Paul Fada – Gegen Regression und Repression * Rezension zu Göllner, Radonic (Hg.), Mit Freud

Paul Fada

Gegen Regression und Repression

Kultur ist der organisierte Kampf gegen die Natur. Brennt der Vernunft die Sicherung durch, neigt sich dieser Kampf apodiktisch gegen das Individuum und gegen die Menschheit selbst. Vor dem Hintergrund fortwesender Entsicherung in Form von Deutscher Ideologie und islamistischem Terror bemühen sich die insgesamt acht Autorinnen der jüngsten Publikation von ça ira um eine adäquate Bestimmung des Sicherungskastens: Mit Freud. Gesellschaftskritik und Psychoanalyse. Die in dem Band publizierten Aufsätze sind das Ergebnis einer gleichnamigen Konferenz, die anlässlich des 150. Geburtstages von Sigmund Freud im Oktober 2006 in Wien stattgefunden hatte. Alle Texte kreisen im weitesten Sinne um Erkenntniskritik im Spiegel der Psychoanalyse, und alle Texte bleiben dabei konkret und verständlich.

Nach der kopernikanischen Wende bringt die Psychoanalyse nicht nur die klassische Erkenntnis der Aufklärung ins Wanken, der Mensch werde in seinem entkörperlichten Wesen von der Vernunft regiert, sondern liefert der gesellschaftlichen Analyse Marx‘ auch noch die eloquent selbstkritische Erklärung dafür, daß sogar das Ich selbst nicht einmal Herr im eigenen Hause ist. Wo Freud die Voraussetzung geschälten habe, »die totale Zurichtung des Einzelnen für Staat und Kapital bis ins Innerste seelischer Vorgänge zu analysieren und dennoch an diesem Einzelnen als Individuum festzuhalten, dass sich all dessen bewusst werden kann und soll« (Renate Göllner und Ljiljana Radonic), geht es den Autor-Innen des Bandes vor allem um die Bedeutung der Freudschen Triebtheorie. Der Trieb sei überhaupt erst der Ort, wo Biologie und Gesellschaft sich träfen, und dieser Ort könne niemals ein Ort des Friedens und der Integration sein. Zumindest sei das so lange der Fall, so lange einerseits die Gesellschaft von Kapital und Staat vermittelt bleibe und so lange andererseits die Individualität als abstraktes und leibloses Urprinzip hypostasiert werde. Hier erweise sich erst die Relevanz der Psychoanalyse. Populär sei sie dagegen vor allem in derjenigen Version, die den Widerspruch von Lust und Selbsterhaltung zu einem bloßen Anpassungsproblem des Einzelnen an die bestehenden Verhältnisse macht.

Das Buch wäre halb so interessant, setzten sich die acht Beiträge nicht einer nach dem anderen, direkt und offensiv mit der »Revision« der Psychoanalyse durch so illustre und einflussreiche Leute wie Alfred Adler, Wilhelm Reich, den Mitscherlichs und Jacques Lacan auseinander. Auf Basis der im ersten Teil rekapitulierten Erkenntnisse werden in den folgenden Artikeln bekannte Debatten wie etwa Freuds Biologismusproblem oder die Verhandlung von Homophobie bei Adorno aufgegriffen und Freud selbst überaus lesbar referiert; zum Beispiel in Martin Danneckers Text zur Dekonstruktion kultureller Normalitätsvorstellungen entlang den Abhandlungen über die Sexualität oder in Natascha Wiltings Text zur Triebstruktur der verschleierten Frauen von Kreuzberg und Ramallah. Die Kritik der mit den »Revisionisten” verbundenen Institutionalisierung von Kulturalismus und Deutscher Ideologie im Zeichen der Psychoanalyse durchzieht die Beiträge dabei nur zu stringent, und das ganze Übel der »Apologie» zeigt sich spätestens immer wieder dort, wo in der revidierten Psychoanalyse vom Kleinkind auf den Nahostkonflikt geschlossen wird.

Den Abschluss des Bandes bildet ein 20seitiger Auszug aus der Transskription der Podiumsdiskussion, die auch den Abschluss der Konferenz in Wien gebildet hatte. Unter vielem anderen geht es dort vor dem Hintergrund des suicide bombings darum, ob das bereits bei Freud selbst umstrittene Konzept der Todestriebe für einen brauchbaren gesellschaftstheoretischen Begriff zu abstrakt und verstiegen ist. »Ihr liebt das Leben, wir lieben den Tod«: Wo der trieblosen Liebe der Kulturalisten nur eine Gesellschaft ohne Individuum entsprechen kann, beschreibe der Todestrieb zumindest eine Leerstelle, die bei nicht-rationalisierenden Erklärungen der Selbstmordattentate notwendig offen bliebe (Tjark Kunstreich). Die entscheidende Frage für die Autorinnen bleibt unterdessen immer, inwiefern “der Todestrieb« dem Verhältnis von Individuum und repressiver Gemeinschaft entspringt.

Aus der durchaus kontroversen Diskussion ergibt sich schließlich die Frage, ob Freud mit den Todestrieben tatsächlich das psychoanalytische Pendant dessen »ertastet«, was Marx mit dem Wert auf den Begriff gebracht hatte; »Freud führt den Todestrieb ein, wie um den Weltkrieg zu erklären; es kommt aber […] ein Begriff heraus, der alles und nichts erklärt – und darum gerade dem entspricht, was der Erklärung sich entzieht: warum es ein Ganzes gibt, das falsch ist« (Gerhard Scheit). Der kleine Band ist eine überaus lesbare Einführung in die Grundlagen der Psychoanalyse, die über den permanenten Fokus auf ihre gesellschaftskritische Relevanz gleichzeitig noch einen umfassenden Einblick auf deren Weiterentwicklung nach Freud gibt.

Phase 2. Zeitschrift für die linksradikale Bewegung (Sommer 2008)

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