cl – Identität und das Treten auf der Stelle

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Identität und das Treten auf der Stelle

Eine theoretisch fundierte, systematisch durchgeführte Kritik der autonomen Bewegung als solcher existierte bislang nicht. Das mag unter anderem daran liegen, daß Linksradikale verschiedener Couleur sich darauf beschränkten, geleitet teils von bündnispolitischen Erwägungen, teils von Sympathien für die, die überhaupt noch etwas “machen”, die Autonomen gegen die Diffamierungen und Ausgrenzungsbemühungen seitens grünalternativer Friedenspfeifen und Gewaltfreiheitsapostel mehr oder minder zu verteidigen. Festgehalten werden muß aber trotzdem, daß solche Verteidigung lediglich die Voraussetzung einer Kritik an den nicht zu übersehenden Unzulänglichkeiten, Schwächen und Halbheiten der autonomen Bewegung darstellt, von dieser aber nicht dispensiert und nicht dispensieren darf.

Den Versuch einer radikalen Kritik autonomer Theorie und Praxis von links haben nun die Freiburger “Autonomen Studis” (B) unternommen. Ihre vor einiger Zeit erschienene, 68seitige Broschüre mit dem Mao Zedong nachempfundenen Titel “Mit den überlieferten Vorstellungen radikal brechen. Ein Blick über den Tellerrand autonomer Basisbanalitäten” versammelt Texte zu verschiedenen Einzelaspekten autonomen politischen Agierens; ihre – grob gesprochen – vornehmlich gegen den subjektivistischen Voluntarismus gerichtete Kritik entbehrt erfreulicherweise jeglichen “konstruktiven” Zuges: anstatt den von ihnen Angesprochenen kumpelhaft auf die Schulter zu klopfen und sie aufzufordern, es beim nächsten Mal doch besser zu machen, wollen die A-Studis die Autonomen begreifen “als Teil der gesellschaftlichen Verhältnisse selbst, gegen die sie sich wendet”. Ein 10seitiges Referat, das die A-Studis auf einer Diskussionsveranstaltung in Freiburg über ihre Broschüre gehalten haben, ist als Ergänzungslektüre zur Broschüre zu empfehlen, weil dort bestimmte Zusammenhänge im kritisierten Gegenstand etwas präziser herausgearbeitet werden. (Wir kommen am Ende der Rezension noch darauf zu sprechen.)

Die Broschüre selbst zerfällt in zwei Blöcke: im ersten werden “Alltagstheorie” und Praxis der Autonomen untersucht; im zweiten die autonome Theoriebildung im engeren Sinn. Daß, wie die A-Studis im Veranstaltungsreferat selber sagen, diese beiden Blöcke nur sehr schwer miteinander diskutiert werden können, “liegt weniger am subjektiven Unvermögen der Kritiker, als vielmehr an der Beschaffenheit des kritisierten Gegenstandes selber, d.h. daran, daß “die Trennung der Theorie und Praxis eine Realität innerhalb der autonomen Bewegung” darstellt. Allerdings existiert auf anderer Ebene sehr wohl eine Einheit von Theorie und Praxis bei den Autonomen, die zugleich die zweite große Schwierigkeit begründet, eine allgemeine Kritik der Autonomen zu liefern: wenn eine solche anläßlich bestimmter Aktionen oder Erklärungen mal geleistet wird, dann kommen bestimmt zig Gruppen an, die beleidigt und gekränkt darauf hinweisen, daß in ihren ‚Strukturen’ oder ‚Zusammenhängen’ doch alles ganz anders sei. Mit dieser Argumentation wird aber der Umstand kaschiert, daß jenseits aller Differenzen zwischen den einzelnen autonomen Gruppierungen sehr wohl ein unausgesprochener Grundkonsens der Autonomen existiert, der sich sowohl in Flugblättern als auch in Aktionen Geltung verschafft, und den die A-Studis unter dem Stichwort “Basisbanalitäten des autonomen Weltbildes” im ersten Teil ihrer Broschüre einer Kritik unterziehen.

Zentrales, im Hegelschen Sinne ‚übergreifendes’ Moment der autonomen ‚Alltagstheorie’ ist dabei das, was unter der unsäglichen Flachvokabel “Identität” befaßt wird. “Identität” wird von den A-Studis korrekt analysiert als “bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsform”, die dem Warenfetischismus entspringt und dem die Autonomen bewußtlos verfallen sind: “Indem den Individuen ihre gesellschaftliche Macht, die sie zwar selbst produziert haben, aber nicht beherrschen, als äußerliche Macht entgegentritt, reduziert diese Macht auf der einen Seite das Individuum auf sich selbst und stellt ihm auf der anderen Seite seinen Zusammenhang mit der Gesellschaft als einen ihm fremden, aufgezwungenen dar. Diese Reduktion des Individuums auf das eigene, abstrakte Ich, dessen gesellschaftliche Bedingtheit in der Form verdinglichter Strukturen außer ihm existiert, ist genau das, was durch den rein formalen Begriff der Identität ausgedrückt ist (Hervorh. i.O.)”. Der Kult der Identität, den man frei als Kult der reinen, guten, revolutionären Gesinnung übersetzen kann, ist so etwas wie der Knotenpunkt autonomer Alltagstheorie, von dort gehen die Fäden in verschiedene Richtungen ab. Etwa zum Staats- und Kapitalbegriff: “Staat und Kapital verschwimmen zu einem un-differenzierbaren repressiven Gesamtkomplex (…), den es jederzeit frontal zu bekämpfen gilt und der nur (wie hinterhältig!) durch seine niedrigsten Schergen sicht- und greifbar wird.” Oder zur begriffslosen Begeisterung für nationale Befreiungsbewegungen: “Daß radikale Linke, insbesondere wenn sie Deutsche sind, völlig unbedarft von ,Volk’ reden, sollte zumindest bedenklich stimmen. Daß der Klassenbegriff, sofern er (…) nicht durch den des Volkes ersetzt ist, nur noch die abstrakte Einheit der Kämpfenden bezeichnet, losgelöst vom sozialen Ort und der Intention der Kämpfenden, ist nur konsequent, wenn der Glaube an die Identität ernstgenommen wird”. Und schließlich zur Praxis der Autonomen: “An die Stelle der realen revolutionären Aktion tritt (…) die Dokumentation revolutionären Willens. Das drückt sich dann aus in der leeren Symbolik der Hasskappen und schwarzen Lederjacken, der hohlen Fighrituale und vielzitierten Ghettomentalität, dem sinn- und leider auch immer mehr ziellosen Aktivismus” (Hervorh. i.O.).

Mit der autonomen Praxis selber beschäftigt sich eine in Protokollform festgehaltene Diskussion der A-Studis zur IWF-Kampagne, die man m.E. besser zu einem Artikel verarbeitet hätte, sowie ein sehr instruktiver Abriß der Geschichte der autonomen Bewegung in der BRD, der eine Darstellung und Kritik ihrer diversen Politik-Ansätze, ihrer strategischen Diskussionen sowie ihrer Affinitäten zur Sponti- und Alternativideologie beinhaltet. Das Fazit der A-Studis: “Es gibt eine Dialektik von Identitätskult und Reformismus, und die bestimmt Ideologie und Praxis der Autonomen (…). Dort, wo sich die spontane Revolte nicht totgelaufen hatte, haben die Autonomen sie verraten, indem sie ihre Formen zum Instantrezept zur Ideologieproduktion pervertierten (…). So schleppen die Autonomen ihren Geburtsfehler, die Rückständigkeit der Sponti- und Alternativideologie, von der sie sich ursprünglich abgestoßen haben, immer noch mit.” (Hervorh. i.O.)

Schließlich setzen sich die A-Studis mit drei Produkten der autonomen Theoriebildung im eigentlichen Sinne auseinander: mit zwei Artikeln aus der “Autonomie 14” (von D. Hartmann und A. Meyer) sowie mit den “Materialien für einen neuen Antiimperialismus”. Auf die sehr ausführliche Kritik dieser Texte kann hier nur sehr summarisch eingegangen werden. Soviel sei gesagt: präzise herausgearbeitet wird das von allen Texten gemeinsame Bemühen, “dem von Marx erarbeiteten (müßte es nicht heißen: ins Bewußtsein gehobenen? Anm. cl.) Hauptwiderspruch Lohnarbeit-Kapital den Widerspruch Subsistenz-Kapital” gegenüberzustellen. Dem emphatisch gebrauchten Begriff “Subsistenz”, der “die funktionierende Struktur einer Gesellschaftlichkeit, die noch nicht unter das Kapital subsumiert wurde” bezeichnet, korrespondiert ein quasi-verschwörungs-theoretischer, personalisierend verkürzter Begriff des Kapitals, das als “soziales Projekt gegen die Selbstbestimmung der Proletarier begriffen wird.”

Am Subsistenzbegriff nun hätte sich demonstrieren lassen, daß – obwohl Theorie (im eigentlichen Sinne) und Praxis in der autonomen Bewegung weitgehend unvermittelt sich gegenüberstehen – beide Momente doch aufeinander bezogen sind: Was in der Theorie unter “Subsistenz” fungiert, taucht nämlich auch in der autonomen ,Alltagstheorie’ auf, Stichwort ,Freiräume’ als identitätsverbürgende Nischen. Die Explizierung dieses Zusammenhanges, die auch erwiesen hätte, daß der autonomen Theorie der Charakter einer Legitimationswissenschaft, einer Ideologie im strengen Sinne zukommt, fehlt leider in der Broschüre. Man ist diesbezüglich verwiesen auf das Veranstaltungsreferat der A-Studis, wo es treffend heißt: “Der Hauptwiderspruch ward (…) nicht mehr zwischen Lohnarbeit und Kapital gefunden, sondern zwischen den vom Kapital erschlossenen Bereichen und der sogenannten Subsistenz (…). Das Ganze gibt es in zwei Ausführungen. Die eine versucht (…) den theoriehaltigen Hintergrund zu liefern, die zweite ist eher für den autonomen Hausgebrauch (…). Da die normale Welt sozusagen Feindesland geworden ist, hilft nur noch die Rettung in die Subsistenz der Metropolen, die sogenannten Freiräume. Hier sammeln sich die revolutionären Subjekte, ökonomisch marginalisiert, sozial gefürchtet und verachtet, um mit ihrer Identität und ihrem selbstbestimmten Leben den .Herrschenden etwas entgegenzusetzen”.

Bleibt zu sagen, daß man dieser Broschüre nicht nur, aber vor allem in autonomen und Anti-Imp-Kreisen eine hohe Verbreitung wünscht. Ferner steht zu hoffen, daß die in dieser Broschüre Kritisierten nicht so reagieren mögen wie in der dortselbst abgedruckten “2. Fassung des Vorworts”, einer gelungenen Satire auf die Phrasendrescherei in autonomen und Anti-Imp-Flugblättern: “statt ihre Identität zu materialisieren, zur front durchzukämpfen, sitzen sie vereinzelt – isoliert, bürgerlich – am Schreibtisch (…)mit ihrem ganzen theoriegewixe können sie das Schweinesystem nicht kippen, raus kommt nur der ganze dreck, verrat, von der Staatsschutzlinken, counter (…) da ist nix authentisches, lebendiges weil das – Identität – gibts nur im kämpf– nur im bruch mit dem ganzen dreck – kollektivität (…) ZUR FRONT IN WESTEUROPA DURCHKÄMPFEN! – IDENTITÄT IM KAMPF KOLLEKTIV UND SELBSTBESTIMMT ENTWICKELN!”

Aus: Arbeiterkampf, Herbst 1990

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