Stephan Grigat – Theorie der 68er * Rezension:Böckelmann. Über Marx und Adorno

Stephan Grigat

Theorie der 68er

Die Studenten- und Studentinnenbewegung um das Jahr 1968 wird in der Regel mit demonstrierenden, fahnenschwenkenden, mitunter auch randalierenden jungen Menschen assoziiert. An den Universitäten der 60er und 70er Jahre ist aber bei weitem nicht nur politisiert und praktiziert, sondern vor allem auch – insbesondere in Frankfurt – theoretisiert worden. Ein bedeutender Teil des Erbes von ’68 besteht in bis heute lesenswerten theoretischen Abhandlungen. Eine der wichtigsten Schriften dieser Art ist neben Wolfgang Pohrts “Theorie des Gebrauchswerts” die nun in erweiterter Neuauflage vorliegende Studie von Frank Böckelmann, in der er die Adornosche Zuspitzung der Marxschen Kritik unter den Bedingungen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts reflektiert.

Böckelmann war zu Beginn der 60er Jahre Mitglied der “Subversiven Aktion” und später ein wichtiger Vertreter des antiautoritären Flügels des “Sozialistischen Deutschen Studentenverbandes”. Die ursprüngliche Fassung seines nun erneut vorliegenden Textes schrieb er bereits in den Jahren 1968/69, also in jener Zeit, als sich die ersten Anzeichen für ein Scheitern der antiautoritären Revolte bereits andeuteten.

Böckelmann, der zu den Repräsentanten der nicht parteigebundenen und dennoch parteiischen Gesellschaftskritik gehört, die schon immer neben dem Dogmatismus bestand, löst Adornos Gesellschaftskritik nicht – wie heute allgemein üblich – in schöngeistige Betrachtungen auf, sondern nimmt seine “traurige Wissenschaft” ernst. Er übt Kritik an der mitunter stark eingeschränkten Rezeption der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie durch Adorno und formuliert verhaltene, durchaus theoretisch begründete Einwände gegen die weitgehende Beschränkung Adornos auf die theoretische Kritik, die aber mit dem üblichen Ressentiment gegenüber der angeblichen “Praxisfeindlichkeit” der von Adorno repräsentierten Kritischen Theorie nichts gemein haben.

Auch wenn einige Ausführungen Böckelmanns aus heutiger Sicht zu traditionalistisch erscheinen – für alle, die nach wie vor an der Vermittlung von widerständiger Praxis und emanzipativen Bewußtsein, an dem komplizierten Verhältnis von Wollen und Müssen, Erkenntnis und Können in der modernen warenproduzierenden Gesellschaft interessiert sind, ist Böckelmanns Studie nachdrücklich zu empfehlen.

Aus: Unique (Wien), Mai 1999

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