Revolution und Vaterland

Revolution und Vaterland

Noch’n Nachruf

Initiative Sozialistisches Forum

Ein Karrierist ist jemand, der vom Prinzip her auf jede Erkenntnis pfeift und, was er absondert, in eine Form gießt, die ihm sein Fortkommen, seine Anschlußfähigkeit ans gesellschaftlich Allgemeine, sichert. Doch manchmal kann auch er nicht verhindern, helle Momente zu haben. Zwar bleibt die Wahrheit in Ausdruck und Inhalt verfremdet und wird schnell unter den Teppich gekehrt – denn sonst wäre der Karriereknick unmittelbar da. Doch immerhin: manchmal blitzt auch im vom Karrieristen Gesagten einen kurzen Moment lang Erkenntnis auf. So erging es Jürgen Trittin, als er seinem Widersacher Laurenz Meyer von der CDU mit dem Bonmot ärgern wollte, dieser habe nicht nur das Aussehen eines Skinheads, sondern dieselbe Mentalität. Zwar merkte er sofort, daß er sich zu weit aus dem Fenster gelehnt hatte, und entschuldigte sich auf der Stelle. Doch in diesem Verhalten vollzog er nach und deckte auf, wofür er geworden ist, was er ist.

Der von Trittin inkriminierte Satz von Meyer: “Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein!”, drückt genau und allgemeinverständlich den Wahnsinn aus, den es macht, Deutscher nicht nur qua Personalausweis sein zu müssen, sondern diesen Zwang auch noch subjektiv gutzuheißen. Bewußt wird mit diesem Satz dem für Deutschland in den letzten 200 Jahren angerichteten Wahnsinn nicht nur Sinn verliehen, sondern auch öffentlich der Eid geleistet, die in dieser Vergangenheit angelegte historische Aufgabe zu der in ihr von vornherein angelegten, aber sogar im Tausendjährigen Reich nicht erreichten Vollendung zu bringen. Was Trittin zur Entschuldigung trieb, war die Einsicht, daß er längst genau in der deutschen Tradition agiert, die er subjektiv ungewollt verunglimpft hatte. Meyer hat dem objektiven Verhalten Trittins den genau entsprechenden Ausdruck gegeben hat: den, daß Trittin schon längst stolz auf dieses Land ist. Könnte man denn sonst deutscher Minister werden? Wo der, der einem die Karriere verbauen kann, in der Sache recht hat, empfiehlt sich der geordnete Rückzug.

So geht es nun schon seit Monaten: Wie dem Hasen in der Geschichte mit dem Igel geht es den Galionsfiguren der Grünen mit den Damen und Herren der CDU: Was immer die Grünen machen, sie kommen in immer denselben Rechtfertigungsdruck. Amüsiert schaut die Nation zu, mit welch schlechtem Gewissen die Grünen agieren, sobald sie mit ihrer Geschichte konfrontiert werden. Dachte doch jeder, das Kapitel 68 hätte sich längst erledigt. Was aber ist es, das dieses Datum in Deutschland heute noch so wirkungsmächtig sein läßt?

Die ‘Jugend der Welt’ einte damals ein einziges Wörtchen, und das hieß: Revolution. Selbstredend verstand jeder was anderes darunter – doch das Wort allein schon versetzte das Establishment (so hießen die damals Herrschenden) in Angst und Schrecken – eine Situation, die jeden postmodernen Nominalisten von heute vor Neid erblassen lassen müßte.

Die Amerikaner verstanden unter diesem Wort (jeder einzelne Amerikaner natürlich wieder was anderes, aber vom Prinzip her alle insgesamt) das, was Revolution bei ihnen immer schon bedeutete: die Veränderung individueller Einstellungen und Haltungen (zu Gender, Rassismus, Vietnamkrieg etc.); die Umwertung aller Werte – auf daß das Alte, der Kapitalismus also, auch weiterhin funktioniere. Die Briten hatten gar kein 68: bei ihnen fand der Aufruhr schon Anfang der 60er statt, als einige Vorstadt-Rowdies laute, unbritische Musik machten und sich wild und unbritisch kleideten und frisierten: der Adel war empört – aber arrangierte sich schließlich, weil man ja selbst noch gentleman bleiben konnte. Die Franzosen verstanden unter Revolution vom Prinzip her ebenfalls das, was es bei ihnen immer schon bedeutete: Das eruptive Ausbrechen vorher angelegter Entwicklungen auf der Straße – auf daß man danach in aller Ruhe gemeinsam das Neue in allen ausgefeilten Schattierungen genießen konnte. Deshalb spricht man in Frankreich auch nicht allgemein von 68, sondern immer von dem Mai 68.

Und in Deutschland? Dort trat man den “langen Marsch durch die Institutionen” an. Zu welch einem anderen Zwecke als den, die 1945 wieder nicht vollständig gelungene deutsche Revolution nun doch noch zu vollenden? Was mit dem 8. Mai 1945 besiegelt schien – das endgültige Scheitern der unvollendet gebliebenen Revolutionen der ewig zu spät gekommenen deutschen Nation – stand 68 wieder auf der Tagesordnung: Die Einfühlung in deren Geschichte – was nichts anderes heißen kann, als die Erneuerung der Vergemeinschaftung zum Volk. Völker aller Länder vereinigt euch!

Von hier aus ist zu verstehen, warum man im Deutschland von 68 “Revolutionär” sein mußte, wenn man sich auf die Karriere vorbereiten wollte. Im Unterschied zu den feinen Unterschieden von heute, da man sich in Uni-Seminaren in die Phraseologie der Postmoderne einzufühlen hat, liegt in der Logik des revolutionären Jargons ein diffiziles praktisches Problem angelegt, das da lautet: Wie hältst du es mit dem Gewaltmonopol? Und damit hatten die deutschen Revolutionäre schon immer ihre Schwierigkeiten (man erinnere sich an den Witz, daß die Besetzer eines deutschen Bahnhofs sich natürlich vorher eine Bahnsteigkarte kaufen). Daran, wie die einzelnen Fraktionen von damals in Deutschland diese Schwierigkeiten mit der Frage nach der revolutionären Gewalt zu lösen versuchten, lassen sie sich differenzieren – und diese Fraktionierungen waren, das nur zur Erinnerung: typisch deutsch.

Von rechts nach links: Es gab ein ganz kleines, sich etwa im RCDS organisierendes Häuflein von Revolutionären (z. B. Matthias Wissmann), und ein größeres, bei den Jusos organisiertes (Gerhard Schröder) und ein mittleres, im übrigen sich reichlich linksradikal gebärdendes bei den Jungliberalen (Walter Döring), für die die Revolution nur möglich war, wenn das Gewaltmonopol des Staates gar nicht erst angetastet wird. Die rhetorischen Purzelbäume, die das bedeutete, waren phänomenal – aber gelacht hat damals keiner. Von links hat man sie als Revisionisten beschimpft, und somit ernst genommen. Auch aus Karrieregesichtspunkten betrachtet wurden diese Revisionisten von der außerparlamentarischen Linken (APO) ernst genommen: Zum einen wegen deren direkten, wenn auch zeitweise spannungsreichen Anbindung ihrer Studentenvereinigungen an die Mutterparteien. Zum anderen: da bei ihnen die Anzahl der Mitglieder im Vergleich zu den anderen Fraktionen verschwindend gering war, gab es weniger Konkurrenten für die später heiß begehrten Posten in den parlamentarisch vertretenen Parteien.

Dann gab es die große, alle anderen Fraktionen in ihren Bann ziehende Fraktion derjenigen, die sich unter einer deutschen Revolution die Ablösung des alten durch einen neuen Staat vorstellten – so wie Lenin und Trotzki das in Rußland vorgemacht hatten. Die Lösung für die Frage nach der revolutionären Gewalt war dann dem entsprechend: Bis dieser revolutionäre Umschlag stattfindet, überbietet man die existierenden Staatsdiener in Verfassungstreue. Diese Leute haben bis heute nicht verwunden, geschweige verstanden, daß dieser Staat diesen Revolutionären ihre Staatsergebenheit nicht recht abnehmen wollte. Und nur wenige (und dann eher die, die damals als Trotzkisten fast schon zur weiter linken Fraktion zu zählen waren: Winfried Wolf) haben im Ansatz so etwas wie eine Karriere gemacht. Wie man nach dem berüchtigten Mauerfall sehen konnte, war dieser Eiertanz: als sozialistischer Staat á la SU die Ideale des bürgerlichen Staates in Deutschland verwirklichen zu wollen, einfach zu evident undeutsch, als daß das der Karriere hätte dienlich sein können. Sie können nur im Schatten der damaligen Fraktion, die heute in den Grünen aufgegangen ist, ein bescheidenes Plätzchen an der Sonne genießen.

Und so wären wir ganz links, bei der quantitativ größten Fraktion der Revolutionäre angelangt: da tummelte sich alles mögliche – doch in einem war man sich einig: die Revolution war nur im Hier und Jetzt zu verwirklichen. Wenn die Abschaffung des Eigentums gesamtgesellschaftlich nicht sofort verwirklicht werden konnte, löste man das dementsprechend mit den Mitteln, die einem unmittelbar zur Verfügung standen: man besetzte beispielsweise leerstehende Häuser. Die Konflikte mit dem Gewaltmonopolisten wurden ebenso pragmatisch geregelt: man vertraute auf das Recht des Stärkeren. Und wenn, wie man bald, trotz einiger Anfangserfolge, erfahren mußte, der Staat dieser Stärkere war, dann wurde halt verhandelt. Und dieser Staat erinnerte sich an seine eigene Geschichte seit der ursprünglichen Akkumulation und brachte sehr viel Verständnis für diese Revolutionäre auf – woraus sich zwanglos erklärt, warum diese Verhandlungen oft erfolgreich waren und die ehemaligen Besetzer Besitzer von Eigentumswohnungen wurden. Selbstverständlich haben nicht alle aus der Sponti-Szene solche Karrieren gemacht – viele sind dabei auf der Strecke geblieben. Aber hier war das ideale Tummelfeld für Leute wie Fischer, um sich die Sporen zu verdienen, die Kampferfahrungen zu sammeln, die Variabilität in der Form des Auftretens zu erwerben und die Rücksichtslosigkeit gegenüber allem Inhaltlichen zu verinnerlichen, die man für eine wirkliche Karriere braucht.

Bleibt nur noch auf das Häuflein zu verweisen, das die Sache mit der revolutionären Gewalt ernst, allzu ernst nahm und in der Praxis unternahm, was – da sie ja Kinder all der anderen Fraktionen waren und all deren theoretischen Purzelbäume in ihren Köpfen zu einem nahezu grandiosen Eklektizismus vereinheitlichte – schiefgehen mußte. Doch hat, etwa die RAF, in all ihrem theoretisch und damit selbstredend auch praktisch Falschen doch wenigstens so etwas wie einen Vorschein auf die einzig mögliche Lösung des Dilemmas von Revolution und Gewalt abgeliefert.

Es ist mehr als geschichtliche Ironie, sondern entspricht genau der Logik der deutschen Politik (in den USA/GB/ Frankreich wäre diese Diskussion undenkbar), daß kürzlich gerade das Ereignis aus jener Zeit, das auch diesem Vorschein des tatsächlichen Charakters revolutionärer Gewalt noch den letzten Rest von Vernunft austrieb, im Wettlauf des Hasen mit dem Igel Aufhänger für die Grünen-Schelte der CDU war: Der so genannte Buback-Nachruf, der nichts anderes war, als der Versuch, die Frage nach der revolutionären Gewalt auf die Gleise der normalen Ideologie zu stellen. Die “klammheimliche Freude” – nichts anderes als die von jedem Laienpsychologen verlangte Konfrontation mit sich selbst und seinen Gefühlen, um von dort aus zur Realität zurückzufinden. Die Frage danach, ob der Zweck die Mittel heiligen dürfe – jeder Pauker nervt damit seine Schüler. Auf die sich damals jedoch bietende, einmalige, heute kaum verständlich zu machende Chance, seine rebellisch sich gerierenden Bürger für ihr vormaliges Rebellentum nicht nur zur Rechenschaft zu ziehen, sondern sie ihre Staatstreue nun auch in aller Offenheit beteuern zu lassen, verzichtete man natürlich nicht. Mit dem Verweis auf die in diesem Nachruf formulierte klammheimliche Freude über das Ableben eines Ausbeuters machte man aus dem Nachruf das Gegenteil von dem, was er war: machte aus einer Absage an die revolutionäre Gewalt einen Aufruf zu ihr und brauchte die Früchte nur noch einzusammeln: Keine Veranstaltung der Linken fand statt, in der die Redner ihre Verlegenheit nicht mit Sätzen einleiteten wie: “Vom Prinzip her muß man natürlich sagen: so wie bei dem Mescalero geht das natürlich nicht … Aber da steht doch …” Natürlich wehrten diese Bürger sich gegen die Demütigung, die der Staat mit seinen penetranten Distanzierungsforderungen beabsichtigte. Aber eben nur gegen diese Kränkung. Und so erhielt der Staat die Bürger, die er braucht: selbstbewußt, ihr subjektives Interesse vertretend und darüber dem Wohl des Allgemeinen dienend.

Doch es bleibt immer ‘was hängen’ – etwas, was jeder Deutsche zutiefst verachtet. Denn Tatsache ist: Sie haben mal im Namen anderer Ideale gesprochen als dem Ideal, das der Deutsche einzig kennt: und das ist Deutschland. Noch heute wird die SPD ihren Nimbus, in ihrem Kern Vaterlandsverräter zu sein, nicht los: Sie hat einmal so etwas wie Internationalismus verfochten, und sei es nur verbal. Ein echter Deutscher verzeiht jeden Verrat, jede Heuchelei, sogar den revolutionären Impetus (kommt er etwa so daher wie bei Ernst Jünger und Adolf Hitler) – doch nur, wenn er im richtigen Namen begangen wird. Die Grünen haben alles verraten, was man an 68 nur verraten konnte, jede Heuchelei begangen, sich auf die Karriere im neuen Deutschland verpflichtet – doch sie eint mit der SPD der nicht vergehen wollende Ruch, prinzipienlos zu sein, das alles nicht von Anfang an im Namen des einzigen Zweckes getan zu haben, der den Deutschen Selbstzweck ist: Deutsch sein heißt, die Dinge um ihrer selbst willen zu tun.

Da können sie noch so tatkräftig beweisen, von nun an nichts als Deutsche sein zu wollen – die Glaubwürdigkeit ist dahin, selbst wenn man das tut, was die alte Bundesregierung sich zu tun nicht traute: siehe den Bundeswehreinsatz im Kosovo. Man scheint doch, ganz aktuell in Mazedonien, so verdammt nahe dran zu sein: endlich die Fernsehbilder vom Obersten Joseph Fischer, wie er, inmitten seiner Soldaten, unter unmittelbaren Beschuß, ihnen zur Seite steht; spielt es wirklich eine Rolle, daß der Beschuß von seinen eigenen Kindern, der UCK ausgeht? Das natürlich nicht – aber, liebe Damen und Herren von den Grünen: euch mangelt es an Rückgrat! Das ist es, was ihr immer wieder beweist: und das mag der gute Deutsche grundsätzlich nicht. Die alte Leier des Vaterlandsverrats, des unsicheren Kantonisten, wird einfach wieder aufgelegt, bis man euch wieder als nützliche Idioten abstrafen kann – wie nach dem 30.1.1933 die SPD und KPD. Auch die konnten vorher und danach noch so sehr beteuern, immer nur das deutsche Wohl verfolgt zu haben – und in der Tat: sie hatten es, aber diese “Vaterlandsverräter” boten nicht die jederzeitige Gewähr dafür, treu dazu zu stehen, worum es wirklich geht: daß das Deutsche sich allein darin verwirklichen kann, daß es seinen Antipoden: den Juden vernichten muß, um zu sein, was Deutschlands Bestimmung ist. Alle Beteuerungen der Grünen und der SPD in der aktuellen Vaterlandsdebatte, stolz auf Deutschlands Kultur etc. zu sein, reichen nicht hin. Nur der eine Satz: “Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein” deckt den Wechsel auf die Zukunft.

Bereitwilligst bekunden diese ‘Verräter’ ihre Bereitschaft, dem deutschen Verlangen nachzugeben, ihr Verhältnis zur Gewalt im allgemeinen zu klären und die Gewaltbereitschaft ihrer Vergangenheit im besonderen schonungslos zu verarbeiten. Ersteres läuft auf das bedingungslose Bekenntnis zum Gewaltmonopol des Staates hinaus. Letzteres auf ein ‘mea maxima culpa’ derart, daß zugestanden wird, daß, wer im Namen der Weltrevolution spricht, nur Leichen im Keller hat. Im “Jahrhundert der Lager” sind alle Katzen grau. Der Gulag und die Shoah, beides wird als Ausdruck eines an sich undeutschen Geistes, der sich zeitweise den Namen Deutschland gegeben habe, begriffen. Und so ist man sich als Deutscher vom Prinzip her einig: Schuld sind immer die anderen – selbst und gerade da, wo nichts als die Vernichtung allein die Tat Deutschlands war und dieses Ziel allein das Ziel Deutschlands bleibt.

Einleitungstext zum Jour Fixe-Programm der Initiative Sozialistisches Forum Freiburg im Sommer 2001

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