Jost Eisenstein – Growing nervous * Rezension zu: Jens Benicke, Von Adorno zu Mao

Jost Eisenstein

Growing nervous

Notiz über die Notwendigkeit der ‘proletarischen Wende‘ und die Verfaßtheit ihrer Kritiker

Unbekannte Parolen hallten am Mittag des 3. September 1969 durch die Geschäftsstraßen und schmalen Gassen der Dortmunder Innenstadt. Einige “ältere Menschen auf den Straßen mochten diese Klänge wohl schon einmal vernommen haben, aber das dürfte selbst zu diesem Zeitpunkt eine “halbe Ewichkeit” her gewesen sein. Eilig drangen die Menschen aus den Glaseingangstüren von Hertie und Karstadt heraus auf die Bürgersteige und bestaunten diese für die bundesrepublikanische Gesellschaft so unwirkliche Szenerie: 10000 Arbeiter zogen in 3 Demonstrationszügen in die Innenstadt ein. Ihre Parole: “Alle Räder stehen still, wenn der Arbeiter es will!”. Dazu trommelten die entschlossenen Stahlarbeiter aus den Werken Westfalenhütte (Hoesch), Dortmunder Betriebe Union und Phoenix im Takt auf ihren schweren Schutzhelmen.

War eine Demonstration angekündigt worden? Hatte die Gewerkschaft die Aktionen vorbereitet? Nichts dergleichen. Die Bundesrepublik Deutschland erlebte den Auftakt des ersten “wilden Streiks” in ihrer jungen Geschichte. In der Dortmunder Innenstadt vereinigten sich die 3 Demonstrationszüge und zogen gemeinsam weiter zur Hoesch-Hauptverwaltung. Spontan, ohne Absprache oder vorherige Planung. Die Hoesch-Verantwortlichen sahen die Arbeitermassen bereits von Weitem entschlossen zur Zentrale eilen. Es war eine Sache von wenigen Stunden. Dann hieß es: Einwilligung in die Forderungen der Arbeiter. Konkret hieß das: Anhebung des Stundenlohns um 30 Pfennige (die IG Metall hatte es zuvor in wochenlangen Verhandlungen nicht einmal geschafft 20 Pfennig Lohnerhöhung durchzudrücken) ab sofort (!) und Bezahlung der Streikzeit. Der Verwaltungsrat der Hoesch Werke atmete auf. Das Schlimmste schien abgewendet.

Doch dies war lediglich der Auftakt. Als die Stahlarbeiter in den umliegenden Gebieten vom schnellen Triumph der “wild” (also ohne gewerkschaftliche Kontrolle) streikenden Kollegen erfuhren, waren sie entschlossen es ihnen gleich zu tun. Es entstand ein Flächenbrand. Am nächsten Tag legten 1300 Rheinstahl-Gießer in Duisburg-Meiderich spontan die Arbeit nieder, darauf 2900 Arbeiter der Friedrich-Wilhelm-Hütte in Mühlheim an der Ruhr. Es folgten der Gelsenkirchener Schalker Verein mit 3300 Arbeitern und die komplette Belegschaft der Mannesmann-Hüttenwerke in Duisburg-Huckingen mit 10000 Beschäftigten. Innerhalb weniger Tage taten es ihnen die Kumpels zahlreicher Gruben im Ruhrgebiet und im Saarland gleich, sodann die Kollegen der Metallverarbeitung und der Textilindustrie und auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen verweigerten die Angestellten im Öffentlichen Dienst in einigen Städten den selbigen. Insgesamt befanden sich so im September 1969 140000 Beschäftigte in ganz Deutschland im “wilden” Streik. Eine historisch einmalige Konstellation. Überall ging es um Lohnerhöhungen, mancherorts aber auch um mehr: Abschaffung der unteren Lohnklassen, weiterreichende Mitbestimmungsrechte im Betrieb. Der damalige BDI (Bundesverband der deutschen Industrie)-Vorsitzende Fritz Berg bemängelte rückblickend: “Man hätte ruhig schießen sollen, dann herrscht wenigstens Ordnung!”. Auch die Gewerkschaften versuchten mit einer Taktik aus Drohung, Einschüchterung (Androhung des Verlusts des Krankenversicherungsschutzes für die Streikenden und ihre Familien etc.) und keinerlei Unterstützung den Willen der Arbeiter zu brechen. So kam es, daß etwa 2000 Kumpels aus dem Bergbau vor dem Dortmunder DGB-Haus “Glück auf, Glück auf, wir werden verkauft!” skandierten. Schließlich war den Gewerkschaften, in Kooperation mit Arbeitgeberverbänden und der Regierung, dennoch Erfolg beschieden. Der Streik brach zusammen. Die vielfältigen Gründe zu erörtern steht anderen zu – was jedoch festzustellen bleibt: Die deutsche Arbeiterklasse hatte ganz offensichtlich ganz neue Formen des Kampfes gefunden (beziehungsweise alte wiederentdeckt). Doch wie kam es dazu? Auch hierzu wäre viel zu schreiben; ein Dortmunder Arbeiter brachte es so auf den Punkt: “Wir müssen et machen wie die Studenten habb ich gesacht!ä

Ach ja, da war ja was! Die Studentenbewegung, an ihrer Spitze der Sozialistische Deutsche Studentenbund (SDS), in diesen Jahren gar zur Außerparlamentarischen Opposition (APO) erklärt, wirkte doch seit 1966/67 an der revolutionären Umgestaltung der bundesdeutschen Gesellschaft. Die Studenten hatten durch Demonstrationen, Happenings, Straßentheater, Sit-Ins und Teach-Ins an den Universitäten und in den Universitätsvierteln der mittel- und großdeutschen Städte ein Klima des politischen Aufbruchs geschaffen und dabei durchaus neue Formen des Kampfes um Rechte und eine andere Gesellschaftsordnung etabliert. Warum sollten die Arbeiter diese Formen nicht übernehmen? Zudem: Nichts ersehnten große Teile der politisierten Studierendenschaft mehr, als endlich den Schulterschluss mit der Industriearbeiterschaft proben zu können. Was hatte man nicht alles versucht, um Arbeiter zu agitieren, um sie für die (aus Sicht der Studierenden) doch gemeinsame Sache zu gewinnen. Jeden morgen wurden Flugblätter vor den Toren der großen Werke verteilt, man lud Arbeiter zu Veranstaltungen ein. Die Resonanz blieb (vorerst) gering.

Und nun? Im Augenblick des ersehnten “Arbeiteraufstands” gegen die “Herren der Fabriken”? Da fiel der deutschen Studentenbewegung nichts ein! Staunend sah man den Geschehnissen zu – von außen. Isoliert. Im SDS-Organ “neue kritik” wurden die Streiks zunächst daraufhin untersucht, ob sie überhaupt “zur revolutionären Bewegung beitragen können” (!). Während der “proletarische Mai” 1968 in Frankreich, aber auch in Italien und anderen europäischen Ländern, eine radikalisierte Arbeiterbewegung im gemeinsamen Kampf (zumindest in Teilen – dieser dreiviertel-Irrtum soll hier auch nicht weiter aufgelöst werden…) sah, war die Trennung zwischen Hochschulkampf und Klassenkampf nirgends deutlicher als in der BRD.

Dies wurde ein (nachträglicher) Schock für die sich schon im Niedergang befindende Studentenbewegung und führte – neben einigen anderen Aspekten – zur sogenannten ’proletarischen Wende‘ der Bewegung.
Doch an dieser Stelle vielleicht ein wenig langsamer – weshalb war die Studentenbewegung zu diesem Zeitpunkt im Niedergang, was genau führte zu einer verstärkten Hinwendung zum (Industrie-)Proletariat, schließlich gar zur ’proletarischen Wende‘?

Nun, die Bewegung der Studenten, wie sie sich in den Jahren ab 1965 langsam konstituierte, einte vor allem ein negierender Konsens: Bekämpfung der Notstandsgesetze, Agitation gegen den Vietnamkrieg der USA, Kampf den verkrusteten bundesrepublikanischen Gesellschafts- und Hochschulstrukturen. Darüberhinaus war man sich recht uneins wohin die Reise eigentlich gehen sollte – es existierten viele schwammige, teils divergierende, Vorstellungen einer zukünftigen Gesellschaft. In dem Moment, in dem diese Kämpfe verloren wurden (Notstandsgesetze) oder tatsächlich gesellschaftliche Reformen eintraten (Hochschulreform, neue Ostpolitik unter Willy Brandt) machte sich Ratlosigkeit breit. Was tun? Die seit mehreren Semestern andauernde Dauer-Aktivierung der Studierendenschaft hatte ohnedies Ermüdungserscheinungen virulent werden lassen. Selbst der harte Kern der Aktivisten in den SDS-Gruppen sah ein, daß die sozialistische Revolution in einem hochkapitalisierten Staat in Mitteleuropa offensichtlich ein langwieriger Prozeß sein würde und keine Angelegenheit weniger Monate. Resignation machte sich breit. Viele schieden aus den Gruppen aus. Man übersieht (bis heute) leicht, daß politisches Engagement immer auch eine Modeangelegenheit ist: Der Reiz des Neuen war verschwunden und die Mobilisierungsf ähigkeit an den Hochschulen ließ deutlich nach.

Dies zeigte sich auch in der Organisationsstruktur des SDS. Er galt vielen Studierenden und Aktivisten bald als realitätsfern, arrogant und selbst dringend reformbedürftig. Man bekam kaum mehr einen Bundesvorstand beisammen. Innerhalb des SDS entstand zudem der Keim der neuen (autonomen) Frauenbewegung, die den Verband als männerbündlerisch und patriarchal entlarvte. Die bis dato wenig hinterfragte Standard-Antwort vom Nebenwiderspruch, sobald die Rede auf die notwendige “Befreiung der Frauen” (Helke Sander) kam, wurde Hans-Jürgen Krahl zum Verhängnis, als Sigrid Rüger ihm nach kurzer formaler Anrede (“Genosse Krahl, du bist objektiv ein Konterrevolutionär und ein Agent des Klassenfeindes dazu” ) eine Fleischtomate vor den Kopf knallte. Doch lange sollte auch Krahl sich nicht mehr mit vermeintlichen oder tatsächlichen Nebenwidersprüchen beschäftigen können. Er starb bei einem Autounfall 1970 und mit ihm verlor die Bewegung (nachdem Rudi Dutschke seit dem Anschlag auf ihn, 1968, nur langsam gesundete) eine letzte Identifikationsfigur, die es vermochte die verschiedenen Flügel leidlich zu vereinen. Der SDS, und mit ihm die Reste der Studentenbewegung, brachen in den Jahren 1969/70 schlussendlich zusammen.

Die Optionen, die sich aus diesem Zusammenbruch ergaben waren durchaus verschieden – in Kürze:
a) Überleitung in eine neue, intensivere Phase der Auseinandersetzung – Aufnahme des bewaffneten Kampfes in den Metropolen (RAF, Bewegung 2. Juni, RZ…).
b) Abwandlung der alten trotzkistischen Entrismus-Taktik – das System/die Organisation von Innen heraus reformieren/revolutionieren: Der “Marsch durch die Institutionen” (Dutschke).
c) Weiterführung eines antiautoritär-subversiven Gedankens (vage) im Geiste der kritischen Theorie im gesellschaftlichen Umfeld der Universitäten (Sozialistisches Büro Offenbach).
d) Hinwendung zum revolutionären Subjekt – ’proletarische‘ Transformation der Bewegung und Versuch der Einflussnahme auf/der Etablierung von Kommunikationsstrukturen mit dem (Industrie-)Proletariat (K-Gruppen: KBW, KB, KPD/ML, KPD/AO…).

Welche dieser Optionen war wohl, vor dem Hintergrund der zu Beginn geschilderten Ereignisse im September 1969, die (auch aus heutiger Perspektive) am sinnigsten erscheinende? Ich sehe das relativ klar, habe allerdings eine nicht zu verschweigende Meinungsverschiedenheit mit einem Menschen namens Jens Benicke. Ich kenne diesen Mann nicht, habe ihn nie persönlich getroffen und er könnte sich als im Umgang durchaus netter Typ erweisen. Aber: Er hat ein Buch geschrieben, daß mich doch arg verärgert. Es trägt den Titel “Von Adorno zu Mao– Über die schlechte Aufhebung der antiautoritären Bewegung” (Freiburg, 2010). Von allen 4 hier dargestellten und tatsächlich praktizierten Optionen scheint Benicke die ’proletarische Wende‘ als die “schlechte Aufhebung der antiautoritären Revolte”. Warum dies?

Vor allem, weil er aus dem Unsinnsdiktum der Kritischen Theorie (“Die kämpferische Tradition der Arbeiterklasse ist spätestens mit der Niederlage der revolutionären Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik gebrochen worden; und der Nationalsozialismus sowie der Antikommunismus der Nachkriegszeit haben es unmöglich werden lassen, erneut daran anzuknüpfenä) ein historische immerwährendes Gesetz macht. Wo nichts war, da darf nichts werden – keine Spur von geschichtlicher Kontextualisierung oder mit empirischer Arbeit verknüpftem historischen Materialismus. Stattdessen: Einmal mehr die üblichen Schemen – das sieht dann (zugegebenermaßen ein wenig simplifiziert) im Großen so aus:

Auf der einen Seite jene Gruppen, welche die Transformation der Bewegung (hin zu einer ’proletarischen Wende‘) befürworten und praktizieren, inklusive aus China importiertem theoretischem Rüstzeug (Maoismus – westlich ausgelegt), Proletkult, straffer (leninistischer) Organisationsstruktur, antiimperialistischem Weltbild und kommunistischer Folklore.

Auf der anderen Seite die Kritische Theorie rund um das Frankfurter Institut für Sozialforschung (Theodor W. Adorno, Max Horkheimer, Herbert Marcuse, Jürgen Habermas) und ihre (dennoch gläubigen) Kritiker während der Phase der Studentenbewegung und darüber hinaus (Oskar Negt, Krahl, Dutschke…), die weiter an einer subversiven Strategie jenseits einer offensiven Einbeziehung des Proletariats werkeln, denn bekanntermaßen finden sozialistische Revolutionen immer dann statt, wenn Studierende nicht mehr in ihre Hörsäle gehen, die Eigentumsverhältnisse (im besonderen die in wenigen Händen akkumulierten Produktionsmittel) aber unangetastet bleiben.

In dieser Frontstellung kommt es dann zu seltsamen Zusammenschlüssen, die ich in einem Buch, das im ça ira-Verlag erschienen ist so keineswegs vermutet hätte. Da formuliert gerade Rudi Dutschke eine “hellsichtige Kritik” an der ’proletarischen Wende‘, da werden Dutschke und sein “langjähriger Genosse Bernd Rabehl” mit “ihren historischen Analysen”, der “Veröffentlichung ihrer Doktorarbeiten, in denen sie den Leninismus kritisieren”, die “zugleich als Kritik an den marxistisch-leninistischen Gruppen zu verstehen sind” von Freiburg aus ins letzte Gefecht geschickt. Da wird das “bezeichnenderweise in der Nähe von Frankfurt ansässige” (!) Sozialistische Büro Offenbach (SB) zur “einzig bedeutendere(n) Organisation, die ihre kritisch-theoretische Tradition der antiautoritären Revolte weiterzuführen versucht”. Dort finden sich dann “unter anderem Oskar Negt und, nach seiner Genesung, auch Dutschke wieder”. Einmal mehr – der Fachmann staunt und selbst der Laie wundert sich: Da wird der linksdeutsche Antisemitennationalist (um alle Vorwürfe gegen Dutschke ein wenig zu bündeln) doch gleich zum Aushängeschild der kritischen Theorie (wenn er muß). Der heutige rechte Vordenker Rabehl obendrein und auch der sanft-kritische Theoretiker und Gerhard Schröder-Freund Negt wird rehabilitiert, denn die ’proletarische Wende‘ hätte nicht sein dürfen! Statt “nun die kommunistischen Klassiker” zu lesen, den “Aufbau einer schlagkräftigen Organisation” voranzutreiben oder sich gar zur “Industriearbeiterklasse, dem angeblich einzig revolutionärem Subjekt” hinzuwenden und sich folgerichtig “von den antiautoritären Strategien (sic!)” abzuwenden, wäre es doch so einfach gewesen:

“Die Zerschlagung der Substanz, des subversiven Denkens, wie es gerade in der Anti-Marcuse-Welle noch immer läuft, zeigt sich katastrophal im Verlust revolutionärer antiimperialistischer Sensibilität, wie sie (sich? – J.E.) durch die (…) widersprüchliche Dialektik von Aufklärung und Aktionen zwischen 1964 und 1968 entwickelt hatten. Ich spreche (…) gegen die, die meinen, die ’neue Erscheinung der illegalen Streiks der Arbeiter‘ erfordere den unmittelbaren Aufbau einer typischen bolschewistischen Kaderpartei, um den (dem? – J.E.) immer stärker werdenden Repressionsapparat des kapitalistischen Systems entgegentreten zu können. Die weiterhin subversive Seite universitären Lebens, Denkens und Handelns wird von den meisten dieser Freunde immer mehr abgetan als ’kleinbürgerlicher‘ Rest. Ihre Unfähigkeit der subversiven Vermassung des universitär-gesellschaftlichen Widerspruchs ersetzen sie durch ’bolschewistische Kaderpartei‘.”

Dies kabelte der zerschlagene Rudi Dutschke Anfang 1970 nach Übersee dem zumindest angeschlagenen Herbert Marcuse herüber. In der Tat – die Subversiven gerieten “in die Defensive”, in eine “Minderheitsposition” (Benicke), aber was hatten sie auch anzubieten? Was wären “antiautoritäre Strategien” gewesen? Wie “ußert sich “antiimperialistische Sensibilität” genau? Was konnte oder sollte “subversive Vermassung” bedeuten in jenen Jahren, in denen der Klassengegensatz auf den Straßen Dortmunds und and erer Städte an Rhein und Ruhr so deutlich zu spüren war und in denen heftige Klassenkonflikte ausgetragen wurden? Die vermeintlich antiautoritäre Position hat keine strategische Komponente zu bieten! Sie kann taktisches Kampfmittel auf Zeit sein, aber niemals Strategie. Die “Liquidierung der antiautoritären Phase” (jenes Schlagwort, das Benicke der Heidelberger SDS-Gruppe so übel nimmt, daß er es gefühlt in jedem dritten Hauptsatz wiederholen muß) wurde (das fiese – “stalinoide” – Verb hin oder her) nötig, denn
“ (…) spätestens mit den Septemberstreiks mußten (…) die Studenten erkennen, daß (…) durch geduldiges Transformieren niemals Hochschulkampf zu Klassenkampf wird, daß das isolierte Vorantreiben der Studentenbewegung – immer radikalere Parolen, immer radikalere Uni-Aktionen, immer mehr Studenten in die Basisgruppen – nicht nur keinen Erfolg in der Basisgruppenarbeit zeigt, sondern auch den Uni-Kampf in die Sackgasse führte” (Rote Presse-Korrespondenz Nr. 42; 5.​12.​1969).

Das Benicke die ’proletarische Wende‘ nicht als weitgehend alternativlos sieht ist geschenkt, daß er ihre Notwendigkeit überhaupt nicht erkennt “rgerlich, aber daß er den alten Onkel Freud bemüht, um diese als pathologisch zu denunzieren ist wirklich geschmacklos. Folgt man ihm hier, so waren die Triebkräfte der Wende Intellektuellenfeindlichkeit (mithin Selbsthass) und “Rationalisierung der Angst vor der eigenen Proletarisierung”. Dies soll übrigens in einem mir nicht bekannten Buch eines Stephan Marks mit dem zweifelhaften Titel “Studentenseele” (Hamburg, 1977) genauer ausgeführt werden. Ich werde es wohl nicht lesen.

Im Übrigen verpasst man erfreulicherweise so rein gar nichts, wenn man Benickes Werk nicht kauft und/oder liest. Es ist schlecht geschrieben und stellenweise schlampig recherchiert. Er arbeitet durchweg deduktiv und entreißt weit weniger Quellen der Vergessenheit als die im Vergleich mehr als lobenswerten Arbeiten von Michael Steffen (“Geschichten vom Trüffelschwein. Politik und Organisation des Kommunistischen Bundes – 1971 bis 1991ä; Berlin, 2002) oder Andreas Kühn (“Stalins Enkel, Maos Söhne. Die Lebenswelt der K-Gruppen in der Bundesrepublik der 1970er Jahreä; Frankfurt am Main, 2005) deren Intention freilich auch eine andere war. Empfohlen sei an dieser Stelle auch der mehr als hörens- und sehenswerte Vortrag “’Ihr seid alt, wir sind jung – Mao Tse-Tung!‘ – Anmerkungen zur Entstehung und Entwicklung der K-Gruppen” der Herren Deus und Gringmuth.

Wer hingegen eine politische Kampfschrift gegen die K-Gruppen sucht und sein ohnedies jahrelang gepflegtes Stereotyp von den antisemitisch-motivierten Maoisten-Kids in dubiosen Psycho-Sekten (in denen Typen wie Joscha Schmierer das Taschengeld abpressten…) bestätigt sehen will, der greife bedenkenlos zu.

Aus: Hotel Lux. Klassenkampf, Mode und Gesellschaftstanz (Dezember 2011)

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