Initiative Sozialistisches Forum

Die Diktatur der Zukunft

Seit jeher waren apokalyptische Bewegungen rücksichtslos und brutal gegenüber den Einzelnen. Nicht nur, dass eine Endzeit die Regeln der Gegenwart aufhebt, sie verwirft sie als überlebt: Angesichts des vermeintlich bedrohten Ganzen zählt einzig ›entschlossenes Handeln‹, und nur, wer sich in seiner Entschlossenheit gegenüber allen anderen hervortut, ist von Bedeutung – und dann eben nicht mehr als Einzelner, sondern als Teil des kollektiven Wir, dessen Zukunft gerettet werden soll. Als dumm und borniert, eben rückschrittlich, potenziell immer auch als Verräter an der Zukunft Aller, gilt, wer sich dabei mit der Abwägung von Interessen oder der Rücksicht auf Einzelne aufhält. »Es gibt keine Grauzonen, wenn es ums Überleben geht« (Greta Thunberg: Ich will, dass ihr in Panik geratet!, Frankfurt a.M. 2019, S. 45) ist die Quintessenz einer Moral, welche die Fans von Greta Thunberg mit denen der Filme Roland Emmerichs teilen. Und wer möchte schon einer der unzähligen anonymen Statisten sein, die, den weisen Befehlen des Hauptdarstellers nicht folgend, namenlos am Wegesrand ihr trauriges Schicksal erleiden müssen?

Dass den Klimaaktivisten dabei inzwischen auf breiter Front zugejubelt wird, ist der Vaterstolz der Republik: Die Zöglinge haben gut verstanden, dass die Opferbereitschaft des Einzelnen Voraussetzung für das Fortbestehen des Allgemeinen ist. In ihrer Verklärung zur natürlichsten und selbstverständlichsten Sache der Welt erweist sich der Klimaaktivismus als Einfühlung in die Form des Staates. Dass die Bedrohung nicht der abstrakten und partikularen, falschen Allgemeinheit des Staates, sondern der nicht minder abstrakten, aber scheinbar universellen Allgemeinheit der Zukunft schlechthin gelten soll, vergrößert nur den Appell an das eigene Herrschaftspersonal, endlich entschlossen zu handeln – und zugleich die Legitimität, dabei rücksichtslos vorzugehen. Dass die kommende Klimaapokalypse mit dem Verweis auf unumstößliche Fakten anstelle der Eschatologie prognostiziert wird, ändert nichts an der Logik, dass, wo sie unmittelbar bevorsteht, zu ihrer Abwendung praktisch alles erlaubt ist.

Obwohl die Fridays for Future-Bewegung von fast allen Seiten Bewunderung und Applaus erhält, beklagen ihre Protagonisten, ›die Erwachsenen‹ nähmen sie und die Dramatik der Situation nicht ernst. Das mag auch daran liegen, dass es schwer fällt, zu glauben, die protestierenden Jugendlichen und ihre erwachsenen Unterstützer würden ihre eigenen apokalyptischen Visionen, mit der »Klimakatastrophe« stünde das Ende der Welt unmittelbar bevor, ernsthaft selbst glauben. Wie lächerlich wäre es doch, einmal pro Woche während der Schulzeit demonstrieren zu gehen, dafür allerdings bloß nicht sanktioniert, sondern für das Engagement gelobt werden zu wollen, stünde die Apokalypse tatsächlich unmittelbar bevor.

Dabei wird die kommende Apokalypse nur selten und von wenigen Autoren in vollen Farben ausgemalt; bei den Fridays for Future kommt sie geradezu auffallend abstrakt daher: »warum sollen wir für eine Zukunft lernen, die es schon bald nicht mehr geben wird, wenn niemand irgendetwas unternimmt, um diese Zukunft zu retten«, heißt es bei Greta Thunberg in ihrer Redensammlung Ich will, dass ihr in Panik geratet!, und auch die hierzulande eben for future demonstrierenden Schüler beklagen nicht weniger, als dass man ihnen ›die Zukunft klaue‹.

Für eine Bewegung, die aus der Ökologie- und Naturschutz-Bewegung kommt, ist sogar bemerkenswert wenig von Natur (oder Ökosystemen) die Rede. Hier rächt sich die historische Bewusstlosigkeit, die sich darin zeigt, dass eine in den vergangenen Jahrzehnten diskutierte Gesellschaftskritik, wie falsch auch immer sie gewesen sein mag, ignoriert wird. Man verfällt auf die am eigenen Ich ausgerichtete Unmittelbarkeit und hantiert mit lauen Wohlfühlbegriffen wie ›Gerechtigkeit‹ ohne inhaltliche Reflexion. So spielen nicht nur Überlegungen etwa zum Verhältnis zur Natur überhaupt keine Rolle, auch geht es in ihr nicht um die Frage nach der Art und Weise der Zukunft oder gar eines guten Lebens, vielmehr reduziert sich die gegenwärtige Klimaschutzbewegung geradezu darauf, die Zukunft überhaupt retten zu wollen, wahlweise auch ›das Klima‹, ›den Planeten‹ oder ›die Welt‹.

Wem es um die schiere Existenz geht, fragt nicht nach der Qualität menschlichen Lebens. Hauptsache, das Leben geht weiter. Das ist so zermürbend und trostlos wie der Fachjargon der Naturwissenschaft, den die Bewegung bemüht, und ebenso geistlos und gnadenlos wie der Verweis auf deren Experten, nicht mehr als Apparatschicks, denen sie bedingungslos bereit sind sich unterzuordnen. Die Bewegung spiegelt sich selbst in der Natur, der Gewalt angetan wird – doch nicht die Herrschaft über diese (eigene) Natur ist Gegenstand der Kritik, sondern die Herrschaft über die Natur soll dahingehend optimiert werden, dass sie endlich nachhaltig werde. Sie veredelt den Prozess der Ausbeutung, auf dass er ewig währe. Könnte das Kapital sprechen, es würde eben danach rufen, denn Zukunft existiert für das Kapital nur als Zukunft von Verwertung. Nicht anders die Fridays for Future-Bewegung, die Zukunft nur als Überleben, nicht als die einer befreiten Gattung denken kann.

So plausibel der durch industriellen CO2-Ausstoß bedingte Treibhauseffekt als Erklärung für den Anstieg der Durchschnittstemperaturen auch sein mag und so vernünftig die Einsparung von CO2 auch wäre: die Angabe konkreter Gradziele für die weltweite Durchschnittstemperatur (bei deren Nichterreichen die Apokalypse unvermeidlich würde) zeugt von einem auf restlose Berechen- und Beherrschbarkeit gemünzten Naturverständnis wie von einer völligen Abstraktion von den polit-ökonomischen Verhältnissen.

Dass die Klimaschutzbewegung mit der Herrschaft durchaus die Gleichgültigkeit gegenüber dem konkreten, individuellen Leid teilt, zeigt sich auch darin, dass sie zwar permanent eine dramatische Zunahme von Klimaflüchtlingen prognostiziert, während die bereits gegenwärtig im Mittelmeer ertrinkenden oder in Nordafrika unter grauenvollen Bedingungen kasernierten, aus politischen oder wirtschaftlichen Gründen Fliehenden ebenso Anathema sind, wie die politischen Verhältnisse, wegen derer Menschen fliehen oder mit denen sie auf ihrer Flucht konfrontiert sind. Und das ist eben deswegen kein Zufall, weil sich das Politikverständnis der Klimaschutzbewegung wesentlich darauf reduziert, dass die Politik endlich auf die Experten zu hören habe.

In merkwürdigem Kontrast zum endzeitlichen Bedrohungsszenario steht dabei die mittlerweile in Ober- und Mittelschicht zum allgemeinen gesunden Menschenverstand gewordene Konsumethik, ein jeder könne die Welt ein klein wenig retten, indem er seinen individuellen Verbrauch ein bisschen klimafreundlicher gestaltet, so als ob im Kapitalismus tatsächlich nach Bedarf produziert werden würde. Dabei führt auch der massenhafte private Verzicht auf bestimmte Konsumgüter kurzfristig nur zur Zunahme von deren Überproduktion und zu sinkenden Preisen. Im Kapitalismus wird aber nicht nach Bedarf produziert, sondern für ein Angebot wird ein Bedarf erst gesellschaftlich erzeugt. Die falsche Hoffnung, durch individuelles Handeln die ›Macht der Konsumenten‹ zu setzen, wird auch nicht erschüttert durch die kolportierten Einsichten, dass der Stoffbeutel nicht ökologischer ist als die Plastiktüte, das Fleisch vom lokalen Metzger nicht ökologischer als die Tiefkühlware aus Neuseeland. Stattdessen pflegt das Ressentiment gegen die Industrie die Fetischisierung frühmoderner Produktionsweisen, dem Ideal des Kleinwarenproduzenten. Dass klein und regional unproduktiver und ressourcenintensiver ist als groß und industriell, ficht es nicht an.

Wie von Zauberhand verträgt sich die Ideologie individuellen Konsumverzichts auch noch ideal mit der auf Lohnverzicht, das heißt durch Konsumverzicht erkauften Exportorientierung deutscher Kapitalsouveränität: Denn irgendwo müssen die Waren schließlich gewinnbringend verkauft werden, will man nicht eine ernsthafte gesellschaftliche Krise in Kauf nehmen, die die Forderung beispielsweise nach einer (sowieso unmöglichen) Reduzierung des CO2- Ausstoßes bis 2025 auf Null bedeuten würde.

Nicht allein das nützliche Produkt selbst, sondern die Produktionsweise, die Warenförmigkeit des Produkts führt zu dem ungeheuren Energieaufwand, den die Klimaschützer beklagen.

Zwar wäre es technisch längst möglich, die Arbeit in automatisierter Produktion langlebiger Güter weitgehend abzuschaffen, wegen der doch täglich Abermillionen von Menschen mit dem Auto zu ihrem Arbeitsplatz kommen müssen, um einen Großteil ihrer Lebenszeit für gesellschaftlich unnütze Arbeit zu verbrauchen. Ohne diesen absurden Zwang zur Produktivität, dessen Skandal darin besteht, nicht nur die äußere Natur, sondern auch die innere Natur der Menschen zu unterwerfen, wäre der CO2-Gehalt der Atmosphäre kaum ein Problem. Die ökologische Verzichtsethik denkt den Menschen jedoch gänzlich als Konsumenten und schert sich kaum um das gesellschaftliche Verhältnis, in dem um der Produktion willen produziert wird. Die Verzichtsethik ist selbst ein pseudmoralisches Produktionsverhältnis: die Produktion des guten ökologischen Gewissens. Es wäre noch harmlos, wenn es ihr nur um den selbstgenügsamen Genuss der narzisstischen Gewissheit ginge, man hinterlasse in der Welt möglichst keine CO2-Fußabdrücke. Das ökologische Gewissen dient jedoch gleichermaßen zur Gemeinschaftsbildung wie zur Abgrenzung: obwohl es ahnt, wie lächerlich es angesichts der Massenproduktion von nutzlosem Schrott und weltweiten Lieferketten ist, die Welt durch kleine Gesten retten zu wollen, trägt es solche wie eine Monstranz vor sich her; zumindest in den Ober- und Mittelschichten macht sich derzeit gesellschaftlich unmöglich, wer sich nicht wenigstens bekennt, sich Mühe bei der Arbeit am eigenen ökologischen Gewissen zu machen. Weil aber fast alle hier und da doch nicht ganz verzichten wollen, werfen sich öffentlich permanent alle gegenseitig Doppelmoral vor. Im an den anderen gerichteten Vorwurf, er möge doch seinen Verbrauch gering halten, damit meine Zukunft garantiert sei, kehrt unbewusst das Strukturmodell der Gesellschaft des Kapitals wieder: eine Versammlung zueinander in schonungsloser Konkurrenz stehender Sozialatome.

Wenn nur anklagen und kritisieren darf, wer seinen Konsum möglichst restlos auf symbolischen Verzicht einstellt, dann gilt auch umgekehrt: wer mitmacht bei der Arbeit am ökologischen Gewissen, erkauft sich damit vor allem die Ermächtigung, andere anzuklagen. Darin dürfte der gesellschaftliche Grund zu finden sein, warum gerade die ökologische Verzichtsethik von Veganismus bis Klimastreik so attraktiv für Jugendliche ist. Weil die Eltern ihren Sprösslingen nicht zuletzt auch den gesellschaftlich erzwungenen Triebverzicht beizubiegen haben, sollen diese einmal gesellschaftsfähig werden, erlaubt die Selbstermächtigung zur moralischen Anklage der Eltern. Anklagen darf allerdings nur, wer bereit ist, noch rigoroser zu verzichten, als es die Gesellschaft ohnehin schon verlangt.

Wer nicht völlig vergessen hat, wie mühevoll und entbehrungsreich es war, als Kind oder Jugendlicher zu lernen, täglich aufzustehen, zur Schule zu gehen und seine Hausaufgaben zu machen, bis man sich damit arrangiert hatte, dass die alltäglichen Entbehrungen nicht danach fragen, ob sie wirklich notwendig sind oder ob es nicht auch anders möglich wäre, der ahnt wohl etwas von dem Reiz, anzuklagen: »Für welche Zukunft sollen wir lernen, wenn wir keine haben« – weil es nämlich in der Zukunft nur immer so weiter geht, wenn auch nicht mehr für die Liebe der Eltern, aber doch ebenso unerbittlich. Gäbe es wirklich gar keine Zukunft, dann entfiele auch das zeitliche Schema allen Triebverzichts: nicht heute, sondern morgen. Mehr noch: aller vergangener Triebverzicht – all das frühe Aufstehen, die Mühen um gute Noten und das Gymnasium –, den die gegenwärtige Elterngeneration angesichts des tendenziellen sozialen Abstiegs der Mittelschichten mehr als jemals eine Generation vor ihr eingefordert haben, damit aus ihren Sprösslingen später mal ›etwas‹ (!) wird, erwiese sich als völlig sinnlos. Und wer dann auch noch den Eltern vorwerfen kann, sie selbst hätten ausgerechnet durch mangelnden Verzicht – auf Autofahren, Flugreisen und Fleischverzehr – zu verantworten, dass ihre Sprösslinge ›keine Zukunft‹ haben, der hat eigentlich seine Eltern zumindest moralisch restlos desavouiert.

Und doch erweist sich die gegenwärtige Klimaschutzbewegung weniger als Generationenkonflikt, vielmehr als dessen Versöhnung: Selten wurde eine Jugendbewegung derart kritiklos von der Erwachsenengeneration geadelt, wie die Fridays for Future. Sie sind die ideale Projektionsfläche für eine gemeinschaftsstiftende Bewegung, eben weil das Neue dieser Bewegung einerseits darin besteht, die Diskussion um den Klimawandel, deren gesellschaftliche Relevanz sich vor allem auf die oben angesprochene Verzichtsethik reduziert, zu politisieren und damit aus dem Bereich des privaten Konsumverhaltens herauszuholen. Zugleich treten sie aber so apolitisch auf, dass sie sich scheinbar jedem politischen Streit, und damit auch jeder politischen Kritik, entziehen. Einspruch scheint schon alleine angesichts der drohenden Apokalypse unangebracht – und wer wollte schon Kindern und Jugendlichen schlechte Absichten unterstellen?

Ihrer politischen Logik nach ist die Klimaschutzbewegung allerdings geradezu autoritär-technokratisch: »Welchen Sinn hat es, in der Schule Fakten zu lernen, wenn die wichtigsten Fakten, belegt durch die modernste Forschung ebendieses Bildungssystems unseren Politikern und unserer Gesellschaft offenkundig nichts bedeuten«; »Wir kennen schon sämtliche Fakten und Lösungen« (Greta Thunberg). Bemerkenswerterweise stellt die Klimaschutzbewegung selbst gar keine eigenen Forderungen, sondern fordert vor allem, dass ›die Politik‹ endlich auf ›die Experten‹ hören solle, die doch schon alle Lösungen parat hätten; dabei erweist sich das Verständnis von Natur als identisch mit dem politischen Ideal: beides soll sich auf fugenlose Naturnotwendigkeit reduzieren. »Solange ihr nicht anfangt, euch darauf zu konzentrieren, was getan werden muss, statt auf das, was politisch machbar ist, gibt es keine Hoffnung« (Greta Thunberg).

Allerdings: Grundrechte und nationale Souveränität sind kein Naturgesetz. Genau wie das falsche Verständnis eines Naturrechts, das nie ohne den Staat auskommt, der diese ›Natur‹ ins so gar nicht natürliches Recht setzt, setzt die Klimaschutz-Bewegung darauf, dass eine Beschwörung des Weltenendes und Anrufung des Staates zum Sachwalter der Zukunft schlechthin schon diejenigen staatlichen Kräfte entfesseln wird, die sonst durch inneres Recht und internationale ökonomische Abhängigkeiten zwischen den Staaten gebremst werden. Aber man kann die Expertenautokratie der Bewegung nicht bejammern und dabei die Tatsache verschweigen, dass sich das Recht aus der Gewalt seiner Herrschaft speist und diejenige Abhängigkeit von der Produktion unterhält, die wir unsere Freiheit nennen. Thunberg ist gewiss nicht die Erste, die für den Fortgang der Verhältnisse die Unterdrückung dieser Freiheit bemüht.

Wie immer, wenn es irgendwo eine Bewegung für oder gegen irgendwas gibt, hat auch die Linke Angst, abseits des Zeitgeists zu stehen. An die Stelle der radikalen Kritik tritt zuerst der Gestus der Radikalität: »Wegen des gegebenen Zustands kapitalistischer Ökonomie und Staatlichkeit führt kurzfristig an Verboten und Besteuerung kein Weg vorbei« (Philipp Bergstermann: Sagen, was ist. In: Jungle World 28/2019); »Für die sozialistische Revolution reicht die Zeit also leider nicht« (Jörn Schulz: Klima und Klasse. In: Jungle World 15/2019); »die gute alte Revolution […] Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und so weiter. Diese Option gestaltet sich derzeit schwierig «. (Roland Röder: Radikaler Realismus. In: Jungle World 29/2019). Ist derart die Realitätstauglichkeit erstmal unter Beweis gestellt, imaginiert sich der linke Theoretiker im zweiten Schritt zum Chefberater des Weltsouveräns: »Flugreisen sollte es bald weniger geben, und nur wenn sie im gesellschaftlich ausgehandelten Allgemeininteresse stattfinden, nicht für den Urlaub. Automobilen Individualverkehr sollte, auch den auf Batterie und Wasserstoffbasis, sollte es nur noch auf dem Land geben« (Bergstermann); »Produktionsbeschränkungen und die Subventionierung erwünschter Neuerungen – ein Einstieg in die demokratische Kontrolle über die Produktionsmittel – müssen Vorrang vor marktwirtschaftlichen Regelungen haben« (Schulz); »Somit kommt man gleich zur zweiten Option: staatliche Intervention in die Wirtschaft. Dies läuft auf eine demokratische Planwirtschaft auf globaler Ebene hinaus, wie sie auch Jörn Schulz vorgeschlagen hat« (Röder).

Keineswegs zufällig klingen die Vorschläge dieses linken »radikalen Realismus« (Röder) nach Kriegswirtschaft: »Zu einer anderen Landwirtschaft gehört auch die Reduzierung des Fleischkonsums. Was spricht eigentlich dagegen, dies gesellschaftlich auszuhandeln und via Bezugsscheinen zu organisieren?« (Röder) – eben, das gabs ja auch schon mal während des Russlandfeldzugs, nur hieß die ebenfalls von Röder geforderte »Ernährungssouveränität« dazumal »Nahrungsfreiheit«. Ebenso die Ersatzstoffproduktion: »Fleisch, Milch und Leder sollten demnächst entweder aus der Petrischale stammen oder Ersatzstoffen aus Erbsen, Hafer und Mycelien weichen« (Bergstermann). Diese Vorschläge, über die man in einer zwar linken, aber auch antideutschen Wochenzeitung nur staunen kann, klingen auch deswegen nach Kriegswirtschaft, weil die gegenwärtige Klimaschutzbewegung zuläuft auf die politische Alternative zwischen ›grünem Kapitalismus‹, das heißt Bewältigung der Klimakrise durch rentable, als klimafreundlicher geltende Technologien, oder aber auf den offenbar von der Jungle World favorisierten autoritären Klimastaat, der staatsunmittelbar Lebensmittel-Bezugsscheine, Flug- und Autoverkehrsgenehmigungen zuteilt.

Der ›grüne Kapitalismus‹ ist in erster Linie eine Subventionslegitimation in der ökonomischen Konkurrenz der Nationalökonomien um zukünftig erwartete Absatzmärkte. Ob Photovoltaikanlagen, Windkraft oder Elektroautos – bereits seit Jahren konkurrieren hier deutsche beziehungsweise europäische Unternehmen vor allem mit dem chinesischen Staatskapitalismus und den USA mehr schlecht als recht um die kostengünstigste Produktion für den Weltmarkt. Weil sich die europäischen Konzerne hier marktförmig bislang kaum behaupten konnten, tritt der Staat abwechselnd in der Rolle als Subventionist, Protektionist (zwischen 2013 und 2018 erhob die EU etwa Schutzzölle von über 60% auf chinesische Solaranlagen) und, etwa bei der Energieproduktion, auch als Konsument auf; also gewissermaßen in der vorerst friedlichen, ökonomisch funktionalen Variante der Kriegswirtschaft. Nicht zuletzt, weil ›entschlossenes Handeln‹ für den Klimaschutz Subventionen in Milliardenhöhe, nicht etwa für die deutsche Wirtschaft, sondern für das Weltklima versteht sich, in Aussicht stellt, findet die gegenwärtige Klimaschutzbewegung so viel Zuspruch bei zahlreichen Eliten aus Politik und Wirtschaft. Doch während der ›grüne Kapitalismus‹ auf die ökonomische Rationalität setzt, damit das irrationale Ganze weiterlaufen kann, wie bisher, hat sich die Klimaschutzideologie längst gegenüber der ökonomischen Rationalität verselbstständigt. Während immer mehr Städte, bislang mehr symbolisch als tatsächlich wirkmächtig, den ›Klimanotstand‹ ausrufen, läuft die Ideologie der Klimaschutzbewegung darauf hinaus, dass die Staaten endlich ihre Aufgabe als Beherrscher des Weltklimas wahrnehmen und damit als autoritäre Klimanotstandsregime auftreten sollen. Wie sich in den Beispielen der Jungle World-Autoren andeutet, lässt sich die Beherrschung der äußeren Natur des Weltklimas nur durch eine Ausweitung der Herrschaft über die innere Natur der Menschen erreichen, über deren Bedürfnisbefriedigung dann nicht mehr der zweifellos erbarmungslose Markt, sondern das Herrschaftspersonal, ob mit oder ohne Expertenrat, des künftigen Klimaregimes entscheidet. Das wird ohne autoritäres Durchgreifen gegen innere Feinde, die bei der großen Gemeinschaftsaktion von Herrschenden und Beherrschten zur Rettung des Weltklimas nicht mitmachen (oder einfach nur Produkte an den Lebensmittelzuteilungen des Staates vorbei anbieten) kaum möglich sein. Und was sind schon einzelne, ja hunderttausende Menschenleben gegen die universale Bedrohung ›der Zukunft des Planeten‹? Da auch all die Entbehrungen und eigenen Opfer für das Klima wirkungslos bleiben, solange andere Staaten nicht mitmachen beim Weltenretten, wird man auch den äußeren Feinden notfalls militärisch beibringen müssen, dass es um unser aller Zukunft gehe. Die Folgen des Klimawandels mögen fürchterlich sein; noch fürchterlicher aber könnten die Folgen einer politischen Herrschaft sein, von deren ›entschlossenem Handeln‹ in einer grenzenlosen Mission es abhinge, ob es überhaupt eine ›Zukunft‹ gäbe.