Initiative Sozialistisches Forum Freiburg

Programm Sommer 2023

 

Alle Vorträge finden als Hybrid-Veranstaltungen in Präsenz mit Zoom-Übertragung (Zoom-Link: https://us06web.zoom.us/j/88664348128?pwd=alZJWDZFalJlK2FGclBUMW9BdklGUT09 statt. Aufgrund der eingeschränkten Anzahl an Sitzplätzen am Veranstaltungsort bitten wir um Anmeldung unter jourfixe@isf-freiburg.org.

 

Mai

 

Donnerstag, 25. Mai 2023
Wie den Totalitarismus überwinden ? Eine proletarische Perspektive
Linke fassen den Begriff »Totalitarismus« nur mit spitzen Fingern an. Der Verdacht liegt nahe, dass er dazu dient, die Unterschiede zwischen faschistischer und stalinistischer Gewaltherrschaft zum Verschwinden zu bringen. In der Folge werden alle kommunistischen Umtriebe in die Nähe des Faschismus gerückt und delegitimiert. Heinz Langerhans (1904-1976), Schüler von Karl Korsch, verband Rätekommunismus mit Kritischer Theorie und ging den umgekehrten Weg: Was ist, wenn die krisenhafte Entwicklung der Produktivkräfte immer umfangreichere Staatsinterventionen verlangt und immer größere Teile der Gesellschaft einspannt mit der Konsequenz, dass die Organisationen der Arbeiterklasse selbst Teil der kapitalen Vergesellschaftung werden und damit Teil eines monströsen Machtblocks gegen jede proletarische Selbstbefreiung? Heute scheinen sich seine Überlegungen zu bestätigen: Die Weltkriegsgefahr ist so aktuell wie das Fortbestehen von Sklaverei und Zwangsarbeitsverhältnissen auch im modernsten Kapitalismus notorisch ist.

Es spricht Felix Klopotek (Köln), Autor des Buches Heinz Langerhans: Die totalitäre Erfahrung. Werkbiographie und Chronik im Unrast-Verlag. In Zusammenarbeit mit La Banda Vaga. Um 19 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.

 

Juni

 

Donnerstag, 29. Juni 2023
Buchvorstellung: Georg K. Glaser: Geheimnis und Gewalt
Der Roman Geheimnis und Gewalt (1951) von Georg K. Glaser (1910-1995) ist ein atemberaubender Lebensbericht. Er handelt vom Aufwachsen in der Weimarer Republik, geprägt von Armut, sozialen Zerwürfnissen und den Verheerungen, die der 1. Weltkrieg in den Menschen und ihren Beziehungen hinterlassen hat. Der Protagonist Valentin Haueisen – in dem sich Glaser selbst erkennen lässt, auch wenn er nicht identisch mit ihm ist – politisiert sich in der Vagabunden- und Wanderbewegung, wird Mitglied in anarchistischen und kommunistischen Jugendgruppen. Als proletarischer Jungschriftsteller nähert er sich der KPD an, in deren Reihen er Widerstand gegen die zur Macht strebenden Nazis organisiert: auch als »Haueisen«, in handfesten Auseinandersetzungen auf der Straße. Der Roman schildert auch die Wirren des 2. Weltkriegs, in denen Haueisen wie Glaser mit der französischen Armee gegen die Deutschen kämpfte. Der »autobiographische Bericht eines Einzelkämpfers« arbeitet sich an den Idealen ab, denen der Protagonist einst folgte. Hinter den Zeilen liegt eine Trauer über den gescheiterten Versuch eines Aufbruchs, der eine umfassende Erneuerung versprach, aber sich in den Widersprüchen seiner Zeit und in Gewaltverhältnissen verstrickte. In dieser Trauer liegt auch eine Enttäuschung gegenüber dem Parteikommunismus , der keine Antworten auf das Phänomen des Nationalsozialismus als Massenbewegung finden konnte oder nur falsche gegeben hat. Als Mischung aus Vortrag und Lesung soll in der Veranstaltung der Roman vorgestellt und ein paar Thesen zur Diskussion gestellt werden.

Es spricht Lukas Holfeld (Halle), der (meist) monatlich die Radiosendung Wutpilger-Streifzüge produziert, die auf verschiedenen freien Radios und im Internet zu hören ist (www.wutpilger.org). Außerdem ist er verantwortlich für das Programm der Veranstaltungsreihe »Kunst, Spektakel & Revolution« in Weimar.  Um 19 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.

 

Juli

 

Donnerstag, 13. Juli 2023
Buchvorstellung von Léon Poliakov: Von Moskau nach Beirut. Essay über die Desinformation
— Entfällt wegen Krankheit, wird im Herbst nachgeholt
Im Sommer 2022 jährte sich der Libanonkrieg zum 40. Mal: 1982 rief Israels Libanon-Offensive heftige Reaktionen in der westlichen Öffentlichkeit hervor, die damals noch nicht zum Standardrepertoire der Berichterstattung gehörten. In den Massenmedien wurde der jüdische Staat – von Léon Poliakov in dieser Schrift als »Jude unter den Staaten« bezeichnet – des Völkermords an der palästinensischen Bevölkerung bezichtigt und die Israel angekreideten Verbrechen mit denen der Nazis gleichgesetzt. Während in der arabischen Welt und den meisten sozialistischen Staaten diese Gleichsetzung bereits seit Israels Staatsgründung im Jahr 1948 an der Tagesordnung war, bedurfte es in der westlichen Welt, wie Léon Poliakov anhand eindrücklicher Beispiele und Quellen nachweist, einer längeren Entwicklung, um diese Form antisemitischer Desinformation für sich zu entdecken und zu popularisieren. Poliakov war diese Neuerung Anlass für seinen 1983 auf Französisch publizierten Essay De Moscou à Beyrouth. Essai sur la désinformation, der nun zum ersten Mal in deutscher Sprache erscheint. Hier analysiert er die antisemitische Propaganda und die damit einhergehenden judenfeindlichen Exzesse, die sich im Zuge der israelischen Intervention im Libanonkrieg Bahn brachen. Um zu beantworten, wie es so weit kommen konnte, zeichnet er die Entwicklung des Antisemitismus im 20. Jahrhundert nach, insbesondere die Transformation, die dieser in der Sowjetunion erfuhr, und schildert die zentrale Rolle, die die stalinistische Propaganda hierbei spielte. Er beschreibt die Radikalisierung des arabischen Antisemitismus durch die Protokolle der Weisen von Zion, die als Schlüsseldokument des modernen Antisemitismus betrachtet werden können. Diese Propagandaschrift leistete der Projektion einer jüdischen Weltverschwörung Vorschub und ermöglichte es so, die Juden zu den neuen Nazis zu erklären. Ein Wahn, der als wesentliche Ursache der vermeintlichen Unlösbarkeit des Konflikts zwischen der arabischen Welt und Israel betrachtet werden kann – eine Tatsache, von der diejenigen, die Israel unter Verweis auf das ›Völkerrecht‹ zur Mäßigung auffordern, bis heute geflissentlich absehen.

Insbesondere in Zentraleuropa bedurfte es der antiimperialistischen und antizionistischen Wende der 68er-Bewegung, um die einstigen Sympathien für den jungen jüdischen Staat in die Vorstellung vom berufspalästinensischen ›Unterdrückten‹ als revolutionärem Subjekt zu verschieben. Zwei Wendepunkte sind für den Autor dabei zentral: 1967, als im Zuge des Sechstagekriegs das Bild des verfolgten Juden durch das des Siegers und Unterdrückers ersetzt wurde; und der Mai 1968, als ein Teil der Jugend, von den revolutionären Kämpfen der Dritten Welt berauscht, die PLO romantisierte und auf den gleichen Sockel hob wie den Vietcong. Poliakov widmet sich insbesondere den ideologischen Brüchen in den 1970er Jahren, den sich wandelnden Formen des Antisemitismus in der arabischen Welt und der politischen Linken. Er zeigt die Macht der sowjetischen und arabischen Propaganda auf, die weltweit auf vielfältige Weise verbreitet wurde, um Israel international zu kompromittieren und es – wie Poliakov konstatiert – zum »Juden unter den Staaten« zu machen.

Es spricht Alex Carstiuc (Berlin), der Historiker ist und als Mitübersetzer die Memoiren Léon Poliakovs herausgegeben hat. Um 19 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.

 

Donnerstag, 27. Juli 2023
Einstand des Sinnlosen. Zu Theodor W. Adornos Ästhetik nach Auschwitz
Kunst ist für Theodor W. Adorno die gesellschaftliche Antithesis zur Gesellschaft. Antithesis, weil sie autonom, zugleich gesellschaftlich, weil sie fait social ist. Gesellschaft teilt also ohne Unterlass der Zone der Autonomie der Kunst sich mit. Die Ästhetische Theorie Adornos kann mitsamt den musikalischen und literarischen Schriften als eine Auseinandersetzung mit dieser Antinomie begriffen werden. Was schon vor dem »Zivilisationsbruch« (Dan Diner) eine nicht aufzulösende Antinomie darstellte, radikalisierte sich durch die Erfahrung, dass Auschwitz möglich war und weiterhin möglich ist, zu einer radikalen Infragestellung der Daseinsberechtigung von Kunst . Der überwiegende Teil der heute lebenden Menschen ist postnazistische Zeiten gewöhnt. Der Satz Adornos, nach dem es barbarisch sei, nach Ausschwitz ein Gedicht zu schreiben – 1949 gegen die wieder auferstandene Kultur formuliert – provoziert deshalb noch immer, weil er ungeschminkt den Schock transportiert, der mit Auschwitz als historischer Erfahrung verbunden ist. In späteren Arbeiten wird die Erfahrung jenes Schocks noch radikalisiert: Alle Kultur nach Auschwitz, samt der dringlichen Kritik daran, ist Müll, heißt es in der Negativen Dialektik. Die Versuchung ist groß, angesichts dieser ausweglosen Konstellation in Schweigen zu verfallen. Dies gilt für die Kritik ebenso wie für die Kunst. Gäbe man der Versuchung nach, machte man sich aber erst recht zum Komplizen der Verhältnisse. Für den Bereich der Kunst hieße Schweigen, der alles absorbierenden Kulturindustrie das Feld zu überlassen. Das Diktum, Gedichte nach Auschwitz zu schreiben, sei barbarisch, muss also ergänzt werden: Man muss Gedichte schreiben, solange es ein Bewusstsein des Leidens unter den Menschen gibt, und zwar als objektive Gestalt dieses Bewusstseins. Diese Gestalt aber kann keine mehr sein, die aus ihrer konkreten Zusammensetzung den Schein von Sinn erzeugt, sondern die Negation von Sinn wird in der Ästhetischen Theorie Adornos zur aporetischen Gestalt von Kunst. Die sinnlosen oder sinnfremden Werke werden mehr als bloß sinnlos, weil ihnen Gehalt in der Negation von Sinn zuwächst.

Es spricht Aljoscha Bijlsma (Wien), Redaktionsmitglied der Zeitschrift sans phrase. Er hat zu Musikphilosophie, ästhetischer Theorie und zur Kritik der politischen Ökonomie veröffentlicht. Um 19 Uhr im Büro des ça ira-Verlages, Günterstalstr. 37, im Hinterhof.