how to strike back the “Empire”

how to strike back the “Empire”

für Hans G. Helms

Fabian Kettner

Mit “Empire” benennen Hardt & Negri den nach ihrer Sicht gegenwärtigen Stand resp. die Tendenz der Weltordnung. Das Empire sei vom Imperialismus zu unterscheiden, “nicht lediglich ein schwaches Echo der modernen Imperialismen, sondern eine grundlegend neue Herrschaftsform” (159). Hardt & Negri beschreiben, was das Empire ausmache und inwiefern es sich von seinem Vorgänger unterscheide, sowie welche Prozesse zu ihm hinführten. Unablösbar hiervon ist für sie die Analyse von Alternativen, von Möglichkeiten und Einsatzorten theoretischen und praktischen Widerstands. Dies sei sogar der Sinn der Analyse: “… das Terrain zu identifizieren, auf dem Widerstand und Alternativen entstehen können” (330).

Die Gestalt des Empire kann wie folgt umrissen werden. Es werde (I) nicht durch einen einzelnen imperialistischen Staat gebildet (wenngleich bedeutend durch die USA vorbereitet), sondern lasse “sich nur als universelle Republik begreifen, als ein Netzwerk aus Mächten und Gegenmächten in Form einer unbegrenzten und einschließenden Architektur” (178), als ein “weltweite[r] Kontext” (193), ein “rhizomatische[s] und universelle[s] Kommunikationsnetz[.]” (330). Hier gebe “es keinen Ort der Macht” (202). Seine Macht habe “kein wirkliches und lokalisierbares Terrain oder Zentrum”, sondern sei “über mobile und artikulierbare Kontrollmechanismen netzwerkartig verteilt” (391). Die Herausbildung wurde und werde durch die Entwicklung und Ausweitung dieser Netzwerke vorangetrieben, sei (II) die Form, wie krisenhafte “interne[.] konstitutionelle[.] Prozesse”[1] durch “Ausweitung” vorangetrieben würden (194). Da die Krise für Entstehen und Erhalt des Empire konstitutiv seien, habe (III) “sein Niedergang immer schon eingesetzt” (393). Die strukturellen Veränderungen und der Untergang des Empire geschähen (IV) durch das “Begehren” der “Menge”, “die Multitude, die vielgestaltige Menge produktiver, kreativer Subjektivitäten in der Globalisierung” (73), und durch die Auseinandersetzung der Herrschaft mit ihr. Die Herrschaftsprojekte würden durch deren “Widerstand vorangetrieben” (368).

I.

Das politische und gesellschaftliche Projekt der USA markiere einen Bruch “mit der Tradition moderner Souveränität” (173): zwar komme es zur Konstituierung einer zentralen Macht, die Macht selber aber bleibe bei der “Menge” belassen und werde als “Netzwerk-Macht” entwickelt, die “vollständig in der Gesellschaft” wurzele (176). Im Falle der USA sei man zum ersten Mal so klug gewesen, die “Menge” zu nutzen und zu integrieren (vgl. 173ff. und 176ff.). Im Gegensatz zum klassischen Imperialismus würden neue, andere Gebiete in Netzwerke eingebunden (vgl. 178f.). Beispielhaft hierfür seien die Bestrebungen des US-Präsidenten Woodrow Wilsons gewesen, der das Instrument des Völkerbundes stark machte und Befriedung (und gleichzeitig Erweiterung des Einflussbereichs) durch ein ständig erweitertes Netzwerk hin zu einer Weltfriedensregierung zu erreichen suchte (vgl. 184ff.). Der Völkerbund wurde durch die UNO abgelöst und die USA seien gegenwärtig das einzige Land mit der Möglichkeit, als internationale Polizeimacht zu agieren (vgl. 191ff.). Bedeutsam sei die Konstitution einer supranationalen Macht, der UNO, welche als Instanz zur Konfliktlösung angerufen werden kann resp. selber aktiv wird (vgl. 29ff.). Treibe die UNO die Umgestaltung und Durchdringung der Nationalstaaten über die Möglichkeit internationaler Intervention voran (vgl. 33 ff., 49ff.), so spiele in der Entwicklung hin zum Empire in internationaler Hinsicht ebenso die ökonomische Globalisierung eine bedeutende Rolle (vgl. 24ff.). In den 1970er und 1980er Jahren hätten die transnationalen Konzerne die Öffnung und Zurichtung der Schwellen- und Trikont-Länder für einen Weltmarkt ohne starre Grenzen vorbereitet (vgl. 45ff., 253ff., 316ff.). Diese Entwicklung sei nicht überall gleichförmig vollzogen worden. Das neue System zeichne sich durch Flexibilität und Vielfältigkeit aus, “die Einheit des Weltmarkts herzustellen, vollzog sich durch Vielfalt und Streuung” (263), durch die Ausnutzung vieler Gegensätze und Differenzen, Widersprüche und Abstufungen in der soziographischen Struktur der Länder. Das Herrschaftsprinzip des Empire sei nicht eindimensional, sondern bediene sich der weltweiten Differenzen, so dass sich nun in allen Ländern “alle Produktionsstufen gleichzeitig und nebeneinander finden” (343).

Innergesellschaftlich fassen Hardt & Negri den Übergang zum Empire als die Entwicklung “von der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft” (37). Herrschaftsmechanismen würden “’demokratisiert’”, d.h. “dem gesellschaftlichen Feld immer stärker immanent und auf die Köpfe und Körper der Bürger verteilt”, “von den Subjekten internalisiert” (38). Dieser Übergang gehe einher mit einer ebenso lebensweltlichen wie systemischen Veränderung, die Hardt & Negri mit dem Marxschen Begriff der “reellen Subsumtion” benennen (vgl. 37ff.). “Gegenstand dieser Subsumtion [ist] nicht mehr die nichtkapitalistische Umwelt, sondern zunehmend der kapitalistische Bereich selbst” (282). Es gebe sowohl keine Nischen mehr, wie auch kein Außerhalb, “so dass tendenziell, zwar langsam, aber sicher, einzig die Maßstäbe der kapitalistischen Produktion die Gesellschaft regieren” (254f.). “Das Kapital richtet die Gesellschaft vollständiger” (266) und umfassender zu als vorher. “Die kapitalistischen Ausbeutungsverhältnisse” “breiten sich” “überall aus”, “bleiben nicht mehr auf die Fabrik beschränkt, sondern besetzen allmählich das gesamte gesellschaftliche Terrain” (221). Dies bezeichnen Hardt & Negri auch mit dem Foucaultschen Begriff der “Biomacht” (vgl. 372). “Biomacht ist eine Form, die das soziale Leben von innen heraus Regeln unterwirft, es verfolgt, interpretiert, absorbiert und schließlich neu artikuliert” (38). Die Projekte der Beherrschung erfassten ihre Objekte nicht mehr nur äußerlich, sondern richteten sie von innen zu, durchzögen die sozialen Beziehungen mit Machtstrukturen, reproduzierten sich durch sie hindurch. “Das Leben selbst ist jetzt ein Objekt der Macht”, zitieren sie Foucault (39).

Dieser sich ausweitende ökonomische Prozess werde seinerseits ‚postmodernisiert’ (282). Produziert würden nicht mehr nur Waren, sondern auch “reiche und mächtige zwischenmenschliche Beziehungen” (222). Hardt & Negri beziehen sich hier auf die wachsende Dominanz des “tertiären Sektors”, des Wandels von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft (vgl. 295ff.) und auf theoretische Konzepte aus dem italienischen Raum über den sog. “general intellect”, die “massenhaft auftretende intellektuelle Arbeit” (40). Hardt & Negri sehen einen neuen Typ von Arbeit, den sie “immaterielle Arbeit” nennen, “eine Arbeit, die immaterielle Güter wie Dienstleistungen, kulturelle Produkte, Wissen oder Kommunikation produziert” (302). Diese auch “affektive Arbeit” genannte Arbeit stelle “zwischenmenschliche Kontakte[.] und Interaktionen”, “soziale Netzwerke, Formen der Gemeinschaft, der Biomacht” her (304). Auch die Bereiche klassisch industrieller Arbeit würden mehr und mehr den Charakter einer Dienstleistung bekommen und durch die wachsende Bedeutung weltweiter schneller Kommunikation zwischen Produktion und Markt sowie Zentrum und Peripherie mehr und mehr in Netzwerke (hier ganz technologisch das Internet) eingebunden (vgl. 305). In dieser Transformation der Produktionsverhältnisse, dadurch, dass “die Kooperation [..] der Arbeitstätigkeit vollkommen immanent” sei, stelle “die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art des spontanen und elementaren Kommunismus bereit” (305).

II.

Expansion und Ausweitung seien eine Flucht vor der systemimmanenten Krise, des Antagonismus zwischen “Menge” und Herrschaft wie zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen. Sie zu lösen sei durch deren intensive wie extensive Ausweitung versucht worden, praktisch durch die Konstitution einer Souveränität. In der “ideologische[n] Abkürzung Nation” sei versucht worden, “die Begriffe der Souveränität und der Moderne von den sie bestimmenden Charakteristika des Gegensatzes und der Krise zu befreien” (109). Zum “Volk” homogenisiert hätten interne Unterschiede verwischt (vgl. 115ff.), über Kolonialismus und Imperialismus eine westliche weiße Identität gegenüber dem unterworfenen Schwarzen aufgebaut (vgl. 119ff., 137ff., 140ff.) und die ökonomische Krise durch die Ausbeutung eines “Außen”, durch Expansion verschoben werden können (vgl. 237ff., 244ff.).

Die Krise und das Problem der Konstitution von Souveränität sei auch theoretisch begleitet und zu lösen versucht worden. Hardt & Negri sortieren Theoretiker der Philosophie und der politischen Theorie nach dem “unaufhörlichen Konflikt zwischen den immanenten, konstruktiven und schöpferischen Kräften auf der einen und der transzendenten Macht, welche die Ordnung wiederherstellen will, auf der anderen Seite”, welcher “der Schlüssel zum Begriff der Moderne” sei (90). Zu den Theoretikern der bei Hardt & Negri positiv konnotierten “Immanenz” werden der Nominalist Duns Scotus, Dante Alighieri (vgl. 85), Nikolaus von Kues, Pico della Mirandola, Bovillus (vgl. 86) und Baruch de Spinoza (vgl. 92), zu denen der abgelehnten, da Herrschaft reproduzierenden “Transzendenz” (resp. “Transzendentalität”[2]) werden Francis Bacon, Galileo Galilei (vgl. 86), William von Ockham, Marsilius von Padua (vgl. 87), René Descartes (vgl. 93f.), Immanuel Kant (vgl. 94f.) und Georg Wilhelm Friedrich Hegel (vgl. 96f.) gezählt. Den Verfechtern der “Transzendenz” sei es stets um die Unterdrückung der Vielfalt, der lebendigen “Menge”, der Differenz und der Singularität gegangen; um Maßhalten (vgl. 363), um die Überführung des “Willen[s] aller in den gemeinsamen Willen” (101). Ihre erkenntnistheoretischen transzendentalen Apparate seien die Entsprechung zu den unterdrückenden transzendenten politischen Apparaten (vgl. 98).

Hardt & Negri kritisieren herkömmliche gegen Herrschaft gerichtete Praxis und Theorie. Sie wenden sich gegen das Projekt nationaler Befreiung, das zwar als “Verteidigungslinie gegen die Herrschaft mächtigerer Nationen und externer ökonomischer, politischer und ideologischer Käfte” gedient habe, wodurch insofern “die Nation als progressiv” erschienen sei (119). Dieser “subalterne[.] Nationalismus” aber habe sich als reaktionär erwiesen, da zum einen “Vielfalt und Singularität der Menge durch die Zwangsjacke der Identität und Homogenität des Volkes negiert” (120) worden seien, zum anderen “genau die Strukturen, die im Hinblick auf das Außen eine progressive Rolle […], nach innen eine repressive Rolle spielen” (122). “Das vergiftete Geschenk der nationalen Befreiung” sei ein Widerspruch in sich (145ff.).

Zeitlich parallel zu den nationalen Befreiungsbewegungen übten die weißen Metropolen-Bewohner Verweigerung und kulturelle Revolution. Auch sie verfallen Hardts & Negris Kritik. Zwar sei “die Verweigerung freiwilliger Knechtschaft [..] der Beginn befreiender Politik“, “als solche” aber “leer” (216). Wo die revoltierenden Metropolenbewohner tätiger wurden, hätten sie in ihren Praxisfeldern dem Gegner zugearbeitet. Zwar habe das ” ‚bloß kulturelle’ Experimentieren tiefgreifende ökonomische und politische Auswirkungen” gehabt (284), die “neue[n] Lebensstile” und ihre “neue[n] Formen von Mobilität und Flexibilität”, die allgemeine “Höherbewertung des Wissens und der intellektuellen Arbeit” hätten aber v.a. “der umfassenden Transformation der Arbeitskraft” hin zur immateriellen Arbeit “den Weg frei” gemacht (285).

Die Theorie, die diese Bewegungen begleitete, resp. sich in dieser Zeit herausbildetete, sei nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Aber auch das, was unter postmodernem Denken zusammengefasst wird, sei vom Empire eingeholt worden, habe ihm im Grunde theoretisch vorgearbeitet, das Verschwinden moderner Souveränität nachgezeichnet (vgl. 158). Der Weltmarkt sei nicht nur metaphorisch die praktische Umsetzung postmoderner Diskurse, wenn er die Nationalstaaten dekonstruiere (vgl. 163f.). Wie das Empire dekonstruiere die postmoderne Theorie in ihrer Kritik moderner Souveränität starre “Trennlinien” (zwischen den Nationen, Geschlechtern, Rassen) und setze auf Differenzen, die vom Empire produktiv in Dienst genommen würden (vgl. 152ff., 156ff.). Das Proletariat werde unter Wahrnehmung und Anerkennung seiner Differenziertheit gegeneinander ausgespielt und ihre “Energien und Differenzen im Interesse des Gewinns” organisiert und koordiniert (166). Nicht nur in dieser Hinsicht habe das postmoderne Denken dafür gesorgt, “dass Organisationen mobil und flexibel sind und mit Differenz umgehen können” (165), – “mit seiner Betonung von Begriffen wie Differenz und Vielfalt, mit seiner Vorliebe für Fetischismus und Simulacra, mit seiner fortwährenden Begeisterung für das Neue und die Mode” sei es “eine ausgezeichnete Beschreibung der kapitalistischen Idealvorstellung von Warenkonsum und bietet damit die Möglichkeit, Marketingstrategien weiter zu perfektionieren” (164).

Die extensive Verwendung postmodernen Jargons, die Vorliebe Hardts & Negris für Wörter wie “hybrif”, “rhizomatisch”, “Intensität”, “Differenz”, “Singularität” etc., sollte nicht täuschen. Sie sind weiterhin die orthodoxen Marxisten, die sie vorher waren, mit der Vorliebe für das “Volk”, später die “Subalternen”, jetzt eben, qua Globalisierung modernisiert, die “Menge”; mit der Fixierung auf die nun gesellschaftlich universalisierte Produktionssphäre; mit der üblichen Mischung aus Determiniertheit und unvermitteltem Subjektivismus. Sie betreiben einen ontologisierten orthodoxen Traditionsmarxismus, der postmoderne Hörgewohnheiten bedient und deren “Schleim der Sprache” (Karl Kraus) sie in nichts nachstehen, womit sie (1) sich ein Publikum suchen und finden; (2) ein Aufbruchsgefühl verbreiten; (3) die Postmoderne wieder an den schlechten Punkt zurückführen, von wo sie Ende der 1960er Jahre aufbrach. Rezensionen von »Empire« heben beeindruckt die Ahnenreihe der Theoretiker hervor, die Hardt & Negri Revue passieren lassen. Wenn Marxisten alt werden, beweisen sie gerne philosophiehistorische Kenntnis, so auch Hardt & Negri. Diese Kapitel in Teil II zählen zu den oberflächlichsten und peinlichsten im Buch, und auch von dem, den sie am häufigsten nennen, direkt oder verballhornt zitieren, von Karl Marx, haben sie keine Ahnung. Marx dient ihnen als anspielungsreicher Stichwortgeber,[3] dessen basale Kategorien sie willkürlich, assoziativ und gefühlsmäßig verwenden,[4] aber natürlich setzen sie sich auch von ihres Erachtens veralteten Teilen der Marxschen Theorie ab. Wovon sie Abschied nehmen: “der Welt des Tauschwerts, den Modalitäten kapitalistischer Entwicklung die Unabhängigkeit des Gebrauchswertes entgegen[zusetzen]” (197), das lässt sich bei Marx nicht finden. Wenn sie sich von “zahlreichen Positionen” abgrenzen, “die davon träumten, den Ort des Gebrauchswerts zu stärken, ihn rein zu halten und vom Tauschwert und kapitalistischen Verhältnissen abzusondern” (221), dann ist die Kritik zwar berechtigt, aber weniger Marx als wahrscheinlich ihrer eigenen theoretischen Vergangenheit anzuhängen. Jener gehöre laut Hardt & Negri auch die Dialektik an. Wenn auch undurchdringlich bleibt, was sie mit der Definition meinen, Dialektik sei “die Lehre von der Beschränkung und ihrer Organisierung” (248), so verstehen sie unter Dialektik offensichtlich ein Denken in binären Aufteilungen und absoluten Differenzen (vgl. 141, 153), in wesenhaften Identitäten und Tot alisierungen (vgl. 157f.). Dialektik sei der Moderne angemessen gewesen[5], dem Zeitalter des Empire hingegen das Denken der Postmoderne.

Hardt & Negri werfen keinen Blick zurück, sprechen sich sympathischerweise gegen eine Verklärung der Vormoderne aus (vgl. 159ff.), gegen “Nostalgie” für Moderne (vgl. 60) und Nationalstaat (vgl. 344f.). Unklar bleibt, wie weit sie gehen. Zwar ist ihre Kritik richtig, dass der Bezug auf das zu bewahrende Lokale “falsch und schädlich” sei, weil dies “das Problem von der falschen Seite her angeht” und “leicht in eine Art Vorstellung von natürlicher Ordnung kippen” (58) könne, aber ihre Feststellung, es gebe “kein Außen” mehr (vgl. 46, 198ff., 361, 392), ihre Aufforderung, “die Kritik muss einen Standpunkt nicht außerhalb, sondern im Innern der Krise moderner Souveränität einnehmen” (245), kippt selber, und zwar (1) in begeistertes Mitmachen, in das sich Schicken in die ontologische Tendenz und die Notwendigkeit, die “unvermeidliche Beteiligung an den gesellschaftlichen Strukturen, die sich nicht mehr transzendieren lassen” (420); (2) in die unverbindliche realpolitische Empfehlung, “nicht einfach [..] gegen diese Prozesse Widerstand zu leisten, sondern sie umzugestalten und in Richtung auf andere Ziele zu lenken” (13). Geben sie sich mit Kritik nicht zufrieden, werden sie konkret und positiv, dann werden sie banal, indem sie eine “Kraft” fordern, “die nicht nur die destruktiven Fähigkeiten der Menge organisieren kann, sondern mittels der Bestrebungen der Menge auch eine Alternative aufzeigen kann” (226), die sie nur als “wirkliche Alternative” (216) näher bestimmen können. Brav fordern sie aus dem Inneren des Souveräns heraus “das Recht auf eine Weltbürgerschaft” (403ff.), “auf einen sozialen Lohn” (407ff.) und “auf Wiederaneignung” (410ff.), – wenn sie nicht gleich wieder wie eine Lebensreformbewegung und Stefan George von “eine[r] neuen Lebensweise und vor allem eine[r] neue[n] Gemeinschaft” (216) raunen.

Sie kritisieren die sich immer wieder durchsetzende Eingebundenheit oppositioneller politischer Bewegungen. Aber die Analyse von sich verkehrender Revolte und immer stärkerer und umfassenderer Einbindung und Vergesellschaftung führt sie nicht zu einem pessimistischen, sondern zu einem optimistischen Fatalismus. Allerorten finden sie “subversive[s] Potenzial” (142), eine “potenzielle Revolte” (44) gar; affirmieren sie die Eingebundenheit, weil es die Entwicklung zu durchlaufen gelte und bejahen die Opfer, die sie von hoher Warte in die geschichtliche Entwicklung werfen, wenn sie wissen, dass “diese Bewegungen [..] oftmals mit schrecklichem Leid erkauft” würden (404). Aber da muss man durch; sie müssen das Opfer nicht bringen. An diesem Punkt  der Entwicklung von »Empire« wird ihre Analyse hinfällig, denn wie jeder souveräne Theoretiker verfügen auch sie über zwei Versionen von der Wirklichkeit, wissen sie darum, wie es eigentlich stehe. Es sei nämlich nicht so, wie es aussieht; “in Wirklichkeit nämlich kann die imperiale Macht die Menge nicht mehr im Zaum halten” (223, m.Hv.).

III.

Weil Hardts & Negris List der Vernunft sich nicht nur zum Schlechteren hin durchsetze, sei “der utopische Tonfall im historischen Prozess des weltweiten Zusammenwachsens und der Vernetzung in der Moderne immer deutlicher zu vernehmen” (133). Hardt & Negri müssen ein sehr feines Gehör und ihre Ohren überall haben, denn diesen “Tonfall” “vernehmen” sie gleich zweifach, sowohl in der Perspektive des Empires wie in der der sozialen Kämpfe. Mit der “unmittelbar gesellschaftliche[n] Dimension der Ausbeutung von lebendiger, immaterieller Arbeit” würden “doch zugleich [..] die kritischen Momente beschleunigt, aus denen sich […] die Potenziale der Insubordination und der Revolte entwickeln” (44). Das Empire treibe sein Spiel so lange, bis es ins Gegenteil umschlage, wenn “das Disziplinarregime seinen höchsten Punkt und seine vollständigste Entfaltung erreicht” habe, wenn “die äußerste Grenze gesellschaftlichen Arrangements, eine Gesellschaft im Prozess ihrer Überwindung” (255) zeige. Das Empire bereite, wie der Kapitalismus im orthodoxen Marxismus, nicht nur seinen eigenen Untergang, sondern erschaffe sogar in seinem Inneren contre coeur seinen besseren Nachfolger, denn die “gesteigerte Vergesellschaftung” weise “zugleich […] über die Gesellschaft des Kapitals hinaus, in Richtung einer zukünftigen gesellschaftlichen Produktionsweise” (270). Hardt & Negri meinen damit nicht nur die grundsätzliche Möglichkeit, die Denkbarkeit der Überwindung, sondern einen schleichenden Kommunismus im Verborgenen, da in den “Typen der immateriellen Arbeit […] die Kooperation bereits vollständig in der Form der Arbeit selbst” (305) stecke. Deswegen “scheint” es ihnen “tatsächlich, dass wir heute Teil einer radikaleren und grundsätzlicheren Gemeinschaftlichkeit sind, als sie jemals in der Geschichte des Kapitalismus zu erfahren war” (313). Aber nicht nur in sachlicher Form, nicht nur hinter dem Rücken der Subalternen führe das Empire den Kommunismus herbei, sondern es erwecke auch die Subalternen selber zu neuem Leben, indem es über den Zwang zur “Mobilität” der Arbeitskraft “den wachsenden Wunsch nach Befreiung” freisetze und indem “selbst in den Hütten der neuen Elendsquartiere und Favelas [..] das Lohnverhältnis neue Bedürfnisse, Wünsche und Forderungen” konstituiere (265). Und so ließen sich “im globalen Maßstab […] mächtige Ereignisse ausmachen”, “die größte Radikalität und Stärke zeigten: die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz im Jahr 1989; die Intifada gegen die israelische Staatsgewalt; die Revolte vom Mai 1992 in Los Angeles; den Aufstand in Chiapas, der 1994 begann; die Reihe von Streiks, die Frankreich im Dezember 1995 paralysierte; die Streiks, die Südkorea 1996 lahm legten” (67) – im Grunde alles eine Front. Zwar habe diesen “Kämpfen” die “Kommunikation” gefehlt, aber Hardt & Negri seien “in der Lage [..] zu erkennen”, dass sie “Fragen aufwarfen, die mit der neuen Gestalt der kapitalistischen Steuerung des Empire zusammenhängen”, weil in ihnen sich “eine Verweigerung des postfordistischen Regimes sozialer Kontrolle ausdrückte” (68). ‚Dagegen zu sein’, sich mit der Staatsmacht anzulegen, schindet bei Hardt & Negri Eindruck, langt für sie bereits hin, unbesehen der Inhalte und Motive der Kämpfe. Die “neue Qualität sozialer Bewegung” passe zur Gestalt des Empire, weil “alle Kämpfe […] sofort auf die globale Ebene [springen] und [..] die Konstitution des Empire ganz allgemein” angriffen (69). Sie “scheinen alle vollkommen anders geartet.” Hardt & Negri wissen es aber besser, in Gegensatz zu den Kämpfenden, die, was und wo auch immer sie es tun, “in Wirklichkeit [..] alle die globale Ordnung direkt an[greifen] und [..] auf ein Gegenprojekt” zielten (70, m.Hv.). “In Wirklichkeit” sei die “Nichtkommunizierbarkeit der Kämpfe […] eher eine Stärke als eine Schwäche – eine Stärke, weil sofort alle Bewegungen als solche subversiv sind” (71, m.Hv.). Die Unterlegenheit wird zu einer Überlegenheit umdekretiert. Wir wissen es nur noch nicht: “In Wahrheit nämlich sind wir die Herren dieser Welt, weil unser Begehren und unsere Arbeit sie fortwährend neu erschaffen” (394, m.Hv.).

IV.

“Schaffende Angehörige aller Nationen, erkennt euren gemeinsamen Feind!”

Adolf Hitler am 30.01.1939

Die “Menge”, das ist das einzige, was sich in »Empire« von vorne bis hinten durchzieht; sie ist der rote Faden, der wirkliche Gegenstand. Mit ihrem Buch bilden Hardt & Negri die Wirklichkeit ab, wie sie sie sehen: die Realanalyse ist im Grunde überflüssig, denn widerspricht sie ihren Vorstellungen über die Eigenschaften und die Rolle der “Menge”, wird sie mit “in Wirklichkeit” zum Verschwinden gebracht, auf ihren eigentlichen Gehalt durchleuchtet und transparent gem acht.

Der “Menge” kämen viele Eigenschaften an sich zu. Sie habe “produktive[.] Energie” (289), ein “schöpferische[s] Vermögen” (13), übe eine “jenseits des Maßes liegende Tätigkeit” (369) aus. Die “Menge” habe ein “Streben, sich von den starren territorialisierenden Regimes zu befreien”, trachte “immer danach, die verfestigten, territorialisierenden Strukturen […] aufzubrechen.” Sie werde getragen von einem “ruhelose[n] Aktivsein”, von einem “Verlangen” (65) und einem “immanenten Begehren” (79), das “schöpferisch” (65) sei, sie begehre “zu existieren” und “zu produzieren” (357). “Die Mächte des Begehrens, die diese Befreiungsprozesse durchströmten” (370), ihr “Begehren und sein ontologischer Exzess” (394) kenne “keine Grenze” (357). Aber der Tausendsassa “Menge” sei auch konstruktiv, habe eine “konstituierende Fähigkeit” (175) und die “Macht […], sich eigene politische Institutionen zu geben und eine Gesellschaft zu bilden” (177). Die konstruktiven Eigenschaften wendeten sich jedoch stets gegen Herrschaft. “Aus der konfliktualen und pluralen Natur der Menge als solcher” (181) finde sie stets zu “spontanen Formen des Klassenkampfs” (245). Dank der “revolutionären Natur der Menge” (402), “mit ihrem Willen, dagegen zu sein” (222) und “mit ihrem Wunsch nach Befreiung” (230) könne sie grundsätzlich “nicht reglementiert und normalisiert werden” (352).

Der “Menge” gegenüber stehe das Empire. Hardt & Negri führen sie in einem manichäischen Weltbild wie zwei antagonistische Prinzipien gegeneinander. Sie beschreiben, “wie sich die Menge auf endlosen Pfaden bewegt und körperliche Form annimmt” (413) durch die Windungen der Geschichte hindurch. Jene ist bei Hardt & Negri die Geschichte der Auseinandersetzung zwischen “Menge” und Herrschaft (vgl. 65, 72, 137, 246). Indem Herrschaft auf die “Menge” einwirke “rührt das Empire an den Gang der geschichtlichen Entwicklung” (368). Das Empire sei zu konstruktiver Arbeit unfähig und negiere die kraftstrotzende “Menge”. Es “blockiert, kontrolliert, beherrscht” (96), es “kann nur isolieren, teilen und absondern” (405), es zerstöre über “Korruption”, über die “reine Ausübung des Kommandos”, “die Singularität der Menge” (398). Weil die “Menge” “nicht direkt zu inkorporieren” sei, müsse sie “die Filter von Repräsentationsmechanismen passieren” (322), im Konzept Volk eingefangen werden. Sie sei “die lebendige Kraft, die dem ‚Volk’ zugrunde liegt” (324). Was die “Menge” eigentlich sei, gehe im Volk nicht auf; überhaupt blieben alle “Unterdrückungsmaßnahmen” “der Menge und ihren Bewegungen äußerlich” (405).

Wenn Geschichte die Geschichte des Antagonismus zwischen “Menge” und Herrschaft ist, kann der Nationalsozialismus ihr nur subsumiert und die “Menge” von Verstrickung, von aktiver Konstitution der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft, rein gehalten werden. Mit explizitem Bezug auf Ernst Nolte interpretieren sie die faschistische Epoche Europas als “europäischen Bürgerkrieg”, ausgelöst durch “den machtvollen Gegensatz zwischen dem Staat und der Menge sowie zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen.” Dieser grundlegende, eigentliche Konflikt sei “jedoch unter dem Mantel der Konflikte zwischen souveränen Nationalstaaten verborgen” worden.[6] “Die Nationen waren Mystifikationen oder Stellvertreter der konfligierenden Klassen” (123). Deutsches Reich gegen Sowjetunion sei eigentlich Bourgeoisie gegen Arbeiterklasse gewesen. Der Faschismus sei eine besonders extreme Anstrengung gewesen, die “Menge” zu unterjochen und an deren produktive Energie heranzukommen (vgl. 373f.). Die Judenvernichtung sei ein Ausdruck der “moderne[n] Negativität” der “harten Wirklichkeit” unter vielen, neben “den Gefechtsfeldern des Patriotismus im Ersten und Zweiten Weltkrieg, [..] den Schlachtfeldern bei Verdun, […] der Auslöschung Tausender innerhalb von Sekunden in Hiroshima und Nagasaki, [dem] Teppichbombardement auf Vietnam und Kambodscha, [..] den Massakern von Sétif und Soweto, Sabra und Shatila; die Liste geht immer weiter” (60).[7]

Der Faschismus, der bei ihnen nicht weiter vorkommt, steckt dafür tief in ihrer eigenen Weltsicht. Sie reden über die “Menge” wie völkische Theoretiker über die Rasse: ein Lebensstrom, eine sich materialisierende, Form und Gestalt wechselnde Naturkraft, das bestimmende Prinzip der Geschichte, das sich Bahn breche, eingeengt werde, sich wieder befreie, schlussendlich aber zum Sieg geführt werden müsse. Wohlgemerkt tun sie das ‚nur’ “wie“; sie sind nicht selber Rassentheoretiker, haben aber die Denk- und Wahrnehmungsform mit ihnen gemeinsam. Mittendrin in der faschistischen, antisemitischen Wahrnehmungsweise von Kapital sind sie aber, wenn sie das Empire bündig zusammenfassen. “Die Menge ist die wahre Produktivkraft der sozialen Welt, während das Empire ein Beuteapparat ist, der von der Lebenskraft der Menge lebt”. Das Empire sei “eine parasitäre Maschine”, die “vampirmäßig das Blut der Lebenden saugt” (75), ein “Parasit” (367ff.), “der seinem Wirt die Kraft aussaugt” – und dadurch “seine eigene Existenz” gefährde (369).

In der Art, wie von Hardt & Negri die “Menge” gegen die Herrschaft geführt wird, wird auch der repressive Charakter von Hardts & Negris Lebensbegriff deutlich. Sie sprechen vom “gattungsmäßige[n] Leben, das Leben in seiner ganzen Allgemeinheit” (324). Das Leerste, das Un- und Unterbestimmte wird zum Höchsten und Konkretesten verklärt. Es bleibt unklar, was genau mit dem ständigen Gerede von “Sein” und “ontologisch” resp. “Ontologie” gemeint sein soll,[8] ob sie damit ‚nur’ die Entgegensetzung von Immanenz vs. Transzendenz, von Konkretem vs. lebensfeindlicher Herrschaft meinen, wenn sie “dem Elend der Macht die Freude am Sein entgegen” setzen (420). Sie raunen nicht wie Martin Heidegger, schmettern eher metallisch wie Ernst Jünger, wenn sie über Leben und Kommunismus, und werben technokratisch wie ein Unternehmensberater, wenn sie über ihr Verständnis von “Widerstand” (“eine positive, konstruktive und innovative Tätigkeit”, eine “konstitutive[.] Investition im biopolitischen Bereich” (419)) schreiben. “Leben ist nichts anderes als die Produktion und Reproduktion eines Sets von Körper und Geist” (373). Das meinen sie nicht als Kritik eines elenden Zustandes, sondern als positive Bestandsaufnahme von etwas, dem sie eine neue Form geben wollen. Hardt & Negri packen das zappelnde Leben im Nacken und wissen mit ihm umzugehen, um aus dem “nackten Leben” das Meiste herauszuholen. Sie wissen, “dass die Körper in Kooperation mehr produzieren und in der Gemeinschaft glücklicher sind” (399). Würde man die “Menge” nur lassen, dann würde die ihr eigene “Produktionsweise” dafür sorgen, “dass sich Körper in der Arbeit selbst verwerten” (415), dann könnte “das proletarische Produktionsmanagement zu einer konstituierenden Macht werden” (417) und in einer “von Begehren getragene[n] Produktion” zu einem “Exzess von Arbeit” (394) führen.

Der Weg zu einem solchen Arbeitshaus-Kommunismus sei hart und gefährlich. Kampf bleibt der “Menge” nicht erspart. “Das posse produziert die Chromosomen seiner künftigen Organisation. An vorderster Front stehen in dieser Schlacht Körper” (416), denen Hardt & Negri einiges zumuten. Sie verfügen über das “nackte Leben”, die Biomasse, um “ein kohärentes politisches Artefakt zu entwickeln, ein künstliches Werden” für die künftige Gesellschaft. Um dorthin zu gelangen, müssen die Körper gestählt werden. “Wir müssen uns und unsere Körper sicherlich verändern, und das vielleicht weitaus radikaler, als es sich die Cyberpunk-Autoren ausmalen.” Moden wie Piercings und Tättowierungen würden “geradezu belanglos sein im Vergleich zu der Art radikaler Mutation, die nötig sein wird. Denn der Wille, dagegen zu sein, bedarf in Wahrheit eines Körpers, der vollkommen unfähig ist, sich einer Befehlsgewalt zu unterwerfen” (228). Dazu mu ss er wohl tot sein, Materie, reines Sein. Der sozialistisch verbrämte Neo-Vitalismus erweist sich als überaus lebensfeindlich. Von dieser Drohung angetrieben mag die umworbene Menge sich lieber gegen den Feind hetzen lassen. Dieser sei “nichts als ein Hindernis, das man zu überwinden hat –ein Hindernis, das durch die kritischen Kräfte der Arbeit und die leidenschaftliche Alltagsweisheit der Affekte umgangen, geschwächt und zerschmettert wird” (366). Das Leben an sich setze sich gegen seine ungesunden und unnatürlichen Korsettierungen durch. Die triumphierende Brutalität in der Beschwörung der rohen Kraft weist die Richtung. Hardt & Negri feiern die “neuen Barbaren” (227ff.),[9] die “mit affirmativer Gewalt” “zerstören” und “durch ihre eigene materielle Existenz” “neue Lebenswege” “bahnen” (227).

Zum Schluss

Welche Resonanz »Empire« auch hervorruft, selten lässt man das Buch selber sprechen; – dabei kann man es nur so entfalten und nicht besser denunzieren. Was »Empire« ist, wird nur in der Masse des Gebrabbels deutlich, das über den Leser hereinbricht und diesen wehrlos machen soll. Da der Leser mit immer gleichen, nur untereinander variierenden Schlagworten, deren Bedeutung man sich mühselig zusammensuchend erschließen muss, bearbeitet wird; da viele der in Hardts & Negris Jargon verfassten Sätze keinen Sinn ergeben, kann man im Grunde nur nachsprechen, was geschrieben steht. Keine Rezension, egal ob zustimmend, kritisch solidarisch oder ablehnend, stellt den Wahn heraus, der in diesem Buch liegt; niemand nimmt es ernst, erwähnt die immer wieder vorgetragene “Ontologie”, das Raunen vom “Sein”, die Qualitäten der “Menge”, die Beschwörung von “neuer Gemeinschaft” und “neuem Barbarentum”, die einschlägigen Stellen über Nationalsozialismus und Shoah. Dabei sind diese es, die den größten Teil des Buches ausmachen. Die Rezensionen von Katja Diefenbach und Tobias Rapp in der »jungle world« eifern dem Duktus nach, den Hardt & Negri von Gilles Deleuzes & Felix Guattaris »Anti-Ödipus« abgeschaut haben. Für sie ist »Empire« ein willkommener Anlass, noch eine Schicht Verschleierung und prätentiös vorgetragener Belanglosigkeit mehr aufzutragen. Diefenbach freut sich über ein Buch gegen “die linken Beamten der Traurigkeit” (jw 25/02) und auch Rapp klagt über den “gerade in der deutschen Linken so tief sitzende[n] Pessismismus”, unter dem beide anscheinend zutiefst leiden müssen, der v.a. eine “Theorie der Ohnmacht hervorbringt” (jw 13/02). Die fetzige Sprache ist wahrscheinlich das, was verfängt. Hardt & Negri rufen ein Kribbeln bei den Lesern hervor, unter der Oberfläche brodele es gewaltig. Für Traurigkeit ist in »Empire« in der Tat kein Platz. Doch nach Entfaltung des ontologisch versicherten sturen Optimismus ist sofort wieder Schluss mit lustig und der berstende Befreiungsschlag der “neuen Barbaren” tritt auf den Plan. Gut möglich, dass dies dem studierten Klein- und Mittelbürger zusagt, der sich geschmeichelt fühlen darf, weil er vornehmlich in den Berufen sein Dasein fristen muss, durch die Hardt & Negri den Kommunismus schon realisiert sehen; der mal wieder losgelassen werden möchte oder wenigstens Teil des “Pulsieren[s]” sein, das Hardt & Negri “bereits spüren, die Menge, die wir im Rahmen des Begehrens konstruieren”, “der Vorschein einer kommenden Zukunft” (413). “This is it, ruft das Buch”, und Rapp hört das “junge, harte Denken”, die äußerst deutsche Mischung aus Gefühl & Härte, in Rapps Worten, “verspielt und entschlossen” (jw 13/02). Um »Empire« zu verstehen, muss man es, wie Rapp richtig sagt, aber nicht begreift, “in seiner ästhetischen Qualität ernstnehmen” (ebd.). »Empire« ist ein Ereignis, ein “Assoziationscluster”, das einem das souffliert, was man immer schon ‚wusste’, nur in Buchform mit einem “tolle[n] neue[n] Begriff” (ebd.) bestätigt brauchte. “Nun ist es recht einfach, sich über den Optimismus von Negri & Hardt lustig zu machen” (ebd.). Das ist nicht der Punkt. Deren ‚Optimismus’, sollte nicht erheitern, sondern erschrecken. Er ist kein Optimismus, da er keine Möglichkeit offen lässt, weil er weiß, was “immer schon” der Fall sei. Er ist Drohung. Gerade die Darstellung des manichäischen Kampfes von Herrschaft und Empire, wie Rapp es selbst nennt, schreckt ihn nicht ab, sondern ist ihm “von einer solchen verstrahlten Inkonsistenz, dass man über die eine oder andere Gelehrsamkeit gerne hinwegsieht” (ebd.).

Wer es, wie Etienne Balibar “amazing”, wie Saskia Sassen “extraordinary” findet, wer es wie Frederic Jameson als “not a bad way to begin an new century” oder wie der notorische Slavoj Zizek als “nothing less than than a rewriting of The Communist Manifesto” betrachtet (Klappentexte der englischen Ausgabe), den kann man (wenn man es bisher noch tat) nicht mehr ernst nehmen. Man muss nicht viel wissen oder gelesen haben, um dieses Buch für schlecht beurteilen zu können. Man muss nur lesen können und einen relativ unabhängigen und aufmerksamen Geist besitzen; man muss nur die Sätze selbst befragen. Das meiste ist Geschwätz. Was richtig ist, steht woanders schon länger und besser oder ist banal.

Michael Hardt & Tonio Negri, Empire. Die neue Weltordnung.
Aus dem Englischen von Thomas Atzert und Andreas Wirthensohn.
Frankfurt/M – New York: Campus, 2002

[1] Alle Hervorhebungen in den Zitaten stammen, wenn nicht anders angegeben, von Hardt & Negri selber.

[2] Hardt & Negri kümmert der Unterschied nicht.

[3] So über die befreiende (vgl. 57) und aufklärerische Kraft des Kapitals (vgl. 132f.), das “vogelfreie” Proletariat (170), die “reelle Subsumtion” (266f.), die “ursprüngliche Akkumulation” (267f.), den Zusammenhang von Emanzipation und Befreiung (vgl. 371)

[4] “Abstrakte Arbeit” ist bei ihnen homogenisierte Arbeit, die nun, im Zeitalter des “general intellect”, der “immateriellen Arbeit”, der “Postmodernisierung” und “Computerisierung” der Produktion vorzufinden sei (vgl. 303). – “Lebendige Arbeit” ist für sie eine ungeheure sprengende Kraft, eine Lebensenergie (vgl. 65). – Marx’ Werttheorie sei eine “Theorie des Wertmaßes” (363); Marx habe gezeigt, wie “das Kapital alle Formen des Werts auf einem gemeinsamen Feld zusammen” führe und “sie durch das Geld” verbinde (335).

[5] “Der Kolonialismus” habe “der kolonialen Welt binäre Aufteilungen” aufgezwungen. “Nicht die Wirlichkeit ist dialektisch, sondern der Kolonialismus” (141). “Moderne Macht” sei “selbst dialektisch” (153).

[6] Hardts & Negris Hang zum ideologisierenden Euphemismus wird infam, wenn sie “die Flucht europäischer Intellektueller in die Vereinigten Staaten” vor dem Nationalsozialismus, womit sie sich explizit auf das emigrierende Institut für Sozialforschung beziehen, als “Versuch, einen verlorenen Ort wieder zu entdecken” (387) bezeichnen. Hier wird die Flucht vor der Lebensbedrohung zu einem gleichsam Proust’schen Unternehmen.

[7] Wie überaus deutsch H&N denken, enthüllen sie nicht nur beim Übergehen der Shoah; beim Einebnen des Nationalsozialismus in imperialistische Auseinandersetzungen, mit denen das aufbegehrende Volk unter Kontrolle gehalten werden sollte; bei der Verniedlichung von Auschwitz durch den Vergleich mit Kolonialkriegen und in einem Zug bei der Aufnordung der allseits beliebten ‚israelischen Kriegsverbrechen’ durch den Vergleich mit Auschwitz; sondern auch mit bei ihrer Bewertung des Ersten Weltkrieges, nach welchem “die Herrsch enden” vorgezogen hätten “einfach die Verlierer zu bestrafen”, statt “sich mit den Ursachen des innerimperialistischen Kriegs zu beschäftigen” (253), also Gruppentherapie und Konflikt- und Gewaltursachenforschung zu betreiben.

[8] Hardts & Negris Verwendung der Begriffe ist sorglos, oft bedeuten sie nicht das, was Hardt & Negri sagen möchten. Sowenig sie den Unterschied zwischen “transzendent” und “transzendental” kennen, sowenig den zwischen “ontisch” und “ontologisch”. Aber man muss nicht studierter Fundamentalontologe sein, um Affinität zum Faschismus zu haben.

[9] Für die sie Walter Benjamin fälschen (vgl. ihre Zitatkollage aus Benjamins »Der destruktive Charakter« auf S. 227) und natürlich Friedrich Nietzsche vereinnahmen (vgl. 383f.).

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