Begriff der Entfremdung, am prominentsten in den lsquo;Ökonomisch-philosophischen Manuskripten’ von 1844 exponiert, ist beim frühen Marx vorrangig, aber eben nicht allein wesensphilosophisch konzipiert. Über den “Bruch mit dieser Entfremdungskonzeption” (70) in der lsquo;Deutschen Ideologie’ hinaus entfaltet Marx bereits, wenn auch nur sporadisch in den Manuskripten einen nicht-wesensphilosophischen Begriff von Entfremdung, der das Thema probandum seines Denkens darstellt: die lsquo;Verkehrung der Freiheit’ (P. Bulthaup) bzw. die Produktion von (sachlichen) Herrschaftsverhältnissen: “Durch die entfremdete Arbeit erzeugt der Mensch also nicht nur sein Verhältnis zu dem Gegenstand und dem Akt der Produktion als fremden und ihm feindlichen Mächten; er erzeugt auch das Verhältnis, in welchem andre Menschen zu seiner Produktion und sein Produkt stehen, und das Verhältnis, in welchem er zu diesen andern Menschen steht. Wie er seine eigne Produktion zu seiner Entwirklichung, zu seiner Strafe, wie er sein eignes Produkt zu dem Verlust, zu einem ihm nicht gehörigen Produkt, so erzeugt er die Herrschaft dessen, der nicht produziert, auf die Produktion und auf das Produkt. (…). Das Verhältnis des Arbeiters zur Arbeit erzeugt das Verhältnis des Kapitalisten zu derselben, oder wie man sonst den Arbeitsherrn nennen will” (MEW 40, 519f.). Es zeigt sich hier und in der Hegelkritik der Manuskripte eine Konzeption von Entfremdung, die die spekulativ-materialistische Anthropologie transzendiert und deren Verbindung zur reifen lsquo;Kritik der politischen Ökonomie’ evident ist. Das Thema der Entfremdung ist bereits hier das Begreifen und die Kritik der Existenz eines Abstrakt-Allgemeinen, in welchem sich menschliche Vergesellschaftung erst außer sich setzt und eine überindividuelle Objektivität produziert, die schließlich Herrschaft über die zu Objekten verkehrten Subjekte erlangt. Damit ist weder geleugnet, daß Marx zu diesem Zeitpunkt primär wesensphilosophisch argumentiert noch daß die lsquo;Deutsche Ideologie’ nicht einen Bruch im Denken des (jungen) Marx darstellt: Marx’ Erkenntnisse und Begründungen werden sich transformieren – die radikale Kritik anthropo-ontologischer Topoi steht unmittelbar bevor und ist selbst nicht das lsquo;letzte Wort’ – das Objekt der Kritik ist indes gegeben und wird dasselbe bleiben.

b.)

Die Realität des Fetisch und mit ihr die Frage nach dem Movens der marxschen Kritik gilt es zu spezifizieren. Grigat schreibt mehrfach ganz richtig: “Das fetischistische Bewußtsein ist zugleich ein falscher Ausdruck der inneren Bewegungsgesetze kapitalistischer Warenproduktion und richtige Wiedergabe eines falschen Zustandes. (…). Die Kritik von Marx zielt sowohl auf die Gesellschaftsstruktur als auch auf die Beschreibung dieser Gesellschaft in der bürgerlichen Theorie” (55). Seltsamerweise gibt Grigat dann aber doch Heinrichs undialektischer Behauptung Recht, daß die marxsche Fetischkritik nur die falsche Wahrnehmung kapitalistischer Vergesellschaftung, nicht diese selbst als falsche Form von Vergesellschaftung zum Gegenstand habe (56). Hier bleibt zu erwidern – eine Kritik, die zugegebenermaßen Grigat nur insofern trifft, als er dies nicht in der gewünschten Deutlichkeit herausstellt – daß diese verkehrte Auffassung aber doch in der spezifischen Form der menschlichen Praxis in kapitalistischen Gesellschaften gründet, die somit als die eigentliche Ursache falscher Wahrnehmung, d.h. als die eigentliche Verkehrung zu klassifizieren ist. Die Aufhebung des Fetischismus ist dementsprechend auch keine Frage der Aufhebung eines Bewußtseinsphänomens, sondern der das Bewußtsein konstituierenden Form gesellschaftlicher Verhältnisse und der aus diesen resultierenden Praxen.

c.)

Richtig ist Heinrichs These allerdings in der Hinsicht, daß es zu betonen gilt, daß Marx mit dem Fetischcharakter der kapitalistischen Produktionsweise etwas sehr bestimmtes bezeichnet. Und dies ist in der Tat – wider die auch von Grigat betriebene Universalisierung des Fetischs – die notwendig falsche Wahrnehmung der Realität. Der marxsche Fetischbegriff gilt daher allein für den Sachverhalt der falschen Wahrnehmung der Realität, nicht aber als Bezeichnung der sachlichen Vermittlung von Vergesellschaftung. Letzteres lässt sich als (a.) Real-Verdinglichung bezeichnen, deren Charakteristika es ist, sich Selbst-zu-mystifizieren, was sich dann (b) als dessen Fetischcharakter bezeichnen lässt. Dieser bezeichnet dann nicht den Wert bzw. die sozio-ökonomische Formgegenständlichkeit und Verdinglichung sozialer Beziehungen als lsquo;Realität sui generis’ (Backhaus), sondern die adäquate – objektiv gültige – und doch zugleich falsche Wahrnehmung dieses gesellschaftlichen Seins. Die letzte Paradoxie ist nur scheinbar ein Widerspruch: die Erscheinung – eben nicht Trug, sondern realer Schein – zeigt sich als das, was sie ist: gesellschaftliches Verhältnis von Sachen, und verdeckt dabei zugleich ihr Wesen/Sein: nämlich, daß die realen sozialvermittelnden Eigenschaften der Dinge, diesen eben nicht als Dingen an sich, sondern als Objektivationen eines spezifischen sozialen Verhältnis zukommen – nicht Naturtatsache, sondern sozio-ökonomische Formgegenständlichkeit jenseits der Dichotomie von Physis und Psyche. In Summa: 1.) Die Abstraktionen bzw. die ökonomische Formgegenständlichkeit (von mir als Real-Verdinglichung bezeichnet) sind kein Schein, sondern Realität sui generis: Objektivität bzw. principium synthesis des Sozialen. Als solche setzt sich ihre selbstbezügliche Vermittlung autonom und bestimmt die Individuen fremd (das klingt jetzt freilich sehr lsquo;hegelianisch’; ohne Staat, Politik, Recht, Klassenkämpfe etc. funktioniert das natürlich nicht). Das wäre dann die erste Form der Verkehrung kapitalistischer Vergesellschaftung. 2.) Der Fetischbegriff bezeichnet dann gleichsam Verkehrung Nr. 2: die (notwendig verkehrte) Wahrnehmung dieser Realität, als natürliche Tatsache/als Eigenschaft der Dinge (Geld, Kapital, Zins etc.) selbst. Da diese Wahrnehmung aber kein Zufall ist, sondern der Selbstverrätselung der sozialen Realität im Kapitalismus geschuldet ist, geht es der Fetischtheorie, wie schon gesagt, nicht nur um die falsche (bezüglich der Wesens- bzw. Seinsebene) und doch adäquate (bezüglich der Ebene der Erscheinung/realer Schein) Wahrnehmung dieser Realität, sondern um die verkehrte Konstitution dieser selbst. Der marxsche Begriff der Verkehrung ist dabei weder ontologisch-essentialistisch, noch romantisch-naturalistisch, sondern rational und kritisch: Verkehrung bedeutet, daß die gesellschaftliche Vermittlung im Kapitalismus, ihre Form (der Wert), zum selbstbezüglichen Inhalt wird (Kapitalakkumulation), so daß die Gesellschaftsmitglieder zu Objekten einer bewusstlosen und verselbstständigten Gestalt von Vergesellschaftung degradiert werden. Also Verkehrung im Sinne von: Freiheit von Naturzwang generiert zugleich soziale Herrschaft/zweite Natur; Autonomie in Form der Heteronomie: Verkehrung der Freiheit. Die zweite Dimension der Verkehrung – was zum Fetischbegriff selbst führt – betrifft dann die Wahrnehmung der sozialen Realität kapitalistischer Provenienz: verkehrt ist das Bewußtsein, weil es eine historisch spezifische Form menschlicher Vergesellschaftung als natürlich/ungeschichtlich begreift. Da die fetischartige Wahrnehmung der sozialen Realität nun aber weder Zufall – notwendig falsch – noch Trug, sondern realer Schein – objektiv gültige Gedankenformen – einer Vergesellschaftungsweise, die sich durch ihre spezifische Praxis selbst verschleiert, ist der Grund der Verkehrung des Bewußtseins aber das verkehrte lsquo;Sein’ selbst und dessen Praxisformen: “Die verdrehte Form, worin die wirkliche Verkehrung sich ausdrückt, findet sich natürlich reproduziert in den Vorstellungen der Agenten dieser Produktionsweise.” (MEW 26.3, 445; kvV.). Dieser Zustand wird von Marx in der Tradition der Aufklärung als unvernünftig, weil die Autonomie der Individuen konterkarierend denunziert. Marx argumentiert dabei keineswegs von irgendwelchen lsquo;weltfremden’ Idealen aus, sondern entnimmt den Maßstab der Kritik der kapitalistischen Produktionsweise selbst: den Herrschaft und Unfreiheit reproduzierenden gesellschaftlichen Reichtum als Freiheit (von unmittelbarem Naturzwang) in verkehrter Form. Ihrer Essenz nach ist die marxsche Fetischtheorie Kritik kapitalistischer Herrschaftsverhältnisse in praktischer Absicht: Die marxsche Fetischanalyse hat folglich die doppelte Stoßrichtung einer Herrschafts- und Erkenntniskritik, deren Kern darin besteht, die kapitalistische Produktionsweise als ein gesellschaftliches Verhältnis zu dechiffrieren, dessen Herrschaftscharakter dinglich vermittelt ist, gleichsam als natürliche und somit beste aller Welten erscheint und als solche den ideologischen Charakter des bürgerlichen Bewußtseins samt seiner ökonomischen Wissenschaft konstituiert. Es ist die Spezifik der warenproduzierenden Arbeit als spezifische Form der gesellschaftlichen Vermittlung im Kapitalismus, die zur Kritik steht; der kapitalistische Warentausch ist daher auch nicht bloß ein ökonomisches lsquo;Faktum’, sondern ein die Gesellschaft strukturierendes soziales Verhältnis. Verkehrt ist mithin – contra Heinrich – nicht bloß die Wahrnehmung der Realität, sondern diese selbst, da sie das menschliche Potential zur Freiheit in die subjektlose und verselbständigte Herrschaft des Kapitals verkehrt, dessen immanenten Zwangsgesetzen die Klasse der Kapitalisten nicht weniger unterworfen ist als das Proletariat – Charaktermasken der Kapitalverwertung.

d.)

Während Grigat zu verdeutlichen weiß, daß die Fetischtheorie mehr intendiert als Ideologiekritik, fällt seine partielle Reanimation des Keimform-Deduktionsmarxismus hinter das marxsche Niveau dialektischer Darstellung zurück: 1.) Vom Wert “als allgemein Vermittelndes und somit auch konstitutives Moment sowohl für den Fetischismus als auch für Klassenherrschaft und Ausbeutung” (66) zu sprechen, d.h. den Wert als Fundamentalkategorie der marxschen Theorie einzuführen, macht nur dann Sinn, wenn dieser als das begriffen wird, was er ist: immer schon Kapitalwert. Als solcher ist er aber keine lsquo;subjektgleiche Entität’ (J. Ritsert), sondern Ausdruck der sozialen Spezifik der Warenproduktion. Wenn Marx an prominenter Stelle schreibt, daß “das Kapital kein Ding, sondern ein bestimmtes gesellschaftliches, einer bestimmten historischen Gesellschaftsformation angehöriges Produktionsverhältnis ist” (MEW 25, 822), so ist dieses im Kern ein Verhältnis, in dem die gesellschaftliche Arbeit auf konkurrierender arbeitsteiliger Privatproduktion basiert, welche selbst wiederum auf dem formkonstitutiven Klassenverhältnis von Produktionsmittelbesitzern und Lohnarbeitern fundiert. M.a.W.: Die “spezifische Klassenspaltung an der Arbeit selbst” – die Trennung der Produzenten von den Produktionsmitteln, die Privateigentum der Klasse der Kapitalisten sind – “setzt die Arbeit in ihrem formkonstitutiven Doppelcharakter” [ 2 ] und weist somit diese gesellschaftliche Kernstruktur als Basis der abstrakten Herrschaft des prozessierenden Kapitals aus, d.h. des sinnlich-übersinnliche, ökonomische Formgegenständlichkeit annehmenden historisch-spezifischen gesellschaftlichen Verhältnisses. Wer meint lsquo;den’ Wert gegen den spezifisch kapitalistischen Klassenantagonismus ausspielen zu können, geht dem Fetisch selbst auf den Leim und bringt verschiedene Abstraktionsstufen der marxschen Darstellung durcheinander: Klasse bezeichnet in diesem Kontext das Kapitalverhältnis bzw. das form- und wertkonstitutive Basisverhältnis der kapitalistischen Produktionsweise, nicht real-handelnde soziale Großgruppen, ihr Bewußtsein und ihre Kämpfe – kein Klassen(kampf)mystizismus. Der Wert ist als Kapital folglich eine sich verselbständigende und herrschende ökonomische Form, die aus der Klassenspaltung der Arbeit entspringt. 2.) Die Behauptung der “Notwendigkeit der begrifflichen Ableitung des Kapitals aus der Ware” (201) ist bezüglich einer Kennzeichnung der marxschen dialektischen Darstellungsweise schlicht falsch. Die Ware ist keine Keimform, aus der sich alle weiteren Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie deduzieren lassen: Marx geht von der Ware aus, weil diese die elementare, vermeintlich konkrete, in der Tat aber abstrakte Erscheinungsform des kapitalistischen Reichtums ist. Das ihr zu Grunde liegende Wesen, die Sphäre der Produktion, erscheint noch nicht. Dies wird erschlossen über die Analyse der Ware, die ein letztlich negatives Resultat hat: Auf der Ebene der einfachen Z irkulation, deren konkretizistischen Schein zu zerstören die Aufgabe der Kritik ist, ist kein Kapitalbegriff begründbar. Dieses Ergebnis führt dann die Analyse in das Wesen der kapitalistischen (Mehr)Wertproduktion. In der Ware zeigen sich zudem bereits die wesentlichen Widersprüche kapitalistischer Vergesellschaftung. Nur: diese werden nicht aus der Ware als Totalität in Nuce abgeleitet, sondern werden als Ausgangspunkt genommen, um zum Wesen dieser bereits in der Ware liegenden Widersprüche lsquo;hinabzusteigen’. Mit der Analyse der Ware und dem dort explizierten Wertbegriff ist folglich noch nicht die Kernstruktur des Kapitalismus erfasst. Wenn Marx die “Wertform des Arbeitsprodukts” als die “abstrakteste, aber auch allgemeinste Form der bürgerlichen Produktionsweise” (MEW 23, 95) bezeichnet, trifft dies genau diesen Sachverhalt: Als abstrakteste und allgemeinste ist diese wesentlicher erscheinender Ausdruck der Kernstruktur. Was entwickelt wird, ist weder eine lsquo;Geschichte’ noch eine dialektische lsquo;Keimzelle’, sondern der die einfachen Formen konstituierende Gesamtzusammenhang, der sich abstrakt bereits in ihnen ausdrückt. Marx setzt also nicht mit dem Wesen des Kapitalismus ein, sondern mit dessen erscheinender Oberfläche, deren Analyse – ihr primär negatives Resultat – auf den verborgenen Grund des scheinbar Evidenten führt: Der Begriff des Kapitals wird entwickelt, nicht dogmatisch gesetzt, und zwar nicht willkürlich, sondern in einer Bewegung, die von der Erscheinung auf das Wesen schließt, um von dort aus auf die Oberfläche der wesentlichen Verhältnisse zurückzukehren, die sich nun als notwendige Erscheinungen eben dieses Wesens begreifen lässt. Eine solche Theorie, damit hat Grigat Recht, hat den Anspruch, alle Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft “in Beziehung” (203) zu ihrem Wesen setzen zu können, keinesfalls aber einfach aus diesem unvermittelt – hinter allem steckt doch nur lsquo;das Kapital’ – abzuleiten. Marx kannte die Grenzen der dialektischen Darstellung: die Kategorialanalyse der kapitalistischen Produktionsweise geht zwar ihrer konkreten politischen und sozialwissenschaftlichen Erforschung logisch voraus, ersetzt diese aber keineswegs: “Unendliche Variationen und Abstufungen in der Erscheinung” lassen sich “nur durch Analyse dieser empirisch gegebenen Umstände” (MEW 23, 800) begreifen.

Die Darstellung der (Nicht)Rezeptionsgeschichte des marxschen Fetischtheorems ist durchaus informativ, dürfte darüberhinaus Unbekanntes und/oder Vergessenes zu Tage fördern, bleibt vom Charakter her aber rhapsodisch und unproportional gewichtet. Nach einer Portion Hau-den-Traditionsmarxismus-Lukas (89-100) räumt Grigat den Erneuerungsversuchen der marxschen Theorie durch Karl Korsch und besonders Georg Lukacs (101-32), was in Bezug auf die Bedeutung der Autoren berechtigt ist, größeren Raum ein. Der Autor stellt die Leistungen und Grenzen der beiden bedeutenden Philosophen sehr fair dar und unterstreicht ihre Bedeutung für die kritische Theorie Frankfurter Provenienz. Hier wird Adornos Denken begründeterweise am ausführlichsten dargestellt (133-59). Ohne an Kritik zu sparen, insbesondere Adornos Rezeption der marxschen Kritik der politischen Ökonomie betreffend, wird herausgestellt, daß der kritische Theoretiker “das Betreten theoretischen Neulands” (151) mit seiner Interpretation des Fetischtheorems ermöglichte. Nachdem Herbert Marcuse kurz als utopischer Sozialist (159-62) (ab)qualifiziert wurde, tritt Habermas eigentlich nur noch als Anmerkung (165-67) auf: wenn Habermas wirklich nicht(s) mehr zu sagen hat, hätte ihn Grigat auch ganz schweigen lassen können. Die darauf folgende Darstellung Alfred Sohn-Rethels ist ausgesprochen ausführlich (168-88) – was Grigat mit dessen Bedeutung für das Denken Adornos begründet – und ambivalent. Auf die Rekonstruktion seines Denkens folgt eine legitime harte Kritik an diesem, welches m.E. auch nicht ohne Grund “im akademischen Bereich (…) kaum mehr zur Kenntnis genommen” (187f.) wird. [ 3 ] Es folgen eine eher uninspirierte Darstellung des lsquo;Spektakel-Theorems’ von Guy Debord (189-97) und eine Kritik an Althusser (199-203), die neben berechtigten Momenten in die Richtung eines bereits kritisierten Deduktionsmarxismus ausschlägt. Auf die informative Darstellung der sog. fundamentalen Wertkritik von Robert Kurz und Co. (205-19) und die Bestimmung des eigenen Kritikbegriffs (219-26), der deutliche Anleihen an eine Argumentation macht, die Ingo Elbe jüngst als lsquo;Marxismus-Mystizismus’ bezeichnete, folgt eine stichwortartige Generalabrechnung mit poststrukturalistisch-fetischaffirmativen Positionen (227-37). Trotz polemischen Tonfalls und apodiktischen Übergeneralisierungen – “der Machtbegriff Foucaults” stelle “kaum etwas anderes als eine Fetischisierung des Kapitals” dar (227) – ist Grigats über Schlagworte hinausführende Kritik an Derridas Marx-Interpretation nicht zuletzt deswegen gelungen, weil sie verbreitete Missverständnisse über den marxschen Begriff des Gebrauchswerts aufzeigt.

Am Ende, was vielleicht auch zuviel verlangt ist, bleibt Grigat die Darstellung des inneren Zusammenhangs der Wirkungsgeschichte und ihrer historisch-politischen Situierung schuldig. Im Ganzen haben diese 150 Seiten Nachschlagecharakter mit bisweilen doch recht unterschiedlichem Niveau. Erfreulich hingegen sind die Ausführungen zur Fortentwicklung der Fetischtheorie geraten. Wohl durch die akademische Form erzwungen, stellen sich hier antideutsche Positionen in einer wohltuend unpolemischen und ungewohnt differenziert urteilenden Art und Weise dar. Staatsfetisch, Nation(alismus), Deutschland und reaktionäre Globalisierungskritik werden einer mehr als verdienten Kritik unterzogen, deren fetischkritische Herleitungsversuche im einzelnen freilich zu diskutieren bleiben: Ist es angebracht einen fraglos schillernden, dennoch aber sehr spezifischen Termini der Ökonomiekritik zur Charakterisierung anderer ideologischer, real-abstrakter Phänomene zu verwenden? Funktionieren lsquo;Staats- und Rechtsfetisch’, Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus auf die gleiche unbewusste, selbstmystifizierende, notwendige und systematische Art und Weise wie der ökonomische Fetischcharakter?

Einen guten, weil nicht zuletzt systematisch orientierten Versuch, diese ideologischen Konstrukte zu dechiffrieren, hat Grigat aber allemal vorgelegt. Im langen zwölften Kapitel (273-350) geht der Autor dann dem “Fetischismus als Wahn” (273) – Antisemitismus und Rassismus – nach. Ausgehend von einer knappen Darstellung der Antisemitismustheorien der klassischen kritischen Theorie (274-82) und einer ausführlichen Diskussion des Erklärungsversuchs des NS-Antisemitismus durch M. Postone samt Kritiken (282-305), versucht Grigat, den Unterschied von Rassismus und Antisemitismus näher zu beleuchten: “Im fetischistischen Bewußtsein der bürgerlichen Warensubjekte nehmen Rassismus und Antisemitismus verschiedene Plätze ein. (…). Die Abgrenzung gegen die Unterwertigen findet im Rassismus seinen Ausdruck. Gegen die Überwertigen richtet sich der Antisemitismus. Den Opfern des Rassismus wird nicht ihre Überlegenheit, sondern ihre Unterlegenheit vorgeworfen. Nicht gegen ihre Allmacht, sondern gegen ihre Ohnmacht wendet sich der Rassismus. Juden hingegen gelten als allmächtig. In ihrer Abstraktheit beherrschen sie für das antisemitische Bewußtsein die ganze Welt.” (313f.).

Anmerkungen

1 Mit der Annahme, daß die Geschichte der Marx-Rezeption eine Geschichte fundamentaler Fehlinterpretationen ist, steht Grigat nicht alleine dar. Vgl. diesbezüglich den sicherlich nicht weniger kontrovers zu diskutierenden Wälzer von Henning, Christoph: 100 Jahre Marxrezeption und die normative Sozialphilosophie in der Gegenwart, Bielefeld 2005

2 Brentel, Helmut: Soziale Form und ökonomisches Objekt. Studien zum Ge genstands- und Methodenverständnis der Kritik der politischen Ökonomie, Opladen 1989, S. 270.

3 Vgl. auch die geschichtswissenschaftlich informierte und an der kritischen Theorie orientierte Kritik an Sohn-Rethel bei Reichardt, Tobias: Recht und Rationalität im frühen Griechenland, Würzburg 2003, S. 203ff.; und Heit, Helmut: Der Ursprungsmythos der Vernunft. Zur philosophiehistorischen Genealogie des griechischen Wunders, Würzburg 2007, S. 153ff.

Aus: WebSite der Roten Ruhr-Uni

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