Dirk Farke – Wer nicht für uns ist, ist gegen uns * Rezension zu: Bruhn/Gerber, Rote Armee Fiktion

Dirk Farke

Wer nicht für uns ist, ist gegen uns

Es ist alles andere als einfach sich einen Weg durch den Publikationsdschungel, der anlässlich der dreißigsten Wiederkehr der Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer undurchsichtiger und undurchdringlicher als an den zwei vorangegangenen runden Geburtstagen zusammengenommen erscheint, zu bahnen. In dem renommierten, für seine anspruchsvollen Publikationen bekannten Freiburger ça ira-Verlag erschien vor kurzem ein kleines Aufsatzbändchen mit dem bezeichnenden Titel, “Rote Armee Fiktion”, das vieles, was anlässlich des dreißigsten Jahrestages des Deutschen Herbstes so alles das Licht der Welt erblickte, hinter sich lässt. In acht Aufsätzen setzten sich hochkarätige Autoren, neben den Herausgebern Joachim Bruhn und Jan Gerber sind dies Uli Krug, Felix Klopotek, Gerhard Scheit sowie die Initiative Sozialistisches Forum (ISF) – ein Arbeitskreis unabhängiger Linkskommunisten, der sich an der Kritischen Theorie orientiert – auf 140 Seiten, in unterschiedlicher Fragestellung, mit dem Linksterrorismus in der BRD, der vor allem als Rote Armee Fraktion firmierte, auseinander.

Das Ergebnis ist eindeutig und alles andere als überraschend. “Die RAF war niemals eine, wenn auch hoffnungslos verspätete, Fraktion jener Roten Armee, die die letzten Überlebenden von Auschwitz befreite” ist die Hauptthese, die sich wie ein roter Faden durch alle Aufsätze dieser Publikation zieht. Unerwartet ist höchstens die Deutlichkeit mit der schonungslos dargelegt wird, wie sich die Angleichung der RAF an die von ihr vergeblich umworbenen vollzog.

Die Aussagen Alfred Dreggers, Kurt Rebmanns und Franz Josef Strauß im Herbst 1977 (Internierungslager, Todesstrafe, Gegengeiselnahme) sind ebenso bekannt wie die Forderungen des Pöbels vor dem Stammheimer Knast (Aufknüpfen, Genickschuss, auf der Flucht erschossen), die sogleich via Tagesschau in die deutschen Wohnzimmer überliefert wurden. Die von der RAF stets postulierte Unterscheidung zwischen der von ihr ausgeübten revolutionären, das heißt positiven und guten Gewalt und der vom kapitalistischen System praktizierten schlechten, negativen hat nie wirklich existiert. Die konkreten Leichen gab es auf beiden Seiten.

Jan Gerber datiert den Beginn der Stadtguerilla nicht auf den 14. Mai 1970, den Tag der gewaltsamen Befreiung Andreas Baaders aus der Haft, sondern auf den 9. November 1969. An diesem Tag deponierten die Tupamaros Westberlin, eine Vorgängergruppe der Bewegung zweiter Juni, eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in Westberlin. Mit dieser Bombe, die auf Grund einer defekten Zündvorrichtung nicht explodierte, wollten die TW´s nach eigener Aussage gegen die israelische Politik gegenüber den Palästinensern demonstrieren und die palästinensische Revolution unterstützen. Laut Bekennerschreiben sei der 31. Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 bewusst gewählt worden, denn “aus den vom Faschismus verfolgten Juden sind selbst Faschisten geworden”.

Mit dem Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus wurde, so Gerber, die weitere Geschichte des bewaffneten Kampfes nicht nur vorweggenommen, sondern “hier verschmolz die antiimperialistische Liebe zu den Völkern mit dem judenreinen Faschismusverständnis der Komintern und der wiederentdeckten Begeisterung für Deutschland”.

Als der “Schwarze September” bei den Olympischen Spielen 1972 in München Mitglieder der israelischen Mannschaft ermordeten, bezeichnete Ulrike Meinhof diese Aktion als “antiimperialistisch, internationalistisch und antifaschistisch”. Diese Auslassungen, so legt Gerber dar, wurden von anderen RAF Mitgliedern und ihrem legalen Umfeld durchaus geteilt. Und die Palästinenser wiederum revanchierten sich ihrerseits für die gezeigte Solidarität mit der Entführung einer Lufthansamaschine während der Schleyerentführung.

Gerber kommt in seinen Ausführungen zu dem Ergebnis, dass zwischen den Gruppen des bewaffneten Kampfes und den legalen Linken in Sachen Antizionismus über lange Jahre hinweg eine seltene Übereinkunft herrschte. Unter Einbeziehung des vorhandenen Quellenmaterials gelangt er zu dem Schluss, dass der Unterschied zwischen den legalen Linken und der im Untergrund kämpfenden Stadtguerilla lediglich darin bestand, dass die Stadtguerilla auch versuchte, die vorgebrachten Forderungen in die Tat umzusetzen. “Hier waren die Gruppen des bewaffneten Kampfes tatsächlich das, was sie immer seien wollten: Avantgarde der Bewegung”.

Die These des Kölner Autors Felix Klopotek, “die Praxis der RAF war eine extreme, das heißt konsequente Form des Staatsfetischismus. Die RAF, das war der Gegen-Staat, der dem Souverän sein Gewaltmonopol entgegenstellte und den Anspruch auf sein ureigenes Recht erhob, Gefangenen zu nehmen und über sie zu richten…”, existiert bereits seit den 70ger Jahren. Die Synonyme zwischen Staat und Gegen-Staat sind zu zahlreich, um hier noch wiederholt werden zu müssen. Der tiefe Vernichtungswunsch gegen die Büttel des Staates hebe sich darin auf, schreibt Klopotek, dass man sich selbst als Staatsdiener verstehe “Dem Volk dienen!”. Damit sei ja nun wirklich kein herrschaftsfreier Zustand gemeint.

Natürlich hat die RAF einmal ganz anders angefangen, als sie endete. Aber der Rechtsnachfolger des Dritten Reiches hat die Sprengversuche der RAF nicht nur überaus gut überstanden, sondern sich daran moralisch erbaut und politisch gemästet. Es war eine Art von antagonistischer Kooperation.

Der materialreiche, seine Thesen außerordentlich gut belegende Aufsatzband hebt sich von vielem deutlich ab, was sonst noch so alles zu diesem historischen Jubiläum erschienen ist. Man hätte sich in der Tat mehr davon gewünscht.

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