Hanning – Rezension zu “Von Adorno zu Mao”

Hanning

Rezension zu “Von Adorno zu Mao”

Im Frühjahr 1969 notierte Hans-Jürgen Krahl, Doktorand Theodor W. Adornos und einer der theoretischen Köpfe des SDS, folgenden Gedanken: »Der niederträchtige Heidelberger Slogan von der ‘Liquidierung der antiautoritären Phase‘ beinhaltet, wie immer er auch subjektiv gemeint sein mag, in der gegenwärtigen Übergangsphase dogmatische Regression, er sanktioniert ein autoritäres Reaktionssyndrom (…). (…) Der Ruf nach der ‘Liquidation der antiautoritären Phase‘ dokumentiert eine identitätsschwache Unfähigkeit zu dialektischem Denken, die Verdrängung unangenehmer, aber realer Widersprüche, das Unvermögen, sie im Denken auszuhalten und damit auch im Handeln auflösen zu können.« [ 1 ]

Krahl formuliert diese scharfe Kritik an der Heidelberger SDS-Fraktion in einer Zeit, als die studentische Protestbewegung der 60er Jahre sich bereits im Niedergang befand und der SDS als einer ihrer zentralen Akteure deutliche Auflösungstendenzen zeigte. Seine Kritik ist Teil der Auseinandersetzungen, die innerhalb der Bewegung seit 1968 geführt wurden. Im SDS hatten diese Konflikte Tradition: Der Streit zwischen den Ortsgruppen aus Heidelberg oder Marburg, die einen eher orthodoxen Marxismus vertraten, und den antiautoritär orientierten Gruppen aus Frankfurt oder West-Berlin hatte den Verband schon seit Jahren begleitet und sich seit Anfang 1968 zugespitzt. [ 2 ] Das Scheitern der Proteste gegen die Notstandsgesetze und das abnehmende Vermögen von SDS und APO, ihren Protest auf größere Teile der deutschen Bevölkerung auszuweiten, hatten die Protestbewegung im Sommer 1968 endgültig in die Krise gestürzt und eine Phase des Zweifels ausgelöst. Wie sollte die »Neue Linke« weitermachen, nachdem die studentische Protestbewegung offensichtlich an ihre Grenzen gestoßen war?

Während Krahl an einer theoretisch geschulten Position festhielt, die sich auf die Tradition der Kritischen Theorie berief und vor allem versuchte, auf der Höhe der Zeit auf das Verhältnis von Gesellschaftstheorie und politischer Praxis zu reflektieren, zogen andere Teile der Bewegung zeitgleich folgende Schlüsse: »Wir wollen nicht lesen, was aktuell erscheint. Das sind meist Schreibtischprodukte ‘linker‘ Professoren. Wir wollen wissen, was richtig und falsch ist. Das lernen wir, wenn wir die Genossen studieren, die in den letzten 150 Jahren die proletarische Revolution erfolgreich geführt haben: MARX, ENGELS, LENIN, STALIN, MAO TSETUNG.« [ 3 ] In diesem Zitat deutet sich geradezu paradigmatisch die Wende an, die sich in der Folge über die Schlagworte »Liquidierung der antiautoritären Phase« und »proletarische Wende« in Teilen der Neuen Linken durchsetzte.

Aus der zerfallenden Protestbewegung entstanden neben Ökologie , Frauen , Alternativ  und Friedensbewegung auch Zirkel, die wieder einen traditionellen Begriff des Proletariats vertraten, das kritisch-theoretische Erbe der Studierendenbewegung als »kleinbürgerlich« abtaten und über eine eigenwillige Rezeption der Schriften Mao Zedongs eine Retraditionalisierung des eigenen Denkens vollzogen. Statt zerfaserter linker Verbände und Grüppchen wurde der Aufbau einer schlagkräftigen, straff geführten Kaderorganisation nach dem Vorbild der historischen KPD gefordert. Schon bald gründeten Studierende und Intellektuelle die ersten »K-Gruppen«, die sich jeweils ernsthaft als Vorläufer einer neuen kommunistischen Massenpartei verstanden. Die Kritische Theorie Theodor W. Adornos oder Max Horkheimers, die auch außerhalb Frankfurts die frühe Phase der Protestbewegung inspiriert hatte, wurde von diesen Gruppierungen verworfen. Der Marxismus-Leninismus in maoistischer Ausrichtung wurde zur aktuellen Theorie der Befreiung erhoben.

In seiner Dissertation »Von Adorno zu Mao. Über die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung« rekonstruiert der Freiburger Politikwissenschaftler Jens Benicke diese Entwicklung hin zu den autoritären K-Gruppen als intellektuellen Verfallsprozeß. Er analysiert dazu die Rezeption der Kritischen Theorie und die Diskussionen um den Nationalsozialismus und den Faschismusbegriff innerhalb der radikalen Linken in vier Abschnitten: Zu Beginn der antiautoritären Studierendenbewegung, während des Höhepunkts der Protestbewegung, in der Übergangszeit zu den K-Gruppen und dann innerhalb der K-Gruppen bis zu ihrem Ende um 1989/1990.

Zu Beginn der Studierendenbewegung, so Benickes Ausgangspunkt, sei die Kritische Theorie als Stoßrichtung eines »westlichen Marxismus« (Perry Anderson) in breiten Teilen produktiv rezipiert worden. Gerade in den Auseinandersetzungen mit dem »Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie« (Adorno), in der Beschäftigung mit der deutschen Vergangenheit und dem Antisemitismus habe sich die Studierendenbewegung stark an der Kritischen Theorie orientiert. Benicke weist nach, wie die antiautoritäre Bewegung über diese Rezeption zu differenzierten Analysen des Nationalsozialismus, der Zustände in der BRD und der Bedeutung der Verbrechen von Auschwitz für jeden allgemeinen Emanzipationsanspruch einer politischen Linken gelangte. Einen ersten Einbruch in diese Phase der Protestbewegung bildet dem Autor zufolge die Reaktion der Neuen Linken auf den Sechstagekrieg 1967. Hier hätten sich erstmals Analysen durchgesetzt, die auf einen undifferenzierten Faschismusbegriff und eine oberflächliche, antiimperialistische Deutung der Geschehnisse gesetzt und dabei die besondere Situation Israels als Staat der Auschwitz Überlebenden vergessen hätten: »Die Beurteilung des Konflikts im Nahen Osten vermittels einer generalisierenden Imperialismustheorie und die Verdammung des jüdischen Staates bedeuten das definitive Ende der antiautoritären Phase.« (S.78)

Die deutliche Abkehr von der Kritischen Theorie sei dann, so Benicke, auf dem Höhepunkt der Protestbewegung über die Faszination für die chinesische Kulturrevolution und die »proletarische Wende« erfolgt. Breite Teile der Bewegung zeigten sich nach den wilden Streiks 1968 in Paris und 1969 in der BRD überzeugt, daß das Proletariat entgegen den Überzeugungen etwa Adornos oder Marcuses durchaus nicht in die spätkapitalistische Gesellschaft integriert sei. Benicke zeigt auf, wie die späteren Protagonist_innen der K-Gruppen die folgende Bewegung hin zum orthodoxen Marxismus bewußt forcierten. Mit desaströsen Folgen: In den K-Gruppen herrschte ein generalisierender Faschismusbegriff, der sich wieder an der berüchtigten Dimitroff-Formel orientierte, ein von Mao übernommener positiver Volksbegriff, Antiamerikanismus und aggressiver Antizionismus, der nur der Relativierung der deutschen Verbrechen diente. Gerade in der massiven Intellektuellenfeindschaft der K-Gruppen, die sich auch in antisemitischen Ressentiments Bahn brach, und in einer Übernahme offen nationalistischer Ansichten zeigt sich für Benicke, wie weit diese Gruppierungen sich von allem entfernt hatten, was an der antiautoritären Studierendenbewegung emanzipativ war: »Nachdem sich der Erfolg nicht, wie erhofft, in kurzer Zeit einstellt und sich vielfältige Widerstände zeigen, tauschen viele Teilnehmer der Studentenrevolte die Zweifel, die mit der antiautoritären Bewegung verbunden sind, gegen die Sicherheit neoleninistischer Kaderparteien ein, die eine geschlossene Welterklärung anbieten.« (S.190)

Benickes Buch füllt eine Forschungslücke, da die Wechselwirkung zwischen Kritischer Theorie und linker Bewegungsgeschichte bisher vor allem für die frühe Phase der studentischen Protestbewegung untersucht wurde. »Von Adorno zu Mao« ist eine gelungene Studie über die theoretische Entwicklung der K-Gruppen – und es ist zu begrüßen, daß der Autor den Schwerpu nkt auf eine schonungslose Kritik dieses bizarren Abschnitts der Geschichte der Linken legt. An vielen Stellen verläßt Benicke angenehmerweise dabei den akademischen Rahmen und übt eine auch politisch motivierte Kritik an linken Identitätsbedürfnissen und der Flucht vor kritischem Denken, die weit über die historische Phase der K-Gruppen aktuell ist. Wie wichtig eine historisch und theoretisch begründete Position für jedes angemessene Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft ist, welche Gefahr von ungenügender Arbeit am Begriff für eine linke Praxis ausgeht, läßt sich bei Benicke am historischen Beispiel nachlesen. Teilweise geht er allerdings zu schnell über seinen Gegenstand hinweg: Generelle Behauptungen werden manchmal anhand nur weniger Zitate eher nahegelegt als nachgewiesen, historische Abschnitte kommen oft recht holzschnittartig daher. Dennoch ist seine Studie für die Beschäftigung mit der Wirkungsgeschichte Kritischer Theorie in der BRD und mit der Entwicklung der radikalen deutschen Linken ein Gewinn.

Anmerkungen

[ 1 ] Hans-Jürgen Krahl: Konstitution und Klassenkampf. Zur historischen Dialektik von bürgerlicher Emanzipation und proletarischer Revolution, Frankfurt a. M. 1971, S. 283–284.

[ 2 ] Der SDS war nicht in der Lage, die Streitigkeiten zwischen »Traditionalisten« und »Antiautoritären« zu lösen und sah sich außerdem seit September 1968 zunehmender Kritik von Seiten der Zweiten Frauenbewegung konfrontiert. Im März 1970, kurz nachdem Hans-Jürgen Krahl durch einen Autounfall ums Leben gekommen war, wurde der Verband aufgelöst

[ 3 ] Flugblatt aus Frankfurt vom Mai 1969, z. n. Wolfgang Kraushaar: Frankfurter Schule und Studentenbewegung. Von der Flaschenpost zum Molotowcocktail 1946–1995, Band 2: Dokumente, Frankfurt a.M. 1998, S. 634.

Aus: Beatpunk-Webzine

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