Der 11. September und die Linke

Einige Beobachtungen

Matthias Küntzel

Die Anschläge des 11. September zerstörten mit dem World Trade Center gleichzeitig auch den gemeinsamen Nenner, der das als „antideutsch“ firmierenden Lager bis dahin noch zusammenhielt.

In Österreich flog die Redaktion der Zeitschrift „Streifzüge“ auseinander, in Freiburg hockten plötzlich ca –ira und Ulrich Enderwitz auf den entgegengesetzten Seiten der Barrikade und „konkret“, das sich gerade in puncto Antisemitismus-Kritik einige Meriten erworben hatte, fiel nun doch wieder in altbackene Liga gegen den US-Imperialismus zurück.

Der Bericht über den Kongress der „konkret“ von Januar 2002 – Vorwort: Jürgen Elsässer und Hermann Gremliza – erhielt den Titel: „Deutschland führt Krieg. Seit dem 11. September wird zurückgeschossen“ , So wurden die Anschläge in New York und Washington zu einem zweiten Sender Gleiwitz heruntergewitzelt und der Krieg der Amerikaner gegen die Taliban mit dem Überfall der Nazis auf Polen auf eine Stufe gestellt.

Wahrscheinlich ging es vielen so, wie mir: Ich konnte in den Wochen nach dem 11. September mit kaum einem Freund in Kontakt treten ohne die bange Frage, ob nicht auch er der Regression verfallen sei.

Diese Spaltung in zwei Lager hatte darin ihren Grund, dass der 11. September entgegengesetzt intepretiert worden ist.

Das Mehrheitslager fand seine Fassung sehr schnell dadurch wieder, dass man in den USA letztendlich den Täter sah: sei es direkt über die Verwicklung von Geheimdiensten oder indirekt durch das vermeintlich von den USA verursachte Elend in der Welt. Hier machte man die Bush-Administration als den „eigentlichen“ geostrategischen Profiteur der Katastrophe aus.

Das Minderheitslager betrachtete die USA als Opfer einer Kriegsführung, die die massenhafte und unterschiedslose Tötung von Amerikanern zum Selbstzweck erhob und deshalb sowohl mit den suizidalen Massenmorde der Hamas wie auch mit dem antisemitischen Programm der Nazis in Verbindung zu bringen war.

Wie kein Zweiter brachte diesen Zusammenhang sechs Wochen nach dem Anschlag der in Yale lehrende Computerwissenschafter David Gelernter auf den Punkt: „Bin Ladens Terroristen haben versucht, die größte jüdische Stadt in ein Brandopfer zu verwandeln. Ich weiß nicht, ob diese Symbolik intendiert war; aber ich weiß, dass die Deutschen dies der Welt erklären sollten. Die Amerikaner verstehen das nicht: reiner, unmotivierter Hass auf die Juden? Purer Hass aus Prinzip? Deutsche verstehen das sehr wohl“, weshalb sie „den Grund dafür erklären können.“[1]

Dass die Öffentlichkeit im post-nationalsozialistischen Deutschland dieser Aufforderung nicht nachkommen wollte, war zu erwarten. Nicht zu erwarten aber war das Ausmaß an Empathie und Verständnis, dass das Attentat selbst im antideutschen Milieu noch erhielt. Schauen wir uns beispielhaft den Fall von Bernhard Schmid, dem Autor für Jungle World und „konkret“, genauer an. So phantasierte sich Schmid in den Kopf von Mohammed Attas hinein:

„Mohammed Atta ...denkt in seinem Cockpit natürlich an das Symbol (wirtschaftlicher und politischer Macht), dass das WTC verkörpert. ... Daher zielte seine Aktion nicht auf die Auslöschung des konkreten Rollstuhlfahrers im WTC. ... Dass er den Tod einer großen Zahl von Menschen in Kauf nimmt, ist selbstverständlich zutreffend. Er rechtfertigt das vor seinem inneren Auge wahrscheinlich damit, dass die, WENN sie denn ,unschuldig’ seien, ja ohnehin ins Paradies kämen.“ Dieses „WENN“ schrieb Schmid nicht ohne Grund mit Großbuchstaben. Schließlich waren – Originaltext Schmid - „MANCHE unter ihnen“ – gemeint sind jetzt die Angestellten in den Twin Towers – „damit beschäftigt, irgend einem Teil der Menschheit das Leben zu Hölle zu machen.“

Es versteht sich von selbst, dass auch Schmid sich von den Anschlägen beredt distanzierte. Sein sehnsüchtiger Versuch, den islamfaschistischen Aktionismus mit den Kategorien eines linken Anti-Imperialismus zu versöhnen, ist dennoch beispielhaft für jenen katastrophalen Verlust an ethisch-moralischem Urteilsvermögen, der nach dem 11. September zum Erkennungsmal der Linken geworden ist.

„Für viele Bewohner des Rests der Welt besteht darin sogar so was wie ausgleichende Gerechtigkeit“, fährt Bernhard Schmid in seiner Analyse des 11. September fort, „weshalb ich den damaligen Beifall in Argentinien und Ägypten emotional nachvollziehen kann – gedanklich MUSS ich ihn verwerfen.“[2]

Natürlich ist die barbarischen Trennung von Gefühl und Verstand, die Schmid hier behauptet, Suggestion: Die Frage ist doch, wie es um einen Verstand bestellt ist, der solche Emotionen überhaupt zulassen kann.

Diejenigen, die die Ideologie der Attentäter aus ihren Harburger Zusammenhängen kannten, attestierten ihnen ohne Umschweife – beispielsweise im Hamburger Prozess gegen den Atta-Freund Motassadeq - ein „nationalsozialistisches Weltbild“. Für Atta waren „die Juden“ die Strippenzieher der Medien, der Finanzwelt und der Politik. „Und ,das Zentrum des Judentums’, so sah es Atta, war New York. Atta wünschte sich einen Gottesstaat vom Nil bis zum Euphrat, frei von Juden, und sein Befreiungskrieg musste in New York beginnen.“[3]

Warum hatten selbst im „antideutschen“ Lager nur so wenige die spezifische Handschrift dieses Verbrechens erkannt? Warum wurden stattdessen imaginäre Bekenner-Schreiben, wie das folgende aus der Feder von Hermann L. Gremliza formuliert?

„Nie in der Geschichte ist es das ärmste Opfer, das sich wehrt, nie ist es der Prolet, der Hungernde. Es ist der empfindsame Sohn aus besserem Haus, der den Anblick des Leids nicht erträgt. Hat sein Mitleid eine Chance, wird er, auch wenn er scheitert, ein Held und heißt Robin Hood oder Che. Dass er eine Chance hat oder zu haben glaubt, lässt ihn fast immer Mittel ergreifen, die bei all ihrer Gewalt von menschlichem Maß bleiben. Wem die Welt sich als nicht resozialisierbar darstellt, der kann nur noch kaputtmachen, was ihn kaputtgemacht hat, er muss rächen, vergelten, und so verspricht Osama Bin Laden in einem Aufruf zum ,Heiligen Krieg’ kein besseres Leben für die Seinen“ – was, nebenbei bemerkt, ebenfalls Unsinn ist – „sondern nur noch ein schlimmes für die Feinde.“[4]

Die lächerliche Empathie von Schmid und die skurrile „Einfühlung“ Gremlizas haben mit einer spezifischen Wahrnehmung von Auschwitz zu tun. Es besteht m.E. ein Zusammenhang zwischen der jüngsten Weigerung, den islamistischen Antisemitismus als Zentralmotiv des 11. September zur Kenntnis zu nehmen und der bekannten Blockade, den deutschen revolutionären Antisemitismus als die Zentralvoraussetzung für Auschwitz in den Blick zu bekommen.

Diesen Zusammenhang sehe ich z.B. bei Gremliza, der sich noch 1997 darum bemühte, den „rationalen Anteil“ von Auschwitz politikökonomisch abzuleiten: „Die Kritik der politischen Ökonomie trägt zur Erhellung der ,Vernichtung durch Arbeit’ und der IG Auschwitz soviel bei, dass ohne ihre Bemühung der rationale Anteil des ,zentralen Geschehens’, der ihm notwendig war (aber nicht ausreichend), unverstanden bliebe.“[5] Mit anderen Worten: Der „rationale Anteil“ des Holocaust, „der ihm notwendig war“, sei sei nur unter Rückgriff auf ökonomische Kategorien zu verstehen. Es war hingegen allein der massenhaft getragene und in anderer Form auch durch die Ökonomie vermittelte antisemitische Wahn, der die Vernichtung aller Juden als vorrangig notwendiges Projekt erscheinen ließ.

Von diesem Wahn und dessen revolutionäres Potential wollte Gremliza jedoch auch 1997 wenig wissen. Zwar konzidier te er ein Deutschland-unspezifisches „Interesse aller Unterdrückten überall, unter sich jemanden zu haben, auf den man spucken kann“; ansonsten aber seien es auch in Deutschland die Mittel „des Terrors und der Propaganda“ gewesen, mit deren Hilfe der Gegensatz der Klassen in eine Volksgemeinschaft scheinbar aufgehoben worden sei.

Wer die Wirkungsmächtigkeit der antisemitischen Ideologie derart reduziert und selbst bei polnischen Vernichtungslagern einen „rationalen Anteil“ zur Voraussetzung ihres Betriebs erklärt, der wird schwerlich den Impuls erkennen, die das Verhalten der islamistischen Attentäter von al-Qaida oder Hamas bestimmt.

Trotzig wischt Gremliza die Erkenntnisse über den Djihadismus vom Tisch, um festzustellen, dass ökonomische Rationalität auch für den Selbstmord-Attentäter das non plus ultra sei:: Die suizidalen Massenmorde der Islamisten, schreibt er im September 2002, ließen sich „doch leichter erklären, als die Talkshowpfaffen glauben: Wie sähe es – ganz ohne islamistischen Fanatismus – wohl im Leichenschauhaus von Buxtehude aus, würde für die Lieben eines jeden jugendlichen Einwohners, der seinen pubertären Selbstmordphantasien Taten folgen lässt, 250.000 Euro ausgesetzt.“[6]

So aber, wie in Deutschland das marxistische Insistieren auf ein „cui bono“ der Vernichtung die Theorie zu einem Verdrängungsinstrument werden ließ, so wird man mit dem simplen „cui bono“ auch dem Islamismus niemals gerecht.

Auch bei Thomas Ebermann erscheint mir der Zusammenhang zwischen einer Fehleinschätzung des NS und der Fehleinschätzung des Islamismus evident. Wann immer sich Ebermann zum 11. September äußerte, leugnete der den kardinalen Unterschied zwischen einer Politik, bei der die zielgerichtete Vernichtung von Menschen um der Vernichtung selbst willen geschieht, und einer Politik, die zur Durchsetzung ihrer zumeist verwerflichen Ziele die Tötung unschuldiger Menschen in Kauf zu nehmen bereit ist.

Derjenige hätte Recht, schreibt Ebermann, der sich „gegen die Behauptung wendet, die Tat (des 11. September) sei beispiellos ... und (der) zu diesem Zweck auf Kriege, Putsche, auf Vietnam, Chile oder Jugoslawien verweist. ... Die Taten des Imperialismus zum vergleichsweise kleineren Verbrechen zu machen, heißt stets, die Opfer, die Toten in mehr oder weniger wertvolle einzuteilen.“[7]

Doch der Vergleichsmaßstab, den Ebermann hier anlegt, ist ausschließlich einer der Quantität. Es geht aber nicht um kleine oder große Verbrechen, sondern um die spezifische Qualität eines Vorgehens, das die Vernichtung um ihrer selbst willen intendiert. Doch gerade diese Qualität des Massenmords von Manhattan will Ebermann nicht sehen. Warum? Ich kenne nicht viele Texte, in denen Ebermann vom Nationalsozialismus oder gar von Auschwitz schreibt. Da, wo er es tat, blieb der Antisemitismus als zentrale Triebkraft des Nationalsozialismus außen vor. „Vor allem aber steckte den Deutschen der Untertan in den Gliedern“, formulierte er z.B. 1995 zusammen mit Rainer Trampert in: Die Offenbarung der Propheten. „Das Abtransportieren der Juden ...rief ... Erleichterung hervor, nicht zu den Verfolgten zu gehören.. Ein solches Leben in Unsicherheit erzeugt bei den Untertanen den Wunsch nach Anlehnung ... und den Drang, das von ihnen Verlangte überzuerfüllen.“. Längst aber ist die Einschätzung widerlegt, wonach die Deutschen zur Überanpassung gerade deshalb neigten, weil sie als potentielle Opfer der Nazis stets von Angst und Unsicherheit geprägt gewesen seien.

Der Antisemitismus der islamistischen Attentäter wird von Gremliza und Ebermann nicht ignoriert. Ihr Fehler besteht darin, dass sie den Antisemitismus als eine ideologische Beigabe betrachten, als eine Größe von vielen, die sie anderen ideologischen Elementen hinzuaddieren. Sie ignorieren, dass der revolutionäre Antisemitismus keiner weiteren Motivlage bedarf und seine Wirkungsmacht als mentale Disposition und als unerhellte Handlungsmatrix entfaltet. So wenig ihnen die Zentralität des Antisemitismus für Auschwitz ein Anliegen ist, so wenig wird von ihnen das getan, was David Gelernter beispielsweise tut: Den antisemitischen Impuls als die maßgebliche Voraussetzung des 11. September zu analysieren, die alles Handeln und Denken der Täter bestimmt.

Wie außerordentlich richtig Gelernter mit dieser Einschätzung lag, zeigte sich im November 2002, als der britischen „Observer“ Osama bin Ladens „Offenen Brief an das amerikanische Volk“ veröffentlichte. Bin Laden greift darin auf ein Hauptpamphlet des Nationalsozialismus, die „Protokolle der Weisen von Zion“ zurück und erklärt, dass „die Juden in all ihren unterschiedlichen Formen und Verkleidungen die Macht über eure Medien und eure Ökonomie gewonnen haben und nun alle Aspekte eures Lebens beherrschen. Sie machen euch zu ihren Dienern und sie verfolgen ihre Ziele auf eure Kosten.“

Gremliza aber analysierte den bin Laden’schen Antisemitismus im selben Monat wie folgt:

„Bin Ladens Judenhass ist, anders als der deutscher Möllemänner, Teil eines Hasses auf die westliche Welt und deren Herrschaft über den Rest. Er ist weit weniger religiös-fundamentalistisch als verrückt-antiimperialistisch. Dass das reichste Land des Nahen Ostens Juden gehört und der Zentralbankchef der USA Greenspan heißt, muss so einen auf dumme Gedanken bringen.“

Auch so kann man im Jahre 60 nach Auschwitz die Antisemitismus-Analyse verballhornen: Ein dummer Gedanke, auf den man schon wegen des Namens des Zentralbankchefs kommen muss! So, als wolle sich Gremliza partout in der Tradition jener Linken einreihen, die zwischen 1929 und 1933 „Mein Kampf“ nicht lasen und den Antisemitismus der NS-Bewegung progressiv umzudeuten suchten, so wird hier der islamistische Antisemitismus als ein Anti-Imperialismus der dummen Kerls bagatellisiert und die historische Kontinuität des arabischen Antisemitismus, der die Phase arabischer Nazi-Sympathien fast bruchlos überdauerte, ignoriert.

Leider haben bis heute weder Gremliza noch Ebermann diese ihnen seit Jahren bekannte Kritik aufgenommen oder gar reflektiert. Stattdessen haben sie versucht, sich gegen diese Kritik mit Fälschungs- oder gar Verratsvorwürfen zu immunisieren.

Schon 1997 und 1998 hielt Gremliza es für angebracht, unsere im Kontext der Goldhagen-Debatte formulierte Kritik an „konkret“ mit dem Verratsvorwurf zu kontern. Schon damals war dies ausgesprochen lächerlich. Mit dem islamistischen Antisemitismus holt uns heute die vier Jahre alte Kontroverse wieder ein. Und erneut bezichtigte Gremliza den Küntzel, der 13 Jahre immerhin als „konkret“-Autor firmierte, des Verrats: Einige suchten „auf diesem küntzlichen Umweg den Anschluß ans teure Vaterland“, schrieb er vor gut einem Jahr.[8] Der daraufhin von mir eingereichte Leserbrief blieb unveröffentlicht.

Bei Gremliza, wie auch bei dem nun folgenden Auftritt von Thomas Ebermann, geht es selbstverständlich nicht um meine Person, sondern um unsere Kritik.

„Etwas“, schreibt Ebermann, „muss in ihm rumort und gebrodelt haben, was nun durchbricht, das Coming-out.“ Fortan würde Küntzel „zwingend notwendigen Unsinn“ über den Islamismus schreiben, fährt Ebermann in seinem Artikel, den er mit „Eine Studie am Detail“ überschrieb, fort. Denn da Küntzel etwas „ändern“ wolle, nämlich den Tatbestand, „ein einflussloser Autor“ zu sein, müsse er, wohlgemerkt aus karrieristischen Motiven, „auf richtige, aber aussichtslose Unternehmungen verzichten“, um stattdessen bei der „Dämonisierung des Feindes“ mit(zu)machen, und somit also „vom Aufklärer zum Propagandamacher ... (zu) mutieren“.[9] Dies nun ist eine Perle des unfreiwilligen Kabaretts.

Das Motiv derartiger Konstrukte verweist jedoch auf ein grundsätzliches Problem, weshalb es an der Zeit ist, Adorno zu Rate zu ziehen , der diesen Typus der Argumentation so analysiert: „Es wird das Aussprechen von Erkenntnissen sabotiert mit dem Hinweis darauf, sie kämen irgendwelchen Gegnern zugute.“ Und dann fährt Adorno fort: „Gefährlich sind nicht Einsichten, die Feinde ausspielen könnten, sondern die blinde Apologie“ – die blinde Verteidigung der zuvor gefassten Überzeugung – „ die das Fragwürdige verstärkt und damit wahrhaft den Feinden recht gibt.“[10]

In der Tat hat sich „die Gefährlichkeit der blinden Apologie“, die Gremlizas Umgang mit „Goldhagen und die deutsche Linke“ vor vier Jahren bestimmte, im Kontext des Islamismus erneut erwiesen und ihre Fragwürdigkeit nur verstärkt. Und hatte z.B. „konkret“, als es die falsche Schuldzuweisung an die USA durch ihren Kornzeugen, Volker von Bülow, noch verstärkte, nicht „wahrhaft den Feinden recht (gegeben)“? Schließlich wurde auch die Fragwürdigkeit des Verratvorwurfs durch einen Hassausbruch in Gremlizas „express“ nur weiter verstärkt.[11]

Gerade dies zeichnet also die Anhänger desjenigen „antideutschen“ Flügels, der nach dem 11. September auf den Anti-Amerikanismus einschwenkte, mehr als alles andere aus: Dass sie das Aussprechen von Erkenntnissen sabotieren und somit das Fragwürdige, anstatt es infrage zu stellen, immer weiter verstärken.

Wie aber sieht es nun mit dem kommunistischen Selbstverständnis jenes anderen Flügels der „Antideutschen“ aus, der an die Stelle der „blinden Apologie“ das „Aussprechen von Erkenntnissen“ setzen will, sollten sollte, setzen muss? Ich möchte, da dies heute nicht mein Thema ist, zumindest zwei Gedanken für dieses Selbstverständnis formulieren:

Erstens scheint mit Kommunismus nur noch als die Antithese denkbar zu sein zum – „Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen.“ Nach all dem Grauen, das bislang auch die kommunistische Bewegung angerichtet hat, sollte heute das Leitideal doch eher der Ketzer, als der Parteisoldat sein. Der Gestus der Einschüchterung und die Diktion der Säuberung, wann immer ein ketzerischer Gedanke sich Luft verschafft - , das ist nach meiner Überzeugung obsolet, selbst dann, wenn es mal um eine Pro-Israel-Kampagne geht.

Mein zweiter Vorschlag hat mit der inhaltlichen Beurteilung von Sachverhalten, mit der Bedingung von Wahrheit also, zu tun. Was bezeichnet z.B. Adorno als die „Bedingung aller Wahrheit“? Für ihn war „das Bedürfnis, Leiden beredt werden zu lassen, Bedingung aller Wahrheit.“[12]

„Leiden beredt werden zu lassen“, bedeutet, das Bewusstsein darüber zu wecken, dass die Menschen, solange sie Objekte der gesellschaftlichen Prozesse bleiben, immerzu betrogen werden. Es bedeutet stets Kraft der Negation, nie aber Nachbeter der Affirmation zu sein, und das selbst dann nicht, wenn die Agenda 2010 oder gar die Außenpolitik der USA zur Debatte steht.

Diese Maßgabe zu berücksichtigen, würde zugleich das leidige Problem des „entweder-oder“ relativieren, das schon an anderer Stelle erörtert worden ist. Denn unter der Maßgabe des Adornitischen wie auch des Marxischen Imperativs gilt doch weiterhin der Satz, mit dem Adorno die Problematik dieses „Entweder-Oder“ benannte, und der zum Abschluß also verlesen sei:

„Alternativen, die erzwingen, man müsse für die eine oder andere Bestimmung optieren – solche Alternativen sind selbst bereits Zwangssituationen, denen in einer unfreien Gesellschaft nachgebildet und dann auch den Geist übertragen, an dem es doch wäre, zur Brechung von Unfreiheit durch ihre hartnäckige Reflexion zu tun, was er kann.“ [13]

 

Anmerkungen

[1] David Gelernter, Warum Amerika? Bin Ladins Hass ist Judenhass, in : FAZ, 27. Oktober 2001.

[2] So B. Schmid in Briefen vom 27. 1. 2003 und vom 30.1. 2003 an den Verfasser. In semantisch verdünnter Form veröffentlichte Schmid diese Position in dem Artikel „Matthias Küntzel und der Islamismus. Der ,Krieg gegen den Terror’ und das Abdanken linker Politik“, der unter veränderten Überschriften ebenfalls in der Jungle World sowie der Soz erschien. (Vgl. ak 459, 22.2.202, S. 24f.)

[3] Spiegel 36/2002, S. 117.

[4] H.L.Gremliza, Schöne neue Theorie, in: konkret 11/2001, S. 9. Von einer ebenso intensiven Einfühlung in die Situation der Opfer des 11. September ist in den Texten Gremlizas nicht zu entnehmen.

[5] H.L. Gremliza, Fußnote zum Zuwi, in: konkret 10/97, S. 35.

[6] H.L. Gremliza, Deutscher Frieden, in: konkret, 9/02, S. 9.

[7] Thomas Ebermann: Küntzel’s ,beispiellose’ Tat, in: Jürgen Elsässer (Hg.), Deutschland führt Krieg, Hamburg 2002, S. 193. Die nur konsequente Weiterentwicklung dieser Position hat Bernhard Schmid formuliert. Die Anschläge des 11. September seien zwar schlimm gewesen. „Nur: Im Vergleich zu den Kriegszuständen, die in Teilen dieser Welt herrschen, war das ... beinahe ein laues Lüftchen.“

[8] H.L. Gremliza, Eine Zäsur findet nicht statt, in: konkret 3/2002, S. 17.

[9] Thomas Ebermann, Hedonismus statt Kommunismus? Der linke Bellizismus und die Reize des Westens – eine Studie am Detail

[10] T. W. Adorno, Das Altern der Neuen Musik (1954)

[11] In konkret 5/2002 schrieb Gremliza: „Phase II, eine Vierteljahresschrift ,gegen die Realität’, hat einen Denker aufgetrieben, der so denkt: ,Dabei ist der Djihadismus heute nur die Speerspitze der regressiven Antwort auf das Kapital.’ Die Regression hat eine Speerspitze. Wem steckt sie die wo sein? Ein Vorschlag: ihrem Erfinder, Matthias Küntzel, halbhoch, hinten.“ Mein Interview mit Phase II ist unter www.matthiaskuentzel.de nachzulesen.

[12] Zit. nach Rolf Tiedemann, T.W. Adorno, Der Philosoph vor dem Mikrophon. Aufnahmen des Hessischen Rundfunks 1955-1969, München 1999, S. 7.

[13] T.W. Adorno: Zur Grundfrage der gegenwärtigen Gesellschaftsstruktur.

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